Gerold Hug: Die Leute wollen wieder qualitativ hochwertiges Wort hören

ARD AudiothekDa hatte die ARD mit der Einführung ihrer Audiothek offenbar eine wirklich zündende Idee – die sich bereits nach knapp einem Jahr deutlicher als erwartet bei der Hörerschaft etabliert hat. Zumindest konnte der innerhalb des Senderverbundes für das Projekt federführende SWR-Hörfunkdirektor Gerold Hug bei seiner ersten Bilanz eine ganze Reihe guter Nachrichten rund um das noch junge Portal verkünden: so wurde die App bis November 2018 bereits mehr als eine halbe Million Mal installiert, über die rund 21 Millionen Audiobeiträge abgehört wurden! Aber auch das Wachstum der angebotenen Inhalte innerhalb des Dienstes und die hohe Nutzungsfrequenz ließen bei den ARD-Verantwortlichen hohe Zufriedenheit aufkommen. Good News also in Zeiten, in denen die gesamte Hörfunkbranche angestrengt an Antworten auf Streamingdienste und Videoportale bastelt. Offenbar ist das öffentlich-rechtliche Angebot perfekt auf den derzeitigen Mediennutzungstrend vieler Menschen zugeschnitten – der durch die verstärkte Hinwendung zu gehaltvollen Audioinhalten und Podcasts gerade nachhaltig untermauert wird. 

ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)
ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)

Das Portal startete am 8. November 2017 anlässlich der ARD-Hörspieltage in Karlsruhe. Die ARD Audiothek – von Hörspielen über Dokus bis hin zu Comedys – bündelt hochwertige Wortinhalte aus allen Radios der ARD und des Deutschlandradios und macht sie ganz einfach und jederzeit auf Abruf auf dem Smartphone zugänglich.


Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich berichtet SWR-Hörfunkdirektor Gerold Hug über weitere Hintergründe und Trends rund um die ARD Audiothek.

Gerold Hug. (Bild: ©SWR/Monika Maier)
Gerold Hug. (Bild: ©SWR/Monika Maier)

RADIOSZENE: Die ARD Audiothek scheint sich bereits nach rund einem Jahr ihres Bestehens prächtig zu entwickeln. Bislang liegen Sie mit über 21 Millionen Abrufen über Plan. Wie stark wächst derzeit die Zahl der Wiedergaben und neuen Nutzer?

Gerold Hug: Wir freuen uns, dass so viele Menschen die ARD Audiothek regelmäßig nutzen und in einem Jahr rund 21 Millionen Audios angehört haben. Damit wurde unser selbst gestecktes Ziel im ersten Jahr weit übertroffen. Generell steigt die Zahl an Wiedergaben. Vergleicht man zum Beispiel die viermonatigen Zeiträume April bis Juli und August bis November, so zeigt sich, dass die Wiedergaben um mehr als 30 Prozent gestiegen sind. Mittelfristig werden wir das Wachstum weiter kontinuierlich steigern. Denn wir stellen fest, dass wir längst noch nicht alle Zielgruppen erschlossen haben, für die die ARD Audiothek interessant ist. Ich denke da beispielsweise an Familien mit Kindern oder Menschen, die sich an der Videoflut sattgesehen haben. 

RADIOSZENE: Was war der Hintergrund zur Einführung eines reinen Audiodienstes?

Gerold Hug: Die ARD bietet zahlreiche erstklassige Wortinhalte aus allen Radiowellen der Landesrundfunkanstalten in Deutschland. Dieses Alleinstellungsmerkmal im deutschen Audio-Markt wollten wir stärken, indem wir die besten Inhalte nutzerfreundlich präsentieren. Früher mussten sich die Audio-Fans ihre Inhalte mühevoll selbst im Internet zusammensuchen. Mit der ARD Audiothek geht das jetzt ganz komfortabel über die App oder die Desktop-Version an PCs und Tablets. Dabei freut mich besonders, dass für jeden Geschmack und zu jedem Thema etwas dabei ist und die Nutzerinnen und Nutzer jederzeit passende Inhalte finden können.

