Rückblick in der Herbst 2021: als Radioprogramm mit der „vielfältigsten Musik“ wird Bayern 2, das Kultur- und Informationsradio des Bayerischen Rundfunks, von der GEMA mit dem “Radiokulturpreis“ ausgezeichnet. Die GEMA würdigt seit 2015 mit dieser Auszeichnung Hörfunkwellen, die sich in maßgeblicher Weise der Förderung der musikalischen Vielfalt in Deutschland verschrieben haben.
In ihrer Begründung fand die Verwertungsgesellschaft lobende Worte für das in Deutschland einzigartige Programmkonzept: „Von Soul über Chanson, Jazz bis hin zu Rockmusik, Indie bis Weltmusik präsentiert der Sender die gesamte Bandbreite der deutschen und internationalen Musikkultur. Dabei scheuen sich die Musikredakteure nicht, ihre Hörer auch mit zahlreichen Neuentdeckungen und Nischenkünstlern abseits des Mainstreams zu konfrontieren. Ein vielfältiges Programm aus Wortbeiträgen und Dossiers zu Themen aus Politik und Gesellschaft eröffnet den Hörern neue Perspektiven, aufwändig produzierte Hörspiele und Features ergänzen das beachtliche inhaltliche Spektrum. Eigens produzierte Magazine und Sendungen wie ‘Zündfunk‘ oder der ‘Nachtmix‘ stellen die Musik klar in den Vordergrund und schärfen die musikalischen Sinne des Publikums. Besonderes Augenmerk legt der Sender auf regionale Musik aus Bayern und dem Alpenraum. ‚Heimatsound‘ wird großgeschrieben ohne jedoch den internationalen Kontext aus den Augen zu verlieren. Das Programm ist kulturell anspruchsvoll und sorgfältig kuratiert.“
Gegründet bereits in den 1950er-Jahren entwickelte sich Bayern 2 zu einem Format, das den öffentlichen-rechtlichen Kulturanspruch in einer vielschichtigen Breite an Facetten verinnerlicht. Nahezu einmalig in Deutschland werden hier regelmäßig aktuelle Berichterstattung (Politik, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft), Reportagen aus Bayern und aus aller Welt, Hörspiele und Features, außerdem Kabarett, Glossen, verbraucherorientierte Sendungen sowie zahlreiche ambitionierte Musiksendungen jenseits des Mainstream ausgestrahlt. Das Angebot wird ergänzt durch Talk, literarische Lesungen, Medientipps, Religion, Auslandsmagazine, Sendungen für Kinder und natürlich den traditionsreichen Dauerbrenner “Zündfunk“, ein Jugend- und Szenemagazin, das bereits seit den 1970er-Jahren zum Markenkern von Bayern 2 gehört.
RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Stefan Maier, Programmbereichsleiter Bayern 2 und Alexander Schaffer, Leiter der Bayern 2-Programmredaktion über den Kulturpreis, die besondere Form der Programmgestaltung sowie die Bayern 2-Musik.
Unser Anspruch ist, dass Bayern 2 an den Menschen nicht einfach vorbei plätschert, sondern dass es in ihnen etwas auslöst: Freude und Zuneigung, aber auch mal Kopfschütteln oder Empörung
RADIOSZENE: Bayern 2 wurde in 2021 mit dem „Radiokulturpreis“ der GEMA gewürdigt. Eine nicht alltägliche Ehrung. Welche Gefühle hat diese Auszeichnung beim Team ausgelöst? Anerkennungen wie diese erhalten Sie sicher nicht jeden Tag …
Stefan Maier: Zunächst konnten wir es kaum glauben. Was, die große GEMA zeichnet Bayern 2 aus? Erst allmählich haben wir realisiert, was für eine schöne Anerkennung der Radiokulturpreis ist. Sendungen, die auf Bayern 2 laufen, oder einzelne Podcasts haben schon häufiger Preise gewonnen. Aber dass die GEMA uns deutschlandweit als Radioprogramm „mit der vielfältigsten Musik“ würdigt, das ist wirklich etwas ganz Besonderes und hat uns alle riesig gefreut. Ganz besonders natürlich die Bayern 2-Musikredakteurinnen und -redakteure, die jeden Tag einzigartige Playlisten zusammenstellen.
