50 Jahre RTL Radio Luxemburg: Piratengeist und Professionalismus

Bitter Lemmer

Vor 50 Jahren, am 15. Juli 1957 ging das deutsche Programm von Radio Luxemburg zum ersten Mal auf Sendung. Es war das vermutlich wichtigste Radioereignis im Nachkriegs-Deutschland. Ein Jubiläums-Bitterlemmer.

Wer in einem kleinen Land aufwächst und hoch hinaus will, muss hinausziehen in die Welt. Luxemburg ist ein sehr kleines Land. Darum orientiert es sich nach außen. Luxemburgische Banken würden in der heutigen Größe kaum existieren, könnten sie nicht Kundschaft aus anderen Ländern locken. Im Transportwesen sind die Luxemburger ebenfalls höchst erfolgreich – mit zahlreichen Speditionen oder der Fluggesellschaft Cargolux, die 14 Jumbo-Jets betreibt, was allein für die 400.000 Einwohner leicht übertrieben wäre. In Luxemburg scheint man sich traditionell beständig zu fragen, wie man sich anderswo nützlich machen kann. Diese Einstellung muss es wohl auch gewesen sein, die zur Gründung des deutschsprachigen Programms von Radio Luxemburg führte, deren 50-jähriges Bestehen wir diesen Monat feiern.

Damals, 1957, gab es in West- wie Ostdeutschland nur staatlich bestimmten Monopolfunk. Dessen Ziel war und ist vor allem anderen eine Art Volkserziehung. Musik zu senden war nur dann schicklich, wenn ein höherer Zweck damit verfolgt wurde – etwa die Vermittlung kultureller Bildung, oder was man dafür hält. Musik wurde selten einfach aufgelegt, sondern zuerst erklärt und interpretiert, damit der geneigte Hörer immer hübsch etwas dazulernte. Populäre Musik, gern auch als “leichte” oder “U-Musik” bezeichnet, galt den Machern über Jahrzehnte als ziemlich störender Faktor. Beim Rias hieß es noch in den 80ern, Musik sei dazu da, die Pausen zwischen den Wortbeiträgen zu überbrücken und Hörer zu locken in der Hoffnung, die Musik würde sie verleiten, auch das Hauptprogramm – also Wort – zu verfolgen. Ebenso wurde Information nicht einfach zur persönlichen Unterrichtung über das Weltgeschehen bereitgestellt, sondern mit Kommentaren versehen – wobei im öffentlichen-rechtlichen wie auch im DDR-staatlichen Rundfunk diejenigen die Höchstrangigen waren, die die Weihe zum Verfassen und Verlesen von Kommentaren erhalten hatten. Daran hat sich bis heute im Prinzip nichts geändert.

Als Radio Luxemburg am 15. Juli 1957 seine erste Sendestunde ausstrahlte, ahnten die Macher sicher nicht, dass sie Mediengeschichten schreiben würden. Binnen kurzem hatten sie auf Mittel- und Kurzwelle Deutschland erobert, vor allem den Westen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Der Erfolg war durchschlagend und phänomenal. Die Firma Grundig warb mit der “grünen Luxemburg-Taste”, die fest auf den Luxemburger Sender programmiert war, für den Kauf ihrer Radiogeräte. Das NRW-Innenministerium ließ den Sender ein Verkehrsnachrichtenstudio einrichten. Fahrer des DRK bekamen die damals sündteuren Autotelefone zur Durchsage ihrer Verkehrsinformationen gestellt. Wer bei Radio Luxemburg moderierte, war landesweite A-Klasse (Felgen, Gottschalk, Elstner, Pützenbacher, Heck, Guitton, Nosbusch, etc.). Im Musikgeschäft war Radio Luxemburg weltweit die erste Adresse. Als die Beatles ihre einzige deutschsprachige Platte produzierten (“Komm gib mir Deine Hand”), holten sie den Luxemburger Moderator Camillo Felgen als Übersetzer der Texte.

Die westdeutschen Bundesländer benötigten ca. 35 Jahre, um ein Mittel gegen die fröhlichen Wellen zu finden, und dabei halfen die neue UKW-Klangqualität und rigide Lizenzbestimmungen. Das Anti-RTL-Programm SWF 3 kopierte das Luxemburger Konzept in HiFi-Qualität, während Radio Luxemburg jahrelang vergeblich um gleichwertige Frequenzen nachsuchte. Die Einführung des Privatfunks in Deutschland dürfte auch auf die Existenz von Radio Luxemburg zurückzuführen sein. Die damals geschaffenen Lizenzsysteme schotteten den Markt der elektronischen Medien ab und reglementierten ihn. Das Bündnis aus Politik, etablierten Zeitungshäusern und Öffentlich-Rechtlichen funktionierte und funktioniert besonders perfekt in NRW, wo niemand senden darf, wenn er nicht schon zur Gründung dieses Bundeslandes als WDR oder mit englischer Zeitungslizenz am Start war. Der Beteiligungsmanager eines der größten NRW-Zeitungshäuser sagte mir einmal im Vier-Augen-Gespräch in seinem Büro, der Ministerpräsident persönlich (damals Rau) habe ihm versichert, niemand – auch nicht RTL – dürfe hier senden. Bis auf ein Intermezzo mit einem Aachener Lokalsender ist das bis heute so.

Die Luxemburger fügen sich seit den 90er Jahren in die Lizenzkäfige und die deutschen Funksitten – was sonst hätten sie auch tun sollen. Dabei gab es diverse Kuriositäten. Die Fernsehlizenz für RTL-Television wurde – trotz Firmensitzes in Köln – in Niedersachsen beantragt und bewilligt. Über zahlreiche Beteiligungen an diversen Antennes und sonstigen Privatradios ist die Luxemburger Firma heute zwar einer der großen Radio-Gesellschafter in Deutschland, das Engagement ist in den meisten Fällen aber nur wenig mehr ist als eine Kapitalbeteiligung – anders, als in Frankreich, wo RTL mit seinem ganz eigenen Format aus Unterhaltung, Information, Talk und Musik höchst erfolgreich ist. Die Anpassung an die Landessitten beherrscht RTL so gut, dass es als als Inidikator für kulturelle Freiheitsgrade taugt. Darf in Frankreich der freche Stimmen-Imitator Gerald Dahan als falscher kanadischer Premierminister die Präsidentschaftskandidatin Segolène Royal auf die Schippe nehmen oder aktuell den Präsidenten Sarkozy mit seinem Programm “Érection Presidentielle” verhohnepipeln, endete ein ähnlicher Scherz des Berliner RTL-Ablegers mit dem damaligen Kanzler Schröder mit amtlich-verklemmter Verdammnis und der Entlassung des Geschäftsführers.

Die Firma RTL ist trotzdem eine besondere Firma. Nur wenige Medienunternehmen besitzen eine derart innige Kultur. Wer einmal dabei war, vergisst es nicht mehr. Wie beschreibt man eine solche Atmosphäre? Vielleicht als Mischung aus Piratengeist mit hohem Spaßfaktor, gepaart mit Professionalismus und Geschäftssinn. Zu danken ist das dem kleinen Großherzogtum Luxemburg, das riesigen Ideen die Luft zum atmen gab.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de