MPN-Bemusterungsverteiler: Wie Musikneuheiten ins Radio kommen

Teaserbild: ©: <a href='https://www.123rf.com/profile_inganielsen'>inganielsen / 123RF Stock Photo</a>Wie erkannte man in den 80er und 90er Jahren den Stellenwert eines Mitarbeiters innerhalb der Musikredaktion eines Radiosenders? Sehr einfach, am Umfang von Bemusterungspaketen, die ihm durch die Promotionabteilungen der Musikwirtschaft täglich zugestellt wurden. Und diese Menge war bei Musikchefs, Playlist-Entscheidern oder wichtigen moderierenden Musikredakteuren mit bis zu zwanzig Paketen pro Person schon eine beachtliche Zahl. Man darf nicht vergessen, dass es in diesen Zeiten noch deutlich mehr große Musikfirmen mit einer immensen Veröffentlichungsrate gab. Weihnachten fand in den Musikredaktionen also praktisch jeden Tag statt, schließlich war damals auch der gemeinsame „Release Day“ noch nicht erfunden.

Die Sendungen enthielten neben den sperrigen Schallplatten, später CDs, auch Giveaways wie T-Shirts, Kaffeetassen mit den Aufdrucken von Künstlern oder allerlei weiterer feiner Devotionalien, die die Musikentscheider von der einen oder anderen Neuerscheinung ganz besonders nachhaltig überzeugen sollte. Aus ökologischer Sicht war diese Versandpraxis natürlich ein Wahnsinn, musste die Unmenge an Kartonage in denen die (gelegentlich auch einzeln verschickten) Tonträger verpackt waren ja auch aufwändig und umweltverträglich entsorgt werden. Der Autor kann darüber von seiner Einstiegsstelle im Radiowesen als blutjunger Hilfsarchivar in einem öffentlich-rechtlichen Haus mit vielen Musikredakteuren ein leidvolles Lied singen.

In den 1990er Jahren entwickelte sich für die Musikwirtschaft diese Form der Bemusterung – auch wegen einer stark anwachsenden Zahl an Sendern und Ansprechpartnern  – zu einem ausufernden Kostenblock. Mit der raschen Fortschreitung von Online-Möglichkeiten wuchs die Idee eines zentralen digitalen Bemusterungsdienstes.

mpn smallMPN (Musik Promotion Network) wurde 2002 unter Federführung des Branchen-übergreifenden Servicepartners PHONONET in Betrieb genommen und ist seit 2006 „Marktführer in der digitalen Bemusterung von Medienpartnern und Radiostationen in Deutschland“. Derzeit haben rund 2.900 Musikredakteure Zugriff auf das Portal, das monatlich im Schnitt 500 neue Produkte bereitstellt. 


Im Gespräch mit RADIOSZENE erläutert MPN-Produktmanagerin Agnes Chung Hintergründe und Arbeitsabläufe des Bemusterungssystems.

RADIOSZENE: Wann und mit welchem Hintergrund wurde PHONONET gegründet?

Agnes Chung (Bild: PhonoNet
Agnes Chung (Bild: PhonoNet

Agnes Chung: Das Unternehmen ging 1991 an den Start. Zu dieser Zeit kamen die führenden Musik-Hersteller trotz harten Wettbewerbs überein, Geschäftsabläufe zu optimieren und den Austausch der Artikelstammdaten zwischen Handel, Industrie und Medien zu standardisieren. Dadurch sollten die Kosten für die Musikindustrie und deren Partner gesenkt werden. Und das ist bis heute noch das Ziel von PHONONET.

RADIOSZENE: Welche Träger stehen hinter dem Service Center?

Agnes Chung: PHONONET ist ein Tochterunternehmen des Bundesverbandes Musikindustrie. Wir sind also ein Gemeinschaftsunternehmen der Musikbranche und bieten Lösungen für alle Marktteilnehmer an.

RADIOSZENE: Welche zentrale Dienstleistungsspektrum bietet Ihr Haus?

Agnes Chung: Die Kernkompetenz von PHONONET bildet der Austausch von Metadaten, Bestelldaten (Handel) und sendefähige Audiodateien für Medienpartner. Als gemeinsames Service Center hat PHONONET immer Lösungen für den gesamten Entertainmentmarkt im Blick und bietet aktuell folgende Services:

