Zum Tag der Arbeit ein Bitterlemmer für das Funk-Proletariat bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die Freien. Über die sinkenden Einkommen der eigentlichen Programm-Macher am Mikrofon, die Grundversorgung der Bosse mit Chauffeuren, über Hire-and-Fire rechtsfreien öffentlich-rechtlichen Raum und den Verrat der Gewerkschaften an ihren zahlenden Mitgliedern.
Sie sind schon echte Sparfüchse, unsere staatlichen Sendeanstalten. Mit mehr als 8 Milliarden Euro Gebührenaufkommen haben sie 2009 zwar das beste Jahr ihrer Geschichte. Aber für so etwas Nebensächliches wie ihr Programm haben sie immer weniger übrig. Nur 30 Prozent der Einnahmen fließen in die direkten Programmkosten, aus denen – wiederum zu einem minimalen Anteil – die Honorare für die funkende Unterschicht beglichen werden – die freien Mitarbeiter.
Dabei handelt es sich um diejenigen, die als Moderatoren oder Reporter die tatsächliche Programmleistung erbringen. Nur selten findet man bekanntlich Feste am Mikrofon. Die meisten haben auch schon davon gehört, dass die ARD-Anstalten recht findig sind, wenn es darum geht, gesetzliche Arbeitsbestimmungen auszuhebeln – ganz so, wie es die bösen Finanzhaie immer tun, von denen die Staatsfunker in Magazinen und Nachrichten so gerne reden. Freie Mitarbeiter müssen in der Regel Rahmenverträge akzeptieren, die zeitlich befristet sind. Läuft ein Vertrag aus, folgt eine Zwangspause. Anschließend kann ein neuer Vertrag gemacht werden. Dieses System soll verhindern, dass aus freien Mitarbeitern Festangestellte mit Kündigungsschutz und beamtenähnlicher Altersversorgung werden. Die Trennlinie ist im Staatsfunk noch unüberwindlicher gezogen als in der Industrie zwischen Angestellten und Leiharbeitern.
Auch prominente Morgen-Moderatoren müssen zwangspausieren
Das betrifft nicht nur gelegentliche Beitragsautoren, sondern auch prominente Aushängeschilder ihrer Wellen. Aktuell haben sich z.B. Christoph Azone und Stefan Rupp, die Morgenmoderatoren von Radio Eins beim RBB, in die Zwangspause verabschiedet. Der eine oder andere Zwangspausierer mag dem etwas abgewinnen. Für den Lebensunterhalt kommt fürs erste die Arbeitsagentur auf (oder richtiger: die Beitrags- und Steuerzahler). Wer gut verdiente und ein paar Euro auf die Seite gelegt hat, kann, je nach Laune, mal ordentlich durchfeiern oder die Welt bereisen. Wer schlecht verdiente, dürfte die Pause nicht so genussvoll finden.
Die Anstalten sprechen über dieses Phänomen offenbar nur ungern. Meine Fragen dazu haben nur fünf der neun angeschriebenen Anstalten beantwortet. Keine Antwort gab es von WDR, Saarländischem Rundfunk, Bayerischem Rundfunk und Hessischem Rundfunk.
Die kürzeste Antwort schickte der SWR. „Kurz und knapp kann ich Ihnen mitteilen, dass es beim SWR keine Zwangspausen bei der Beschäftigung fester freier Mitarbeiter gibt“, schreibt Sprecherin Ariane Pfisterer. Daraus ist zu schließen, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender Freie Mitarbeiter dauerhaft einsetzen kann, ohne mit Scheinselbständigkeit oder Klagen auf Festeinstellung rechnen zu müssen – wenn er denn nur will. Beim SWR – und nur dort – scheint damit zu funktionieren, was bei den Privaten in der Regel auch kein Problem darstellt.
Ebenfalls knapp fiel die Antwort von Radio Bremen aus. Dort sind 170 Freelancer im Einsatz. Nur in „besonders gelagerten Einzelfällen aus arbeitsrechtlichen Gründen“ könne es zu Beschäftigungspausen kommen, schreibt RB-Sprecher Michael Glöckner. „Die Art dieser Ausnahmen lässt sich aber nicht darstellen, weil es Einzelfälle sind.“
Der NDR vermeldet einen Bestand von 870 Freelancern mit Rahmenvertrag. Nach dem „endgültigen Auslaufen eines Rahmenvertrags“ könne es Beschäftigungspausen geben, teilte sein Sprecher Martin Gartzke mit. „Die für den betreffenden Mitarbeiter festzusetzende Beschäftigungspause ist individuell und variiert – je nach vorangegangener Vertragslaufzeit und Vertragsgestaltung.“ Danach sei wieder eine Mitarbeit möglich – „in eingeschränktem Umfang“.
