Wenn auf der berühmten Pferderennbahn im benachbarten Iffezheim die letzten Galopper abgesattelt sind und erste Nebelbänke in der vorgelagerten Rheinebene den nahenden Herbst ankündigen, rüstet sich das noble Baden-Baden mit dem SWR3 New Pop Festival zur „Mutter aller deutschen Nachwuchsfestivals im deutschen Radio“.
Wie in jedem Jahr präsentiert sich hier am dritten Septemberwochenende die Elite aufstrebender Musiknewcomer auf den ehrwürdigen Bühnen der südwestdeutschen Kurstadt. Zu erschwinglichen Ticketpreisen und mit einem stimmungsvollem Rahmenprogramm an Orten, wo sonst die reiferen Semester den doch so ganz anderen Klängen des städtischen Kurorchesters lauschen.
Rücksturz ins Jahr 1994: Alles begann mit dem damaligen Programmchef Peter Stockinger, der das Event mit dem Anspruch aus der Taufe hob, eine mit dem legendären Montreux Festival vergleichbare Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Stockinger und seine Nachfolger hielten Wort: das Trend-Festival ist als Marke bei Hörern und Musikbranche längst zum unverzichtbaren Jour fixe geworden. Im Laufe der Jahre nutzten zahlreiche Künstler wie Alanis Morissette, Duffy, Amy Winehouse, Xavier Naidoo, Anastacia, The Fugees, Amy MacDonald, Bruno Mars, Olly Murs, Ed Sheeran, Kraftklub, Amy MacDonald, Mark Forster, Cro, Nico Santos oder Dua Lipa das Event als willkommenen Karriereschritt in den deutschen Musikmarkt.
Bewusst orientieren sich die SWR3-Booker bei der Auswahl der teilnehmenden Künstler nicht nur an Bestenlisten. Eher versteht man sich als Trüffelschweine bei der Findung hoffnungsvoller Talente – immer auf der Suche nach dem musikalischen Zeitgeist von morgen.
„Das Gute an der Grundidee des New Pops war ja, dass die Veranstaltung immer offen war für Veränderungen, Optimierungen, Anpassungen an die Lebensrealität und niemals ein festes Korsett hatte“
RADIOSZENE sprach mit SWR3-Musikchef und Festivalleiter Gregor Friedel über das diesjährige Event und allgemeine Entwicklungen innerhalb der Konzertszene.
RADIOSZENE: Das nächste New Pop Festivals steht an – mit seiner inzwischen 28. Ausgabe. Wie sehr hat sich der Charakter der Veranstaltung über die Jahre verändert?
Gregor Friedel: Ich glaube, dass sich der „Charakter“ des Festivals tatsächlich nicht verändert hat. Die DNA des Festivals war immer, neue, spannende Musik vorzustellen und mit Managements und Labels zusammen einen gemeinschaftlichen Künstleraufbau zu erreichen. Sicher haben sich über die mittlerweile ja Jahrzehnte Änderungen in der Durchführung, in der Ausspielung et cetera ergeben. Der Medienmarkt hat sich maßgeblich verändert (die rein lineare Welt der 90er vs. die digitale Welt der Jetztzeit). Das Gute an der Grundidee des New Pops war ja, dass die Veranstaltung immer offen war für Veränderungen, Optimierungen, Anpassungen an die Lebensrealität und niemals ein festes Korsett hatte, an das wir uns anpassen mussten.
Das ist mit Sicherheit auch ein Grund für den nachhaltigen und langanhaltenden Erfolg des Festivals – die Mischung aus Verlässlichkeit (für Partner und Publikum) verbunden mit Innovation. Das ist jedes Jahr tatsächlich wieder eine Herausforderung und wir besprechen jede neue Idee im Vorfeld und im Nachgang ausführlich und prüfen vor allem auch, ob das zur Idee „New Pop“ passt oder nicht. Jeder, der sich mit so einer Thematik beschäftigt weiß, wie arbeitsintensiv das ist. Das muss aber sein und der bleibende Erfolg des Festivals zeigt ja auch, dass uns das recht gut gelingt.
RADIOSZENE: Der Konzertmarkt als solcher scheint nach Corona überhitzt und teilweise auch an seine Grenzen zu stoßen. Auch Radiokonzerte sind längst keine Selbstläufer mehr. Spüren Sie diese Entwicklung auch bei New Pop?
