Offener Brief: Finger weg vom ORF-Funkhaus!

Offener Brief an den Stiftungsrat des ORF und Medienminister Josef Ostermayer

Wir fordern Sie dringend auf, den Verkauf des Wiener Funkhauses und die stückweise Demontage des Kultursenders Ö1 in letzter Minute zu stoppen.

ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße. Foto: Wikimedia-User "Ninanuri" (CC-BY-SA).
ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße. Foto: Wikimedia-User „Ninanuri“ (CC-BY-SA).

Die 84.358 UnterzeichnerInnen der Avaaz-Petition für den Erhalt von Ö1 haben Recht: Dieser demokratie- und kulturpolitisch so wichtige Sender ist in Gefahr. Gefährdet erscheint sogar – entgegen den Beteuerungen der Verantwortlichen – das Funkhaus als Baudenkmal und Kulturstandort. Was sich jetzt anbahnt, übertrifft alle Negativ-Prognosen.

Drastisches Sparpaket 2016 auch für Ö1

Ö1 soll bereits 2016 bis zu 1,3 Millionen Euro einsparen! Das ist nur durch Streichung ganzer Sendereihen möglich. Und das wird erst der Anfang sein. Denn die ORF-Geschäftsführung will durch die Umsiedlung der Radios ins ORF-Zentrum am Küniglberg 10 Millionen Euro jährlich ab 2025 einsparen. Das kann nur durch Reduktion von Personal und Programmbudgets gehen. Dies trifft ganz besonders Ö1 und die anderen Radiosender, die budgetär wie personell ohnehin traditionell benachteiligt sind.

Funkhaus-Verkauf keine Ersparnis

Die ORF-Geschäftsführung behauptet seit Jahr und Tag, eine Konzentration am Küniglberg samt Errichtung eines Zubaus käme strukturell billiger als die Erhaltung des Funkhauses. Diese Behauptung beruht auf „hingebogenen“ Zahlen, wenn nicht auf einer Kostenlüge. Die entsprechenden internen Unterlagen (die uns vorliegen und die wir prüfen haben lassen) enthalten unsinnige Rechenmodelle und Annahmen. So wird zum Beispiel eine unrealistisch hohe Summe für eine „Sanierung“ des Funkhauses angesetzt, das in seiner Bausubstanz gar nicht sanierungsbedürftig ist.

Wackelt Denkmalschutz für Funkhaus? Verkauf nur an kommerziellen Verwerter

Der ORF will das Funkhaus veräußern, hat aber durch das Kolportieren solcher Zahlen den Wert der Immobilie nach unten gedrückt, zum Schaden der GebührenzahlerInnen. Nun kommt das Haus zu einem weit unter dem Wert liegenden Preis auf den Markt. 18 Millionen Euro ist der Mindestpreis – da verscherbelt die ORF-Führung das Tafelsilber. Welcher Verwerter wird damit hohe Profite einfahren?  In den am 24.10.2015 erschienenen Inseraten wird das Funkhaus als „vorläufig denkmalgeschützt“ bezeichnet. Wenn die Funktion als Radiohaus nicht mehr gegeben ist, wird es einem Investor sicherlich leichter fallen, den Denkmalschutz zumindest teilweise außer Kraft zu setzen.  Auch die Zukunft des Radiokulturhauses – der Standort des RSO Wien – wird auf Dauer keineswegs gesichert sein. Denn der Rest-Kulturstandort Funkhaus wird mit der Schließung der Radiobereiche an Lebendigkeit und damit an Attraktivität verlieren.

Ausschreibung mit Hintergedanken

Die extrem kurze Ausschreibungsfrist von 19 Tagen (die durch die Veröffentlichung an einem langen Wochenende de facto auf 16 Tage schrumpft) bestätigt unsere Vermutungen, dass der Käufer bzw. ein sehr kleiner Kreis von potentiellen Käufern längst feststeht. Die Ausschreibung ist so formuliert, dass in Wahrheit nur kommerzielle Verwerter in Frage kommen („…Angaben zur Finanzkraft des Unternehmens sowie eine detaillierte Darstellung der Erfahrungen in vergleichbaren Transaktionen…“), nicht aber beispielsweise Kulturinstitutionen oder andere im öffentlichen Interesse agierende Anbietergruppen.

