Große Kunst kennt keine Altersbeschränkung. In Medienländern, die eine tiefe Zuneigung zu ihren Radio-, TV- und Kinostars haben, spielen graue Haare und das Geburtsjahr keine Rolle. In Frankreich ist der absolute Radio-Superstar 77 Jahre alt und sein Vertrag wurde kürzlich bis 2010 verlängert.
Philippe Bouvard heißt der Mikrofon-Künstler. Er moderiert im RTL-Radioprogramm mitten in der besten Gegend von Paris – dort, wo die teuren Modegeschäfte liegen – aus einem Studio, das wie ein TV-Studio eingerichtet ist.
Bei der Sendung herrscht ein Andrang auf die Sitzplätze im RTL-Gebäude in der teuren Rue Bayard, als wäre Bouvard ein Hollywood-Star. Dabei sieht er aus wie ein freundlicher Bankdirektor einer vertrauenswürdigen Institution auf dem Lande. Wenn seine Sendung morgens beginnt, schalten mehr als sechs Millionen Hörer in ganz Frankreich die Radiogeräte ein, sogar auf Langwelle wird der freundliche Herr gehört. Das Format liegt irgendwo zwischen Talkshow, Spielshow, Quiz, Promi-Talk, Humor und eben guter Unterhaltung. „Grosses Têtes“, so der Name seiner Sendung, ist jedem Franzosen bekannt, denn das Kulturland Frankreich kennt nicht den verhungerten und armseligen Kommunikationszustand im Radiobereich, den wir euphemistisch „föderal“ nennen, was aber eher dem deutschen Zollverein vor zig Jahren ähnelt.
Wer Radiogrößen haben will, muss national senden. Monsieur Bouvard wurde allerdings auch mal schlecht von RTL behandelt. Im allgemeinen Jugendwahn wurde er nach Hause geschickt. Ein Aufstand der Radiomassen war die Folge und der nette Bankdirektor konnte weiter moderieren und wird von Alt und Jung geliebt. Also bleibt es Deutschland vorbehalten, dem Medien-Unsinn zu frönen, dass älter werdende Herrschaften keine Massen bringen. Hallo Herr Fliege, hallo Herr Schautzer – rufen Sie doch mal in den Staatskanzleien an und sagen Sie denen, dass Deutschland endlich vier, fünf oder besser noch neun nationale Radioprogramme braucht, damit wir echte Radiostars bekommen und sogar Bankdirektoren moderieren dürfen.
Bernt von zur Mühlen arbeitet als Medienberater in Luxemburg. E-Mail: bvzm@bvzm.net
Dieser Beitrag ist im Rahmen des täglichen Tagebuchs von Bernt von zur Mühlen im Medienboten am 02. Mai 2007 erschienen und wird mit freundlicher Genehmigung des Medienbote Verlags auf RADIOSZENE veröffentlicht.
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