Werbedämmerung

Bitter Lemmer

Radiosender, die ihr Geld auf ehrliche Weise verdienen, also keine Zwangsgebühren einstreichen, sehen sich seit einigen Jahren immer wieder mit beunruhigenden Nachrichten konfrontiert. Die Werbeumsätze sinken, zwar nicht im Sturzflug, aber beständig. Radio ist längst die schwächste aller Mediengattungen, inzwischen deutlich hinter Online. Zuletzt war der schleichende Zerfall der Geschäftsgrundlage Thema bei den Münchner Medientagen.

Was tun?

Zwei Möglichkeiten: Entweder jemand erfindet eine Methode, die Werbeumsätze stabil zu halten, oder jemand erfindet eine Methode, auf andere Weise Geld einzunehmen.

Zur ersten Möglichkeit: Der erste Schritt, die Werbeumsätze stabil zu halten, könnte darin bestehen, überhaupt erstmal das auszuschöpfen, was der Markt natürlicherweise bereithält. Glaubt man Iris Burdich, der Chefin von IMAS Wien, ist das nicht der Fall. Nach ihrer Beobachtung wirkt Werbung am besten, wenn der Gesamtmix einer Kampagne einen Druck von 0,07 bis 0,3 Prozent „Share of Noise“ erreicht. Der Radioanteil sollte 10 bis 16 Prozent daran ausmachen. Tatsächlich, beobachtet Burdich, liege der Anteil der TV-Werbeausgaben immer über den Empfehlungen, die Radio-Spendings darunter – auch zum Schaden der Werbetreibenden. Liege der TV-Anteil bei einer Bierkampagne bei 70 Prozent der Ausgaben, sinke mit 47 Prozent Wahrscheinlichkeit die ungestützte Bekanntheit. Bei einem TV-Anteil unter 70 Prozent, dafür erhöhtem Radio-Anteil, bestehe dagegen die 75-prozentige Chance, die Bekanntheit zu steigern.

Dass die Werbetreibenden zu viel Geld fürs Fernsehen ausgeben, könnte an der Struktur der Radiomärkte liegen. Auffällig ist, dass in Berlin der Anteil der Radio-Spendings etwa dort liegt, wo Burdich ihn für optimal hält. In Nordrhein-Westfalen liegt er weit darunter, bei ca. 3 Prozent. Der Grund ist sehr simpel. Dort fehlen dank lupenreiner, gelenkter Medienfreiheit schlicht die Ausspielkanäle. Fatalerweise wollen weder Politiker noch Privatfunk-Betreiber – Zeitungsverlage und der WDR – daran etwas ändern. Sie akzeptieren lieber schlechte Geschäfte, als dass sie neue Mitbewerber in den Markt lassen.

Zur zweiten Möglichkeit: Zeitungen und Fernsehsender denken derzeit massiv über ein gänzlich neues Geschäftsmodell nach – weg vom B2B (die Kunden von Werbemedien sind bekanntlich nicht Hörer, Leser oder Zuschauer, sondern die Werbetreibenden), hin zum B2C – also einem Modell, bei dem die Konsumenten selber das Entgelt für die Mediennutzung bezahlen. Bei den Zeitungen scheinen Rupert Murdoch und der Axel-Springer-Verlag den Anfang zu machen. Beide sprechen seit Monaten von „Paid Content“. Springers BZ hat seit einigen Tagen eine iPhone-App für 79 Cent im Angebot, die aktuelle Meldungen aus der Redaktion anzeigt. Kommendes Jahr soll daraus ein kostenpflichtiges Abonnement werden. Die ProSieben-Sat.1-Gruppe hat angekündigt, mehr und mehr ins Pay-TV-Geschäft zu wechseln und sammelt etwa mit einem kostenpflichtigen Comedy-Kanal erste Erfahrungen. Der Kanal wird verschlüsselt ausgestrahlt und von Partnern vertrieben, die technisch und organisatorisch dafür gerüstet sind: Sky, Arena, Kabel Deutschland, die Internet-Provider T-Home und Alice und der Schweizer Teleclub.

Im Radio ist so etwas noch unbekannt. Hier fehlt die bahnbrechende Erfindung. Bezahlmodelle sind auf der UKW-Plattform technisch nicht möglich. Mit DAB, falls die Politiker es mit Gewalt durchsetzen, wird es wohl auch nicht gehen. Allerdings haben etliche Sender es geschafft, mit kostenpflichtigen Anrufen Einnahmequellen anzubohren. Wer mit Gewinnspielen arbeitet, profitiert davon. Musik- oder Talkprogramme (die es ja immer noch nicht in Deutschland gibt) haben davon weniger bis nichts. Technisch würde Pay-Radio im Web funktionieren. Zu klären wäre freilich, welche Sorte Programm Hörern so wichtig wäre, dass sie dafür bezahlen.

Offen ist auch, wer die künftigen Player im Radiomarkt sein werden. Die Zeitungsverleger, derzeit noch die Platzhirsche, ziehen mit überzogenen Gewinnerwartungen aus bezahlten Texten oder der Hoffnung auf eine staatliche Presseförderung eher Spott auf sich. Für das Radio wird es Wachstum aber nur geben, wenn sich der Wettbewerb verändert. Das gilt für Möglichkeit eins wie für Möglichkeit zwei.

Lemmer

Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

XPLR: MEDIA Radio-Report