RADIOSZENE: Müssten vergleichbare Hörfunkangebote allgemein nicht viel öfter in die Öffentlichkeit gerückt werden? Der „Radiopreis“ zeichnet ja Programmleistungen jenseits des Mainstream leider viel zu selten aus.
Stefan Maier: Der Radiopreis hat sich fest etabliert, und ich ziehe meinen Hut vor allen, die dort ausgezeichnet werden. Wir von Bayern 2 tun uns aber manchmal schwer mit den Kategorien. So haben wir mit der „radioWelt am Morgen“ eine großartige Frühsendung, die natürlich tagesaktuell ist, die aber auch bewusst längere Gespräche mit interessanten Menschen, kluge Beiträge, liebevoll gemachte Erklärstücke, starke Kommentare und natürlich diesen besonderen Bayern 2-Musiksound mit „Legenden und Entdeckungen“ anbietet. Nur: Das ist kein Nachrichtenprogramm, unsere Moderationen sind viel persönlicher und erzählen etwas über die Musik, die sie spielen. Es ist aber auch keine Morningshow, es gibt kein Geplauder, keine Gewinnspiele, kein Gelächter. Für entdeckerfreudige Menschen ist die „radioWelt“ perfekt, um aufzuwachen und in den Tag zu starten. Die passende Kategorie beim Deutschen Radiopreis suchen wir noch. Wir hatten mal den Claim „Frühstück für den Kopf“, vielleicht wäre das ja eine Kategorie.
RADIOSZENE: Naturgemäß würdigt die GEMA Ihr ganz besonderes Musikkonzept, das eine sehr große stilistische Breite an Musikgenres abdeckt. Banal gesprochen von traditioneller Volksmusik und Klassik bis hin zu sehr progressiven Sounds. Ist diese musikalische Vielfalt einer der wichtigsten Bestandteile der Bayern 2 DNA?
Alexander Schaffer: Ja, mit dem Radiokulturpreis wird sozusagen offiziell bestätigt: Bayern 2 bietet die größte musikalische Vielfalt im Radio in ganz Deutschland. In den „Randzeiten“ – also in der Nacht und am sehr frühen Morgen – sind dies sogar zeitgenössische Kompositionen aus Bayern oder traditionelle Volksmusik. Im Kern der Musikkonzeption – also von der Morgensendung bis Mitternacht – jedoch steht moderne Popmusik aus aller Welt und aus Bayern.
Wenn bei uns Musik von „Legenden und Entdeckungen“ laufen, dann ist dies schon sehr vielfältig, weil die Hörerinnen und Hörer die ganze Musikgeschichte erleben und vielleicht auch wiederentdecken. Wir spielen von Suzanne Vega halt nicht nur ihren bekanntesten Hit, sondern auch wunderbare, unbekanntere Titel. Unverkennbar ist immer die legendäre Stimme von Vega. Gleichzeitig erfahren sie mehr über aktuelle Titel und musikalische Strömungen. Zusammen ergibt das die musikalische Seite eines sehr breiten Kulturbegriffs, für den Bayern 2 ja insgesamt steht.
„Heimatsound“ ist die zeitgemäße Fortentwicklung der traditionellen Volksmusik
RADIOSZENE: Besonders gewürdigt wurde der Musikbaustein „Heimatsound“. Eine eigens von Bayern 2 entwickelte Kategorie mit „regionaler Musik aus Bayern und dem Alpenraum, die jedoch den internationalen Kontext nicht aus den Augen verliert“. Was dürfen Musikinteressierte jenseits der bayerischen Landesgrenzen sich hinter dieser Begrifflichkeit vorstellen? Mit der reinen, traditionellen Volksmusik – die übrigens auch auf Bayern 2 zu hören ist – hat dieses Genre nur bedingt zu tun, richtig?
