Live-Radio editieren und polieren

James Cridland's Radio Future: Live-Radio editieren und polierenVor ein paar Wochen habe ich in meiner Kolumne behauptet: „Live-Radio macht es sich zu bequem“. Darin habe ich betont, dass man voraufgezeichnetes Audiomaterial editieren und polieren kann, um es perfekt klingen zu lassen. Und wenn man sich nicht die Mühe macht zu editieren und polieren und nur mittelmäßiges Live-Radio macht, halte ich das nur für Faulheit.

Das widerspricht natürlich der gängigen Meinung, dass großartiges Radio „live und lokal“ sein kann. Das muss nicht zwangsläufig der Fall sein. Ich habe zuvor bereits argumentiert, dass wir uns statt auf die beiden Ls, „live und lokal“, auf die beiden Rs, „real und relevant“, konzentrieren sollten.

Natürlich waren viele Kommentare sehr hitzig – sowohl unter dem eigentlichen Artikel als auch in den Sozialen Medien, wo er geteilt worden ist. Die Leser argumentierten, dass Radio live sein sollte, weil es für die Moderatoren spannender ist oder weil die HörerInnen auch ganz gerne Fehler hören. Meiner Meinung nach sind diese Argumente entweder ein bisschen zu selbstbezogen und überheblich. Einige Kommentatoren haben den Artikel zum Glück ganz gelesen und nicht nur die Überschrift.

Ich wurde auf ein großartiges Video hingewiesen. Es stammt von Tim Lee, einem australischen Radiomoderator, und zeigt auf, wie er die Automatisierung nutzt, um fließendere und bessere Übergänge zu machen. Anstatt gelangweilt darauf zu warten, dass ein Song ausläuft, um dann einen anderen zu starten – und dabei vielleicht einen Sweeper über Bord zu werfen – verbringt Tim Zeit mit seiner Automatisierungssoftware, um den Titel zu bearbeiten und aufzupolieren, damit er besser klingt. Viel besser. Es stellt sich heraus: Der positive Unterschied ist eine gute Entschädigung für die zur richtigen Bearbeitung der Segmente aufgewendete Zeit.

Wer kann dann noch behaupten, dass Live-Segmente jemals besser sein werden als richtig bearbeitete und aufpolierte? Sie haben höchstens weniger Arbeit gemacht.
Tommy Ferraz wies mich auf seinen Artikel aus 2015 hin. Darin fragt er, warum das Radio „Linearität brechen muss“ – eine wunderbar präzise Formulierung, die viel besser aussagt, was ich meine.

Er schreibt:

„Radio sollte die Tatsache, dass Inhalte nicht mehr der Live-Übertragung untergeordnet werden müssen, in eine großartige Möglichkeit verwandeln, um Premium-Inhalte für ein hörenswerteres Radio zu produzieren: Die Sound kann besser produziert werden, der Schnitt kann sauber und präzise sein, das Tempo kann besser angepasst werden, die Gäste besser vorbereitet, die Moderatoren effektiver vorbereitet werden. Die gesamte Show könnte vorher sogar getestet werden. Warum produzieren Radioprofis immer noch die besten Inhalte vor allem für Live-Radio?“

Mir hat Tommys Artikel gefallen. Es ist auch wahr, dass die Vorproduktion Audio-Teilen auch für den Einsatz auf mehreren Plattformen von Vorteil ist, sowohl im Hinblick auf Personalisierung als auch auf Teilbarkeit im Netz.

Auch Peter Saxon sagt, dass ein Vergleich der Vorproduktion mit Vorgängen in einer Küche hilfreich sein kann:

„Kein Koch kocht alles von Grund auf neu, wenn ein Auftrag in die Küche kommt. Jede Zutat für jedes Gericht auf der Speisekarte, die im Voraus zubereitet werden kann, ist so beschaffen, dass sie schnell mit dem Rest der Mahlzeit vermischt, in die Pfanne geworfen und frisch, lebendig und lokal serviert werden kann. „

Schließlich habe ich nicht speziell über Voicetracking geschrieben – obwohl mir einige Kommentatoren das unterstellten. Einige schrieben mir sogar per Post, dass sie laut ihrer Arbeitserträge einige Shows für Stationen außerhalb des Sendegebiets voicetracken müssen ohne sie bezahlt zu bekommen.

Das ist ein zynisches Verhalten des Managements, denn es impliziert, dass aufgezeichnete Sendungen wertlos sind. Kein Wunder also, dass viele Voicetracked-Shows heruntergeleiert werden und gelangweilt klingen. Natürlich kann ich das nicht unterstützen.

Live-Radio ist immer noch toll. Aber das Vorproduzieren von Radiosendungen, einzelnen Komponenten oder sogar ganzen Shows ist noch lange kein Betrug. Unser Publikum hat Zugang zu so vielen großartigen und wunderschön produzierten Audio-Kleinoden. Das Polieren und Bearbeiten unserer Audiodateien kann aber nicht schaden.

Oder wir machen uns es einfach bequem, um ja niemanden zu stören.

 


James CridlandDer Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land. Kontakt: james@crid.land oder @jamescridland.