Patrick Fuchs: „Country ist vielseitig, Country ist bunt“

Country Club (Bild: ©Schwarzwaldradio)Country Music und das deutsche Radio – eine traditionell komplizierte Beziehung. Schade, vor allem weil das Genre bei Mapping-Studien – zumindest in einigen Regionen wie Bayern oder Mitteldeutschland – eigentlich gar nicht so schlecht abschneidet. Und auf eine eingeschworene Fanbasis verweisen kann. Trotzdem findet Country in den Hörfunkprogrammen kaum statt. Ein paar wenige Spezialsendungen bei Deutschlandradio, MDR Sachsen-Anhalt, SWR 1, Schwarzwaldradio, dazu eine Handvoll Shows bei bayerischen Lokalradios – das war es dann aber auch schon via Antenne. Berücksichtigung auf Playlisten? Einige Klassiker wie von Cash ja – und auch mal die eine oder andere Neuheit bei ARD-Kulturwellen, ansonsten Fehlanzeige. Als Alternativen bleiben den Fans nur die digitalen Wege. Allerdings sind diese Angebote kaum moderiert und musikalisch meist eindimensional gestrickt. Wie also sollen die Menschen im deutschen Radio über diese eigentlich doch sehr lebendige Musikszene informiert werden? 

Zu einer positiveren Entwicklung tragen auch die Musikfirmen wenig bei, da selbst Erfolgskünstler aus den US-Charts in Deutschland kaum mehr veröffentlicht werden. Geschweige denn die Promotionmaschine dafür angeworfen wird. Ein weiteres Kernproblem ist, dass die hierzulande allseits bekannten Protagonisten des Genres tot (Johnny Cash), weit in die Jahre gekommen (Willie Nelson, Kris Kristofferson) oder einfach satt und wenig motiviert sind, um sich in Europa zu Werbezwecken ihrer neuen Alben abzustrampeln (wie etwa Garth Brooks). 

Dies war allerdings schon einmal anders – als die Plattenkonzerne CBS/Sony, RCA, EMI und BMG ab den 1980er-Jahren mit großem Getöse versuchten, Good Old Germany den Segen der US-amerikanischen Country-Musik mit dem Dampfhammer einzubleuen. Was am Ende aufgrund einer weltfremden Herangehensweise durch die Labels krachend in die Hose ging.

Peter Rowan und Patrick Fuchs (Bild: Archiv Patrick Fuchs)
Peter Rowan und Patrick Fuchs (Bild: Archiv Patrick Fuchs)

Letztlich fehlen den deutschen Radiomachern neben Repertoire auch die Überzeugung und das Hintergrundwissen um Country Music. Noch immer werden Klischees wie Cowboys, Western- und Trucker-Romantik bemüht, die mit Country und Bluegrass tatsächlich nur sehr am Rande – und schon gar nichts mit der Entstehung dieser Musik – zu tun haben! In den Köpfen mancher Musikexperten ist es gar ein Genre, das mit volkstümlicher deutscher Schlagermusik gleichzusetzen sei. Was für ein Unfug! Dabei ist die Country-Musik sehr facettenreich und beschäftigt sich, ebenso wie etwa Rockmusik, oft mit tiefgründigen, sozialen und politischen Themen. Da geht es um Alltagssorgen, Gestrandete, gesellschaftliche/politische Mißstände, Frauenrechte, Outlaws oder Umweltzerstörung. 

Unbemerkt von der deutschen Radiowelt hat sich in den letzten Jahren vor allem Bluegrass stilistisch hörbar nach vorne entwickelt. Wie bei anderen Genres fließen verstärkt Stilarten wie Pop, Rock, Folk und sogar Jazz ein und ließen damit ein neues, modernes Klangbild entstehen. Bands und Künstler wie The Dead South oder Sierra Hull öffnen Bluegrass mit ihrer ganz eigenen Ausstrahlung nun auch für ein junges Publikum, dem diese Art von Musik bislang eher fremd war. Wichtige Crossover-Impulse in Verbindung mit Folk kommen hörbar zuletzt auch aus der europäischen Szene, die sich musikalisch nun durchaus auf Augenhöhe mit ihren nordamerikanischen Kollegen befindet. 

