Die Kulturradios der ARD (gerne auch als „gehobene Programme“ bezeichnet) haben – und dies bestätigen erneut die letzten ma-Erhebungen – weiter ihren fest verankerten Platz in der Lebenswelt der Deutschen. Sie sind Leuchttürme für Kulturinteressierte, die bei den Reichweiten teils sogar noch zulegen konnten – wie die Beispiele NDR Kultur oder WDR 3 eindrucksvoll belegen. Diese hartnäckige Treue hat Gründe: wie die Kollegen bei den Popradios passen sich auch die Kulturprogramme den wandelnden Erwartungen der Hörer sowie den Umwälzungen innerhalb der Medienwelt an. Ohne (möglichst) Stammhörerschaft und Kulturauftrag aus den Augen zu verlieren. Was mitunter der Quadratur des Kreises gleichkommt – und von manchem Hörer ein hohes Maß an Toleranz erfordert. So als einige Programme begannen, die Musik im Tagesprogramm neben der lange Zeit dominierenden Klassik mit Singer Songwritern, Chansons, Weltmusik, anspruchsvollem Pop, New Jazz, deutschen Liedermachern et cetera zu durchmischen. Eine Wandlung, die beispielsweise SR 2 KulturRadio bereits vor knapp 10 Jahren vollzogen hat.
SR 2 KulturRadio wurde 1967 als „Studiowelle Saar“ gestartet, von 1972 bis 1991 in Kooperation mit dem Süddeutschen Rundfunk (SDR) und dem Südwestfunk (SWF). In den Jahren 1991 bis 1994 wurden in Teilen die Sendeinhalte von hr2 zugeschaltet. Als ganztägiges Programm ist das seit 1990 so benannte SR 2 KulturRadio seit dem 1. Januar 1995 auf Sendung.
Zum Zielpublikum zählen „Kulturinteressierte sowie Menschen, die an Hintergründen und Meinungen zum Politik- und Weltgeschehen interessiert sind. Ein wesentlicher Bestandteil sind kritische und hinterfragende Programminhalte.“
Im Interview mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Ricarda Wackers, Bereichsleitung Kultur beim Saarländischen Rundfunk und Leiterin von SR 2 KulturRadio über Programmausrichtung, Podcasts und Inhalte des kulturellen Angebots.
„Wichtig ist uns auch der verlässliche und kontinuierliche Blick über die Grenze in die Großregion, also nach Frankreich und Luxemburg“
RADIOSZENE: Welche zentralen Nutzungsmotive leiten Menschen heute ein Kulturradio wie SR2 zu hören?
Ricarda Wackers: Was einzelne Hörerinnen und Hörer bewegt, das Programm von SR 2 KulturRadio einzuschalten, wissen wir aus Gesprächen, Zuschriften und empirischen Befragungen. Unser Publikum lobt die Musikauswahl (kritisiert sie auch gelegentlich), die Vielfalt der Themen und die kompetente, authentische Moderation. Bei den meisten unserer Hörerinnen und Hörer dürfen wir demnach ein breit gefächertes Interesse an Themen des öffentlichen Lebens und einen ebenso breiten Kulturbegriff erwarten. Außerdem wollen sie wissen, was in der Region kulturell, politisch und gesellschaftlich von Belang ist. Sie wollen informiert und unterhalten werden, aber in anderer Weise, als es das SR-Popradio „SR1“ oder die regionale „SR3 Saarlandwelle“ tun. Dem versuchen wir in unserer Programmgestaltung Rechnung zu tragen.
Das bedeutet, dass wir andere Musik spielen und viele Themen anders, das heißt etwas hintergründiger, manchmal auch feuilletonistischer und spielerischer angehen als andere Wellen. Etwa, wenn unser Kabarettist Alfons in seiner Kolumne aktuellen deutsch-französischen Themen seinen ganz eigenen Stempel aufdrückt. Wir haben auch die klassischen Elemente eines Kulturradios im Programm wie Hörspiele, Konzertübertragungen oder überregionale Features bzw. Reportagen. Wichtig ist uns dabei auch der verlässliche und kontinuierliche Blick über die Grenze in die Großregion, also nach Frankreich und Luxemburg. Unser Publikum weiß das und schätzt diese Ausrichtung.
