“Raus aus der Depression“ stürmt die Podcast-Charts

Podcastcover bzw. Foto Harald Schmidt & Prof. Ulrich Hegerl: © NDR Foto: Foto Harald Schmidt: Marcus Simaitis / Foto Prof. Ulrich Hegerl: Martin JehnichenDer Norddeutsche Rundfunk hat mit dem Podcast Das Coronavirus-Update während der Corona-Pandemie neue Maßstäbe gesetzt und gezeigt, dass „das Bedürfnis nach wissenschaftlich fundierter Information sehr groß ist“. An das Feedback anknüpfend plant der Sender auch künftig große gesellschaftliche Themen mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu vertiefen. Der Podcast hat sich hierfür als perfektes Medium bewährt. In Kooperation mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat NDR Info nun den Wissenschafts-Podcast „Raus aus der Depression“ an den Start gebracht. Als Experte spricht hier Professor Ulrich Hegerl über Ursachen, Auslöser und Behandlungen der Krankheit. Als Moderator konnte Entertainer Harald Schmidt als langjähriger Schirmherr der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gewonnen werden.

Depressionen sind eigenständige, schwere Erkrankungen und mehr als eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Jeder fünfte Bundesbürger erkrankt ein Mal im Leben an einer Depression. Im Podcast sollen wissenschaftlich fundierte Informationen über die Erkrankung und ihre Behandlung aufgezeigt werden.


RADIOSZENE Mitarbeiter Michael Schmich sprach zum Podcast mit Prof. Dr. Ulrich Hegerl. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und hat die Johann Christian Senckenberg Distinguished Professorship (kurz: Senckenberg-Professur) an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt inne. Für den Norddeutschen Rundfunk antwortete Dr. Johanna Leuschen, Leiterin NDR Audiolab THINK AUDIO.

 

„Ein über das Smartphone abrufbarer Podcast kann helfen, sich gänzlich frei von Umfeld, Zeit oder Ort zu informieren und Missverständnisse und Ängste abzubauen“

 

RADIOSZENE: Der Audiobeitrag Ihrer Stiftung ist seit einigen Tagen verfügbar. Mit welcher Intention haben Sie „Raus aus der Depression“ als Podcast in Zusammenspiel mit NDR Info veröffentlicht?

Prof. Ulrich Hegerl (Bild: ©NDR/Martin Jehnichen)
Prof. Ulrich Hegerl (Bild: ©NDR/Martin Jehnichen)

Prof. Dr. Ulrich Hegerl: Eine der Hauptaufgaben unserer Stiftung ist die Aufklärungsarbeit zur Erkrankung Depression. Was sind die Symptome, welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es, welcher Arzt ist zuständig? Depressionen sind mehr als Reaktionen auf schwierige Lebensumstände. Sie sind ernsthafte, das Gehirn betreffende Erkrankungen, die jeden mit einer entsprechenden Veranlagung treffen können. Oft wird viel Zeit verloren, bis professionelle Hilfe gesucht wird.  Ein über das Smartphone abrufbarer Podcast kann hier helfen, sich gänzlich frei von Umfeld, Zeit oder Ort zu informieren und Missverständnisse und Ängste abzubauen. Ein solches Audio-Format erreicht gerade auch die jüngere, internetaffine Zielgruppe, begleitet unkompliziert bei parallelen Tätigkeiten und stellt gleichzeitig Nähe und Glaubwürdigkeit her. Aufgrund der Corona-Hygienemaßnahmen konnten wir über unseren Kooperationspartner NDR Info eine technische Aufnahmelösung via App finden, die es ermöglichte, auch die Interviewgäste ohne Anfahrt zuzuschalten. Dies war für unser Thema auch in dem Sinne förderlich, dass wir bequem vom Lieblingsort direkt eine gute und offene Gesprächsatmosphäre schaffen konnten. Gefreut haben wir uns natürlich, dass wir mit dieser Umsetzungsidee auch unseren viel beschäftigten Schirmherrn Harald Schmidt für die Moderation gewinnen konnten.

RADIOSZENE: Depressionen werden oft noch immer nicht überall als ernstzunehmende Krankheit wahrgenommen, teils sogar verniedlicht. Wie verbreitet sind Depressionen innerhalb der deutschen Bevölkerung?

Prof. Hegerl: Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Insgesamt sind im Laufe eines Jahres 8,2 % der deutschen Bevölkerung erkrankt. Das entspricht 5,3 Mio. Bundesbürgern. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen – und dies gilt nicht nur für Betroffene und Angehörige sondern auch für unerfahrene Ärzte – sieht Depression vor allem als Folge von Schicksalsschlägen, Überforderungen, körperlicher Beschwerden und anderer negativer Lebensumstände an. Das führt dazu, dass Betroffene die Depression als persönliche Schwäche und als Unvermögen auffassen, mit den Belastungen des Lebens umzugehen. Das ist eine Form der Selbststigmatisierung. Depression ist jedoch eine ziemlich eigenständige Erkrankung und der Einfluss äußerer Faktoren wird deutlich überschätzt. Entscheidend ist die Veranlagung, die vererbt, aber auch durch Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen in der Kindheit erworben sein kann.