Alexander Schaffer: Absolut, es ist sozusagen die zeitgemäße Fortentwicklung der traditionellen Volksmusik. Die Beobachtung war, dass viele Kulturschaffende sich in Richtung internationale Popmusik entwickelt hatten, ohne dabei ihre Wurzeln in Sachen Instrumentierung und Sound zu vergessen. Musik aus dem Süden sozusagen. Die Ausrichtung sollte bewusst musikalische und territoriale Grenzen auflösen und neue Wege gehen. Deshalb auch der Untertitel des Heimatsounds „aus Bayern und dem Alpenraum“. Bei Hubert von Goisern hört man Klänge aus Weltmusik und Blues, seine ehemaligen Backgroundsängerinnen sind heute als ladinisch singende „Ganes“ aus Südtirol bekannt. Und dennoch klingt es immer nach Musik aus dem Alpenraum. Hier verwischen Grenzen, etwas Neues entsteht. Heimatsound eben.
RADIOSZENE: Welche Musikströmungen und KünstlerInnen fallen unter diesen „Heimatsound“?
Alexander Schaffer: Das ist sehr vielfältig. Klassische Liedermacher wie Mathias Kellner, starke Blasmusik wie LaBrassBanda, Reggae von Jamaram oder HipHop von Dicht & Ergreifend, Fiva oder Moop Mama. Django 3000 machen eine bayerische Variante des „Balkan-Beat“, Ami Warning ist klar Soul, bei Gankino Circus hört man die fränkische Wirtshausmusik durch, Haindling ist halt Haindling, Hannes Ringlstetter oder Dreiviertelblut machen als Showbands etwas ganz Eigenes. Ich könnte die Liste der gängigen Strömungen und Schubladen lange fortsetzen. Wichtig ist sicher die Sichtweise der Künstler: Jeder ist einzigartig in seiner Kunst, gemeinsam ist die regionale Verortung mit dem dazu gehörenden Sound bzw. dem Einsatz hierzulande bekannter Instrumente.
RADIOSZENE: Mit dem “Heimatsound Festival“ in Oberammergau ist inzwischen ein begleitendes Konzert-Highlight entstanden. Wird das Ereignis in diesem Jahr stattfinden?
Alexander Schaffer: Offen gestanden: Die Veranstalter überlegen noch. Die besondere Situation in diesem Jahr ist ja, dass in Oberammergau die Passionsspiele stattfinden. Das ist alle zehn Jahre ein kulturelles Ereignis, das viele Kräfte bindet und zudem pandemiebedingt unter unsicheren Rahmenbedingungen durchgeführt werden wird. Das Heimatsound Festival war ursprünglich für unmittelbar danach, also für den Herbst geplant. Ob die Oberammergauer allerdings bei den unsicheren Vorschriften für Konzerte und den damit verbundenen Mehraufwänden in diesem Jahr auch noch ein Heimatsound Festival stemmen werden? Wir werden sehen.
Die anspruchsvollen Pop-Musiksendungen im „Zündfunk“ gehören zur Strategie von Bayern 2
RADIOSZENE: Überhaupt ist Bayern 2 sehr aktiv bei der Ausrichtung von Events und der Übertragung von Konzerten. Ist für 2022 nach der Pandemie eine Rückkehr in die Normalität geplant? Welche Bedeutung haben diese Veranstaltungen für das Gesamtkonstrukt des Senders?
Alexander Schaffer: Bei Bayern 2 gehören Live-Konzerte zum Programmprofil. Außerhalb von BR-KLASSIK senden wir im BR als einzige Radiomitschnitte. Wir schaffen so konzertante Live-Erlebnisse für Hörerinnen und Hörer, von internationalen Bands bis zu lokalen Helden. Aufzeichnungen vom Hafensommer in Würzburg oder vom Bardentreffen in Nürnberg, den Ingolstädter Jazztagen oder vom Irschenberg-Festival gehören dazu. Diese exklusiven Produktionen wurden auch von der GEMA beim Radiokulturpreis als besondere Leistung, als Eigenproduktionen hervorgehoben.
Während der Pandemie haben wir den Künstlerinnen und Künstlern in Interviews und durch Musikeinsätze im Radio eine Bühne gegeben. Dazu gehörten auch die Wiederholung von Konzerten aus vergangenen Jahren oder exklusiven Aufnahmen aus den Übungsräumen im Weihnachtsprogramm, dem sogenannten Weihnachtsound. Daraus ist vergangenes Jahr dann sogar eine eigene CD geworden. Und wie geht’s dieses Jahr weiter? Das hängt sicher von den Möglichkeiten der Konzertveranstalter ab. Wir brauchen die Konzerte nämlich für unsere Live-Erlebnisse vor Ort. Und für unser Radioprogramm. Sonst geht uns im dritten Jahr der Pandemie wirklich das Material aus.