 

„Man sollte in Deutschland nicht den Fehler machen, alle Country-Interessierten über einen Kamm zu scheren“

 

Patrick Fuchs moderiert beim bundesweiten Schwarzwaldradio eine der wenigen verbliebenen deutschen Country-Shows.  Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich unternimmt Fuchs einen Streifzug durch die lebendige Welt der Bluegrass- und Country Music.


RADIOSZENE: In 2020 sind Sie als Nachfolger Ihres Vaters Walter Fuchs mit der Übernahme seiner Countryshow beim bundesweiten Schwarzwaldradio in große Fußstapfen getreten. Ihr Vater galt über rund 50 Jahre als DER deutsche Countryexperte im deutschen Radio. Mit welchem Konzept gestalten Sie heute den „Country Club“?

Patrick Fuchs (Bild: Privatarchiv)
Patrick Fuchs (Bild: Privatarchiv)

Patrick Fuchs: Einfache Regel: Country ist vielseitig! Country ist bunt! Außerdem orientiere ich mich an diesem alten englischen Brautspruch: „Something old, something new, something borrowed, something blue..“ Und natürlich bin ich immer offen für Vorschläge und Wünsche der Hörer*innen.

RADIOSZENE: Nach welchen Vorgaben suchen Sie die Musik aus?

Patrick Fuchs: Der musikalische Schwerpunkt von Schwarzwaldradio liegt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und deutsche Schlager werden nicht gespielt. Aber: Keine Regel ohne Ausnahme! 

Ich nehme mir die Freiheit, zwischendurch aktuelle Neuerscheinungen kurz vorzustellen oder mal einen deutschsprachigen Titel einzusetzen, der knapp am Schlager vorbeischrammt.

RADIOSZENE: Auf den Playlisten finden sich neben bekannten Namen der Szene wie Waylon Jennings oder Alan Jackson auch hierzulande eher unbekannte Stimmen. Gibt es eine Facette der Country-Musik, die besonders nachhaltig den Nerv deutscher Radiohörer trifft?

Patrick Fuchs: Ich habe immer besonders positive Rückmeldungen von Hörer*innen zu den Singer-Songwritern, die ich in der Sendung spiele, also Rattlesnake Annie, Buffy Sainte-Marie, Rhiannon Giddens, Guy Clark, Walt Wilkins, Townes van Zandt, Blaze Foley, Dan Fogelberg, Willie Watson, Vincent Neil Emerson … Es ist eine große Freude für mich, diese besondere Mischung aus Country, Americana, Bluegrass und Folk deutschlandweit über DAB+ verbreiten zu können und darüber dann mit Menschen aus allen Regionen in Kontakt zu treten. Die Erfüllung von Musikwünschen, die Beantwortung von Fragen und die Diskussion über spezielle Themen wie „Live-Aufnahmen“ machen mir einfach Spaß.

RADIOSZENE: Radiomacher berichten, dass Country im Grunde eher nur die älteren, männlichen Jahrgänge interessiert. Stützen Sie diese These? Hat das Genre grundsätzlich ein Generationenproblem?

Patrick Fuchs: Ich denke, dass man das differenziert betrachten muss: Die Menschen in Deutschland kamen nach dem zweiten Weltkrieg zum ersten Mal überhaupt mit „Hillbilly Music“ in Berührung, so nannte man Country damals noch. Bis weit in die 1960er Jahre hinein war das amerikanische Militär-Radio-Netzwerk AFN die Hauptquelle für diese Musik in Deutschland. Diese Country-Hörer der ersten Stunde sind heute deutlich über 70 Jahre alt.

Dann sind weitere Generationen nachgewachsen, die von Radiosendungen mit Walter Fuchs, Achim Graul, Hauke Strübing und anderen geprägt wurden, und auch die ganze Entwicklung von  Country mit deutschen Texten mitbekommen haben. 

Heute ist die Situation etwas anders. Die USA sind nicht mehr dieses ferne Land der unbegrenzten Möglichkeiten, von dem man im Nachkriegsdeutschland träumte, dessen Country Music für Freiheit und Abenteuer stand. Speziell Country wird heute oft mit den konservativen Bevölkerungsschichten der USA in Verbindung gebracht, die zum Teil einen geringen Bildungsstand haben. Trotzdem gibt es eine, ich nenne es mal „Singer-Songwriter-Kultur“ in den USA, die auch hierzulande auf offene Ohren trifft, da sie poetisch aber auch sehr kritisch mit den sozialen und politischen Gegebenheiten ihres Landes umgeht.