RADIOSZENE: Zuletzt konnten Sie ja einen beachtlichen Hörerzugang verzeichnen. An welche Hörerschaft richtet sich das Angebot?
Ricarda Wackers: Grundsätzlich richten wir uns nicht nur an ein Hochkulturpublikum mit akademischer Bildung, sondern an alle aufgeschlossenen, neugierigen Menschen, die an Hintergründen zu aktuellen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Themen interessiert sind. Durch unsere unprätentiöse allgemeinverständliche Ansprache und Moderation wollen wir dabei niemanden ausschließen – und trotzdem auf hohem Niveau informieren und unterhalten. „Kultur“ ist für uns mehr als Theater und Ausstellungen – „Kultur“ ist eben auch Pop oder der analytische Blick auf gesellschaftliche Trends.
RADIOSZENE: Das Musikkonzept im Tagesprogramm ist – im Vergleich zu einigen anderen ARD-Kulturangeboten – eher heterogen aufgestellt. Neben einem hörbaren Anteil an klassischer Musik dominieren anspruchsvolle Popmusik, Singer Songwriter, New Jazz, Chansons und so weiter. Wurde diese Musikmischung gezielt auf die Hörerschaft im Saarland ausgerichtet?
Ricarda Wackers: SR 2 KulturRadio hat sich bereits vor vielen Jahren einem crossover-Musikformat verschrieben. Wir glauben, dass die in Deutschland übliche Trennung zwischen „E“ und „U“ etwas künstlich ist, gerade, was Musik angeht. Für uns zählt nur die Qualität – ist es gute oder schlechte Musik? Wir spielen anspruchsvolle aktuelle Popmusik aus dem Singer-Songwriter-Genre, wir spielen aber auch Bach, Beethoven und Mozart und das Beste aus der Welt der Filmmusik. Bei unserer Musikprogrammgestaltung berücksichtigen wir viele Parameter. Da sind zum Beispiel direkte Rückmeldungen unserer Hörerinnen und Hörer oder empirische Studien aus der Markt- und Medienforschung. Und natürlich richten wir uns auch nach Tagesstimmungen: Frühmorgens klingen wir poppig-flotter als etwa am Vor- oder Nachmittag. In unseren Abend- und Spezialsendungen sind dann noch ganz andere Dinge zu hören. Hier bedienen wir sehr unterschiedliche Musikgeschmäcker, von der Neuen Musik über Kammermusik, Chanson, Weltmusik bis hin zum Free Jazz. Was uns immer leitet, ist der Gedanke des Anti-Mainstreams, und wir wissen, dass dies auch unseren Hörerinnen und Hörern wichtig ist. Und ja, die Regionalität spielt eine große Rolle, vor allem natürlich bei den zahlreichen Konzertmitschnitten aus dem Saarland und der angrenzenden Großregion, aber auch im Tagesprogramm.
„Wir glauben, dass die in Deutschland übliche Trennung zwischen ‘E‘ und ‘U‘ etwas künstlich ist, gerade, was Musik angeht. Für uns zählt nur die Qualität – ist es gute oder schlechte Musik?“
RADIOSZENE: Sollen mit dieser Musikausrichtung gezielt auch jüngere Jahrgänge erreicht werden? Über welche Wege versuchen Sie grundsätzlich junge Menschen an Ihr Programm zu binden?
Ricarda Wackers: Natürlich. Es war eine bewusste Entscheidung schon vor langer Zeit, als Kulturradio nicht nur auf Klassik zu setzen, sondern durch die so genannte „U-Musik“ eine jüngere Hörerschaft zu erreichen und damit einem drohenden Generationenabriss entgegenzuwirken. Wir wollen ein Tagesbegleiter sein, auch mit unserer Musik. Wobei wir uns keine Illusionen machen: Die Musik im Radio ist zwar noch wichtig, hat aber durch die Streamingdienste an Bedeutung verloren, wenn es um Hörerbindung geht. Letztlich trifft fast jeder Algorithmus den persönlichen Musikgeschmack genauso gut oder vielleicht sogar besser. Unsere Aufgabe ist es dadurch aber noch vielmehr, die Musik durch eine entsprechende Moderation einzuordnen und die Menschen auf Neues außerhalb der eigenen Filterblase aufmerksam zu machen. Eben das, was die Streaminganbieter nicht tun.
