Bitter Lemmer: Digitalradio X.0

Bitter Lemmer

Im Autoradio läuft ein Song, der gefällt. Hörer drückt  die „iTunes“- Taste des Autoradios. Alles weitere – Kauf des Liedes und Herunterladen aus dem Netz – passiert automatisch. In allen großen Märkten in den USA ist das keine Zukunftsvision mehr, sondern Realität. Es funktioniert bei Sendern, die ihre Programme nicht traditionell analog, sondern nach dem digitalen Standard „HD Radio“ ausstrahlen.

In Deutschland ist digitales Radio dagegen eher ein Trauerspiel. Auf Betreiben der Medienpolitiker aller Parteien mühen sich ARD, Privatsender und Medienbehörden seit den 80er Jahren, den technischen Standard DAB beim Hörervolk populär zu machen. Allein aus Rundfunkgebühren flossen bisher 180 Millionen Euro. Die Summen, die die Bundesländer aus Steuermitteln für den Ausbau der Sender- Infrastruktur ausgaben, sind kaum zu ermitteln und betragen mehrere hundert Millionen. Auch die Privatradios steckten Millionen in digitale Programme, zogen sich bis auf Ausnahmen allerdings wieder zurück, obwohl das digitale Sendernetz bundesweit ausgebaut ist und fast flächendeckenden Empfang ermöglicht. Eigentlich sollte DAB das bisherige analoge UKW-Radio ablösen. Im Mediengesetz von Sachsen- Anhalt ist sogar festgeschrieben, dass UKW dort am 1. Januar 2010 abgeschaltet werden soll.

Dazu wird es aber nicht kommen. Die Landesregierung in Magdeburg arbeitet derzeit an einer Novelle des Gesetzes und reagiert damit auf den hartnäckigen Widerstand der Hörer, die ja gleichzeitig auch Wähler sind. Trotz aller Mühen und der Drohung, demnächst nur noch Rauschen zu empfangen, weigern die sich bis heute, DAB-taugliche Radioempfänger zu kaufen und auf Digitalprogramme umzuschalten. Die wenigen Technikverliebten, die zu Hause einen DAB-Empfänger betreiben, dürften ohnehin enttäuscht sein, weil DAB in geschlossenen Räumen nicht oder nur mit Störungen empfangbar ist. Die Signale sind schlicht zu schwach. Es dauerte einige Jahre, bis dieser peinliche Umstand bei den Betreibern bemerkt wurde. Auch die Klangqualität von DAB ist nur geringfügig besser als die von UKW. Die Auswahl an digitalen Programmen ist regional unterschiedlich, allerdings durchweg geringer als die ohnehin beschränkte Vielfalt auf den traditionellen UKW-Wellen.

Warum also den UKW-Empfänger ausmustern und auf DAB umschalten?
Politik und Medienbehörden versuchen derzeit, die Weiterentwicklung „DAB plus“ als Fortschritt zu verkaufen. „Alle öffentlich-rechtlichen und privaten Anbieter haben sich auf DAB plus geeinigt“, heißt es etwa in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei. Dank neu koordinierter Frequenzen seien stärkere Sendeleistungen und damit auch der Empfang in geschlossenen Räumen möglich. Programmveranstalter hätten die Möglichkeit, mehrere Programme anzubieten und auf den Mini- Bildschirmen der Empfänger Textmeldungen einzublenden. Diese Möglichkeiten bot freilich auch schon das alte DAB, ohne, dass es jemand vermisst hätte. Das neue DAB plus bietet allerdings die Chance, das mit Steuer- und Gebührenmillionen aufgebaute Sendernetz weiter zu nutzen. Dafür gäbe es sonst keinen plausiblen Verwendungszweck mehr.
Entscheidend wird wohl sein, ob sich genügend Sender finden, die – anders als bei DAB alt – attraktive zusätzliche Programme produzieren.