(Bild: Archiv Patrick Fuchs)
(Bild: Archiv Patrick Fuchs)

Um auf ein mögliches „Generationenproblem“ zurückzukommen: Viele junge Menschen in Deutschland finden traditionelle Country Music oft ziemlich uncool, ist ja – wenn überhaupt – eher die Musik ihrer Väter oder Großväter gewesen und kommt in ihrem Alltag praktisch nicht vor. Daher können sie sich eher mit der aktuellen Musik von Brandi Carlile oder Kacey Musgraves anfreunden. Oder sie haben einen individualistischeren Ansatz und interessieren sich für „The Dead South“ oder „Gangstagrass“. Beide avancieren langsam zu Kultbands.

Man sollte in Deutschland nicht den Fehler machen, alle CountryInteressierten über einen Kamm zu scheren. Die Unterschiede sind groß, es gibt Menschen die mögen deftigen Countryrock, es gibt welche die „Old-School-Country“ vergöttern, für manche funktioniert Country nur mit deutschen Texten, andere wollen am liebsten nur Acoustic-Country und Bluegrass hören, wieder andere stehen auf „Modern Country“, also das was die Hitparaden derzeit dominiert. Auch deshalb ist der  „Country Club“ bei Schwarzwaldradio so vielseitig. 

Bei den Rückmeldungen und Musikwünschen der Schwarzwaldradiohörer*innen zum „Country Club“ ist übrigens der Anteil der Frauen recht hoch: circa 40 %. 

 

„In den USA gibt es kein separiertes Schlagersegment wie zum Beispiel in den deutschsprachigen Ländern. Das heißt, dass alles ‚Liebesleidige‘ und ‚Herzschmerzige‘ auch in allen Genres aufgeht und dort präsent ist“

 

RADIOSZENE: Wohin entwickelt sich gerade die Country Music im Stammland USA? Gibt es neue Trends, die sich im Markt festsetzen?

Patrick Fuchs: Ich sehe ein großes Potenzial bei den Singer-Songwritern, die – selbst wenn sie eindeutig nach Country, Folk oder Bluegrass klingen – im Segment „Americana“ vermarktet werden. Was auch klug ist, denn unter der Überschrift „Americana“ kann man als Künstler sehr vielseitig sein ohne in die Gefahr zu geraten, aus dieser Schublade aussortiert zu werden nur weil man zwischendurch mal ein rockiges Album gemacht hat. 

Was für mich immer wieder interessant ist: In den USA gibt es kein separiertes Schlagersegment wie zum Beispiel in den deutschsprachigen Ländern. In USA singen alle in der Landessprache, also englisch, ein geringer Prozentsatz auch in Spanisch. Das heißt, dass alles „Liebesleidige“ und „Herzschmerzige“ auch in allen Genres aufgeht und dort präsent ist, im Pop, im Rock, im Soul…und eben auch im Country. Es gibt also in all diesen Genres neben sehr anspruchsvollen fast literarischen Texten  auch extrem schlagerhafte Lyrics, bei denen mancher in Deutschland entsetzt wäre, wenn er sie verstehen würde. Diesbezüglich gibt es in den USA aber ein entspanntes Nebeneinander.

RADIOSZENE: Wie sehr hat „Pop“ inzwischen die Country Music vereinnahmt?

Patrick Fuchs: Von Vereinnahmung würde ich da nicht sprechen. Es ist eher eine Annäherung. Und das tritt periodisch auf, gab es in den 1950er/ 1960er/1970er Jahren schon. Auch in den 1980er Jahren klang vieles im Country schon „poppig“. Hören Sie mal Aufnahmen aus den 1980ern zum Beispiel von Vern Gosdin, Emmylou Harris oder der Desert Rose Band. Keine schlechte Musik, doch die Arrangements klingen teilweise genauso synthetisch wie man es damals im Pop kannte und liebte, zum Beispiel bei Depeche Mode oder Cyndi Lauper. Immer nach einer solchen „Pop-Phase“ gibt es dann eine Gegenbewegung. In den 1970ern waren es die „Outlaws“ um Waylon Jennings, Willie Nelson und David Allan Coe, die sich von Nashville und seinem „Nashville-Sound“ abkehrten. In den 1990ern die sog. „Neo-Traditionalisten“ wie Alan Jackson, George Strait und Randy Travis die einen traditionellen Countrysound bevorzugten und sich von poppigen 80er-Jahre-Arrangements verabschiedeten.