Ö1 im Cluster wird leiden

OE1Ö1 soll in einer multimedialen Clusterstruktur mit den Schwesterbereichen des Fernsehens (Information, Kultur, Wissenschaft, Religion) zusammengeführt werden. Diese Cluster sollen jeweils einer Leitung unterstellt werden. Damit wird es die zugesicherte Autonomie von Ö1 nur mehr auf dem Papier geben. Dazu wird der massive Spardruck seinen Teil beitragen: Es wird schlicht so wenig Personal geben, dass Themen nicht mehr eigenständig für Ö1 erarbeitet werden können. Zumal die Geschäftsführung laufend gerade im Fernsehbereich zusätzliche Kanäle und Programme (Beispiel: Frühstücksfernsehen) kreiert, was zwangsläufig auf Kosten der bestehenden Formate gehen muss. Das Radio kann und muss den ganzen Sendetag über flexibler reagieren können als das Fernsehen. Zum Wesen von Ö1 und den Radios allgemein gehört eine besondere Aktualität und BürgerInnennähe. Das würde durch die Umsiedlung von Ö1 verhindert. Eine Reduktion der Sendungen von Ö1 stellt eine massive Beeinträchtigung des Kultur- und Wissenschaftsstandortes Österreich dar.

Öffentlichkeit und Belegschaft stehen hinter dem Anliegen

Die Kultur- und Wissenschaftselite der Kulturnation Österreich sowie eine Reihe namhafter Wirtschaftsexperten wollen Ö1 und das Funkhaus erhalten wissen. Und nicht zuletzt die HörerInnenschaft – das zeigt die Avaaz-Petition. Fast die gesamte Belegschaft von Ö1, zu großen Teilen auch jene von FM4 und Radio Wien, hat im März einen Offenen Brief gegen die Funkhaus-Schließung unterschrieben. Auch der ORF-Redakteursrat hat mittlerweile wegen offensichtlich politisch motivierter Besetzung von redaktionellen Leitungsfunktionen der Geschäftsführung das Misstrauen ausgesprochen.

Der Redakteursrat spricht sich aus demselben Grund gegen die Etablierung eines zentralen, medienübergreifenden Infochefs aus, wie sie nach wie vor geplant ist (als „Wahlkampfgeschenk“ an die Parteien, im Hinblick auf die Generaldirektors-Wahlen 2016?).  Die sogenannte „Konsolidierung“ am Küniglberg ist keine, weil sie keine Ersparnis bringt. Die Konsolidierung ist ein hohes Risiko von zusätzlichen Kosten für die GebührenzahlerInnen, und eine unwiederbringliche Zerstörung von Ö1 in seiner gegenwärtigen Qualität.

Unterzeichnende

Karl Markovics, Regisseur, Schauspieler. Gerhard Roth, Schriftsteller. Stephan Schulmeister, WIFO. Ute Woltron, Publizistin. Katharina Stemberger, Schauspieler. Ulrich Körtner, Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Institut für Systematische Theologie, Universität Wien. Robert Menasse, Schriftsteller. Eva Blimlinger, Rektorin Akademie der Bildenden Künste. Johannes Voggenhuber, ehem. Mitglied des EU-Parlaments. Robert Palfrader, Kabarettist. Florian Scheuba, Kabarettist. Erwin Steinhauer, Schauspieler. Gregor Seberg, Schauspieler. Willi Resetarits, Sänger. Lukas Resetarits, Sänger. Thomas Maurer, Kabarettist. Herta Wessely, Aktion 21 Vereinigte Bürger_innen-Initiativen. Isolde Charim, Philosophin und Publizistin. Doron Rabinovici, Schriftsteller. Sabine Gruber, Schriftstellerin, Vorstand Grazer Autorenversammlung. Julya Rabinowich, Schriftstellerin Johann Schelkshorn, Institut für Christliche Philosophie, Universität Wien. Ulrich Brand, Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien. Markus F. Peschl, Cognitive Science Research Platform, Universität Wien. Franzobel, Schriftsteller. Josef Hader, Schauspieler, Kabarettist. Wolfram Berger, Schauspieler. Andreas Vitasek, Kabarettist. Peter Simonischek, Schauspieler. Brigitte Karner, Schauspielerin. Willy Puchner, Künstler. Fabian Eder, Regisseur. Herwig Kempinger, Präsident der Wiener Secession. Deborah Sengl, Künstlerin Edgar Honetschläger, Künstler. (Stand 27.10., 9h)

Quelle: Pressemitteilung von Karl Markovics / via APA-OTS. Foto: Wikimedia, User Ninanuri, veröffentlicht unter CC-BY-SA.

Update vom 04.11.2015, 12:19

Funkhausverkauf

Wien (OTS) – Wirtschaftsprüfer Robol: ORF argumentiert Radio-Absiedlung aus dem Funkhaus mit „weltfremden und absurden“ Berechnungen

In unserem offenen Brief an den ORF-Stiftungsrat sowie Medienminister Josef Ostermayer von vergangener Woche – gemeinsam mit Karl Markovics und vielen Prominenten aus Kultur und Wissenschaft sowie dem Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister – haben wir erklärt:
Die Behauptung einer Kostenersparnis durch den Verkauf des Funkhauses und die Absiedlung der Radios beruht auf „hingebogenen“ Zahlen, auf unsinnigen Annahmen.