Jüngere Hörerinnen und Hörer in unserem Sendegebiet versuchen wir über öffentliche Veranstaltungen und Werbemaßnahmen sowie über unsere Social-Media-Kanäle auf uns aufmerksam zu machen und möglichst für uns zu gewinnen. Inhalte aus einem Youtube-Kanal über die regionale und überregionale Subkulturszene oder aus einem jungen Instagram-Kanal zum Thema Kunst finden immer öfter Eingang in unser Radioprogramm. Hier transferieren wir also junge Inhalte ins Lineare.
RADIOSZENE: Welchen Stellenwert für das Gesamtprogramm haben die zahlreichen Musikspartensendungen am Abend/Wochenende sowie (ganz allgemein) gepflegter Musikjournalismus und das Feuilleton?
Ricarda Wackers: Unsere Spezialsendungen sind uns sehr wichtig, denn sie bilden die musikalische Vielfalt im Land, aber auch darüber hinaus ab. Wir können dort Musik spielen, die im Tagesprogramm bestimmte Zielgruppen nicht (mehr) erreicht, die aber dennoch nachgefragt wird. Und wir geben damit der regionalen Szene einen großen Raum: Wir bilden unser Orchester ab, die Deutsche Radio Philharmonie, aber auch die zahlreichen Festivals und Konzertreihen in der Region, die wir mitschneiden.
Außerdem können wir zeigen, welche Schätze in unserem Archiv schlummern. Aber natürlich spielen auch im Tagesprogramm der Musikjournalismus und vor allem die Berichterstattung über die regionale Musik- und die künstlerische Szene im Allgemeinen eine wichtige und identitätsstiftende Rolle. Auch die aktuelle Popkultur ist uns dabei ein großes Anliegen, zum Beispiel in Form von Besprechungen herausragender aktueller Alben aus dem Bereich der Pop- und Rockmusik.
RADIOSZENE: Wie hoch ist der Wortanteil im Eigenprogramm von SR2 KulturRadio? Welche weiteren redaktionellen Angebote bieten neben der Musik?
Ricarda Wackers: Das Verhältnis von Musik zu Wort beträgt bei SR 2 KulturRadio, grob gesagt, 70 Prozent zu 30 Prozent. Durch die Magazinform des Tagesprogramms hat SR 2 KulturRadio über weite Strecken ein aktuelles und zugleich hintergründiges Informationsangebot, das sich vor allem auf journalistisch gestaltete Beiträge und Gespräche stützt. Regelmäßige Nachrichten ergänzen dieses Programmkonzept. Darüber hinaus bietet SR 2 KulturRadio alle „klassischen“ Programmbestandteile einer Kulturwelle. Das Feature hat bei uns Sendeplätze genauso wie das Hörspiel, das Kabarett, die öffentliche Diskussion, die Lesung, die Buchbesprechung, Konzerte, ebenso Gottesdienste und Verkündigungsformate sowie längere politische Sendungen. Ein Klassiker ist unsere sonntägliche Live-Sachbuchsendung „Fragen an den Autor“, bei der Zuhörerinnen und Zuhörer, inspiriert von den Thesen eines aktuellen Buches, eine Stunde lang mitmachen und mit dem Autor bzw. der Autorin diskutieren können.
„SR 2 KulturRadio berichtet über alle Facetten des saarländischen Kulturlebens, bietet saarländischen Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten, aber auch der Breitenkultur eine Bühne“
RADIOSZENE: Wie viel „Saarland“ und regionale Kultur stecken in SR2 KulturRadio?
Ricarda Wackers: Es ist in meinen vorigen Antworten sicherlich schon deutlich geworden: SR 2 KulturRadio ist das Kulturprogramm des Saarländischen Rundfunks und damit dem Wesen nach ein saarländisches Programmangebot. SR 2 KulturRadio berichtet über alle Facetten des saarländischen Kulturlebens, bietet saarländischen Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten, aber auch der Breitenkultur eine Bühne. Wir sind Medium und Faktor im Land, wir stiften Preise und schneiden Veranstaltungen mit, die wir im Programm senden.
