Man hatte mich mich gewarnt: Mit dem Auto nach Paris? Bist du verrückt? Aber erstens fahre ich nunmal am liebsten Auto und zweitens gibt es Google Maps. Doch Smartphones sind der größte Mist, wenn nichts mehr im Akku ist: Der Zigarettenanzünder in meinem 25 Jahre alten japanischen Rennwagen war defekt, das Ladekabel somit nutzlos und mitten auf dem Pariser Periferique brach also die Navigation ab. Ein Taxifahrer führte mich schließlich zum Hotel für 25 Euro Lehrgeld: Endlich mal die längst fällige Akku-Powerbank bestellen!
Um die Antwort auf die Eingangsfrage gleich vorwegzunehmen: Ja, Radio hat Zukunft und die führt eindeutig über das eingangs erwähnte kleine, rechteckige Ding mit den verbesserungswürdigen Akkus! Dieser Tenor der Radiodays Europe Milano im vergangenen Jahr war auch in Paris allgegenwärtig, wenngleich einige Anbieter immer noch auf DAB+ setzen.
7 things you think you know about radio
Tatsächlich – so die Erkenntnis von Bill DeLisle und Mikkel B. Ottensen (RadioAnalyzer) sollten sich Anbieter, die ihre Programme noch über die klassischen analogen Verbreitungswege ausstrahlen, nicht allzu große Sorgen machen: Die meisten P1-Hörer – und durchaus auch die reiferen Jahrgänge – bleiben nach der Drive-Time dran und switchen auf den Livestream ihres Lieblingssenders. Die Conclusio aus diesem Verhalten sehen DeLisle und Ottensen darin, das Programm auch in den klassischen Randzeiten keineswegs zu vernachlässigen, sondern gerade hier wieder Mut zum Experiment zu beweisen, zumal das Hörerverhalten oftmals doch nach sehr archaischen Gesichtspunkten beurteilt werde.
So akzeptiere der moderne Radiokonsument durchaus Werbeblöcke im Programm, da sie beim kommerziellen Radio als systemimmanent akzeptiert würden. Gleichzeitig warnen die beiden Radioprofis allerdings davor, die „Clutter“-Blöcke ballonartig zusammenzufassen; also z.B. Werbung, News, Service zur vollen und halben Stunde, zumal dann, wenn sie eine magische Grenze von 6 Minuten überschreiten. Daraus den Schluß zu ziehen, längere Wortbreaks ganz zu vermeiden, sei allerdings falsch.
So haben Analysen ergeben, dass es – wenig überraschend – auf den Content, den Appeal eines Wortbreaks ankommt und nicht auf die Länge. So blieben die Testpersonen bei einem Break in der Drive-Time von fast 3 Minuten, der die Tagesereignisse in satirischer Form zusammenfasste gleichbleibend interessiert, während bei einem weniger attraktiven, klassischen 1:30-Break in der Prime-Time die Aufmerksamkeit schnell nachließ. Diese bleibt umso höher, je mehr der Hörer sich persönlich angesprochen und mit einbezogen fühlt, die DJs also extrovertiert und nicht introviertiert agieren.
Übrigens sollte man die klassischen Major-Promotions nicht überbewerten: Diese helfen zwar durchaus, wenn man sie interessant hält und kreativ verkauft und auch den Zeitrahmen im Auge behält, doch steht der Aufwand nicht selten in einem ungünstigen Verhältnis zur erzielten Hörerbindung.
Morning Show Secrets revealed
Wie sich eine erfolgreiche Prime-Time anhören muss, wissen wir doch alle! Wirklich? Francis Currie und Niklas Nordén haben sich die Mühe gemacht, Premium-Morningshows kompetetiver Märkte in in London, Sydney, L.A. und New York einmal in Echtzeit unter die Lupe zu nehmen. Dabei mussten Probanden repräsentative Breaks aus populären Shows (u.a. Ryan Secrest auf KIIS und Elvis Duran bei Z100) im 5-Sekunden-Rhythmus bewerten. Um dies zu realisieren, kommt ein Steuertool zum Einsatz, das eine kontinuierliche Bewertung der wichtigsten Sendestrecken ermöglicht. Dabei wurden die Bewertungsmuster männlicher und weiblicher Propanden sowie typischer P1-Hörer in farblich unterschiedlichen Kurven abgebildet. Dass sich u.a. unprofessionelle Gesangseinlagen von Hörern und schlechte Telefonqualität als Irritationsfaktoren herauskristallisierten, man nach einer gelungenen Punchline zügig das Thema beenden sollte und Frauen auf bestimmte Inhalte völlig anders reagieren, als Männer, ist dabei nicht weiter verwunderlich. Interessanter erscheint allerdings die Erkenntnis, dass der P1-Hörer eine allgemein höhere Akzeptanz auch gegenüber weniger attraktiven Programmelementen aufweist, als der weiteste Hörerkreis – man soll also nicht nur seine treuesten Kunden im Auge behalten, sondern stets darauf bedacht sein, auch Neuhörer dauerhaft zu binden.