RADIOSZENE: Nochmals zurück zum „Radiokulturpreis“. In besonderem Maße würdigt die GEMA: „Eigens produzierte Magazine und Sendungen wie ‚Zündfunk‘ oder der ‚Nachtmix‘ stellen die Musik klar in den Vordergrund und schärfen die musikalischen Sinne des Publikums.“ Beide Musiksendungen stehen für kuratierte Popkultur und engagiert gemachtes Musikfeuilleton. Positionieren Sie sich damit ganz bewusst gegen den Trend einer sich rasant fortsetzenden Verknappung einschlägiger Angebote innerhalb der deutschen Radiolandschaft?
Alexander Schaffer: Die anspruchsvollen Pop-Musiksendungen im „Zündfunk“ gehören zur Strategie von Bayern 2. Hier trifft kritische Indie-Haltung auf Nachwuchsförderung und auf essayistisch-feuilletonistische Einordnung von Pop-Legenden. Auch der Zeitgeist wird hier intelligent hinterfragt. Mit dem „Zündfunk“ leuchtet Bayern 2 auch eher unbekanntere Ecken des Musikgeschäfts aus. Und das gilt natürlich erst recht für die Sendung zum Tagesabschluss, den „Nachtmix“. Popmusikalisches Autorenradio at its best. Und wir sind stolz darauf, eine so traditionsreiche Sendung im Programm zu haben. Irgendwann hieß es irgendwo: der „Zündfunk“ ist ein Radiotop. So isses.
RADIOSZENE: Beim Blick auf den Programmplan fällt ein hohes Maß an Beständigkeit auf. Zahlreiche Angebote sind schon eine sehr lange Zeit auf Sendung. Wie beispielsweise der „Zündfunk“, der seit 1974 im Programm zu finden ist. Wie stark sind langjährige Traditionssendungen, wie die Kultur- und Ratgebermagazine oder der „Heimatspiegel“ im Bewusstsein der Hörer verhaftet? Wie sehr sind sie Teil des Programmerfolgs?
Stefan Maier: Die genannten Sendungen sind sicherlich ein Teil des Erfolgs, weil sie zum Image von Bayern 2 beitragen. Aber auch wenn das „Notizbuch“, der „Zündfunk“ oder der morgendliche „Heimatspiegel“ vor der „radioWelt“ seit Jahrzehnten so heißen: Sie haben sich immer wieder erneuert und neu aufgestellt. Der „Zündfunk“ heute klingt zum Glück anders als vor 40 Jahren, das „Notizbuch“ spricht auch neue, jüngere Zielgruppen an und selbst der „Heimatspiegel“ von 5 bis 6 Uhr ist nicht mehr so betulich wie früher. Trotzdem stellen wir fest, dass sich in den letzten zehn Jahren mit dem Programm auch unser Publikum verändert hat. Diejenigen, die habitualisiert „ihre“ Lieblingssendungen einschalten, bilden nicht mehr die Mehrheit der Hörerinnen und Hörer. Stattdessen hören uns immer mehr Menschen, die – statt mit festen Erwartungen an bestimmte Sendungen – Bayern 2 einfach so einschalten, weil sie dort immer etwas Interessantes und Überraschendes bekommen. Interessante Inhalte, aber auch interessante Musik mit Legenden und Entdeckungen – unabhängig von Tageszeit und Programmschema.
Wir wissen, dass die Bayern 2-Zielgruppen Werte wie Künstliches, Oberflächliches, Massenkonsum, Kommerzielles eher ablehnen, dafür Genuss, Sinnlichkeit, Verantwortung, Vielfalt, Authentizität eher befürworten
RADIOSZENE: Wachsen die Hörer bestimmter Programmangebote von Bayern 2 generationsbedingt irgendwann nicht aus einem Sendeformat heraus? Halten Sie dann den bisherigen Kurs oder modifizieren Sie die Sendeinhalte? Wie etwa beim „Zündfunk“, der als Jugendmagazin startete, bestimmte Phase durchlebte und heute als „Szenemagazin“ aufschlägt.