Wir sind Partner wichtiger Festivals und vergessen auch nicht die gute Nachbarschaft zur Großregion SaarLorLux. Zum Beispiel haben wir eine schöne Kooperation mit Radio 100,7 aus Luxemburg. Mit den Kollegen dort übertragen wir gemeinsam Konzerte unseres Orchesters oder von Orchestern in Luxemburg und moderieren diese Sendungen auch gemeinsam, also mit Doppelmoderationen in Deutsch und Luxemburgisch. Darüber hinaus versuchen wir natürlich, unsere Hörerinnen und Hörer über alles Wichtige außerhalb der Landesgrenzen umfassend zu informieren. Hier verstehen wir uns ganz klar als Transmissionsriemen, der Themen und Trends in das Sendegebiet hineintransportiert und auf die regionale Relevanz hin untersucht. Als Mitglied der ARD hat der Saarländische Rundfunk und damit SR 2 KulturRadio auch überregionale Programmverantwortung.
RADIOSZENE: Bei Blick auf Ihr Programmschema spiegelt die besondere Nähe zum Nachbarland Frankreich, die durch ganze Sendeschienen und viele Inhalte verankert ist … entsprechen diese Angebote der Erwartungshaltung der Hörer auf beiden Seiten der Grenze?
Ricarda Wackers: Jüngste Umfragen im Rahmen des Elysée-Jahres haben gezeigt, dass das Interesse an der deutsch-französischen Freundschaft auf deutscher Seite etwas größer ist als bei unseren Nachbarn. Wir senden natürlich in erster Linie für unsere saarländischen Hörerinnen und Hörer, deren Rundfunkbeitrag wir ja auch erhalten. Aber natürlich freuen wir uns immer wieder auch über Reaktionen zu unserem Programm aus Frankreich. Wie wichtig die deutsch-französische Verständigung für Europa ist, das wissen die Saarländerinnen und Saarländer nur zu gut aus ihrer wechselvollen Vergangenheit – und wie verletzlich diese Freundschaft ist, das mussten wir leider in der jüngsten (Corona-)Zeit noch einmal erfahren, als plötzlich die Schlagbäume unten blieben. Als saarländische Landesrundfunkanstalt sehen wir in der Stärkung der grenzüberschreitenden Verständigung und in der Vermittlung der frankophonen Kultur unseren besonderen Auftrag. So haben wir vor allem im Bereich Literatur, Hörspiel und Musik / Chanson eine besondere Expertise, die sich in der Tat deutlich in unseren Sendungen widerspiegelt. Für uns ist das wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, das auch außerhalb unseres Sendegebietes wahrgenommen wird. Außerdem spielen wir unsere Frankreich-Kompetenz auf den mit uns verbundenen Social-Media-Kanälen aus. Zum Beispiel bieten wir dem Facebook-Auftritt von „ttt – titel, thesen, temperamente“ oder auch unserer eigenen Facebook-Präsenz immer wieder Videos aus dem grenznahen Raum an, die sehr gut laufen.
RADIOSZENE: Corona und die Folgen haben auch die Hörgewohnheiten im Radio beeinflusst. In wie weit sind davon auch die Kulturprogramme – und im Besonderen auch SR2 KulturRadio betroffen?
Ricarda Wackers: Corona war auch für uns eine schwierige Zeit. Namentlich, weil wir viele öffentliche Veranstaltungen und Mitschnitte nicht mehr durchführen konnten. Viele Veranstaltungen waren ja eingestellt oder die Beteiligung daran wurde durch hohe Gesundheits- und Sicherheitsauflagen erschwert. Auf der anderen Seite haben wir versucht, aus der Not eine Tugend und Kultur trotz aller Einschränkungen erlebbar zu machen. So hatten wir zu Beginn der Pandemie den „SR 2 CultureClub“, ein digitales Format, bei dem wir Künstlerinnen und Künstler gebeten hatten, uns aus ihrem Homeoffice Videos mit ihrer Kunst zu schicken, die wir dann online gestellt haben. Oder wir haben gemeinsam mit dem Saarländischen Staatstheater das Kinderweihnachtsmärchen 2020 als Videostream produziert, so dass die Familien wenigstens diese schöne Veranstaltung als Ganze online genießen konnten. Programmlich mussten wir bei unserem Radioprogramm glücklicherweise kaum etwas verändern.