Viberté, Jingalité, Imaginité
„It’s the content, stupid“ hört man immer wieder. Klar, auf den Inhalt kommt es an, aber eine ansprechende Verpackung erhöht die Attraktivität und – ja, auch das muss sein! – den Spaß am Produkt. Wie es klingt, wenn Spaß, Professionalität und Kreativität aufeinander treffen, konnte man bei der Präsentation von Matt Fisher (Leiter Imaging Producer, BBC Radio 1, UK), Steven Lemmens (Imaging Producer, Studio Brüssel, VRT, BE) und Diederick Huizinga (Creative Director, PURE Jingles, NL) haut- und trommelfellnah erleben. Unter dem Motto „Good radio sounds alive!“ durfte sich das Auditorium davon überzeugen, was auf dem Imagingsektor derzeit State of the Art ist.
Stand-alone-Jingles sind weitgehend out, Imaging und Musik verschmelzen zusehends zu einer Einheit, wobei die Künstler selbst nach Möglichkeit mit eingebunden werden. Steven Lemmens von Studio Brüssel ermunterte die Kollegen dazu, ruhig auch die Plattenfirmen zu „nerven“, um Künstler-IDs zu akquirieren – schließlich profitieren beide Seiten. Matt Fisher von BBC Radio 1 beeindruckte mit den „Summer-Mixes“, einem ehrgeizigen Projekt, bei dem sommeraffine Tracks in jeweils zweistündigen Mixes und Mash-Ups sechs Tage lang on air waren und bei den Hörern für Gesprächsstoff sorgten. In Absprache mit den Labels konnte man die Mixes sogar für eine begrenzte Zeit downloaden. Dazu wurde auch ein fulminantes Video produziert, das die Anwesenden zu spontanem Beifall animierte. Es macht wirklich Spaß, zu hören und zu sehen, was inzwischen möglich ist, doch bleiben derartige Produktionen, bei denen zum Teil 30 Mitarbeiter eine Woche lang gebunden werden, wohl eher eine Domäne des finanziell entsprechend ausgestatteter Öffentlichen Radios oder aber auch potenter landesweiter Sender. Immerhin: Kreative Anregungen vermochte die Präsentation allemal jedem zu vermitteln!
In talent we trust
Ein bisschen Spaß muß sein – und der ist garantiert, wenn US-Coach Dennis Clark (iHeart Radio) mit Radio-Profis aus verschiedenen Ländern und Märkten eine Gesprächsrunde führt. Mittendrin und nicht nur dabei waren diesmal die Prime-Time-Schwergewichte Gry Forssell (Mix Megapol, Schweden), Bruno Guillon (FUN Radio, Frankreich) und Elvis Duran (Z100, USA), welcher allerdings inzwischen, offensichtlich nach einer tiefgreifenden Ernährungsumstellung, zumindest rein physisch zu den Leichtgewichten gezählt werden muss. Fast 30 Jahre hat er nun schon WHTZ, besser bekannt als die CHR-Station Z100, die Treue gehalten und somit aufgrund seiner Erfahrung genug interessante Anregungen parat, um damit ein Buch zu füllen.