RADIOSZENE: Welche Künstlerinnen und Künstler haben in 2021 die einschlägigen Charts dominiert?

(Bild: Archiv Patrick Fuchs)
(Bild: Archiv Patrick Fuchs)

Patrick Fuchs: Ich genieße es sehr, dass ich durch die musikalische Ausrichtung von Schwarzwaldradio nicht verpflichtet bin, die aktuellen Country-, Folk-, Bluegrass- oder Americana-Charts im „Country Club“ zu behandeln. Von Zeit zu Zeit und bei Besonderheiten (zum Beispiel als Gabby Barrett ein halbes Jahr lang die Position 1 der amerikanischen Country Charts innehatte) gebe ich natürlich entsprechende aktuelle Informationen. 

Die erfolgreichsten Country Stars im Jahr 2021 waren Gabby Barrett und Morgan Wallen. Morgan Wallen ist 2014 durch die Casting-Show „The Voice“ erstmals landesweit bekannt geworden. Er pflegt ein ausgeprägtes Proletenimage, auch mit Alkoholexzessen und rassistischen Äußerungen, für die er sich öffentlich entschuldigen musste. Seine Alben, seine Songs verkaufen sich wie geschnitten Brot. Offensichtlich trifft er den Geschmack von vielen jungen Amerikaner*innen. Meinen jedenfalls nicht.

Die junge Sängerin Gabby Barrett wurde ebenfalls durch die Teilnahme an einer Casting-Show bekannt, 2018 belegte sie den 3. Platz bei „American Idol“. Ihr erstes Album „Goldmine“ war extrem erfolgreich und ihr Label Warner Music Nashville unternimmt gerade große Anstrenungen damit Gabby Barrett keine Eintagsfliege bleibt. Mit Country hat ihre Musik allerdings wenig zu tun.

 

„Der Begriff ‚Americana‘ klingt nicht nur elegant sondern steht auch für enorme musikalische Vielfalt“

 

RADIOSZENE: Hat(te) die Corona-Pandemie Einfluss auf die kreative und wirtschaftliche Entwicklung des Genres?

Patrick Fuchs: Wirtschaftlich waren die vergangenen zwei Jahre für viele Musikschaffenden eine Katastrophe. Etliche Musiker*innen und Bands haben die Zeit der Konzertlosigkeit und des Zuhauseseins genutzt für Songwriting, musikalische Onlinemeetings, Streamingangebote…daraus sind viele Ideen entstanden und Prozesse in Gang gekommen. Natürlich ist ein Live-Erlebnis für Publikum und Musiker*innen nach wie vor das Non-plus-Ultra, aber die teilweise Isolation aufgrund der Pandemie hatte auch unerwartete kreative Auswirkungen.

RADIOSZENE: Und Americana? Hält die positive Entwicklung dieser Stilvariante weiter an?

Patrick Fuchs: Ich mag den Begriff „Americana“ inzwischen sehr. Er klingt nicht nur elegant sondern steht auch für enorme musikalische Vielfalt. Und „Americana“ ist erstmals frei von allen negativen Assoziationen die der Begriff „Country“ bei vielen Menschen in Deutschland hervorruft.

RADIOSZENE: Speziell in den 1980er- und 1990er-Jahren haben große Plattenlabels mit viel Aufwand versucht, Country Music in Person wichtiger Protagonisten wie Garth Brooks, Willie Nelson oder Alan Jackson auch in Deutschland zum Erfolgsmodell zu puschen. Was allerdings wohl (auch) wegen mangelnder Präsenz dieser Künstler hier vor Ort scheiterte. Dennoch wird laut Musikforschungsbefragungen „Country“ als Gattung weiter geschätzt. Kommerzielle Erfolge und eine spürbare Beachtung in den Medien sind dennoch rar. Kennen Sie die Gründe?

Patrick Fuchs: Ich vermute, dass der deutsche Markt für Stars aus den USA aufgrund der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen nicht wirklich interessant ist. Jahrelang führten viele Europa-Tourneen an Deutschland vorbei, das heißt es gab Konzerte in Großbritannien, Skandinavien und vielleicht noch in den Niederlanden. Und dann gings wieder nach Hause. (Beispiele: Old Crow Medicine Show 2014, Dixie Chicks 2014 und 2016).

