Eines der vielen ehemals populären Sendeformate, die im Zuge besserer Durchhörbarkeit über die Jahre (leider) vermehrt aus den Programmplänen der Radiosender genommen wurden, sind Ratgebersendungen. Hier konnten sich die Hörer durch Experten schnelle und kompetente Hilfe bei alltäglichen Fragestellungen aus vielen Gebieten einholen – sei es bei Haushalt, Technik, Finanzen, Gesundheit, Lifestyle, Recht oder Lebensfragen. Sieht man von diversen Talkshows am Abend ab, in denen die Moderatoren Ratsuchenden bei Beziehungs- oder Lebenskrisen unterstützend zur Seite stehen, ist im Radio an regelmäßigen Anlaufstellen für Hilfesuchende bei Alltagsproblemen nicht mehr so viel geblieben. Dabei scheint der Beratungsbedarf größer denn je. Doch hat man diese Aufgabe heute offenbar weitgehend freiwillig dem Fernsehen überlassen. Und im Hörfunk? Erfreulicherweise gibt es hier zum Beispiel bei MDR Das Sachsenradio, MDR SACHSEN-ANHALT und MDR Thüringen am Vormittag sehr aufwändig gemachte Sendungen mit täglich wechselnden Fachgebieten und Expertenmeinungen. Oder jeden Mittwoch von 10.05 bis 11.00 Uhr das „Gesundheitsgespräch“ auf Bayern2. Hier beantworten die Internistin Dr. Marianne Koch und andere Experten unter der Leitung der Moderatoren Ulrike Ostner und Klaus Schneider im Rahmen der Sendung „Notizbuch“ die Fragen der Hörerinnen und Hörer. Ein Konzept, das offenbar seit Sendebeginn bei der Hörerschaft gut ankommt. Was möglicherweise auch am Bekanntheitsgrad der Expertin, ihrem hohen Fachwissen und ihrer einfühlsamen Gesprächsführung liegt.
1931 in München geboren legte Marianne Koch mit 17 Jahren, nachdem sie zwei Klassenstufen übersprungen hatte, die Abiturprüfung ab. Sie begann Ende der 1940er Jahre ein Medizinstudium. In den Semesterferien jobbte sie im Kopierwerk der Bavaria-Filmstudios. Hierbei wurde sie, ohne je eine Schauspielausbildung absolviert zu haben, für den Film entdeckt. Koch unterbrach daraufhin das Medizinstudium wegen ihrer aufblühenden Filmkarriere nach dem Physikum.
Bis 1970 spielte Marianne Koch in rund 70 Filmen. So war sie etwa 1954 die Partnerin von Gregory Peck im Spionagethriller „Das unsichtbare Netz“ und spielte 1964 an der Seite von Clint Eastwood in dem Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“. Für ihre Darstellung der Diddo Geiss in Helmut Käutners „Des Teufels General“ erhielt sie 1955 das „Filmband in Silber“ für die Beste Nebendarstellerin. 1963 verkörperte sie in dem Straßenfeger „Tim Frazer“ von Francis Durbridge die weibliche Hauptrolle.
Zudem gehörte sie zur Stammbesetzung des beliebten TV-Ratespiels „Was bin ich?“ mit Robert Lembke. Das gesamte Rateteam erhielt 1967 die „Goldene Kamera“.
1971 nahm Marianne Koch ihr Medizinstudium wieder auf und legte mit 43 Jahren das Staatsexamen ab. 1978 wurde sie mit der Dissertationsschrift „Histaminfreisetzung nach rascher Infusion von Plasmasubstituten“ an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München „summa cum laude“ promoviert und arbeitete später bis 1997 als Internistin in ihrer eigenen Praxis in München.
Seit 2001 gestaltet Marianne Koch bei Bayern 2 die wöchentliche Livesendung „Notizbuch – Gesundheitsgespräch“ zu medizinischen Schwerpunktthemen mit telefonischer Hörerbeteiligung.
Im Interview mit RADIOSZENE Mitarbeiter Michael Schmich spricht Dr. Marianne Koch über ihr erfolgreiches Sendeformat beim Bayerischen Rundfunk.