Stefan Maier: Der „Zündfunk“ beweist, wie eine Sendung ihre rebellisch-kritische, von allem Möglichen bewegte DNA über die Jahrzehnte behält und trotzdem mit jedem Jahr jünger wird. Mit vertrauten Stimmen, bei denen man das Gefühl hat, sie waren schon beim Sendestart 1974 dabei, aber immer wieder auch mit neuen Themen, mit jungen Moderatorinnen und Moderatoren, die sich dann weiterentwickeln. So wie Caro Matzko, die jede Woche die Ringlstetter-Show rockt und in Bayern 2 zusätzlich „Eins zu Eins. Der Talk“ moderiert. Oder Franziska Eder, die im BR Fernsehen Bürgersendungen begleitet und neben dem „Zündfunk“ die „radioWelt“ und „Bayern 2 am Sonntagvormittag“ moderiert.
Der Sonntag ist ebenso wie der Samstag ein gutes Beispiel für eine gelungene Programmentwicklung. 2018 haben wir uns zusammen mit der BR-Medienforschung das Wochenendschema angeschaut, weil das zu kleinteilig war. Denn warum sollte man am Samstag bis 11 Uhr auf bayerische Themen warten? Deshalb haben wir das Magazin „orange“ und die „Bayernchronik“ zu einer dreistündigen Vormittagsfläche zusammengefasst, in der man von 9 bis 12 Uhr durchgehend gute Geschichten aus Bayern, Deutschland und der Welt zu hören bekommt. Oder wir haben den Sonntag zum großen Kultursonntag aufgewertet, haben aus einzelnen Sendungen ebenfalls einen dreistündigen Vormittag konzipiert. Mit Themen aus dem Kontext Familie, Freizeit, Genuss. Und mit Auszügen aus unseren kulturellen Langformaten als Teaser für den Nachmittag und den Abend. Und wir haben einen Sendeplatz für eine aktuelle „kulturWelt“ auch am Sonntag etabliert. Natürlich mussten wir bei den Bayern 2-Stammhörern, die nach der Reform „ihre Sendung“ vermisst haben, Überzeugungsarbeit leisten, aber es ist uns gelungen. Und noch wichtiger: Wir haben am Wochenende Hörerinnen und Hörer dazugewonnen.
Alexander Schaffer: Generell kann ich ergänzen, dass uns Radiomacher die Frage, wie wir eine Geschichte erzählen, mehr beschäftigt als die Frage, was wir machen. Insofern gibt uns die qualitative Medienforschung zum Beispiel über Milieus mehr Auskunft über Hörerpräferenzen als die quantitative Medienforschung, die etwa das Alter misst. Hieraus wissen wir unter anderem, dass Bayern 2-Zielgruppen Werte wie Künstliches, Oberflächliches, Massenkonsum, Kommerzielles eher ablehnen, dafür Genuss, Sinnlichkeit, Verantwortung, Vielfalt, Authentizität eher befürworten. Diese Werte sagen uns sehr gut, wie wir das Programm machen sollen, damit es unserem Publikum gefällt. Insofern wachsen wir mit diesen Werten und mit unserem Publikum.
RADIOSZENE: Wie viele Einzelredaktionen aus dem Hause des Bayerischen Rundfunks liefern heute Programminhalte für Bayern 2 zu? Wie hoch beträgt heute Ihr Wortanteil?
Stefan Maier: In den meisten Sendungen spielen wir Musik, weil die musikalischen „Legenden und Entdeckungen“ Teil des Bayern 2-Markenkerns Entdeckerfreude sind. Es gibt Musiksendungen, wie den „Nachtmix“, den „Weltempfänger“, die „Bayern 2-Playlist“ oder den „radioMitschnitt“. Zum Portfolio gehören aber auch reine Wortsendungen, wie die Call-In-Sendung „Tagesgespräch“, die den Menschen in Bayern eine Plattform bietet, um sich zu einem von der Redaktion benannten Thema des Tages zu äußern. Auch Features, Lesungen, Hörspiele kommen in der Regel gut ohne Musik aus. Aber unter dem Strich dürften es 60 Prozent Wort- und 40 Prozent Musikanteil sein.