„Wir glauben, und das zeigen auch Studien, dass lineares Radio noch eine deutlich längere Zeit in der bekannten Form genutzt werden wird als zum Beispiel das lineare Fernsehen“
RADIOSZENE: Nahezu alle Kollegen bei den jungen- und Pop-Wellen bestätigen den wachsenden Einfluss der Streamingdienste auf Radionutzung. Spüren Sie diese Entwicklungen auch bei den Kulturwellen?
Ricarda Wackers: Wie gesagt: Wir sehen natürlich, dass jüngere Menschen, die ja auch eine potenzielle Kulturradionutzergruppe darstellen, sich nicht mehr nur an ein Medium binden und natürlich auch viel streamen. Das beobachte ich in meiner eigenen Familie. Diejenigen, die heute unter 30 sind, hören kaum noch Radio. All diese Faktoren sind für uns als Kulturwelle eine große Herausforderung und natürlich spüren wir diese Entwicklung auch. Gleichwohl glauben wir, und das zeigen auch Studien, dass lineares Radio noch eine deutlich längere Zeit in der bekannten Form genutzt werden wird als zum Beispiel das lineare Fernsehen. Das Live-Erlebnis, dieses: „da ist jetzt gerade für mich ein Mensch im Studio, der begleitet mich als Moderator oder Moderatorin in den Tag, der sagt mir, ob die Welt noch steht am Morgen, der spielt Musik, die ich eventuell so nicht erwartet habe oder der informiert mich über Dinge, die gerade wichtig oder inspirierend für mich sind (ohne dass ein Algorithmus diese vorsortiert hat)“ – das bleibt doch eine große Chance des linearen Radios!
RADIOSZENE: Wie intensiv ist das lineare Programm von SR2 KulturRadio heute mit den Möglichkeiten der Online-Welt verwachsen?
Ricarda Wackers: Wie viele andere Kulturwellen haben auch wir eine eigene Web-Präsenz. Dort findet man neben den Informationen zum Programm und ausgewählten Beiträgen zum Nachhören auch ganze Konzerte zum Nacherleben, Videos zu Kultur, Reisen und Kulinarik, Podcasts und weitere Angebote des SR aus dem weiten Bereich der Kultur.
Ansonsten sind lineares Radioprogramm und digitales Audio nicht einfach so miteinander zu kombinieren. Radiohörerinnen und -hörer haben eine andere Erwartungshaltung an „ihr“ Programm als Konsumentinnen und Konsumenten von Podcasts und Audio-on-demand-Angeboten. Unsere kurzen Beiträge im Tagesprogramm, unsere tagesaktuellen Magazinsendungen, unsere Livemoderationen eigenen sich nicht unbedingt zur „Zweitverwertung“ und als digitales Angebot. In die andere Richtung ist es etwas einfacher: Gut gemachte Podcasts können meiner Ansicht nach auch im linearen Radioprogramm erfolgreich sein. Das erfordert vielleicht bei unseren Stammhörerinnen und Stammhören ein wenig Gewöhnung und Entdeckungsfreude – aber das traue ich unserem Publikum auf jeden Fall zu. Hier sind wir noch in der Entwicklungsphase. Ein Sonderfall ist unser lineares Live-Format „Fragen an den Autor“, das ich schon einmal erwähnt habe. Die Sendung gibt es seit mehr als fünf Jahrzehnten beim SR, eigentlich ein typisches Radio-Format. Aber die Podcast-Abrufzahlen zeigen, dass es auch gerne losgelöst vom Radio in der digitalen Welt gehört wird.
RADIOSZENE: Nutzt das mutmaßlich ältere Publikum einer Kulturwelle Ihre digitalen Angebote oder sehen Sie hier noch Berührungsängste?
Ricarda Wackers: Wie gesagt: Wir sollten die Offenheit unseres Stammpublikums nicht unterschätzen. Es gibt viele Hörerinnen und Hörer „klassischer“ Radioprogramme, die zum Beispiel die Angebote der ARD Audiothek zu schätzen wissen. Hier sehe ich noch viel Potential, die Angebote mehr miteinander zu verschränken und die ARD Audiothek zu einer gemeinsamen Plattform für exzellente Audioinhalte zu machen – die natürlich die jüngeren Generationen bedient, aber auch genug Inhalte für unser linear geprägtes Publikum bereit hält – sozusagen als „erweitertes Angebot“: Wenn ich in Ruhe genau das hören möchte, was ich mir selbst aussuche, zu der Zeit, die ich möchte, mit der Qualität, die ich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwarte. Da sehe ich keinen Grund für Berührungsängste – weder von Seiten unseres Publikums noch von uns selbst.