RADIOSZENE: Frau Dr. Koch, Sie sind seit 2001 Expertin der Bayern 2 Ratgeber-Sendung „Gesundheitsgespräch“. Zunächst die Frage: was bedeutet das Radio für Sie?
Dr. Marianne Koch: Radio bedeutet für mich einen wichtigen Teil meines Lebens. Passiv als Hörerin, vor allem von BR-Klassik und vom Nachrichten-Kanal B5 aktuell. Aktiv als begeisterte Mitarbeiterin des „Gesundheitsgesprächs“, eines großartigen Sendeformats, das den Moderatoren – Ulrike Ostner und Klaus Schneider – und mir ein größtmögliches Maß an Zeit und Freiheit in der Diskussion mit den Hörerinnen und Hörern gestattet.
„Die deutsche Sprache bietet wunderbare Möglichkeiten, auch komplizierte Zusammenhänge einfach und verständlich darzustellen“
RADIOSZENE: Sie sind im Vergleich zu Ihren sonstigen medialen Aktivitäten relativ spät Radioexpertin geworden. War dies beim Einstieg eine große Umstellung?
Dr. Marianne Koch: Eigentlich nicht. Meine Patienten haben mich gelehrt, dass man auch sehr komplexe medizinische Fakten in eine normale Sprache übertragen kann. Anfangs habe ich mich in meiner Praxis gewundert, dass meine Erklärungen bei den Patienten offensichtlich zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinauszugehen schienen. Ich kam dann ziemlich schnell dahinter, dass es die Sprache war. Dass ich immer noch im typischen Mediziner-Wissenschaftsjargon mit ihnen redete, statt ihre Sprachebene zu respektieren. Danach war alles einfach.
Radio lebt von Sprache. Und die deutsche Sprache bietet wunderbare Möglichkeiten, auch komplizierte Zusammenhänge einfach und verständlich darzustellen.
RADIOSZENE: Können Sie uns das Konzept Ihrer Sendung beschreiben?
Dr. Marianne Koch: Wir – das Redaktionsteam und ich – möchten zum einen die Hörerinnen und Hörer über das jeweilige medizinische oder gesundheitsrelevante Thema möglichst umfassend informieren und ihre Fragen als Betroffene (oder als deren Angehörige) ausführlich beantworten.
Zum anderen sollen diese Informationen den Anrufern auch Mut machen, sozusagen als „mündige Patienten“ ihren Ärzten als Partner gegenüberzutreten. Wir alle wissen, dass die so wichtige „sprechende Medizin“ im gegenwärtigen Gesundheitssystem zu kurz kommt, zum Schaden der Patienten, deren Selbstheilungskräfte sehr stark auch von der vertrauensvollen Beziehung zu ihren Ärzten abhängen. Die wollen wir unterstützen.
RADIOSZENE: Inwieweit hilft Ihnen Ihr hoher Bekanntheitsgrad beim Umgang mit den ratsuchenden Hörern?
Dr. Marianne Koch: Dazu müssten Sie eigentlich die Hörer befragen. Ich denke, es ist nicht der Bekanntheitsgrad, sondern das Gefühl, dass da jemand im Studio sitzt, der sich für die Anrufer interessiert und sich bemüht, auf ihre seelischen und körperlichen Probleme einzugehen.
RADIOSZENE: Welche medizinischen Fachgebiete beraten Sie im Rahmen Ihrer Sendung?
Dr. Marianne Koch: Was die Themen betrifft, so ist die Bandbreite sehr groß: Von rein medizinischen Fragen wie zum Beispiel Bandscheiben-Operationen oder Herzschwäche über psychische Krankheiten bis zu gesundheitspolitischen Diskussionen ist in der Sendung eigentlich alles möglich.
Ich bin Internistin, und diese Vielfalt der Themen bedeutet, dass ich mich besonders gründlich vorbereiten muss, wenn es um Fragen aus anderen Fachgebieten geht. Ich habe allerdings Internet-Zugriff auf die Archive von wichtigen internationalen Wissenschaftszeitungen mit ihrer riesigen Auswahl an Studienberichten und Artikeln – das hilft.