Wort und Musik verteilen sich tatsächlich auf eine Unmenge von Redaktionen, die noch dazu in verschiedenen Programmbereichen und Direktionen angesiedelt sind. Ich versuche es mal: Aus dem Programmbereich Kultur wären das Kultur aktuell, wo auch die Literatur angesiedelt ist. Dann Hörspiel/Dokumentation/Medienkunst, außerdem Religion und Orientierung. Als nächstes der Programmbereich Wissen und Bildung mit den Redaktionen Wissen und Bildung aktuell sowie Grundbildung, Geschichte und Gesellschaft. Aus dem Programmbereich Unterhaltung und Heimat beliefern uns die Redaktionen BR Heimat und Kinder. Jetzt verlassen wir die Programmdirektion Kultur und betreten die Programmdirektion Information. Aus dem dort verankerten Programmbereich Aktuelles kommt unter anderem die Bayern 2-„regionalZeit Süd“. Aus dem Studio Franken kommen die „Bayern 2-regionalZeit Nord“ und das „Feiertags-Feuilleton“ in der „Zeit für Bayern“. Im Programmbereich Politik und Wirtschaft sind es die Redaktionen Ausland und politischer Hintergrund, Wirtschaft und Soziales sowie Landwirtschaft und Umwelt. Und dann ist da noch der eigene, sozusagen federführende Programmbereich Bayern 2 (jetzt sind wir wieder in der Programmdirektion Kultur) mit der Programmredaktion und ihren zahlreichen Querschnittsaufgaben, mit den Redaktionen Radiowelt, Notizbuch, Tagesgespräch, Zündfunk, Bayern und Berge und natürlich Digitales und Dialog, wo unsere Podcasts und Instagram-Angebote, unser Webauftritt und unsere Social-Media-Aktivitäten aufgehängt sind. Ich hoffe, ich habe niemand vergessen.
Wenn man dann noch bedenkt, dass viele dieser Redaktionen für die gemeinsame Welle Bayern 2 nicht nur eine, sondern mehrere Sendungen zuliefern, dann kann man sich vorstellen, dass es auf Bayern 2 sehr viel zum Koordinieren, Abstimmen und aufeinander Teasen gibt. Umso erfreulicher, dass ein so wunderbares, erfolgreiches Programm rauskommt. Was unbedingt erwähnt werden muss: Bayern 2 stellt rund zwei Drittel aller BR-Podcasts und bereichert täglich die ARD Audiothek, vor allem mit Wissens-, Doku- und Hörspiel-Inhalten. Wir haben auch einen Podcast „Bergfreundinnen“ für die wachsende Zielgruppe outdoor-affiner Frauen, wir haben ein Instagram-/Podcast-Angebot „Eltern ohne Filter“ speziell für junge Eltern, und wir wenden uns mit „Workin_Germany“ auf Instagram an die bislang ziemlich vernachlässigte Zielgruppe junger Migrantinnen und Migranten.
Bayern 2 stellt rund zwei Drittel aller BR-Podcasts
RADIOSZENE: Über die Rolle der heimischen Musik wurde bereits gesprochen. Wie viel regionales Wort und Berichterstattung aus dem Freistaat finden sich auf Bayern 2?
Stefan Maier: Neben ausgewiesen bayerischen Sendungen, wie dem einstündigen „Bayerischen Feuilleton“, der ebenfalls einstündigen „Zeit für Bayern“ und der täglichen in Nord und Süd gesplitteten „Bayern 2-regionalZeit“ legen wir größten Wert darauf, dass alle unsere Sendungen eine bayerische Handschrift tragen. Sie werden kaum eine Bayern 2-Sendung ohne bayerischen Bezug finden, das sind wir unserem Publikum schuldig. Das heißt auch, dass wir über den Tellerrand der Großstädte schauen, dass wir aus allen bayerischen Regionen berichten, dass wir mit unseren Programmaktionen rausgehen aus München. Für den Bayern 2-Publikumspreis beim Bayerischen Buchpreis werben wir bayernweit in Buchhandlungen, zu unserem „Werkraum Demokratie“ zusammen mit der Akademie für Politische Bildung in Tutzing hatten wir Teilnehmer aus ganz Bayern, und auch mit unseren Partnerschaften und Aktionen versuchen wir, überall im Freistaat präsent zu sein. Ganz besonders gilt das für die jährliche Bayern 2-Programmaktion „Gutes Beispiel“. Da achten wir sehr darauf, dass sich Initiativen und Engagierte aus ganz Bayern angesprochen fühlen und zum Zug kommen.
