In einer weiteren Folge über die „heimlichen Radiohelden“ wollen wir heute einen Macher der ersten Stunde im Privatradio vorstellen. Matthias Ihring gestaltet und prägt seit bereits 30 Jahren die Musik des baden-württembergischen Regionalsenders Radio 7. Dabei gehört Ihring noch zur (leider verschwindenden) Spezies der moderierenden Musikchefs. Schade eigentlich für die deutsche Radiolandschaft, dass nicht mehr Musikverantwortliche on air zu hören sind, denn wer sonst kann überzeugender Musikkompetenz vermitteln und den Hörern authentisch erklären, warum ein Titel oder Künstler beim Sender gespielt wird. Bei Radio 7 wird der Kopf der Musikredaktion, der in diesem Jahr auch als Jury-Mitglied für die Verleihung der „Echo“-Musikpreise gefragt ist, künftig noch intensiver als Experte am Mikrofon eingebunden. Radio 7-Programmdirektor Mike Wagner: „Matze Ihring hat so eine hohe musikalische Kompetenz wie kaum ein anderer Musikchef bei einem Radiosender in Deutschland. Deshalb müssen wir ihn zu allen aktuellen Musikthemen, mit Künstlerinterviews und noch mehr als bisher mit seiner ‚Plattenküche‘ on air haben“.
RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit dem Radio 7-Musikchef über seine Karriere und Arbeit.
RADIOSZENE: Über welche Wege kamen Sie zum Radio?
Matthias Ihring: Als Zehnjähriger habe ich zuhause damals Kassetten aufgenommen und meine ersten Moderationsversuche gestartet. Eigentlich war klar, ich musste irgendwann zum Radio oder irgendwas mit Musik machen. Nach einer abgeschlossenen Kochlehre im Allgäu, begann ich neben meiner Bundeswehrzeit als DJ im Allgäu und in Österreich zu arbeiten. Damals las ich dann in der Zeitung, dass 1985 der private Rundfunk im Allgäu starten sollte und dann habe ich die Kollegen von Radio Allgäu Aktuell so lange in Kempten genervt, bis sie mich genommen haben. Meine erste Sendung damals, war technisch eine unglaubliche Herausforderung. Zwei Kassettenrekorder und ein Kabelmikro und das Ganze live von der Kemptener Festwoche, die erste private Radiosendung damals im Kabel in Deutschland!
Nach den ersten Gehversuchen bin ich dann zu Radio Session 85 gewechselt, dort habe ich mein Volontariat absolviert und das Handwerkszeug von Toni Blessing gelernt. Als Leiter der Musikredaktion moderierte ich unter anderem den „Bravo Show Express“, die Radiosendung des bekannten Jugendmagazins. Wir hatten damals schon die Stars in der Sendung und waren mit diesem Format sehr erfolgreich.
1987 bin ich dann nach Ulm zu Radio 7 gekommen, gestartet habe ich dort als Musikredakteur und Moderator. Seit 2002 leite ich die Radio 7 Musikredaktion und bin stellvertretender Programmdirektor. 2007 habe ich noch mein Studium auf der BAW in München als diplomierter Marketing- und Medienfachwirt abgeschlossen.
RADIOSZENE: Welche Tätigkeitsfelder umfasst Ihr heutiges Aufgabengebiet?
Matthias Ihring: Als Leiter der Radio 7 Musikredaktion kümmere ich mich an erster Stelle zusammen mit dem Programmdirektor um die musikalische Ausrichtung und die Strategie des Senders. Dazu gehört die Auswertung und Umsetzung der Research-Ergebnisse, Erstellung der Stundenuhren sowie die Planung der Musikabläufe. Außerdem höre ich natürlich täglich viele neue Titel, besuche Konzerte und Showcases um Neuheiten entsprechend für den Sender auswählen zu können. Ebenso mache ich Künstlerinterviews für meine Sendung „Matzes Plattenküche“.
RADIOSZENE: Welchen Stellenwert haben Musik und Musikspezialsendungen generell bei Radio 7?
