Holger Richter startet Musikplattform perfect-radio.com

Der ehemalige Direktor von RTL RADIO Luxemburg macht wieder Radio. Holger Richter startet eine Reihe von Webradios von seinem Domizil auf Mallorca.Holger Richter startet Countrysender perfect-newcountry.comSein erstes Programm, das bereits online ist, ist ein Countrysender. Unter der Dachmarke Perfect-Radio.com ist ab jetzt „Perfect New Country“ zu hören. Laut Homepage „speziell ausgewählte New Country Songs der Stars aus USA, Kanada, Australien und Europa garniert mit dem legendären Country Rock und Folkrock der 70er bis 90er.“

RADIOSZENE fragte den langjährigen Radiomacher über die Hintergründe seines neuen Projekts.


RADIOSZENE: Was hat Dich dazu bewogen, in der heutigen Streaming-Ära neue Webradios für Musik zu starten. Gibt es solche Playlists nicht auch bei Spotify?

Holger Richter (Bild: ©Perfect-Radio.com)
Holger Richter (Bild: ©Perfect-Radio.com)

Holger Richter: Natürlich gibt es Playlists bei den Streaminganbietern und wenn man sich damit zufrieden gibt, ist das auch völlig ok. Wenn ich bei einem Streamingdienst bin, muss ich jedoch entweder existierende Playlists nutzen und alles rauswerfen, was mir nicht gefällt, oder ich setze mich stundenlang, tagelang und wochenlang hin und baue mir selber was zusammen. Doch Playlists sind immer noch kein Radioprogramm.

Und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen fehlt der Überraschungseffekt (…ich weiss, alle Researcher zucken gerade zusammen!), dann gibt es keine Dynamik im Ablauf, weil die Songs in der Regel 1:1 von der Quelle im System landen. Soll heissen, ich muss mir endlose Intros und Outos reinziehen (Black Or White von Michael Jacksen hat z.B. bei Spotify ein Intro von über 50! Sekunden Geräuschkulisse), dann erlebt man gerade bei alten Songs extreme Qualitätsunterschiede und und und. Außerdem beschäftigen sich bei diesen Anbietern ganze Kohorten von meist jungen Editoren damit, Songs zu etikettieren. Da landet dann gerne mal z.B. beim „Simple Minds Radio“ sowas wie Duran Duran mit The Reflex in der Playlist. Für mich ist das akustische Belästigung ;-). Meine Zielgruppe sind Hörer, die einfach nur etwas einschalten möchten, was ihnen dauerhaft gefällt. Also Menschen, die in ihrem Alltag Wichtigeres zu tun haben als sich stundenlang mit ihrer Beschallung zu beschäftigen.

RADIOSZENE: Welche Zielgruppen hast Du denn mit Deinem Angebot genau im Visier?

Holger Richter: Da Streamingdienste immer noch mehrheitlich von Menschen unter 40 genutzt werden, liegt meine Zielgruppe bei den über 40-jährigen. Dank der festgefahrenen Zielgruppenstruktur von 14-49 in Deutschland sehe ich auch, dass die Zahl derer, die sich beim „normalen UKW Radio“ musikalisch nicht mehr versorgt sehen, immer grösser wird.

RADIOSZENE: Was hast Du eigentlich nach Deiner Zeit als Programmchef von RTL Radio in Luxemburg in den letzten 5 Jahren gemacht?

Holger Richter: Ich glaube, ich hab in meinem ganzen Leben noch nie soviel gearbeitet, wie in den letzten fünf Jahren… und ich habe immer viel gearbeitet! Allein die Sanierung und Renovierung unserer Finca hier nahe Palma hat rund zweieinhalb Jahre gedauert. Da war ich reiner Bauarbeiter und Landschaftsgärtner und bin abends in einen komatösen Tiefschlaf gefallen. Danach hab ich zaghaft angefangen, meine Plattensammlung zu digitalisieren. Ich hatte soviel Vinyl, dass ich nicht mehr durchgeblickt habe. Damit bin ich dieses Jahr im Juni fertig geworden. Zwischenzeitlich hatte mich dank der Beschäftigung mit den Platten auch wieder das alte Radiofieber gepackt. Daniel Vulic vom Inselradio hat mir dann eine Sendung am Sonntagabend bei seinem Sender angeboten, in der ich mich wie in alten Tagen so richtig austoben konnte. Das hat riesigen Spaß gemacht und fast ein Jahr gedauert. Ich wurde dann aber leider Opfer meiner eigenen inhaltlichen Ansprüche und musste letztlich soviel Vorbereitungszeit pro Sendung aufbringen, dass es irgenwann einfach zuviel wurde. War aber toll! Danke, Daniel, nochmal dafür! Ich hatte schliesslich 22 Jahre nicht mehr moderiert.