Ganz schön mutig, finden Sie? Stimmt. Es geht schließlich um eine Live-Sendung. Andererseits habe ich überhaupt kein Problem damit, einem Anrufer auch einmal zu sagen: „Weiß ich nicht, aber ich werde mich schlau machen und Ihnen Bescheid geben.“ Gelegentlich bitten wir auch Experten zu einem bestimmten Thema ins Studio und freuen uns, wenn ein hochrangiger Uni-Professor/in uns in der Sendung unterstützt.
RADIOSZENE: Wie hoch ist die Beteiligung der Hörer, wie viele Anfragen bekommen Sie pro Sendung? Und gibt es medizinische Schwerpunkte, die besonders häufig angefragt werden?
Dr. Marianne Koch: Ich habe keine genauen Zahlen, aber die Hörerbeteiligung ist sehr hoch. Immer noch, müsste man sagen, denn durch die Verschiebung der Sendung Anfang des Jahres von Samstagmittag auf Mittwochvormittag ins „Notizbuch“ hat man die Beteiligung der vielen berufstätigen Hörer leider so gut wie unmöglich gemacht.
Die Zahl der jeweiligen Anfragen hängt auch vom Thema der Sendung ab, wobei es ohnehin nicht möglich ist, alle Anfragen in der Sendung zu beantworten. Ich glaube, die höchste Zahl der Anrufe hatten wir einmal beim Thema „Schmerzende Füße – was kann ich tun“. Ganz allgemein sind chronische Schmerzen, aber auch Herzprobleme, hoher Blutdruck, Krebskrankheiten, Gedächtnisstörungen oder Ernährungsfragen Favoriten der Zuhörer.
RADIOSZENE: Neben dem rein fachlichen Teil der Konsultationen müssen Sie sich gelegentlich doch auch durch ein hohes Maß an Empathie in die Gespräche einbringen. Wie wichtig ist dieser Teil der Beratung?
Dr. Marianne Koch: Empathie ist die wichtigste Voraussetzung für diese Sendung. Und ohne eine Grundfreundlichkeit gegenüber Menschen sollte man nicht Arzt werden. Oder Radio-Moderator.
Es ist übrigens interessant, wie stark man hinter den Sachgesprächen oft die jeweilige seelische Situation der Anrufer spürt: Ängste, Trauer, Depressionen, Hoffnung, manchmal auch Wut. Spricht man diese Dinge an, so ist es, als ob man eine Schleuse öffnet, und man erfährt unendlich viel über die Person am Telefon. Insofern ist diese Sendung auch immer wieder eine Bereicherung für uns.
RADIOSZENE: Erleben Sie einen gravierenden Unterschied zwischen einer Beratung im Sender und dem Gespräch unter vier Augen in Ihrer Praxis?
Dr. Marianne Koch: Einen ganz wesentlichen. Sie können in der Sendung selbstverständlich keine Diagnosen stellen oder genaue Therapien empfehlen. Das wäre unseriös. Man kann nur allgemeine Fakten über ein Krankheitsbild geben, bzw. versuchen, die geschilderten Probleme in etwa einzukreisen. Was eben auch unmöglich ist, sind die physischen Kontakte, die klinische Untersuchung des Patienten, die zu einer Diagnose einfach dazugehört.
Grundsätzliche Informationen und Erklärungen sind allerdings in beiden Situationen möglich, wobei wir selbstverständlich respektieren, wenn Anrufer anonym bleiben wollen.
„Ohne eine Grundfreundlichkeit gegenüber Menschen sollte man nicht Arzt werden. Oder Radio-Moderator“
RADIOSZENE: Gibt es so etwas wie eine Erfolgsstatistik über die Zahl der Fälle bei denen Sie helfen konnten?