Matthias Ihring: Eine große, neben der täglichen „Neuheitenshow“ mit Sebastian Pauls, senden wir am Sonntag unsere „Hitparade Top 20“. Am Samstagabend bieten wir ein reines Clubformat, die „Radio 7 Mixshow“ an. Der Sound: Immer am Puls der Zeit, erwachsen und tanzbar bei gleichzeitig hohem Wiedererkennungswert. Ein einzigartiger Live DJ Mix mit Chris Montana und mir. Wir haben letztes Jahr auch schon zwei Mix- Compilations bei Embassy Of Music sehr erfolgreich veröffentlicht.
Seit 9 Jahren läuft meine Sendung „Matzes Plattenküche“ im Programm von Radio 7. Dort präsentiere ich jede Sonntagabend einen Studiogast und stelle sein Album vor. Mit diesem Format sind wir auch auf Tour und präsentieren das Live-Interview mit dem Gast vor Publikum im Radio 7-Land.
In den letzten Jahren gab es natürlich auch „80er–“ und „90er Tage“. Eine super Resonanz hatten wir vor kurzem mit unserem „Jukebox Helden Day“. Einen ganzen Tag ging es musikalisch um die magische Zeit der Musikboxen: bedeutende Stars und ihre größten Hits rund um Elvis Presley, Bill Haley & Co …
RADIOSZENE: Wie hat sich der Stellenwert der Musik im Radio im Laufe der Zeit verändert?
Matthias Ihring: Früher hatte man eine Musikrotation mit 400 „Best Testern“ und war erfolgreich, heute sind es 600 Musiktitel und 200 „Best Tester“… – aber Spaß beiseite: Wir Musikplaner schimpfen ja oft über die Marktforschung, die Berater, über die „Hate-“/ “Passion“/“Burn“-Werte. Ich bin fest der Überzeugung, dass es ganz ohne den „Call Out“-Test auch in Zukunft nicht gehen wird. Die Frage ist nur, ob die herkömmliche Art der Telefonabfrage noch zeitgemäß ist oder ob man bei der Datenfindung neue Wege gehen muss. Aus meiner Sicht wird der Faktor „Bauch, Sound, Anmutung“ im Mainstream-Programm immer wichtiger.
RADIOSZENE: Kritiker werfen immer wieder ein, dass in Zeiten des Formatradios die Musikredaktion nur noch geringe Einflussmöglichkeiten auf die Musikabläufe haben. Welchen Einfluss haben Sie bei Radio 7?
Matthias Ihring: Ich denke einen großen. Man vertraut uns in der Musikredaktion und lässt uns machen. Dies könnte in der letzten Zeit der Schlüssel zum Erfolg des Musikprogramms unseres Senders gewesen sein. Immerhin haben wir im Kernsendegebiet mit ANTENNE BAYERN und SWR 3 zwei Mitbewerber gegen die wir uns seit Jahren erfolgreich durchgesetzt haben.
RADIOSZENE: Welche Musik ist derzeit besonders angesagt und gibt es bereits einen Trend von morgen?
Matthias Ihring: Einen neuen Trend sehe ich nicht. Weiterhin ist deutschsprachiger Pop sehr stark, die Coverversionen bekannter Songs funktionieren und bei EDM und Dancepop ist noch kein Ende in Sicht.
RADIOSZENE: In welcher Form arbeiten Sie mit der Musikwirtschaft zusammen?
Matthias Ihring: Sehr freundschaftlich und eng. Ich sehe die Plattenfirmen was meine Arbeit bei Radio 7 angeht, als zuverlässige Partner. Mini-Konzerte, Hörerreisen oder auch Off-Air Auftritte wie beispielsweise bei der „Radio 7 Charity Night“ wären ohne den guten Kontakt zu den Musikfirmen nicht möglich. Der tägliche Kontakt zu den Plattenfirmen, mein Netzwerk von den Konzertveranstaltern/ Managements und diversen Fernsehsendern ermöglicht Radio 7 den Zugriff auf die Künstler, ohne diese Kontakte wäre es schwierig, vor allem an die „Großen“ der Szene heranzukommen!
RADIOSZENE: Wie sehr haben sich Radio- und Musiklandschaft über die Jahre verändert?