  • eBusiness:  Das EDI-Kommunikationssystem für Lieferanten und Händler ist eine effiziente und etablierte Schnittstelle zur Abwicklung aller EDI-Prozesse der Supply Chain, von der Bestellung über das Lieferavis und die Rechnung bis hin zum Retourenmanagement.
  • eMedia Catalog: Zu über 1,2 Millionen physischen Artikeln der Medienbranche werden Tracklistings, Cover, Soundsamples sowie Szenenbilder und Videos gesammelt und den PHONONET-Kunden über die Plattform eMediaCat bereitgestellt. 
  • MPN (Musik Promotion Network): Binnen Sekunden können die Labels über 3.000 Musikredakteure mit ihren neuen Veröffentlichungen bemustern. Die Titel stehen den Medienpartnern rund um die Uhr via Internet zur Verfügung.
  • DSS (Digital Sales Service): Mit der Standardisierung und Normierung von Abrechnungsdaten aus dem Download- und Streamingbereich ist der DSS das optimale Tool zur Aufbereitung von Digital Sales Reports. Der Kunde bekommt die Daten von über 150 Plattformen über eine Schnittstelle.
  • DigiAS (Digitale Artikelstamm): Der DigiAS ist ein Verzeichnis digital vertriebener Medienprodukte mit Details zu mehr als 7 Millionen digitale Releases und über 59 Millionen Tracks. Hierzu zählen Audio- und Videoprodukte sowie E-Books und Mobile Content. Der DigiAS stellt damit die Schnittstelle zwischen Digitalvertrieben und Marktforschungsunternehmen dar.
  • Repertoire Connector: Der Repertoire Connector hilft der Musikindustrie, ihre Rechte an Tracks bei Verwertungsgesellschaften sehr einfach wahrzunehmen. Der Service verbindet die PHONONET-Datenbanken des MPN, DigiAS und eMediaCatalog mit Datenbeständen der Labels und sendet standardisierte Daten an die Verwertungsgesellschaften wie beispielsweise die GVL in Deutschland.

RADIOSZENE: Seit 2002 können sich Musikredakteure mit dem Musik Promotion Network, MPN, kompakt über Neuveröffentlichungen vom Musikmarkt informieren. Welche Repertoirebreite steht den Interessenten zur Verfügung?

Agnes Chung: Im Prinzip lassen sich im MPN Produkte aller Genres finden. Dazu gehören neben den Chart-Titeln auch zahlreiche sog. Nischenprodukte, die Special Interests abdecken. Das MPN bietet über den detaillierten Genrebaum eine sehr genaue Zuordnung der Titel. Aber auch Interviews und Track by track-Kommentare werden gerne über das MPN veröffentlicht.  Ausführliche Filtermöglichkeiten – nach Genres, aber auch nach Zeiträume, Formate oder Labels – helfen dabei die Übersicht zu bewahren, die Suche macht das gezielte Finden von Titel möglich. 

PhonoNet MPN Produktübersicht
PhonoNet MPN Produktübersicht

RADIOSZENE: Welche Musik Labels und Medien nutzen diese Dienstleistung?

Agnes Chung: Industrieseitig zählen wir neben den Majors auch einen Vielzahl an Indie-Labels zu unseren Kunden, wie zum Beispiel Edel, PIAS, BMG, Dance All Day und eine Menge mehr. Außerdem nutzen auch Promotionagenturen das MPN zur Bemusterung der Titel. Insgesamt sind es über 3.000 Firmen, die ihre Titel bemustern. Auf Medienpartnerseite haben über 2.900 Musikredakteure Zugriff auf das MPN. Neben den Musikredakteuren der ARD und dem ZDF sind es auch eine Vielzahl an großen und kleinen privaten Radioanstalten, Print- und Online-Magazine, wie beispielsweise RTL 104.6 Berlin, Hitradio FFH, Antenne Bayern oder Delta Radio.

RADIOSZENE: Wer stellt die Basisinformationen und Songs ein?

Agnes Chung: Die Informationen zu den Titeln aus erster Hand, nämlich ausschließlich und direkt von der Industrie, seien es die Promoter, der Produktmanager oder der Künstler selbst. Redaktionell greifen wir hier nicht ein, wir unterstützen nur da, wo Fragen oder Unklarheiten auftauchen.

RADIOSZENE: Wie muss man sich in der Praxis diesen Recherchezugriff vorstellen?

Agnes Chung: Ein Bemusterungszeitraum im MPN geht immer über 90 Tage. In diesem Zeitraum können Musikredakteure den Titel recherchieren, hierzu gibt es diverse Filtermöglichkeiten und natürlich auch eine Profisuche. Die Titel können im MPN angehört werden, mit der App „MPN Media“ sogar offline und die Anstalten, die eine Downloadberechtigung haben, können diesen auch herunterladen. Das MPN liefert den Song als FLAC-Datei an, also als direkt sendefähige Datei. Außerdem werden die Metadaten, das Cover und auf Wunsch auch die Bookletseiten ausgeliefert. Wie lange ein Download dauert, hängt von der Internetverbindung ab und wie viele Titel gleichzeitig angefordert werden. Pro Sender gibt es immer eine eigene Warteschlange. In dem Zusammenhang weisen wir auch gerne auf die Möglichkeit hin Merkzettel zu verwalten. Es lassen sich einzelne Tracks zu einem Merkzettel hinzufügen und dieser wiederum lässt sich mit den Redaktionskollegen teilen. So lässt sich hervorragend die Playlist für eine Abhörsitzung vorbereiten, in der man die Titel gemeinsam anhören und gegebenenfalls auch direkt herunterladen kann.

