Von Hans Oberberger
Kennen Sie GlaxoSmithKline? Vermutlich. Aber mit Sicherheit kennen Sie Odol, Dr. Best und Voltaren. Das sind Mundwasser-, Zahnbürsten- und Schmerzmittel-Marken des britischen Pharmakonzerns GlaxoSmithKline. Was das mit Radio zu tun hat? Viel. Denn die Bildung von starken, unternehmenseigenen Submarken, wie sie in der Industrie üblich ist, könnte auch im Hörfunk die Zukunft sein. Die bisherigen Radio-Unternehmensmarken werden nämlich im Zuge der digitalen Disruption im Audio-Markt wohl deutlich an Strahlkraft verlieren. Dieser Markenwechsel ist eine Herausforderung für die herkömmlichen Hörfunkstationen, die bisher noch wenig im Fokus steht.
RTL Radio Deutschland Chef Stephan Schmitter hat im letzten Digitalisierungsbericht der Medienanstalten die boomenden Smartspeaker um Alexa, Google Home & Co als „Markenkiller“ bezeichnet: „Darauf gesucht und per Sprachbefehl nachgefragt werden nur noch die Marken, die am stärksten und besten im Kopf der Nutzer verankert sind. Alle anderen gehen unter. Allein die Maschine entscheidet, wer oder was gefunden wird!“ Da hat er vermutlich recht. Allerdings bezieht sich das auf die alten Radio-Marken. Die dürften künftig ohnehin nur noch einen kleinen Teil der digitalen Audio-Nutzung ausmachen.
Audio-Angebote müssen eigenständig konkurrieren
Das Aufrufen von Simulcast-Angeboten herkömmlicher Radiostationen ist schon jetzt nur noch eine von vielen Audio-Nutzungsmöglichkeiten bei Smartspeakern. Die User hören bereits viele klassische Radio-Features wie Audio-Nachrichten, Wetter, Verkehr oder auch Comedy ganz unabhängig von den sonstigen Angeboten der Sender. Diese Inhalte konkurrieren nicht mehr im Umfeld ihres linearen Programms, sondern als eigenständige Audio-Produkte. Und das auch noch gegen Angebote von Anbietern, die bisher gar nicht im Audio-Bereich aktiv waren. So spielt Amazons Alexa etwa beim Aufruf einer Tageszusammenfassung standardmäßig die aktuelle Ausgabe der „Tagesschau in 100 Sekunden“ – eigentlich ein Tiefschlag für alle Radio-Nachrichtenredaktionen.
Der Grund dafür ist einfach: Amazon bietet in seiner Funktion „tägliche Zusammenfassung“ nach eigenen Angaben die Inhalte „beliebter Broadcaster“ an. Die Tagesschau hat als eigenständige Marke eine enorme Strahlkraft. Der Tagesschau-Podcast ist sogar der in Deutschland am häufigsten aufgerufene Nachrichten-Podcast. Deshalb hat Amazon die „Tagesschau in 100 Sekunden“ zum so genannten First Party Skill erhoben. Das sind Skills, die von Alexa bei einem einschlägigen Befehl direkt aufgerufen werden, ohne dass zuvor ausdrücklich ein externer Skill (in diesem Fall also der Tagesschau-Skill) geöffnet werden muss.
Submarken werden Zugpferde für Radiosender
Die Mechanismen und Algorithmen nach denen Audio-Inhalte es künftig in die Lautsprecher von Smartspeakern schaffen, sind sicher noch längst nicht ausgereift. Klar dürfte aber schon jetzt sein, dass es nur Inhalte schaffen werden, die in ihrem Bereich eine eigenständige Marken-Strahlkraft entwickeln: Eine unverwechselbare Comedy auf Plattdeutsch, ein witziger gereimter Wetterbericht, die besten Lokalnachrichten aus meinem Landkreis. Danach werden diese Inhalte gesucht und dafür werden sie aufgerufen und gehört werden. Die Marke der Produzenten wird in den Hintergrund treten. Seine Fans wollen den „kleinen Nils“ hören. Von wem er produziert wird und auf welchen Radiosendern er sonst noch läuft, ist dabei zweitrangig.
Noch aber können die traditionellen Radiostationen ihre bisherige Marktmacht nutzen, um neue, eigenständige Audioprodukte zu entwickeln und als Submarken zu etablieren. Entscheidend wird dabei sein, das alte Radio-Know-How mit dem neuen digitalen Vertriebs-Know-How zu verknüpfen. Was läuft wie über welchen digitalen Kanal? Die alten Sendermarken können dabei als Startrampen dienen, um die neuen Produkte zu promoten. Irgendwann werden diese Submarken dann – hoffentlich – die digitalen Zugpferde der Sender werden. Genauso, wie GlaxoSmithKline seinen Umsatz mit dem Verkauf von Odol, Dr. Best und Voltaren macht.
Hans Oberberger ist seit über 25 Jahren Journalist. Der studierte Politologe und gelernte Hörfunkredakteur war für zahlreiche Medien tätig, darunter Tageszeitungen, Nachrichtenagenturen, Radio- und Fernsehsender sowie Online-Medien. Zuletzt war er Leiter der Redaktion Politik/Wirtschaft beim landesweiten Hörfunksender Antenne Bayern. Als freier Journalist und Berater arbeitet Hans Oberberger derzeit unter anderem für die Europäische Kommission in Deutschland. Seit 2016 ist er außerdem Geschäftsführer des Medien-Startups yantzu, das eine Smartphone-App für ein vollständig personalisiertes Radioprogramm entwickelt.