Für 2022 haben sich Brad Paisley (Schwetzingen) und Marty Stuart (Berlin) immerhin für je ein Konzert in Deutschland angesagt. Brett Eldredge spielt im Mai 2022 in Berlin und München. Und Keith Urban hat für denselben Monat gleich fünf Termine in Deutschland angekündigt (Düsseldorf, München, Frankfurt, Berlin, Hamburg) Wenn diese Konzerte wirtschaftlich erfolgreich verlaufen, dann könnte das vielleicht eine Trendwende bedeuten. Sehr optimistisch bin ich da aber nicht. 

Ein vielversprechender Versuch ist auch die Ausweitung des C2C Country-to-Country-Festivals von Großbritannien nach Berlin. Leider kann die Veranstaltung in diesem Jahr wieder nicht stattfinden. Vielleicht 2023.

RADIOSZENE: Fehlt es der Country-Musik hier nicht zuletzt auch an Unterstützung durch die Musiklabels?

Patrick Fuchs: Die amerikanische „Country Music Association“ bemüht sich da sehr. Sie unterstützt zum Beispiel das C2C-Festival und die begleitenden Aktionen drumherum. Da ich aber nicht weiß, wie groß der Einfluß von Labels zum Beispiel auf Airplay in Deutschland noch ist, kann ich die Frage eigentlich nicht seriös beantworten. Vermutlich kann man sich hier an der derben Weisheit „Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht“ orientieren. 

(Bild: Archiv Patrick Fuchs)
(Bild: Archiv Patrick Fuchs)

Das heißt: Solange Country & Co. nicht zur Selbstverständlichkeit im Radioalltag werden, sind sie exotisch, führen ein Nischendasein, müssen permanent erklärt und gerechtfertigt werden, bleiben also ein sogenanntes „Minderheitenangebot“. 

RADIOSZENE: Wie ist es eigentlich um die deutsche Countryszene bestellt? Viele Menschen bringen das Genre zunächst noch immer in Verbindung mit der Band Truck Stop oder vergleichbaren schlagerhaften Sounds … Ein Vorurteil?

Patrick Fuchs: Nö, eher ein Nachurteil. Es gibt so eine Art deutschen Country-Schlager, dem ich die Existenzberechtigung überhaupt nicht abspreche. Aber das ist ungefähr so, wie wenn Sie mit mir über deutsche Popmusik sprechen und mich dann nach Helene Fischer fragen. Was soll ich denn da antworten? Außer: Gut gemacht, professionell, aber gefällt mir trotzdem nicht.

Ich bin als Kind mit den Werken von Wilhelm Busch aufgewachsen, später auf die Gedichte von Robert Gernhardt gestoßen. Vieles was deutsche Sprache an Humor, Wortwitz, Boshaftigkeit und Listigkeit in reimenden Zeilen hervorbringen kann habe ich dort gefunden und genossen. Das fehlt mir leider bei den allermeisten deutschen Country-Texten. Diesbezüglich habe ich dann deutlich mehr Spaß an deutschem Rap und Hip-Hop …

 

„Solange Country & Co. nicht zur Selbstverständlichkeit im Radioalltag werden, sind sie exotisch, führen ein Nischendasein“

 

RADIOSZENE: Welche Künstler in Deutschland und Europa haben sich zuletzt besonders in den Vordergrund gespielt?

Patrick Fuchs:Normalerweise besuche ich viele Konzerte und Festivals, circa 50 pro Jahr, um mir ein Bild der europäischen Country – und Bluegrassszene zu machen. Durch den pandemiebedingten Ausfall vieler Veranstaltungen und die eingeschränkten Reisemöglichkeiten in den vergangenen beiden Jahren ist die Frage nicht ganz aktuell zu beantworten.

Im Bereich Bluegrass fällt mir seit Jahren eine junge Band aus Bayern auf: Johnny & The Yooahoos. Diese begabten jungen Leute laden ihren traditionellen Bluegrass mit einem schönen Popgefühl auf – absolut hörenswert! 

Eine der erfolgreichsten Bluegrass Bands Europas sind sicherlich die Blue Grass Boogiemen aus den Niederlanden. Seit einigen Jahren sind sie mit dem jungen Singer-Songwriter Tim Knol permanent auf Tour. 

Ebenfalls aus den Niederlanden kommen die Music Road Pilots. Eine Band, die ich oft live gehört habe und jedesmal beeindruckt war vom Zusammenspiel, vom Sound und von der rockigen Herangehensweise.