So erzählte er, wie man im täglichen Job seinen Mann steht und dass auch die Frau am Mikrofon immer mehr an Bedeutung gewinnt: „Früher waren die Breakfast-Shows in New York ein Club für Jungs, die über Golf redeten. Das hat sich zum Glück geändert!“ meinte er denn auch mit einem Augenzwinkern. Die klassische Rollenverteilung in einem Präsentatorenteam und deren konsequente Umsetzung hält Elvis nach wie vor für ebenso essentiell, wie Marktforschung, schränkt jedoch ein: „Research ist wichtig, aber am Ende sind wir es, die am Steuer sitzen!“ Bruno Guillon von FUN Radio ging noch weiter: „Research ist nicht die Bibel der Morning-Show!“
Gry Forssell von Mix Megapol in Schweden hat, ebenso wie ihre anwesenden Kollegen, auch schon TV-Erfahrung gesammelt, hält Radio aber für das wesentlich emotionalere und direktere Medium: Nur hier sei der ständige Kontakt mit dem Hörer und die spontane Interaktion mit ihm möglich, während TV-Produktionen stets gewissen starren Mustern folgen müssten. Außerdem sei die Lebenssituation eines Radiohörers völlig anders, als die eines Fernsehzuschauers: Letzterer konsumiert das Programm zumeist in seinem gemütlichen Wohnzimmer; den Radiohörer hingegen spricht man naturgemäß vornehmlich im ganz normalen Alltag an. „Radio spricht Individuen an!“ resümmierte Dennis Clark.
Zum stets beliebten Thema „Showprep“ meinte Gry, daß sie sich am liebsten außerhalb des Senders in der Realität vorbereitet („Prepare outside the office“), aufmerksam alles um sie herum registriert, Anregungen und Ereignisse aufsaugt, um diese dann in ihre Show einfließen zu lassen. Sie schickt sich selbst E-Mails über ihre Beobachtungen, damit sie diese im Studio sofort parat hat.
Überhaupt hat das Smartphone inzwischen selbstverständlich auch den Alltag der Radioprofis verändert. „Früher mussten wir spontane Anrufer manchmal warten lassen und konnten sie nicht ausreichend briefen. Heute schicken sie uns eine SMS und wir rufen zurück, wenn es passt“ erzählte Elvis. Podcasts, Social Media, eigene Web- und Facebookseiten und Apps gehören heute selbstverständlich dazu, waren sich alle einig.
Wie reagieren Radioprofis auf schreckliche Ereignisse, auf Terroranschläge, wie 9/11 oder kürzlich in Paris? Ändern sie ihre Ansprechhaltung dem Hörer gegenüber? Bruno verneinte dies: „Berichte sachlich, aber mach dieselbe Show, wie immer. Sei Du selbst!“. Leichter gesagt, als getan, möchte man meinen.
Etwas heiterer wurde es, als Dennis seine Runde fragte, wie denn das Verhältnis zwischen den Programmmachern an der Front und den Programmdirektoren, Station-Managern und Beratern sei. Bruno reagierte spontan: „Mein Boss ist großartig! Oh, er ist im Publikum!“. Damit hatte er die Lacher natürlich auf seiner Seite. Zum guten Schluss dann noch ein Rat von Dennis Clark an alle, die auf Sendung gehen: „Don’t be plastic, don’t be fake!“
Die Radiodays Europe in Paris waren laut Auskunft der Veranstalter mit über 1.500 Teilnehmern aus 62 Ländern, 120 Referenten mit über 50 Vorträgen und 60 Ausstellern die quantitativ bisher erfolgreichsten. Welche qualitativen Erkenntnisse jedoch lassen sich für Radiomacher aus der diesjährigen Zusammenkunft ziehen?
Das Rad wird nicht neu erfunden, das Radio auch nicht, aber der Tod des Mediums, der noch 2015 in Mailand von einigen Teilnehmern prognostiziert wurde, wird so schnell nicht eintreten. Trotz der ernstzunehmenden Konkurrenz durch Spotify, YouTube & Co sind die Stärken des Radios augenfällig: Die emotionale Bindung an den Hörer, die Direktheit der Ansprache und der Zugriffsmöglichkeiten, die Schnelligkeit der Information und der Umsetzung im Programm, die spontane Interaktion zwischen Hörer und Macher, die Allgegenwärtigkeit des Mediums, auch im öffentlichen Raum und unabhängig von Übertragungswegen, dabei die immer kostengünstigeren Produktionsmöglichkeiten – das alles und noch viel mehr sind starke Waffen im Kampf gegen Konkurrenzmedien. Man muss sie nur zu nutzen wissen.