Gregor Friedel: Das ist schwierig einzuschätzen. Wir spüren – wie alle anderen Konzertveranstalter auch – schon, dass Corona eine Zäsur im Livemusikmarkt war. Davon ausgenommen sind sicherlich die Topstars und auch einige Festivals, aber Einzelshows haben schon deutlich mehr zu kämpfen als zum Beispiel noch 2019. Beim New Pop bedeutet das, dass die Zeiten, als sich 45.000 Menschen darum beworben haben, überhaupt Tickets kaufen zu können, vorbei sind. Gleichwohl stehen wir auch in diesem Jahr wieder kurz vor „ausverkauft“, was bei einem Line-Up das ja zum großen Teil aus Rising Artists besteht ein Qualitätsmerkmal und eine Auszeichnung ist.
„Es scheint so zu sein, dass der deutsche Musikmarkt für Künstler:innen aus Übersee nicht mehr die Bedeutung hat, wie das mal der Fall war“
RADIOSZENE: Während und nach der Pandemie haben sich KünstlerInnen aus Übersee bei Konzertauftritten in Deutschland rar gemacht. Ist hier absehbar wieder eine Trendumkehr in Sicht? Auch das aktuelle Line-up beinhaltet ausschließlich KünstlerInnen aus Deutschland, Großbritannien oder Irland …
Gregor Friedel: Das ist grundsätzlich eine Entwicklung, die wir feststellen können. Zum einen scheint es so zu sein, dass der deutsche Musikmarkt für Künstler:innen aus Übersee nicht mehr die Bedeutung hat, wie das mal der Fall war. Es kommt so gut wie überhaupt nicht mehr vor, dass uns Labels Interviews, Shows oder ähnliches vor Ort anbieten können, weil sie selbst offenbar nicht mehr auf die Künstler:innen zugreifen können. Es ist halt auch schwierig geworden: zum einen haben wir alle über die zwei Jahre Corona gelernt, dass man Interviews halt schon auch via Schalte machen kann. Aufgabe der Labels ist es ja in erster Linie, Geld zu verdienen und auf Kosten zu achten. Da wird es schwierig zu rechtfertigen, dass man Kosten im sechsstelligen Bereich – und davon reden wir bei großen Stars – ausgibt, wenn man das auch anders geregelt kriegt. Dazu kommt die Aufwandersparnis für die Künster:innen. Nehmen wir zum Beispiel mal „Wetten, dass..?“ – immer noch Garant für eine Top-Quote in Deutschland, auch wenn die große Samstagabendshow-Zeit sicher vorbei ist. Jetzt können die Labels hingehen und viel Geld investieren, um vielleicht 10 Millionen Menschen in Deutschland zu erreichen. Oder – um ihn mal als Beispiel zu nehmen, wenngleich kein Amerikaner – Harry Styles postet halt was von Zuhause auf seinem Instagram-Kanal und erreicht ohne Reise- und Kostenaufwand fast 50 Millionen Menschen und zwar Zielpublikum. Kurzum: ja, wir würden uns freuen, wenn der Markt wieder so wäre wie früher. Nein, ich glaube nicht daran, dass sich hier nochmal was ändern wird.
RADIOSZENE: Bleiben wir beim diesjährigen KünstlerInnenaufgebot. Mit Kamrad, TwoColors oder Loi beispielsweise haben Sie MusikerInnen aus Deutschland verpflichtet, die im Radio bereits hervorragend gespielt werden – und zu Charts-Ehren gekommen sind. Insgesamt sind fünf nationale Newcomer dabei – zwei aus dem unmittelbaren Sendegebiet. Ein Signal, dass der nationale Markt inzwischen Topniveau erreicht hat?
Gregor Friedel: Natürlich ist die Qualität des deutschen Markts inzwischen wirklich gut geworden. Kleines Beispiel: am 4. August waren in den Top 10 der Deutschen Airplaycharts sieben Künstler aus Deutschland vertreten. Das freut die deutsche Musikszene, das freut uns als Radiosender, das freut die Labels, weil wir hier ja von domestic gesignten Acts sprechen, sprich der Druck aus Übersee ist nicht da und das verdiente Geld läuft hier in die Kassen. Für uns kommt dazu, dass wir nicht nur nationale Acts unterstützen, sondern im Fall von zum Beispiel Myle und ClockClock im vergangenen Jahr, Loi und Lari Luke in diesem Jahr Künstler:innen aus unserem Sendegebiet präsentieren können. Das ist ja eine der Grundideen des New Pops: Unterstützung beim Künstleraufbau und natürlich ist das umso schöner, wenn die Acts sozusagen aus unserer Nachbarschaft kommen. Aber auch Künstler wie im vergangenen Jahr Leony oder dieses Jahr Kamrad – unfassbar, was für top Karrieren sie in den vergangen zwei Jahren hingelegt haben. Auch das macht Spaß, so etwas zu sehen und vor allem so etwas begleiten zu dürfen und dann im Idealfall eben beim New Pop präsentieren zu können.