„Gut gemachte Podcasts können meiner Ansicht nach auch im linearen Radioprogramm erfolgreich sein“
RADIOSZENE: Die Produktion und Ausstrahlung von Podcasts im Radio boomt. Wie viele Podcasts und Audioreihen produzieren Sie jährlich? Welche Formate/Genres sind hier besonders gefragt?
Ricarda Wackers: Der Podcast-Markt ist in starker Bewegung und für uns als kleine Sendeanstalt ist das eine Herausforderung. Wir bewegen uns als Welle auf diesem Terrain daher noch recht vorsichtig und beobachten die Situation. Das führt dazu, dass wir in dem einen Jahr mehr, in dem anderen Jahr weniger produzieren. Aber mit Podcasts wie „Tabularasa – weg mit Tabus“ oder unseren Hörspielen erreichen wir auch über die rein digitalen Ausspielwege viele Menschen. Es ist ein etwas anderes Publikum als im linearen Radio, und das ist eine große Chance. Gerade die fiktionale Form boomt, und hier möchten wir uns künftig stärker beteiligen. Für dieses Jahr planen wir z.B. die dritte Staffel unseres Hörspielpodcasts „Nebel heißt Leben rückwärts“, eine unterhaltsame Reihe, die in der Pförtnerloge eines Theaters spielt und den alltäglichen Wahnsinn thematisiert.
RADIOSZENE: In diesem Jahr begeht der Hörfunk in Deutschland seinen 100sten Geburtstag. Wird sich dieses Jubiläum auch bei SR2 widerspiegeln?
Ricarda Wackers: Für SR 2 KulturRadio hat das anstehende Radiojubiläum eine große Bedeutung. Das Thema „100 Jahre Radio“ ist 2023 ein crossmedialer Programmschwerpunkt der ARD und SR 2 KulturRadio wird sich auf verschiedenen Wegen mit diesem spannenden, facettenreichen und auch nicht ganz unproblematischen Jubiläum auseinandersetzen. Geplant sind Features über die Vergangenheit und die Zukunft des Mediums, Gespräche mit Zeitzeugen, ausgewählte Erinnerungen an Programmhöhepunkte, aber auch eine programmliche Auseinandersetzung mit dem Radio als Propagandamedium. Hierbei legen wir Wert darauf, dass das Thema im Tagesprogramm eine erkennbare Rolle spielt. Außerhalb der direkten redaktionellen Verantwortung plant SR 2 KulturRadio zum Thema „100 Jahre Radio“ unter anderem gemeinsame Aktivitäten mit der Universität des Saarlandes, der Landeszentrale für politische Bildung und dem Landesinstitut für Pädagogik und Medien.
RADIOSZENE: Was macht „das Radio“ in 2023 für Sie persönlich gut? Was gefällt Ihnen weniger? Wo sehen Sie das Medium in der Zukunft?
Ricarda Wackers: „Das Radio“ ist 2023 noch immer ein Massenmedium im positiven Sinn. Die ARD erreicht mit ihren Hörfunkprogrammen momentan täglich mehr Menschen als zum Beispiel das Fernsehen. Radio ist für viele Hörerinnen und Hörer und auch für mich persönlich heute noch der Lieferant für den „Soundtrack ihres Lebens“, es ist ein Begleiter in vielen Lebenslagen, transportiert Emotionen und setzt Themen. Außerdem ist lineares Radio ein sehr bequemes Medium. Ein Knopfdruck genügt. Weniger gefällt mir naturgemäß, dass das klassische Radio in den jüngeren Generationen etwas an Bedeutung einbüßt. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass das packende, unterhaltende, informative und persönlich vermittelte gesprochene Wort und nicht zuletzt die gut kuratierte Musikauswahl auch in Zukunft ein dankbares Publikum finden werden.