MPN Infografik

RADIOSZENE: Welche begleitenden Informationen werden geboten?

Agnes Chung: Neben den Metadaten und Cover beziehungsweise Bookletseiten können die Promoter auch weitere Informationen wie Pressetexte, Biographien, Links zu externen Webseiten zu hinterlegen. Auch Videomaterial kann im MPN zum Download angeboten werden und weitere Dateien, beispielsweise EPK. Die Auffindbarkeit der Titel hängt von den Zeiträumen ein, die der Promoter einstellt, in den meisten Fällen sind 90 Tage, das wäre der maximale Bemusterungszeitraum.

RADIOSZENE: Können auch ältere Titel abgerufen werden?

Agnes Chung: Die ARD-Redakteure haben die Möglichkeit über die ARD Archive auch an ältere Titel zu kommen, die mal im MPN in der Bemusterung waren. Ansonsten sind Titel nur im besagten Kampagnenzeitraum sichtbar, hierbei kann es sich aber natürlich auch mal um ältere Titel handeln.

RADIOSZENE: Wie barrierefrei ist MPN, darf sich jeder Musikredakteur im System bedienen?

Agnes Chung: Die Registrierung für Musikredakteure ist denkbar einfach, das Registrierungsformular hierzu findet sich auf www.musik-promotion.net. Einzige Voraussetzung ist, dass die Redakteure tatsächlich auch musikredaktionell tätig sind. Meist fragen wir nach Nachweisen in Form von Rezensionen oder Radiosendungen. Für Musikredakteure ist das MPN als Rechercheplattform kostenfrei. Geht es um eine Downloadberechtigung, dann werden einmalige Kosten notwendig, um das technische Setup hierfür aufzubauen. 

RADIOSZENE: Sind die eingestellten Titel gegen Missbrauch durch unerlaubte Vervielfältigung geschützt?

Agnes Chung: Die Audiotitel werden vom MPN bei jeder Auslieferung mit einem Watermark versehen, so können wir nachverfolgen, ob Titel unerlaubt weitergegeben werden.

RADIOSZENE: Welche weiteren Informationsmöglichkeiten bietet MPN den Medienpartnern?

Agnes Chung: Neben den Informationen zu den Titeln, die im MPN angezeigt werden, kann sich der Redakteur auch für den MPN Newsletter anmelden. Dieser wird einmal in der Woche montags verschickt und beinhaltet diverse Produkte, die aktuell im MPN zu finden sind, inklusiver einer Vorschau auf die Titel, die noch kommen. Die Platzierung eines Titels erfolgt durch die Buchung des Promoters, es handelt sich dabei also um keinen redaktionell aufbereiteten Newsletter. Außerdem kann sich ein Musikredakteur auch für diverse Mailings, entsprechend seiner Genre-Vorliebe, eintragen. Hier bekommt er von dem Promoter eine E-Mail zu einem Titel mit diversen Informationen, sei es der Promotext, Künstlerbilder als Anhang oder auch Videomaterial.

Zu entsorgende Paketberge waren also gestern, die Musik kommt heute sekundenschnell und umweltfreundlich an ihr Ziel. Die Bemusterungsdienste garantieren den Musikfirmen aber auch mehr Sicherheit, dass ihre neu erschienene Musik tatsächlich auch die zuständigen Ansprechpartner bei den Sendern erreicht.

Anna Madlindl, Audience Manager Radio & Team Coordination bei Columbia | RCA | Ariola (Sony Music Entertainment Germany): „Bemusterungsverteiler erlauben uns, unsere Medienpartner zielgruppengenau zu bemustern. Das ist gerade vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Produktfülle überaus wichtig. So können Produkte je nach Verteiler gefiltert werden und unseren Partnern bleibt so im Idealfall ein lästiges Durchscrollen der neubemusterten Produkte – die für sie aufgrund der Programmausrichtung keine Relevanz hätten – erspart. Natürlich achten wir darauf, unsere Partner dabei nicht zu bevormunden oder ihnen Produkte gar wissentlich vorzuenthalten, die für sie interessant sein könnten. Die Pflege dieser Verteiler ist somit ein zeitintensiver und fortlaufender Prozess, aber sie gewährleistet eben auch, unsere Medienpartnern passgenau zu bemustern.“

 

(Teaserbild: © inganielsen / 123RF Stock Photo)