 

„Wir wollen sicherstellen, dass bei uns Redakteure und eben keine Algorithmen die Auswahl treffen“

 

RADIOSZENE: Wie viele Einzelangebote sind derzeit über die Audiothek abrufbar, wie viele kommen monatlich neu hinzu?

Gerold Hug: Die Anzahl der Beiträge variiert von Monat zu Monat. Durchschnittlich liegt die Anzahl bei über 90.000 Einzelbeiträgen. Täglich kommen neue Inhalte dazu; im Gegenzug werden ältere Inhalte nach und nach auch wieder aus dem Angebot genommen.

ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)
ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)

RADIOSZENE: Wie häufig werden die ebenfalls verfügbaren Tondokumente aus den historischen Rundfunkarchiven abgerufen?

Gerold Hug: Sehr gut! Es hat mich ehrlich gesagt sogar ein wenig überrascht, dass die Schätze aus unseren Rundfunkarchiven so gut ankommen. Beispielsweise die letzten Reden im Reichstag vor dem Ende der Weimarer Republik oder jetzt gerade die Tondokumente zum Ende des Ersten Weltkriegs.

RADIOSZENE: Gibt es bereits Übersichten, welche Genres und Einzelangebote besonders stark genutzt werden?

Gerold Hug: Ja, die drei erfolgreichsten Genres sind Hörspiel, Dokumentation & Reportage sowie Wissen. Bei den Hörspielen ist beispielsweise der „ARD Radio Tatort“ ein Renner. Auch die Hörspielserie „Der nasse Fisch“, die wir parallel zur TV-Serie „Babylon Berlin“ entwickelt haben, ist mit mehr als 350.000 Abrufen seit dem Start sehr erfolgreich. 

RADIOSZENE: Ist die Nutzung von abgerufenen beziehungsweise gehörten Inhalten aus der Audiothek bereits auch über die Media Analyse ablesbar?

Gerold Hug: Nein, die Media Analyse berücksichtigt bislang neben der klassischen Hörfunknutzung lediglich die Abrufe von Livestreams der einzelnen Radioprogramme.

ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)
ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)

RADIOSZENE: Nach welchen Kriterien und wie rasch nehmen Sie neue Audios in das Angebot auf?

Gerold Hug: Das ist noch echte Handarbeit, die auf vielen Erfahrungswerten basiert. Wir wollen sicherstellen, dass bei uns Redakteure und eben keine Algorithmen die Auswahl treffen. Für die Seite „Entdecken“ beispielsweise werden die Audios nach journalistisch-redaktionellen Kriterien ausgewählt. Außerdem ist uns wichtig, dass die ARD Audiothek nicht als Archiv den Gesamtbestand aller Radioprogramme abbildet. Viel mehr wollen wir eine große Vielfalt an ausgewählten Sendungen anbieten. Das Angebot in der ARD Audiothek wird laufend erweitert.

 

„43 Prozent unserer Inhalte in der ARD Audiothek werden komplett bis zum Ende angehört“

 

RADIOSZENE: Wie weit ist der Ausbau der Audiothek generell schon vorangeschritten? In den Archiven der Sender müssen bestimmt noch unzählige weitere Schätze lagern …

Gerold Hug: Wir scannen den Archivbestand regelmäßig und überlegen uns, zu welchem Zeitpunkt bestimmte Inhalte den Nerv der UserInnen und User treffen könnten. Da gibt es noch eine ganze Menge an erstklassigen Stücken, die wir von Zeit zu Zeit auch veröffentlichen werden. 

RADIOSZENE: Der Erfolg der Mediathek hängt vermutlich auch maßgeblich mit der Bewerbung bei den Hörern und in der Öffentlichkeit zusammen. Wie intensiv machen Sie hier auf das Angebot aufmerksam?