RADIOSZENE: Für viele außenstehende Beobachter gilt das Programm als eine Art „Einschaltradio“, weil das Gesamtgebilde eben auf einer sehr großen Zahl heterogener Einzelsendungen basiert. Haben Sie einmal erforscht, für wie viel Prozent der Hörer Ihr Sender auch ein komplettes Tagesbegleitprogramm darstellt?
Stefan Maier: Die Motivationslage von Hörerinnen und Hörern ist bekanntlich nicht ganz einfach zu erforschen und zu beziffern. Wir wissen jedoch aus Studien der Medienforschung, dass über die Hälfte unseres Publikums Bayern 2 in den letzten zehn Jahren neu entdeckt hat. Dabei handelt es sich überwiegend um Menschen, die keine Nutzungshistorie mit Bayern 2 aufweisen und entsprechend auch keine Lieblings-, sprich Einschaltsendung haben. So schalten mittlerweile drei Viertel der Hörerinnen und Hörer Bayern 2 unabhängig vom aktuellen Sendungsangebot ein. Für sie ist Bayern 2 erste Wahl, wenn sie im Radio etwas Neues und Spannendes entdecken wollen. Dies kommt einer Nutzung von Tagesbegleitprogrammen schon sehr nahe, und das ist eine schöne Bestätigung unserer Arbeit und unseres Anspruchs, dass Bayern 2 immer interessant sein soll. Egal, wann man einschaltet.
RADIOSZENE: Welche Bevölkerungsschichten hören Bayern 2?
Stefan Maier: Uns hören nicht nur diejenigen, die man gemeinhin als „klassisches Kulturpublikum“ vor Augen hat. Stattdessen umfasst unser Publikum eine große Spannweite von Menschen, von den eher traditionell Orientierten bis hin zu denen, die in ihrem Leben wie ihrem medialen Portfolio auf der Suche nach Interessantem und Überraschendem sind. Gemeinsam ist ihnen eine eher reflektierte Mediennutzung. Es handelt sich um engagierte und offene Menschen, denen auch der Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist.
Ich erinnere hier noch mal an die Bayern 2-Programmaktion „Gutes Beispiel“, die heuer schon zum siebten Mal stattfindet und sich an alle Engagierten in Bayern wendet, die dieser Gesellschaft und unserem Miteinander etwas Gutes tun. Es ist jedes Mal unfassbar und berührend, was da an Bewerbungen reinkommt. Auch das ist unser wunderbares Bayern 2-Publikum!
Mittlerweile schalten drei Viertel der Hörerinnen und Hörer Bayern 2 unabhängig vom aktuellen Sendungsangebot ein. Für sie ist Bayern 2 erste Wahl, wenn sie im Radio etwas Neues und Spannendes entdecken wollen
RADIOSZENE: Das Programm hält bei den Reichweiten der media analyse seit Jahren beständig Kurs. Bundesweit über 600.000 Hörer täglich (Montag bis Freitag) sind Beleg für eine hohe Hörerbindung. In ihrer Laudatio charakterisiert die GEMA das Programm wie folgt: „Ein vielfältiges Programm aus Wortbeiträgen und Dossiers zu Themen aus Politik und Gesellschaft eröffnet den Hörern neue Perspektiven, aufwändig produzierte Hörspiele und Features ergänzen das beachtliche inhaltliche Spektrum.“ Wie charakterisieren Sie als abschließende Antwort Ihr eigenes Programm und seine hohe Popularität bei Publikum?
Stefan Maier: Bayern 2 ist ein Radioprogramm, bei dem Sie sicher sein können, dass Sie immer Interessantes, Überraschendes, Relevantes hören – seien es Beiträge und Themen, Menschen und Gespräche, Stimmen und Musik. Unser Anspruch ist, dass Bayern 2 nicht einfach an Ihnen vorbei plätschert, sondern dass es in Ihnen etwas auslöst: Freude und Zuneigung, aber auch mal Kopfschütteln oder Empörung. Dass Sie etwas entdecken, vielleicht etwas lernen. Und dass Sie gerne weitererzählen, wie Bayern 2 das Leben begleitet und bereichert.