Privilegienstadl: Geiz ist Geil

Bitter Lemmer

Der Presseausweis darf nur für berufliche Zwecke eingesetzt werden. So steht es auf der Webseite des nordrhein-westfälischen Journalistenverbandes. Billig einkaufen ist kein dienstlicher Zweck. Allerdings dürfte das der Hauptzweck sein, für den Presseausweise in der Praxis verwendet werden. Das wissen (ahnen) auch die ausstellenden Verbände. Aber wie das so ist in Deutschland – mit jesuitischer Logik läßt sich alles irgendwie auf korrekt hindrehen. Vor allem, wenn es darum geht, Privilegien nicht wie Privilegien aussehen zu lassen.

Ein Geheimnis macht schon lange mehr niemand daraus. Es gibt Internetseiten, auf denen voller Stolz Presserabatte bei hunderten Firmen gelistet sind. Neben den Tipps diskutieren Presserabattbezieher, wie zufrieden sie mit der VIP-Behandlung im Thailand-Urlaub waren oder wie unzufrieden sie mit der Firma XY sind, die es doch glatt wagte, auf den Normalrabatt nichts mehr draufzuschlagen. Wie es scheint, sind die Nehmerqualitäten bei Journalisten ebenso ausgeprägt wie bei Parlamentariern, die von Lobbyvereinen mit saftigen Honoraren für Lobbyarbeit entlohnt werden.

Nicht nur, daß da kein Geheimnis draus gemacht wird. Der Betreiber von www.pressekonditionen.de, der Computerjournalist Sebastian Brinkmann, schreibt ganz offen, welche Motive die Firmen dazu treiben mögen, den erlauchten Berichterstattern Sonderrabatte einzuräumen. „Weil sie damit eine interessante Zielgruppe von Meinungsbildnern ansprechen und für die eigenen Produkte interessieren wollen.“ Und weiter: „Bei kleinen Firmen habe ich auch den Eindruck, dass sie durch eine Nennung bei Pressekonditionen.de schlicht günstig Werbung für ihr Unternehmen machen wollen.“

Schlimm findet Brinkmann das nicht. Denn: „Die Presserabatte an sich sind aus meiner Sicht weniger das Problem, wenn sie denn – wie bei uns geschehen – öffentlich gemacht werden.“ Frechheit siegt: Wer sich öffentlich korrumpieren läßt und dazu steht, ist plötzlich einer von den Guten.

Damit die Firmen auch sicher gehen können, ihre Rabatte nicht an bedeutungslose Nobodys zu verschleudern, verlangen sie als Nachweis der journalistischen Tätigkeit die Vorlage eines Presseausweises. Presseausweise werden nicht vom Staat ausgegeben, sondern von den Journalistengewerkschaften und den Verlegerverbänden. Die Berufsverbände legen darauf auch großen Wert. Sie befürchten, daß die Berichterstattung sonst in Abhängigkeit von staatlichen Stellen geraten könne. Eigentlich ist der Presseausweis dazu da, journalistische Recherche zu erleichtern, wenn z.B. ein Reporter eine Polizeisperre passieren möchte.

Mal Hand aufs Herz: Wer von Euch kann sich erinnern, seinen Presseausweis zuletzt dienstlich verwendet zu haben? Die Praxis zeigt, daß die offizielle Argumentation nichts als hohles Pathos ist.

Jetzt ist es nicht so, daß die Verbände nicht wissen, was läuft. Kajo Döhring, der Geschäftsführer des DJV in NRW, räumt auf Nachfrage ein, er habe auch schon davon gehört, daß dieses quasi-amtliche Papier gern als Shopping-Karte verwendet wird. Er legt aber Wert darauf, die Sache nicht etwa als Mißbrauch des Presseausweises zu werten. Der Presseausweis, so Döhring, sei ja nur dazu da, den Status des Inhabers als hauptberuflicher Journalist zu dokumentieren. Wenn jetzt eine Pressestelle für Journalisten einen besonderen Rabatt biete, so sei das keine Sache, die den Presseausweis und die ausstellenden Verbände betreffe. Gebe es keinen Presseausweis, würden sich andere Wege finden, die Firmen und die Journalisten einträglich zusammenzubringen.

Warum er dann den eingangs erwähnten Satz auf seine Webseite schreibt, nach dem Presseausweise nur dienstlich verwendet werden dürfen? Antwort: Um erzieherisch auf die Kollegen einzuwirken. Ob die Verwendung als Einkaufskarte mit irgendwelchen Sanktionen verbunden sei? Antwort (verkürzt wiedergegeben): Nein.

Und die Kollegen? Die häufigste Anmerkung, die ich zu diesem Thema höre, ist die: Nur, weil ich mal irgendwo billiger einkaufe, werde ich noch lange nicht zum Hofberichterstatter.

Tatsächlich? Ich frage mich seit langem, warum Journalisten quer durch alle Medien immer zahnloser werden.

Die Art der Korruption, die in unseren eigenen Reihen stattfindet, ist hinterfotzig: Sehr subtil, kaum sichtbar. Sie besteht in erster Linie darin, daß wir unser Selbstverständnis verändern. Die Distanz zur Macht nimmt ab (egal, ob politische oder wirtschaftliche Macht), die Distanz zu Hörern und Nicht-Privilegierten nimmt zu. So, wie eine Sabine Christiansen nicht mehr journalistisch für ihre Zuschauer tätig ist, sondern als Gesellschaftsdame eines öffentlichen Salons mit den immer gleichen lieben Gästen.

Wie ernst diese Sendung zu nehmen ist, zeigt sich im Abspann: Da erscheint der Name Ihres Herrn Frisörs gleichberechtigt mit den Namen ihrer Redakteure. Der womöglich ehrlichste Augenblick im deutschen Funkjournalismus.


Lemmer

Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de