In einer losen Serie wird RADIOSZENE ab heute die Musikverantwortlichen deutscher Radiosender vorstellen. Diese stillen Helden sind – wie ihre Senderchefs nicht müde werden zu betonen – für das wichtigste Element eines erfolgreichen Radioangebots zuständig. Dennoch sucht man die Namen der Abteilungsleiter Musik vergeblich auf den Webseiten der Sender, oft werden diese Personalien nach außen gar wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Und auch nach sieben Jahren „Deutscher Radiopreis“ konnten sich die Verantwortlichen unverständlicherweise noch immer nicht dazu durchringen, innovative Leistungen aus dem musikredaktionellen Programmsektor auszuzeichnen. Diese eigentlich Branchen-internen Ehrungen besorgen inzwischen Organisationen wie die Deutsche Phono-Akademie mit einem eigens dafür kreierten „Echo“, die GEMA oder der Verband Unabhängiger Musikunternehmen (VUT), der in diesem Jahr die Radiomusikjournalistin Christiane Falk mit einem Sonderpreis bedachte.
Beginnen wollen wir unsere neue Reihe mit Tanja Ötvös, Musikverantwortliche des hanseatischen Marktführers Radio Hamburg. Geboren in Eckernförde begann sie nach Abitur und Jurastudium ihre berufliche Laufbahn als Assistentin des Musikchefs bei Radio Schleswig-Holstein in Kiel. 1997 wechselte sie zu Radio Hamburg, seit 2001 verantwortet Ötvös als Head Of Music die Musikinhalte von Radio Hamburg sowie des Schwester-Senders Hamburg Zwei.
RADIOSZENE befragte Tanja Ötvös zu ihrer Karriere und der Arbeit im Tagesgeschäft.
RADIOSZENE: Wie kamen Sie zum Radio?
Ötvös: Beim Radio bin ich nur durch einen Zufall gelandet. Während meines Jura-Studiums in Kiel suchte ich einen Nebenjob. Und ich kannte jemanden der jemanden kannte und so landete ich bei Radio Schleswig-Holstein zunächst in der Verkehrsredaktion und am Hörertelefon. Auch bei Promotion-Aktionen habe ich ausgeholfen. Richtig klasse fand ich die Veranstaltung “R.SH-Gold“. Im Rahmen der Künstlerbetreuung bei dieser Veranstaltung hatte ich mir überlegt, dass Jura doch nicht so das Richtige für mich sei und habe beschlossen, mich an der Filmhochschule für den Studiengang Regie zu bewerben. Um die Zeit bis zur Bewerbung und Studienbeginn zu überbrücken nahm ich das Jobangebot an, in der Musikredaktion von R.SH zu arbeiten. Schließlich war Musik immer ein ganz großes Hobby von mir, auch wenn ich weder singen kann noch ansatzweise ein Instrument beherrschte. Dort blieb ich dann „kleben“ und wechselte nach knapp zwei Jahren als Musikredakteurin zu Radio Hamburg. Meine Radiokarriere war also ganz und gar ungeplant.
Welche Felder umfasst ihr Aufgabengebiet?
Als Head Of Music kümmere ich mich an erster Stelle um die musikalische Strategie. Dazu gehört die Auswertung und Umsetzung der Research-Ergebnisse, Erstellung der Stundenuhren und Planung der Musik. Aber auch redaktionelle Inhalte sind mein tägliches Brot. So haben wir bei Radio Hamburg zwischen 6.00 und 18.00 Uhr als letzten Titel der Stunde eine sogenannte Überraschungsrubrik. Dort stellen wir besondere Titel vor. Das kann der Remix eines aktuellen Titels sein, eine klasse Coverversion und auch ein eine extrem spannende Neuheit. Auch gute Live-Versionen finden dort ihren Platz. Außerdem höre ich natürlich nachwievor viele neue Titel, um Neuheiten entsprechend auswählen zu können. Ebenso fallen Künstlerbesuche in den Zuständigkeitsbereich der Musikredaktion und damit verbunden auch Inhouse-Konzerte.
Welchen Stellenwert hat Musik für das Radioprogramm?
Die Musik ist nach wie vor der wichtigste Inhalt. HAMBURG ZWEI z.B. kümmert sich verstärkt um die Musik aus den 80ern – das ist natürlich ein Riesenspaß, zumal ich selbst in der Zeit musikalisch sozialisiert wurde. An den Wochenenden spielen wir sogar nur Titel aus diesem Jahrzehnt – was von unseren Hörern entsprechend begeistert aufgenommen wird. Und auch bei Radio Hamburg ist Musik nach wie vor wichtig. Neben den aktuellen Hits und den Titeln ab 2000 erwarten unsere Hörer von uns aber auch über das aktuelle Musikgeschehen auf dem Laufenden gehalten zu werden. Diesem Wunsch kommen wir sowohl über Neuheiten in der Rotation als auch über die Radio Hamburg-Überraschungen nach.