Bundesweit sind 400 Freie auf Urlaub wider Willen
Etwas anders stellt sich die Sache beim MDR dar. Nach einer Beschäftigungspause gebe es „keine Einschränkung des Beschäftigungsumfangs“, wobei nach Auskunft von MDR-Sprecher Stefan Mugrauer ein solcher Fall noch nie eingetreten sei. Das könnte sich aber ändern, wenn Verträge auslaufen. Für diesen Fall gilt: „Die Beschäftigungspause beträgt beim MDR sechs Monate“, sei aber jeweils „individuell festzusetzen – je nach vorangegangener Vertragslaufzeit und Vertragsgestaltung.“ Im Ganzen beschäftigt der MDR 683 vertraglich gebundene Freelancer.
Beim RBB sind es deren 450, die „nach sechs Jahren Gesamtbeschäftigungsdauer“ mit einer Zwangspause rechnen müssen. „Sind die Freien mindestens sechs Monate nicht für den RBB tätig und besteht nach diesen sechs Monaten programmlicher Bedarf an ihren Tätigkeiten, ist eine erneute Beschäftigung mit Rahmenvereinbarung für sechs Jahre grundsätzlich wieder möglich“, schreibt RBB-Sprecher Ralph Kotsch. Wobei „grundsätzlich“ wohl für den Regelfall steht: „Ca. 90 Prozent der Freien werden nach der sechsmonatigen Unterbrechung der Beschäftigung wieder in freier Mitarbeit für den RBB tätig“, so Kotsch. Als einziger beantwortete er zudem die Frage, wie viele Mitarbeiter aktuell pausieren, nämlich 40. Die Gründe für Zwangspausen seien programmlicher und arbeitsrechtlicher, „insbesondere tarifvertraglicher“ Natur.
Angesichts der unterschiedlichen und unvollständigen Auskünfte kann die bundesweite Dimension nur abgeschätzt werden. Immerhin scheint es – bis auf den SWR – eine halbwegs einheitliche Vorgehensweise zu geben, nämlich eine Zwangspause nach sechs Arbeitsjahren. Das deckt sich mit Aussagen von Betroffenen quer durch die ARD. Wenn Radio Bremen hier von Ausnahmen spricht, mag das mit der geringen Zahl der Freien Mitarbeiter zu erklären sein. Nach persönlichen Erfahrungsberichten dürfte auch überall die Regel sein, was allein der RBB offiziell bestätigt: Dass nämlich fast alle Freien nach der Zwangspause wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.
Insgesamt beschäftigt die ARD nach den vorliegenden Zahlen, ergänzt durch eigene Schätzung, ca. 5500 Freie. Knapp zehn Prozent von ihnen befinden sich in Zwangspause, das sind ca. 400. Damit sind knapp die Hälfte aller arbeitslos gemeldeten Journalisten in Deutschland nicht wirklich arbeitslos, sondern aus arbeitsrechtlichen Gründen vorübergehend an die Arbeitsagentur ausgelagert. Im Februar 2009 waren nach Auskunft der Bundesagentur 981 „Redakteure, Journalisten, Rundfunk- und Fernsehsprecher“ erwerbslos gemeldet.
Rechtlich mag das Verhalten der ARD-Sender nicht zu beanstanden sein, aber ein schlechter Eindruck lässt sich nicht verhehlen. Ausgerechnet der Staatsfunk nutzt Schlupflöcher, um auf Kosten der Allgemeinheit die Personalkosten zu minimieren. Außerdem hebeln die Anstalten das Kündigungsschutzrecht aus. Wenn einem Chef die Nase eines Freien nicht passt, dann gibt er ihm einfach keinen Anschlussvertrag. Auf diese Weise haben schon Leute völlig willkürlich ihre Jobs verloren, ohne die geringste Chance, dagegen vor Gericht zu klagen.
Dass die Gewerkschaften das akzeptieren, ist – gelinde gesagt – ein Skandal. Die Kumpanei mit den Gebührenhaien ist den Funktionären offenbar wichtiger als die Interessen ihrer zahlenden Mitglieder. Die Gewerkschaften müssen sich vorhalten lassen, dass sie in den Rundfunkräten die Interessen der Intendanzen und Finanzverteiler vertreten statt ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Freien zu nutzen.
Keine Sparnotwendigkeit besteht dagegen bei der Ausstattung der Chefs und der Festen. Die Beschäftigung von 22 fest angestellten Fahrern allein beim Hessischen Rundfunk (siehe hier! ) mag vielleicht zur Grundversorgung für Herrn Intendant Reitze gehören, aber gewiss nicht zur Grundversorgung des Gebührenzahlers.
Sender
|
Anzahl Freie
|
Anzahl Pausierer
|
RBB | 450 | 40 |
MDR | 683 | 60 |
NDR | 870 | 80 |
Radio Bremen | 170 | 10 |
SWR | 700 | 0 |
WDR | 1000 | 90 |
SR | 200 | 15 |
BR | 700 | 60 |
HR | 600 | 50 |
bundesweit | 5373 | 405 |
Tabelle: bitterlemmer (rote Zahlen sind Schätzwerte)
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.
E-Mail: christoph@radioszene.de