Gerold Hug: Das ist ganz unterschiedlich. Aber natürlich gibt es Phasen, in denen die Menschen mehr Zeit haben, sich mit der ARD Audiothek und den Inhalten zu beschäftigen – im Urlaub beispielsweise. Dann versuchen wir schon, den Menschen unser Angebot gezielt näherzubringen. Und natürlich ist es kein Geheimnis, dass die Zahlen schneller steigen, wenn wir mit absoluten Programmhighlights auf die App hinweisen können. Wir wollen den Bogen aber auch nicht überspannen und merken, dass die Nutzungszahlen auch ohne Werbekampagnen kontinuierlich steigen.

ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)
ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)

RADIOSZENE: Beim Aufbau des Dienstes kommt Ihnen sicher die zuletzt häufig zitierte „Neue Lust des Hörens“ entgegen. Ist der Trend zu Podcasts und das verstärkte Nachhören interessanter Wortbeiträge nun auch ganz offiziell in Deutschland angekommen?

Gerold Hug: Es ist klar zu erkennen, dass sich der Podcast-Trend in Deutschland mehr und mehr ausbreitet. Die Leute wollen wieder qualitativ hochwertiges Wort hören – und zwar jederzeit verfügbar mobil und on demand. Der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass 43 Prozent unserer Inhalte in der ARD Audiothek komplett bis zum Ende angehört werden. Von solchen Werten kann man mit seinen Videos in den sozialen Netzwerken nur träumen. Im Schnitt halten sich die UserInnen und User durchschnittlich übrigens 23 Minuten in der App auf. Auch das ist ein Wert, der uns stolz macht.

 

„Gegenüber Musik-Streaming-Diensten und Videoportalen haben wir durch unsere Wortinhalte einen großen Vorteil und einen ganz klaren USP“

 

RADIOSZENE: Ist die Audiothek damit eine Art Gegengewicht zu den derzeit stark im Trend liegenden Musikstreamingdiensten, die – selbst auf lange Sicht – wohl kaum ein solches Angebot leisten können?

Gerold Hug: Gegenüber Musik-Streaming-Diensten und Videoportalen haben wir durch unsere Wortinhalte einen großen Vorteil und einen ganz klaren USP. Wir können durch unsere Programme aus dem Vollen schöpfen, da wir die Stücke tagtäglich mit enormen Erfahrungswerten produzieren. Trotzdem erkennen wir in den Musik-Streaming-Diensten natürlich eine Konkurrenz, da die Menschen nun mal nicht zwei Angebote gleichzeitig hören können. 

ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)
ARD Audiothek (Bild: ARD/Dennis Weissmantel)

RADIOSZENE: Wie wichtig ist die ARD Audiothek grundsätzlich für die Zukunft des Radios?

Gerold Hug: Im Bereich der Formatentwicklung ist das eine spannende Frage. Einige unsere Redaktionen entwickeln mittlerweile Formate speziell für die ARD Audiothek, die dann später im Radio gesendet werden. Ein solcher Trend und die entsprechende Online-Analyse der Beiträge könnte langfristig dazu führen, dass sich Hörgewohnheiten und Radioprogramme verändern. Trotzdem muss man aber ganz klar im Blick behalten, dass die spezielle Hörsituation der Menschen immer das wesentliche Kriterium für das Angebot bleiben wird. Lineares Radio hat nach wie vor unschlagbare Stärken, die durch on demand-Angebote nicht ausgehebelt werden können. 

Top 5 Ranking der meist abgerufenen Audios 

  1. Willkommen in der Hauptstadt (Teil 1 von „Der nasse Fisch“) 
  2. Abschaum (ARD Radio Tatort)
  3. Lange Schatten (ARD Radio Tatort)
  4. Paradise City (ARD Radio Tatort)
  5. Harald (NDR Krimi, Sendereihe “NDR Hörspiel Box“)

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