Dr. Marianne Koch: Nein, gibt es nicht. Es gibt allerdings gelegentlich ziemlich spannende Situationen. Ein Beispiel: Thema „Rückenschmerzen“. Ein Anrufer wollte einen Rat, wie er seine Schmerzen am besten loswerden könnte. Was für Schmerzen? „Ja, oben, im Rücken, vor allem, wenn ich tief atme“. Seit wann? „Seit gestern, es ging ziemlich plötzlich los …“ Bei jedem Arzt schrillen in einem solchen Moment die Alarmglocken. Die nächste Frage hat den Mann sicher erstaunt. Schauen Sie sich mal Ihre Beine an. Fällt Ihnen da etwas auf? „Ja. Das linke Bein ist seit ein paar Tagen irgendwie dicker. Tut aber nicht weh“.
Ich habe dem Anrufer dann gesagt: „Wir beenden jetzt dieses Gespräch und Sie rufen sofort, SOFORT! die 112 an und sagen: Verdacht auf akute Lungenembolie. Wahrscheinlich hat sich eine Thrombose, ein Gerinnsel im Bein losgelöst und ist in die Lunge geschwemmt worden. Das kann sehr gefährlich sein. Sie müssen sofort ins Krankenhaus.“
Zwei Wochen später rief der Patient an. Diagnose war richtig. Alles war gut gegangen.
RADIOSZENE: Bundesweit bekannt wurden Sie durch das TV-Ratespiel „Was bin ich?“ mit Robert Lembke, zu dessen Stammbesetzung Sie in den 1960er-Jahren zählten. Hat es Sie in den letzten Jahren nicht mehr gereizt, an Unterhaltungsshows im Fernsehen oder Radio teilzunehmen?
Dr. Marianne Koch: Wie Sie ja wissen, habe ich von 1950 bis 1970, also 20 Jahre lang, Filme gemacht und war gottfroh, als ich mich entschlossen hatte, von einem Tag zum anderen damit Schluss zu machen, wieder auf die Uni zu gehen und mein Medizinstudium abzuschließen. Seither habe ich jedes Angebot für Unterhaltungssendungen abgelehnt – mit zwei Ausnahmen: Bei „Was bin ich“ war ich bis Robert Lembkes Tod im Rateteam und kürzlich habe ich zweimal im BR bei der TV-Sendung „Gesundheit – die Show“ mitgewirkt, allerdings als Medizinexpertin.
In den Sendungen, die ich dazwischen gemacht habe – „3 nach 9“ bei Radio Bremen, „Club 2“ im ORF und „Medizin Magazin“ im WDR war ich Journalistin, Moderatorin – eine neue Erfahrung, die ich dann gut brauchen konnte, als ich meine internistische Praxis aufgab, als Medizinjournalistin arbeitete und dadurch die Chance bekam, das „Gesundheitsgespräch“ mitzugestalten.
RADIOSZENE: Wie ist es um Ihren eigenen privaten Radiokonsum bestellt, eher Fernsehen oder Radio?
Dr. Marianne Koch: Eher Radio. Wie schon erwähnt: am liebsten BR-Klassik. Fast immer ein großartiges Programm, vor allem auch durch das Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks.
Im Fernsehen schau ich inzwischen hauptsächlich Fußball, Nachrichten oder Dokumentationen. Das übrige Programm ist mir verleidet, seit die Produzenten die immer gleiche Kling-Klang-Musiksauce über alles, auch über die gut gemachten Fernsehspiele, kippen.
RADIOSZENE: Sie sind nun seit sehr vielen Jahren in den Medien präsent, hinzu kommen Ihre beruflichen Aktivitäten. Wie halten Sie sich fit – und haben Sie für unsere Radiomacher einen Tipp für eine gute körperliche und geistige Frische?
Dr. Marianne Koch: Wenn es überhaupt ein Rezept für alle gibt, dann lautet das: Beweglich bleiben. Körperlich durch Sport oder wenigstens tägliches längeres Spazierengehen (in meinem Fall mit Hund Bessie); geistig durch lebenslanges Lernen. Ich bin vergnügt und dankbar, dass ich gezwungen bin, mich durch das „Gesundheitsgespräch“ ständig auf dem neuesten Stand der Medizin zu halten.
Michael Schmich