Daraufhin wurde uns von der ORF-Geschäftsführung unterstellt, wir würden „Halb- und Unwahrheiten“ verbreiten. Dies weisen wir zurück.

Unsere Analyse bezieht sich auf jenes „interne Papier“, auf dessen Grundlage im März 2014 der Verkauf des Funkhauses beschlossen wurde. Auf Basis eines derart mangelhaften Papiers hätte ein Aufsichtsrat keinesfalls eine Entscheidung von solcher Tragweite treffen sollen.

ORF-internes Papier hält professioneller Bewertung nicht stand

Wesentliche Grundlage für die betriebswirtschaftliche Rechtfertigung der Zentralisierung auf dem Küniglberg ist ein Kosteneinsparungspotential, das gegenüber dem heutigen Status Quo bis ins Jahr 2041 (!) auf mehr als € 150 Mio. geschätzt wird. Welche Kosten hier miteinander verglichen werden, ist aus dem Papier überhaupt nicht nachvollziehbar. Trotzdem geht der ORF von einem sogenannten Normaljahr aus – jenem Jahr, in dem die Zentralisierung am Küniglberg abgeschlossen sein soll (geplant: 2021). Der ORF gibt hier eine Kostenersparnis von rund € 10 Mio. an.

Derartige Prognosen beinhalten erhebliche Realisationsrisiken.
Denn dass im Jahre 2021 die technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch so sind wie heute, ist nicht sehr wahrscheinlich. In den prognostizierten Einsparungen von € 10 Mio. sind pauschal Synergieeffekte von ca. € 5 Mio. ohne jeglichen detaillierten Nachweis angeführt.

Zusammengefasst ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit von Kosteneinsparungen im Jahre 2021 wenn überhaupt nur sehr gering ist. Mit großer Sicherheit jedoch nicht € 10 Millionen. Es sei denn, man holt sie sich über weitere Personalkürzungen. Was jedoch laufend dementiert wird.

Wahrscheinlichkeit für Einsparungen gering. Groteskes Rechenmodell

— Um das Einsparungspotential ab dem Jahr 2021 von heute aus zu bewerten, trifft die interne Berechnung zwei weitere schwer nachvollziehbare Annahmen.

  • Das Einsparungspotential bleibt lt. Annahme unverändert über die nächsten 20 Jahre bis ins Jahr 2041 (!)
  • Für die Ermittlung des Wertes der künftigen Kosteneinsparungen werden diese mit 3 % abgezinst.

Beide Annahmen sind so weltfremd, dass auch „absurd“ oder „grotesk“ noch harmlose Formulierungen dafür sind.

Wie können gerade 20 Jahre sachlich begründet werden? Wie können konstante 10 Mio. sachlich begründet werden?

In dieser wirtschaftlich unsicheren Zeit ist von einem konstanten Zinsniveau nicht auszugehen. Genau das tut das interne Papier aber! Wir können uns keinen anerkannten Experten vorstellen, der eine solche Annahme gutachterlich bestätigt hätte.

Der momentane Zinssatz liegt bei 0% – inklusive Risikoaufschlag sind das 3%. Sollte der Basiszinssatz auf 3 % steigen und man rechnet wieder einen Risikoaufschlag von 3 % dazu, kämen wir auf einen Zinssatz von 6%. Dies würde einen wesentlich niedrigeren Barwert der Kostenersparnisse ergeben als im Papier angenommen.

ORF möge Detailberechnungen vorlegen

Wir haben wiederholt betont, dass uns Gutachten bzw. interne Detailberechnungen nicht vorliegen und daher unsere Stellungnahmen möglicherweise unvollständig sein können. Daher ersuchen wir auch im Interesse der GebührenzahlerInnen um Vorlage von Gutachten und Detailberechnungen.

Bietergenossenschaft im öffentlichen Interesse

Wir haben in einer internen Besprechung mit Vertretern des Stiftungsrates und der Direktion als Bietergenossenschaft für das Funkhaus 60 Millionen € als Anbot in den Raum gestellt.

Jetzt kommt das Funkhaus zu einem Mindestgebot von 18 Mio. auf den Markt. Das ist weniger, als der ORF für den Song Contest 2015 angesetzt hat!

Wir als stetig wachsende Bietergemeinschaft werden in den Bieterprozess einsteigen.

Rückfragen & Kontakt:
Günther Robol, Wirtschaftsprüfer,
ehemals Vorstandsvorsitzender Price Waterhouse ( 0650 7538877)
Christoph Robol, Leiter RSR Managament GmbH. (0664 73122696)

Quelle: Pressemitteilung von Karl Markovics