RADIOSZENE: Hat Corona bei der Ausbreitung der Krankheit zuletzt nicht wie ein Brandbeschleuniger gewirkt?

Prof. Hegerl: Die Sorge, dass wir jetzt eine Epidemie an Depressionen kriegen wegen Corona beziehungsweise wegen der Maßnahmen, sehe ich nicht. Was aber dramatisch ist, sind die Auswirkungen auf diejenigen, die bereits Depressionen haben. Für Menschen mit depressiven Erkrankungen waren die Maßnahmen gegen Corona besonders nachteilig. Die Menschen zogen sich vermehrt ins Bett zurück, was den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen kann. Schlafentzug ist ja eine in manchen Kliniken angebotene wirksame Behandlung. Viele bewegten sich weniger. Das ist auch negativ, denn Sport ist ja eine unterstützende Maßnahme bei der Depressionsbehandlung. Die Tagesstruktur fällt den Menschen schwer, sie haben zu viel Zeit zum Grübeln. Alles das wirkt sich ungünstig auf den Krankheitsverlauf aus. Hinzu kommt, dass die Betroffenen in Befragungen von uns darüber berichtet haben, dass sich ihre medizinische Versorgung seit Beginn der Pandemie deutlich verschlechtert hat. Durch die Maßnahmen gegen Corona sind Ressourcen abgezogen worden, ganz normale Behandlungen und Selbsthilfegruppen fallen aus und viele waren so verängstigt, dass sie von sich aus Behandlungstermine abgesagt haben. 

 

„An Depression erkrankte Menschen haben keine wirkliche Lobby in unsere Gesellschaft“

 

RADIOSZENE: Der ehemalige Late-Night-Talker Harald Schmidt ist seit bereits einem Jahrzehnt Schirmherr der Stiftung. Welche Aufgaben übernimmt er, wie bringt er sich ein?

Prof. Hegerl: Harald Schmidt hat sich beim letzten Patientenkongress selbst als „die Greta für die Depression“ bezeichnet. Soll heißen: Er sorgt für die nötige mediale Aufmerksamkeit für die Erkrankung und die Erkrankten. Denn an Depression erkrankte Menschen haben keine wirkliche Lobby in unsere Gesellschaft. So moderiert er zum Beispiel den alle zwei Jahre stattfindenden Deutschen Patientenkongress Depression für Betroffene und Angehörige und ist Vorsitzender unserer Medienpreis-Jury. Er steht uns für Interviews, Moderationen und Veranstaltungen zur Verfügung. Und er verleiht unseren Botschaften und Hilfsangeboten in unserem Radiospot, auf Anzeigen und Plakaten Stimme und Gesicht. Beim Podcast war Harald Schmidt von Anfang an eingebunden – von der Konzeption, der Ideenfindung bis zum Fein-Tuning der Probeaufnahmen hat er sich dankenswerterweise persönlich Zeit genommen. Von seiner großen Medien-Erfahrung hat das Endergebnis enorm profitiert. Und es war Freude und Motivation zugleich, mit ihm dies im Team zu erarbeiten.

RADIOSZENE: In der ersten Folge erleben wir einen sehr empathisch wirkenden und gut auf das Thema vorbereiteten Harald Schmidt. Welche Wirkung erzeugt der – eher als lockerer Entertainer und Comedian bekannte – Schirmherr Ihrer Stiftung bei den Betroffenen?

Prof. Hegerl: Wer ihn einmal zum Beispiel beim Patientenkongress erlebt hat, weiß: der große Entertainer Harald Schmidt ist ernsthaft am Thema interessiert. Er fragt in den Gesprächen mit Betroffenen nach, er will mehr dazu wissen. Er führt nie vor, aber er packt auch nicht in Watte. Durch diesen Spagat schafft er eine heitere Atmosphäre für ein schweres Thema. Die Betroffenen sind ihm unglaublich dankbar dafür, dass er sich für sie einsetzt, obwohl er keine eigene Krankheitsgeschichte damit verbindet. Er ist vor Ort ansprechbar – und am Abend halbblind vom Blitzlicht der vielen „Selfies“. Wer mit der Erkrankung noch nichts zu tun hatte, den überrascht oft, dass ein Entertainer und Comedian für die Depressionshilfe trommelt. Sie hören dann besonders neugierig hin, was er dazu wohl zu sagen hat. Und lernen eine neue Facette von Harald Schmidt kennen. 

RADIOSZENE: Mit welchem Konzept gehen Sie mit „Raus aus der Depression“ an die Öffentlichkeit?

Dr. Johanna Leuschen: Seit Corona hat das Thema „Psychische Gesundheit“ einen höheren Stellenwert erhalten. Das Bedürfnis nach wissenschaftlich fundierter Information zu diesem Thema ist gewachsen. Der NDR Info Podcast „Das Coronavirus-Update“ mit mehr als 111 Millionen Abrufen hat uns gezeigt, dass das Bedürfnis nach wissenschaftlich fundierter Information sehr groß ist. An das Feedback unserer Hörerinnen und Hörer wollen wir anknüpfen und mit renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch künftig große gesellschaftliche Themen vertiefen. Professor Ulrich Hegerl setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Erforschung und Aufklärung von Depression ein – wir freuen uns, dass wir ihn gemeinsam mit Harald Schmidt für dieses Projekt gewinnen konnten.