Ich bin kein großer Fan von Kiefer Sutherland, weder als Schauspieler noch als Musiker, aber seine Popularität als Schauspieler und sein echte Liebe zur Country Music machen ihn zur Zeit zu einem der wertvollsten Vertreter dieses Genres für den deutschen Markt. Und er hat ein paar Country-Songs geschrieben, über die ich ehrlich sagen muß: Toll, richtig gute Songs! 

RADIOSZENE: Shows, die sich speziell der Country-Music widmen, sind im deutschen Radio bis auf einige wenige Ausnahmen nicht vorhanden. Ihr Vater Walter war praktisch eine Art einsamer Rufer in einer kargen Landschaft. Liegt dies auch an versteckt vorhandenen Vorurteilen der Radiomacher oder vielleicht doch auch am fehlenden Wissen um die Musik beziehungsweise einem Mangel an fachkundigen Programmgestaltern?

Patrick Fuchs: Wenn man in Deutschland ein Radioprogramm verantwortet, das Musik in den Mittelpunkt stellt, sollte man die Hörer*innen jedenfalls nicht unterschätzen. Den Zuschriften und den Musikwünschen der Hörer*innen von Schwarzwaldradio entnehme ich ein enormes Wissen und einen besonderen Anspruch, gerade in Sachen „Country“, „Bluegrass“  und „Americana“. 

RADIOSZENE: Seit 2016 verantworten Sie als künstlerischer Leiter mit dem „Bluegrass Festival“ das bedeutendste Event dieser Gattung in Europa. Wo steht derzeit Bluegrass? Wer wird in Bühl in 2022 auf der Bühne stehen?

Patrick Fuchs: Nachdem das “Internationale Bühler Bluegrass Festival“ pandemiebedingt zwei Jahre lang nicht stattfinden konnte, haben wir uns für 2022 an der in BaWü (eventuell) geltenden CoronaAlarmstufe orientiert, um sicherzustellen, dass die Veranstaltung in diesem Jahr stattfinden kann. Das bedeutet unter anderem: eine drastische Reduzierung der Besucherzahl und eine Reduzierung der auftretenden Bands, um auch im Hinterbühnenbereich die Kontakte und Begegnungen zu minimieren.

Bluegrass Buehl 2022

Unser Ziel war es immer, die Künstler, die für das Festival 2020 unter Vertrag waren, bei der nächstmöglichen Ausgabe zu berücksichtigen. Unsere „Vertragstreue“ hat uns große Sympathie und Dankbarkeit eingebracht, trotzdem müssen wir in diesem Jahr auf einige der für 2020 eingeplantene Bands verzichten. Die Gründe sind vielfältig: Laurie Lewis kann aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht auftreten. Eine europäische Band hat sich praktisch aufgelöst, eine weitere Band kann erst 2023 nach Bühl kommen, da ein Musiker ein Stipendium für ein Auslandssemester in USA hat, und so weiter.

Trotz dieser Ausfälle und der Limitierung auf vier Bands bei der diesjährigen Ausgabe, haben wir ein hochkarätiges Line-up das sowohl Liebhaber*innen von Bluegrass als auch von Americana begeistern wird: Seth Mulder & Midnight Run aus

Tennessee stehen für traditionellen Bluegrass (www.midnightrunbluegrass.com). The Hackensaw Boys dagegen haben eine punkige Herangehensweise an amerikanische Roots Music (www.hackensawboys.com).

Old Salt aus Belgien bietet anspruchsvollen Bluegrass-Folk und wird die einzige europäische Band beim diesjährigen Bühler Festival sein (www.oldsalt.us). Chatham County Line aus North Carolina feiern ihre Deutschland-Premiere mit einer drastischen Besetzungsänderung: Statt mit Banjo sind sie seit zwei Jahren mit Schlagzeug auf Tournee, das Klangbild ändert sich daher von Bluegrass in Richtung Americana (www.chathamcountyline.com).

RADIOSZENE: Gibt es Künstler, Bands oder Veröffentlichungen, die Sie Radiomachern aktuell ans Herz legen möchten?

Patrick Fuchs: Oh, da gibt es einiges: Die neuen Alben von Greensky Bluegrass, Punch Brothers und den Kintchen Dwellers. Außerdem: Emily Scott Robinson, Kacey Musgraves, Jamestown Revival, Blackberry Smoke. Und immer wieder: Chris Stapleton!