RADIOSZENE: Wenn Du auf Deine langjährige Radio-Karriere (Gong Würzburg, OK Radio Hamburg, ENERGY Berlin, Hundert,6) zurückblickst: was war für Dich die beste Zeit, woran hast Du die schönsten Erinnerungen?

Holger Richter: Der Rückblick ist bekanntlich meistens positiv. Jeder Sender war so eine ganz eigene Erfahrung. Radio Gong war natürlich der Hammer. Ich hatte ja nur Ahnung als Rock-DJ und so gar keinen Schimmer vom Radio. Wir fühlten uns damals wie die Kings;-) Ich werde auch nie die Ansage meines damaligen Chefs bei der Vertragsunterzeichnung vergessen. Er schaute auf meine zerrissene Lederjacke, dann auf meine langen Haare, auf meinen 3-Tage Bart und meinte schliesslich trocken: „also eins sag ich Ihnen, dies ist kein Ort für linke Sprüche“.

OK RADIO war auch überwiegend klasse. Leider gab es dort am Anfang erhebliche Streitigkeiten zwischen Anbietergesellschaft und Betreiber. Der Sender arbeitete ja nach dem sog. 2-Säulen-Modell. Das ging soweit, dass sogar Lizenzentzug durch die Medienanstalt HAM drohte. Das hing damals in den ersten 2 Jahren als ziemlich dunkler Schatten über uns allen. Als Frank Otto dann den Sender ganz übernahm, wurde es zunächst deutlich besser und dann mit dem Start unseres Top 40 Programms richtig spektakulär. Das schlug damals in Hamburg nämlich ein, wie eine Bombe. Das war schon krass.

NRJ war wieder ganz anders. Politisch ebenfalls brisant. Es gab zwei Geschäftsführer. Einen deutschen und einen französischen. Vom Letzteren wurde ich an meinem ersten Tag als Musikchef und Morning Show Moderator mit den Worten begrüsst: „Herr Richter, sie mögen ein netter Mensch sein, aber ich werde alles daran setzten, dass sie hier so schnell wie möglich wieder verschwinden“. Da kam richtig Freude auf. Toll war dann natürlich unsere ENERGY-Morningshow. Zuerst ich zusammen mit Jochen Trus, der damals gerade vom Praktikanten zum freien Mitarbeiter aufgestiegen war, und als der dann von Arno Müller „weggekauft“ wurde ich mit Ina Tenz und Martin Wehrmann. Das war eine echt schöne Zeit. Radio Hundert,6 war dann nochmal ganz anders. Das war für mich kein Radiosender, sondern eine Behörde mit politischer Botschaft. Ich hab denen damals die Researchabteilung aufgebaut und war verantwortlich für das Musikprogramm von 98,2 JFK.

RTL Gebäude in Luxemburg (Bild: Köring/RADIOSZENE)
RTL Gebäude in Luxemburg (Bild: Köring/RADIOSZENE)

Nach einem Jahr hab ich es aber nicht mehr ausgehalten und hab dankbar das RTL RADIO Angebot aus Luxemburg angenommen. Und dort war es dann nochmal ganz anders. Der Sender war eine Abteilung von CLT-UFA und 1995 bereits seit einigen Jahren in dem Bürogebäude auf dem Kirchberg untergebracht. Und so war auch die Stimmung. Büromässig! Da gab es weit und breit keinen Radiospirit. Ich konnte das zwar etwas ändern in all den Jahren, aber es war radio-atmosphärisch immer irgendwie lau. Als ich 2000 schließlich Direktor wurde, stand im Grunde für mich die Konzernpolitik am Standort im Vordergrund, das Budget und alles, was sonst so beim Radiomachen nicht wirklich Spass macht. Highlight war da noch die Entwicklung von DRM (Digitalisierung der Mittel-, Lang- und Kurzwelle), das Projekt wurde dann leider von Gerhard Zeiler aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen eingestampft. Als dann unser UKW Regionalprogramm auch noch aus politischen Gründen kleingehalten wurde, hatte ich endgültig keine Lust mehr. Aber immerhin habe ich es 14 Jahre in der Direktoren-Position ausgehalten. Im Sommer 2014 wollte ich aber endlich weg. Lange Rede kurzer Sinn: es waren tolle 31 Jahre. Und jetzt wird es nochmal wieder ganz anders…

RADIOSZENE: Du hast vor kurzem die neue Plattform perfect-radio.com gestartet: Was soll da in Zukunft alles passieren?