RADIOSZENE: Die KünstlerInnen früherer Jahre waren ja im Umgang nicht immer frei von Allüren vielseitigster Ausprägungen. Wie bewerten Sie die MusikerInnen-Generation Spotify?
Gregor Friedel: Ich würde eher von der Musiker:innen-Generation „Social Media“ sprechen. Da gibt es TOP Talente, die halt erstmal durch Singalongs oder Coverversionen aufgefallen sind, aber eben wahnsinnig viel (mehr) zu bieten haben. Loi hat dieses Jahr in Brasilien Gold für ihre Coverversion von „Blinding Lights“ bekommen, hat mit „Gold“ und „News“ Airplay-Chartbreaker vorgelegt und ist eben so viel mehr als „ich sing Lieder von jemandem nach“. Gleichwohl gibt es auch hier schon Unterschiede: es gibt die, denen es wichtiger ist auf Insta gut auszusehen und die, die den Social-Markt (völlig zurecht natürlich) bedienen, aber ihren Schwerpunkt auf Musik legen. Grundsätzlich sind aber die bisherigen Erfahrungen mit jungen Künstler:innen dieser Generation wirklich gut. Macht uns dann auch Spaß.
„Im Rahmen der Digitaloffensive der ARD bauen wir das SWR3 New Pop Festival noch intensiver um in Richtung kontemporäre Mediennutzung und erreichen dadurch unsere jüngeren Zielgruppen besser“
RADIOSZENE: Das traditionelle „SWR3 New Pop – Das Special“ entfällt in diesem Jahr. Welche Gründe führten zur Einstellung dieses doch beliebten Teils des Festivals?
Gregor Friedel: Das Format „SWR3 New Pop Special“ wurde vor mehr als 20 Jahren für eine lineare Medienwelt geschaffen. Über die Jahre ist die Zuschauerresonanz immer weniger geworden, wohingegen die Reichweiten von digitalen Videoformaten zum SWR3 New Pop Festival kontinuierlich gestiegen sind. Damit zeigt sich auch beim „SWR3 New Pop Special“ ein Trend, der auch bei anderen großen Gala-Shows zu beobachten ist (Goldene Kamera, Bambi et cetera), die bereits jetzt schon oder perspektivisch nicht mehr in der Form produziert werden. Im Rahmen der Digitaloffensive der ARD bauen wir das SWR3 New Pop Festival noch intensiver um in Richtung kontemporäre Mediennutzung und erreichen dadurch unsere jüngeren Zielgruppen besser. Und Teil dieses Umbaus mit Schwerpunkt auf die digitale Welt ist nun auch der Wegfall der linearen Fernsehsendung „SWR3 New Pop – Das Special“.
RADIOSZENE: Erwartet werden bis zu 50.000 Schaulustige. Welches Rahmenprogramm bieten Sie den Festivalbesuchern?
Gregor Friedel: Wir haben im vergangenen Jahr ja probeweise zum ersten Mal die Fieser Brücke in Baden-Baden mit einer weiteren Vidiwall und sozusagen als zweite Fläche im Außenbereich bespielt. Das war ein Riesenerfolg und das machen wir auch in diesem Jahr wieder. Alles Konzerte werden auf den Vidiwalls auf der Fieser Brücke und bei der Konzertmuschel vor dem Kurhaus übertragen. Diese wird in diesem Jahr noch mehr bespielt – SWR3 Moderator Constantin Zöller empfängt alle Künstler:innen des diesjährigen New Pop Festivals zum Talk in der Konzertmuschel. Abends gibt es zwischen den Konzertübertragungen wie gewohnt Livemusik, in diesem Jahr mit einer top Mischung aus bereits namhaften Acts und Newcomern wie SVEA, Benson Boone, Levent Geiger, Dylan, Ásdís und Fred Roberts. Wie immer geht es auch nach den Konzerten mit den SWR3 Partynächten weiter, mit anderen Worten: jede/r kommt auch 2023 beim New Pop auf seine Kosten.
Donnerstag, 14. September 2023:
18.30 Uhr Kamrad Kurhaus
20.30 Uhr Raye Festspielhaus
22.00 Uhr Loi Theater
Freitag, 15. September 2023:
17:30 Uhr Cian Ducrot Kurhaus
19.00 Uhr Mimi Webb Festspielhaus
21.00 Uhr Olivia Dean Theater
23.00 Uhr James Arthur Kurhaus
Samstag, 16. September 2023:
14.00 Uhr Mayberg Theater
17.00 Uhr Only the Poets Kurhaus
19.00 Uhr Dermot Kennedy Festspielhaus
20.30 Uhr Moss Kena Theater
22.30 Uhr DJ Lari Luke Kurhaus
23.00 Uhr Twocolors Kurhaus