Möglicherweise verheben sich die Medien-Autoritäten aber auch an DAB plus. Die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs“ (KEF), die die Höhe der Rundfunkgebühren überprüft und den Ländern diese Woche eine Erhöhung auf monatlich 17,98 Euro empfahl, hat die Mittel für Digitalprogramme massiv gekürzt. Die ARD hatte sich für die Jahre 2009 und 2010 rekordverdächtige 190 Millionen Euro gewünscht. Die strich die KEF auf 22,5 Millionen zusammen. Freilich war dieses Geld für das abgehalfterte alte DAB-Format gedacht. Dass die KEF dafür überhaupt noch Geld bewilligte, begründete ihr Geschäftsführer Horst Wegener gegenüber dieser Redaktion etwas verschämt mit dem Hinweis, man wolle die Frustration der bisherigen DAB-Hörer wenigstens begrenzen und dazu beitragen, dass die wenigen noch ausgestrahlten Programme nicht sofort eingestellt werden. Offen ist, ob die Landesparlamente der KEF folgen werden. Lobby und Politker protestierten bereits gegen die Kürzungsvorschläge. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) meinte, die Digitalisierung des Hörfunks sei überfällig – und setzt „Digitalisierung“ mit dem von ihm unterstützten DAB plus gleich.

Ob er das durchhalten kann, ist fraglich, denn die DAB-Konkurrenz rüstet jetzt auf. Dank des großen Heimatmarktes USA ist die Firma iBiquity mit Sitz in Washington der derzeit wohl stärkste Anbieter einer Alternative. iBiquity hat den Standard HD-Radio entwickelt und kündigt an, seine Lobby-Tätigkeit in Europa massiv zu verstärken. „Wir werden die EU-Kommission um Unterstützung bitten“, sagte ihr Geschäftsführer Bob Struble. Einen ersten Test mit HD-Radio hat die baden-württembergische Medienanstalt dem Sender Radio Regenbogen bewilligt. Neben der iTunes-Taste hat HD-Radio den Vorteil, dass es auf den traditionellen Frequenzbändern UKW und Mittelwelle ausgestrahlt wird. Das erleichtert den Umstieg auf die digitale Technik. In den USA senden bisher fast 1600 von insgesamt 13000 Radiostationen nach HD-Radio-Standard. Das Angebot an Empfangsgeräten ist mittlerweile vielfältig und umfasst die gesamte Palette mit Küchenradio, Hifi-Empfänger für die Stereoanlage oder Autoradio.
Unterstützt wird HD Radio z.B. von Ford und BMW.

Aber auch in Europa rüstet sich die DAB-Konkurrenz. In Luxemburg versucht die RTL-Tochter „Broadcasting Center Europe“ (BCE) die Digitalisierung der Mittelwelle voranzutreiben. Der Vorteil für die Veranstalter liegt auf der Hand: Mit einer einzelnen Frequenz kann ein großes Sendegebiet erreicht werden. Der technische Standard dazu nennt sich DRM und ist derzeit ein echter Exot. Neben dem Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur erprobt nur der Berliner Sender „Oldiestar“ das DRM-Format mit einer Testlizenz der Medienanstalt Sachsen-Anhalt. Auf der Mittelwelle 1575 Kilohertz ist das Musikprogramm in ganz Ostdeutschland in CD-Qualität empfangbar – jedenfalls theoretisch, denn DRM-Empfänger gibt es bisher praktisch gar nicht. Die luxemburger BCE hat darum Kontakte zu Herstellern geknüpft und arbeitet an Radioempfängern, die gleichzeitig analoge und digitale Programme empfangen können. Mit solchen Empfängern wäre auch das Problem des Übergangs von der analogen zur digitalen Radiowelt gelöst.

Dass DAB als grandiose Investitionruine enden könnte, schwant mittlerweile wohl auch den Staatskanzleien. „Das Rennen ist wieder offen“, heißt es in Mainz. Und auf Referentenebene in Magdeburg wird neuerdings betont, man wolle jetzt „auf den Markt hören“. Dazu gehört, dass alle Zeitpläne für einen Umstieg auf digitales Radio nicht mehr gelten. „Auch 2015 wird Radio hauptsächlich über UKW verbreitet“, prophezeien diejenigen, die gerade Gesetze und Verordnungen umschreiben müssen. Bisher galt ihnen 2015 als das Jahr, in dem sich UKW spätestens bundesweit verabschieden sollte.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

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