Holger Richter: Zunächst möchte ich an dieser Karl Heinz Kessler von RCS danken für seine Unterstützung. RCS hat vor einiger Zeit die REVMA StreamingPlattform, wo auch RadioJar angeschlossen ist, übernommen und da ich bereits seit 1989 mit RCS Selector arbeite, wurde mir ermöglicht mein neues Projekt schnell und unbürokratisch zu starten. Das Online Planungstool ist zwar noch kein Selector, aber man arbeitet dran.

Die Idee zu perfect-radio.com entstand aus mehreren Einflüssen: 1. Ich wollte wieder Radio machen und gleichzeitig auf Mallorca bleiben. 2. Ich finde hier leider keinen Sender, der mich länger als zwei Songs vom Umschalten abhält. 3. Ich brauchte Musikbeschallung für unsere Terrasse, die quasi unser Wohnzimmer ist. Da oft Leute zu Besuch sind, musste das etwas Unaufdringliches ein. Da hab ich dann auf einem Stick ein Smooth Jazz Programm konfektioniert, das Besucher dann immer haben wollten (es aber, weil es echt viel Arbeit war, nicht bekamen). Daraus entstand dann die Idee, dass man daraus eigentlich ein cooles Radioprogramm machen könnte. Das gibt es zwar im Prinzip auch schon, aber der Umgang mit Smooth Jazz ist wirklich heikel. So ein Saxophon oder eine Trompete können schnell sehr nervig werden. Ich konnte die Sensibilität dafür in der Programmgestaltung mir bekannter vorhandener Angebote bislang nicht ausmachen. 4. Ich habe bei der Digitalisierung meiner Plattensammlung soviel Material (wieder)entdeckt, dass ich plötzlich gleich mehrere Sender im Kopf hatte. 5. Dann kam noch ein Freund und fragte mich, ob ich nicht seine Reggae Sammlung (800 LPs) digitalisieren könne. Ich hab dann da mal reingehört und soviel gigantisches Material entdeckt, dass sofort die Idee zum nächsten Programm geboren war. 6. Letztlich kam ich über Umwege zu NewCountry, was für mich überraschender Weise so gar nichts mehr mit dem traditionellen Country zu tun hat. Noch eine unentdeckte Musikwelt. Und schon war die nächste Programmidee geboren. Bei der Frage „Was mach ich nun mit all dem?“ kam eins zum andern. Ich gründete Perfect-Radio.com sozusagen als Dachmarke und biete darunter in Zukunft verschiedene Formate an. Gestartet ist jetzt vor einigen Tagen Perfect-NewCountry.com.

Holger Richter startet ”Perfect New Country" als Webradio

Vor Weihnachten kommmt noch ein zweites Format. Ich denke, ich werde mein altes Oldieformat, dass ich in Luxemburg programmiert habe, wiederbeleben, das heisst dann: Perfect-Oldies.com. Da Oldies der 60er bis 80er soundtechnisch eine gewisse Herausforderung darstellen, deren Bewältigung ich bei den mir bekannten Oldie-Formaten im Markt allerdings vermisse, sehe ich auch da ein gewisses Marktpotential. Programm Nummer 3 wird auf jeden Fall Perfect-SmoothJazz.com. Ich schätze im Januar wird das online gehen. Die Programme 4 und 5 sind dann Perfect-Reggae.com und Perfect-Rock.com, wo bei das letztere ein melodic Mainstream Rock Programm sein wird, auf das ich mich als Rockfan sehr freue. Auch hier sehe ich Marktpotential, weil zumindest nach meinem Geschmack die vorhandenen Rockprogramme atmosphärisch zu negativ sind. Und es ist für mich auch viel musikalischer Krach dabei.