Welche Bedeutung haben Newcomer und Neuheiten für das Programm von Radio Hamburg?
Neue Titel nehmen einen hohen Stellenwert in unserem Programm ein. Grundsätzlich ist es uns auch egal, ob jemand ein Newcomer oder etablierter Künstler ist. Wichtig ist vor allem der Titel. Natürlich wird der Song eines bekannten Künstlers – auch wenn er eher mittelmäßig ist – einmal vorgestellt, damit sich unsere Hörer selbst einen Eindruck verschaffen können. Aber ein großer Name allein garantiert keinen Platz auf unserer Neuheitenliste. Zwischen 9.00 und 15.00 Uhr spielen wir neben den etablierten aktuellen Hits mindestens einen neuen Titel pro Stunde, ab 15.00 Uhr widmen wir sogar vier Stunden unter Woche dem Thema Musik bei unserem Moderator „Musikentdecker Tim“. Hier stellen wir jede Menge brandneue Songs vor und unserer Hörer erfahren News aus der Musikszene. Auch Titel, die nicht so 100%ig dem Radio Hamburg-Musikformat entsprechen, bekommen dort einen Sendeplatz. Und natürlich sind auch viele Newcomer als Interviewpartner zu Gast.
Radio Hamburg hat im Musikprogramm eine gute Zahl an Songs, die nicht dem klassischen Hitsegment zuzuordnen sind. Also sog. „Vielfaltsüberraschungen“ oder Unplugged-Versionen. Sind diese Stücke das Salz in der Suppe?
Mit unseren stündlichen Vielfaltüberraschungen wollen wir genau das erreichen, was der Name auch sagt: Musikalische Vielfalt gepaart mit einem Aha-Moment für den Hörer. Es sind immer besondere Titel mit denen wir unsere Hörer natürlich unterhalten, aber auch informieren möchten. Wie klingt beispielsweise eine Dance-Nummer als Ballade oder wie hört sich ein Cover an. Oder welcher tolle Track – außer der bekannnten Single – befindet noch auf einem neuveröffentlichten Album.
In welcher Form arbeiten Sie mit der Musikwirtschaft zusammen?
Wir haben nach wie vor mit den drei großen Companies Bemusterungsverträge. Wobei die Plattenfirmen nicht mehr in erster Linie Informanten über neue Musik sind. Durch das Internet recherchieren wir mittlerweile selbst, was es überall auf der Welt an Musikangeboten gibt. Viele Künstler agieren mittlerweile auch selbst wenn es um die Veröffentlichung ihrer neuen Musik geht und stellen Songs in Eigenregie auf Download-Plattformen ein. Als Musikredaktion können wir dann selbst aktiv werden. Aber natürlich sind die Plattenfirmen immer noch der Mittler zum Künstler. Ohne die Labels wäre ein Kontakt zum Künstler schwierig. Gerade auch für weitergehende Aktionen wie InHouse- und Geheim-Konzerte. Off Air-Auftritte oder auch besondere Events wie Meet&Greets wären ohne die Musikfirmen nicht möglich.
Welche Musik ist derzeit besonders angesagt und gibt es bereits einen Trend von Morgen?
Softere Dancebeats á la Felix Jaehn und Kygo finden immer noch Zuspruch, aber auch mit guten Pop-Titeln können wir wieder bei unseren Hörern punkten.
Wie sehr haben sich die Radio- und Musiklandschaften im Laufe der Jahre verändert?
Als ich 1997 bei Radio Hamburg angefangen habe, hatten wir noch Titel aus dem 1970er Jahren im Programm. Auch war die musikalische Ausrichtung damals noch nicht so „feingetunt“. Dann gab es ja immer Musikstile, die mehrere Jahre dominiert haben. Radio Hamburg klang durchaus einmal auch sehr rockig.
Durch das Internet ist alles sehr viel schneller geworden. Früher haben wir morgens sehnsüchtig auf den Kurier gewartet, der uns die neue Single von z.B. Michael Jackson liefern sollte. Heute laden wir die Titel runter und innerhalb von wenigen Minuten ist die Nummer dann schon on air. Diese Schnelligkeit des Mediums Radio finde ich immer noch klasse!
Welche besonderen Herausforderungen muss sich Radio Hamburg bzw. die Branche allgemein in der Zukunft ganz besonders stellen?
Mittlerweile ist viel mehr Eigeninitiative unsererseits gefragt, wenn es um das Entdecken neuer Musik geht. Durch das Internet ist alles immer gleich überall verfügbar, da müssen wir uns ranhalten, wenn wir vorn mitspielen wollen. Aber das macht ja auch Spaß, bei jedem hier in der Musikredaktion steht das Interesse für Musik an erster Stelle. Streaming ist natürlich ein Thema, mit dem sich auch die Radiosender extrem auseinandersetzen.
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