Dr. Johanna Leuschen (Leiterin NDR Audiolab THINK AUDIO) (Bild: Privat)
Dr. Johanna Leuschen (Leiterin NDR Audiolab THINK AUDIO) (Bild: Privat)

Das Podcast-Format ist gemeinsam von NDR Info, THINK AUDIO – dem Audiolab des NDR – und der Stiftung Deutsche Depressionshilfe entwickelt worden. Der NDR hat mit den Hörfunkwellen und dem Audiolab große Expertise im Bereich Formatentwicklung und -produktion und hat so erfolgreiche Formate wie „Das Coronavirus-Update“, „Cui Bono“ oder den Bücherpodcast „eat.READ.sleep“ kreiert. Redaktion und technische Produktion liegen bei NDR Info. In „Raus aus der Depression“ spricht Gastgeber Harald Schmidt pro Folge mit eine*r Betroffenen, an seiner Seite ist Prof. Hegerl, der die wissenschaftliche Einordnung liefert und zudem Fragen der Hörerinnen und Hörer beantwortet. Die persönlichen Fallgeschichten der Gäste mit ihrer Depressionserkrankung machen Mut, sich professionelle Hilfe zu suchen und zeigen Wege auf. Die Redaktion hat Nils Kinkel von NDR Info, für die Formatentwicklung war Dr. Johanna Leuschen von THINK AUDIO mit im Team.

RADIOSZENE: Für die ersten Ausgaben haben Sie reichlich Applaus erhalten. Die medizinische Fachwelt spricht von einem „rundum gelungenes Format, was vielen Menschen eine erste Hilfestellung bieten kann.“. Wie sehen die Zugriffszahlen aus? 

Dr. Leuschen: Ja, wir haben uns über den wirklich guten Start und das positive Feedback sehr gefreut. Wir waren an Tag 2 in den Apple Podcast-Charts auf Rang 4 geklettert und sind dort momentan (Stand 8.7.) Platz 1 der Top Podcasts in der Rubrik „Gesundheit und Fitness“.

 

„Wir sehen großes Potenzial in Podcasts als nonlineares, digitales Medium, auch um neue Zielgruppen zu erschließen“

 

RADIOSZENE: Auf welche zeitliche Ebene ist das Projekt angelegt?

Dr. Leuschen: Zunächst haben wir eine Staffel mit sieben Folgen geplant, die immer dienstags veröffentlicht werden. Wer keine Folgen verpassen mag, kann das Format zum Beispiel in der ARD Audiothek abonnieren und wird über neue Folgen benachrichtigt. Nach dem Start mit Podcaster Lars Tönsfeuerborn und der Schriftstellerin und Biologin Jasmin Schreiber sprechen Harald Schmidt und Prof. Dr. Ulrich Hegerl mit Autor, Coach und Unternehmensberater Walter Kohl, dem Journalisten Benjamin Maack sowie Moderatorin, Autorin und Influencerin Victoria Müller. Themen der kommenden Folgen sind zum Beispiel Depression und Partnerschaft oder die Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit. Gegebenenfalls wird es auch eine zweite Staffel geben. Also gern reinhören in den Podcast: Er ist kostenfrei und kann in der ARD Audiothek, der Audio-App der ARD, und auf ndr.de gehört abonniert werden. Hier reinhören und unter  www.NDR.de/rausausderdepression

RADIOSZENE: Medialer Partner ist der Radiosender NDR Info, der mit „Das Coronavirus-Update“ mit Prof. Christian Drosten und Prof. Sandra Ciesek einen überwältigenden Erfolghat.  In welcher Form hilft der Sender damit der Bekanntheit dieses Podcasts beziehungsweise dem gesamten Medium?

Dr. Leuschen: Mit mehr als 111 Mio. Abrufen (Stand Juni 2021) hat „Das Coronavirus-Update“ definitiv große Aufmerksamkeit für das Medium Podcast geschaffen und sicherlich auch viele neue Hörerinnen und Hörer gewonnen, die vorher nicht mit Podcasts in Berührung gekommen waren. Manche sprechen gar davon, dass dieser Podcast der „Serial-Moment“ Deutschlands sei: Serial war vor ein paar Jahren die amerikanische Serie, die den „Podcast-Stein“ in den USA ins Rollen gebracht hat. Wir sehen großes Potenzial in Podcasts als nonlineares, digitales Medium, auch um neue Zielgruppen zu erschließen. Seit Dezember gibt es den neuen Programmbereich Audio Strategie, zu dem das Audiolab THINK AUDIO gehört, das die Formatentwicklung und -produktion neuer Podcastformate im NDR vorantreibt. Der NDR wird in diesem Jahr neben „Raus aus der Depression“ noch einige Highlights veröffentlichen.