Bis zum Frühjahr 2020 wird es also unter der Dachmarke Perfect-Radio.com auf jeden Fall 5 Programme geben: Perfect-NewCountry.com, Perfect-Oldies.com, Perfect-SmoothJazz.com, Perfect-Reggae.com und Perfect-Rock.com. Als Endausbau kann ich mir derzeit rund 20 Programme vorstellen.

RADIOSZENE: Wird es vielleicht auch moderierte Sendungen geben, willst Du selbst auch mal wieder vor das Mikrofon?

Holger Richter: Man soll ja nie „nie“ sagen, aber ich denke dafür wird auf absehbare Zeit keine Zeit übrig bleiben. Vielleicht wird es aber Podcasts gaben. Ich hätte da die eine oder andere Idee…

RADIOSZENE: Wir sieht die Timeline für die Zukunft aus: in welchen Abständen sollen die geplanten Webradio-Channels online gehen?

Holger Richter: In dieser Woche steht als nächtes erstmal die Perfect-Radio.com App an. Ich hoffe, dass die spätestens bis zum 17.10. für alle Formate inkl. Apple TV erhältlich ist.

RADIOSZENE: Denkst Du auch über eine Vermarktung der Webradio-Channels nach, oder betreibst Du es mehr als Hobby?

Holger Richter: Sowohl als auch. Das Anbieten von Musik ist seit 1978 für mich das berufliche Ausleben eines Hobbys. Ich denke, es gibt nichts Schöneres in der Arbeitswelt. Der zentrale Punkt dabei ist Leidenschaft. Egal ob als DJ, als Musikredakteur, als Moderator oder als Programmchef, es geht zumindest für mich dabei immer um Leidenschaft. Das alles möchte ich aber natürlich auch refinanzieren. Sonst wäre es doch ein sehr teures und arbeitsintensives Hobby. Deshalb beabsichtige ich natürlich, die Programme auch vermarkten zu lassen.

RADIOSZENE: bietet Deine Wahlheimat Spanien irgendwelche Vorteile von Seiten der Kosten oder Auflagen (Musikrechte, Webradiolizenz)?

Holger Richter: Nicht wirklich! Die SGAE z.B. ist teurer als die Gema. Aber es ist noch ok. Insgesamt bin ich aber doch sehr überrascht, dass die Webcaster sich noch nicht zu einem Interessenverband zusammengeschlossen haben, um die teils unsinnigen und haarsträubenden Vorgaben, die es beim Online Radio bzgl. der Lizenzrechte so gibt, zu torpedieren. Jeder Verantwortliche eines normalen Radiosenders würde derartige Vorgaben als Eingriff in die Programmhoheit des Senders empfinden. Die Gebührenstruktur ist ebenfalls haarsträubend und würde einen normalen Sender schnell in finanzielle Schieflage bringen. Und das ist kein deutsches, sondern ein generelles Problem. In Luxemburg z.B. zahlt ein klassischer Radiosender 6% seiner Nettoerlöse an die SACEM. Im Online-Bereich sind es 12%! Hallo! Warum das denn? Das Internet ist doch bei einem Online Radioprogramm, das ein Hörer nicht beinflussen kann, nur ein Distributionsweg von vielen. Es ist doch egal, ob ich über UKW, DAB+, Satellit, Kabel, Internet oder sonstwie sende. Derartige Dinge verhindern im Markt so manche gute Idee. Falls sich also ein Anwalt berufen fühlt! Ich wäre bei der Gründung eines derartigen Interessenverbandes sofort dabei!

RADIOSZENE: Was ist bzw. wird Dein persönlicher Lieblingskanal?

Holger Richter: Die Frage ist schnell beantwortet. Da es selbst bei 20 Kanälen keinen einzigen Titel in einem der Programme geben wird, der mir nicht gefällt, wird es auch keinen Lieblingskanal geben. Ich denke, ich werde die Programmwahl später eher aus einer persönlichen Stimmung heraus oder für einen bestimmten Anlass wählen (z.B. Perfect-SmoothJazz.com bei einem Abendessen mit Freunden oder Perfect-Rock.com wenn meine Frau gerade mal nicht da ist… ;-)

RADIOSZENE: Dann wünschen wir Dir und Deinem neuen Radio-Portal viel Erfolg!

Holger Richter: Herzlichen Dank!