Matthias Ihring: 1987 ist man noch mit seinem eigenen Plattenkoffer in die Sendung gegangen. Dann kamen ja die CDs. Es gab noch keinen Berater und keine „Call Out Tests“! Es gab keine Rotation, keine festgeschrieben Playlisten oder „Besttester“. Jeder durfte das machen, was er wollte. Wenn ich mir heute ab und zu einen Aircheck aus dieser Zeit anhöre, muss ich schmunzeln und mich fragen, wie man damals so viele Hörer begeistern konnte. Es war aber eine coole Zeit und ich bin dankbar, dass ich sie erlebt habe.
Nachdem in den 90ern die Balladen und Rocksongs im Radio dominiert haben kamen in den 2000ern die Dance Songs sowie die deutsche Pop- und Rockmusik, die sich ja bis heute durchgesetzt haben.
Heute ist ja dank der Musikpromotionplattform MPN und des Internets alles viel einfacher beziehungsweise schneller für uns geworden. Die neuen Songs bekommt man mit einem Mausklick. Früher musste man warten, bis der Postbote kam. Es war dann jeden Tag Weihnachten, wenn man in der Musikredaktion die CD-Päckchen auspacken durfte. Heute ist man froh, wenn man mal eine brauchbare CD bekommt.
RADIOSZENE: Zuletzt hat man den Eindruck, dass sich in den Single Charts immer mehr Künstler bewegen, die bis vor kurzem noch völlig unbekannt waren. Täuscht der Eindruck – und haben es die „großen“ Namen immer schwerer erfolgreich zu sein?
Matthias Ihring: Gibt es denn wirklich noch so viele „große“ Namen, die für ein Mainstream-Programm in der Zielgruppe spielbare Hits liefern? Was macht denn ein Musikplaner wenn er die Daten vom „Call Out“ von Bruno Mars, Justin Timberlake oder Coldplay geliefert bekommt und alle schlecht testen? Spielen .. ?
RADIOSZENE: Haben die Top 100-Verkaufscharts generell noch eine Wertigkeit für Ihren Sender?
Matthias Ihring: Die Top 100 Single-Charts haben seit Jahren keinen Einfluss mehr für die Playlist von Radio 7. Wir orientieren uns an den Airplay-Charts, iTunes Charts, Spotify und an unserem Bauchgefühl bei den wöchentlichen Abhörsitzungen.
RADIOSZENE: Welche Bedeutung haben Newcomer und Neuheiten für das Programm?
Matthias Ihring: Neue Titel nehmen einen hohen Stellenwert in unserem Programm ein. Von dem Spruch „Wir machen keine Hits, wir spielen sie“ halte ich nichts. Wer soll sonst Hits machen, außer das Radio? Es ist uns auch egal, ob jemand ein Newcomer oder ein „Core Artist“ ist. Wichtig ist vor allem der Sound. Natürlich wird der Song eines bekannten Künstlers einmal vorgestellt, damit sich unsere Hörer selbst einen Eindruck verschaffen können. Aber ein großer Name allein garantiert keinen Platz auf unserer Neuheitenliste. Zwischen 6.00 und 18.00 Uhr spielen wir neben unserem Hitmix mindestens einen neuen Titel pro Stunde, ab 20.00 Uhr widmen wir sogar eine Stunde täglich unter der Woche nur den Neuheiten.
RADIOSZENE: Fast alle Sender – so auch Radio 7 – verfügen heute über separate Musikspartenstreams. Welche Strategie steckt hinter diesen Angeboten?
Matthias Ihring: Nicht nur der klassische Weg wie UKW, sondern auch die IP-basierte Audionutzung ist für uns enorm wichtig um unsere Zielgruppe zu erreichen. Aber einfach nur anschalten und sich berieseln lassen wird auf Dauer nicht funktionieren. Wenn unser Musik-Streaming Angebot langfristig konkurrenzfähig sein will, muss es mehr sein als ein reines Abspielmedium. Wir arbeiten aber hinter den Kulissen schon fleißig dran und werden bald mit unserem neuen Streaming-Angebot ans Netz gehen.
RADIOSZENE: Welchen Herausforderungen muss sich Radio 7 beziehungsweise die Branche allgemein in der Zukunft stellen?
Sich einfach treu bleiben und machen!