Podcast zum Warntag 2023: „Es gibt genügend Warnfälle, wo das Mobilfunknetz ausfällt“

Wie wird die Bevölkerung am besten gewarnt? Über Sirenen, über das Handy oder über DAB+? Das sind einige der Fragen, die Marek Schirmer für RADIOSZENE auf den Lokalrundfunktagen Nürnberg 2023 Olaf Korte stellte. Er ist Diplom-Informatiker vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen. Passend zum heutigen Warntag am 14. September 2023 veröffentlichen wir diesen Podcast:

Für alle, die lieber lesen, gibt es hier das komplette Script des Podcasts:

Dirk Lieder, den stellvertretenden Leiter der Feuerwehr Witten (O-TON): „Der Kalte Krieg war vorbei und dann hat man sich das Geld gespart und hat die Sirenen damals abgebaut. Man hatte nicht im Fokus, dass es natürlich ein tolles Instrument für die Bevölkerungswarnung ist. Irgendwann man hat man gesehen, es gibt Situation da muss die Bevölkerung gewarnt werden. Wie warne ich die denn jetzt? Und dann hat man App entwickelt. Aber nicht jeder hat ein Smartphone. Nicht jeder spielt sich die App auf das Smartphone. Man erreicht die Bevölkerung so flächendenkend nicht.“

O-TON: „Dann ist man irgendwann wieder zu dem Schluss gekommen, die Sirenen haben doch Sinn gemacht. Nicht um die Bevölkerung in die Luftschutzkeller zu zwingen, sondern einfach um mal zu sagen, hier ist was, schalt dein Radio ein.“

Die Sirenen wurden wieder in Deutschland dort aufgebaut, wo sie nach dem Ende des Kalten Krieges abgebaut wurden. Doch können die Bürger mit den Warntönen etwas anfangen?

O-TON: „Nein nicht wirklich. Dafür hört man’s dann zu selten. Ich wohne in Wetter und direkt neben mir ist so eine Sirene auf einem Haus angebracht und die geht z.B. regelmäßig samstags um 12 [Uhr] und da ist klar, es ist Probealarm. 100 % einordnen kann ich es nicht.“
„Ich weiß es, dass es Entwarnung gibt. Daueralarm glaube ist, wenn Radio anmachen, Nachrichten hören und in NINA-Warn-App gucken oder Katastrophen-Warn-App – habe ich alles auf dem Handy.“


Seit 23. Februar 2023 ist die Warntechnik „Cell Broadcast“ in Deutschland im Einsatz. Die funktioniert nur, wenn Ihr Smartphone nicht auf WLAN-Telefonie eingestellt ist. Es wird weiterhin geforscht, wie die Bevölkerung vor Gefahren noch besser gewarnt werden kann. Der Radiostandard DAB+ könnte helfen, sagt Olaf Korte, Diplom Informatiker vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen gegenüber RADIOSZENE. Marek Schirmer sprach mit ihm auf den Lokalrundfunktagen in Nürnberg dieses Jahr .

RADIOSZENE: DAB+ kennen wir als Radiostandard. Vielleicht kann unser Radio schon DAB+. Aber DAB+ kann mehr. DAB+ kann uns auch warnen, wenn z.B. irgendwo brennt, wenn ein Sturm nach Hamburg eilt. Kann das mein Radio sofort?

Olaf Korte (Bild: © Fraunhofer IIS / Paul Pulkert)
Olaf Korte (Bild: © Fraunhofer IIS / Paul Pulkert)

Olaf Korte: Also grundsätzlich würde ich erst mal davon ausgehen, dass ihr Radio das sehr wahrscheinlich noch nicht kann, weil dieses Verfahren immer noch in Einführung befindlich ist. Alle zukünftigen Radios – gehen wir davon aus – werden diese Warnfunktion beinhalten. Das ist das Ziel was WorldDAB, als Standarisierungsgremium für diesen Standard DAB+ aktuell verfolgt. Wir erwarten, dass es in den nächsten 2-3 Jahren in jedes Radio reinkommt.

RADIOSZENE: Jetzt sind hier auf dem Stand schon die ersten Modelle von Radios aufgebaut, zum Beispiel hier so ein Handwerker Radio habe ich in der Hand. Könnte das jetzt schon das?

Olaf Korte: Das ist eins der Radios, das tatsächlich schon auf das so genannte Alarm Announcement reagieren kann, sprich wenn eine Warnmeldung kommt, ähnlich wie man es bisher nur von Autoradio kennt bei Verkehrsfunkdurchsagen, kann dieses Radio bei einer aktivierten Warnung einschalten und die Warnmeldung wiedergeben.

RADIOSZENE: Woher weiß mein Radio, wo ich wohne?

Olaf Korte: Das funktioniert eigentlich aktuell darüber, dass wir im gesamten Verbreitungsgebiet eines DAB+-Verbreitungsgebietes – also so genanntes DAB+ Ensemble – ein Warnflag mitsignalisieren. DAB+ ist digital, also wir können jede Art von Daten mitschicken und diese Warnflags, sind solche digitalen Daten, die das Radio auswerten kann und wenn es die sieht, dann schaltet es sich ein. Das heißt wir sind aktuell mit der Warnung immer im Verbreitungsgebiet eines gesamten DAB-Multiplexes, weshalb es wichtig ist, für die Warnung an möglichst lokalen Multiplex zu nehmen, der sich idealerweise genau mit dem Warngebiet deckt.

RADIOSZENE: Jetzt kann ich das als Hörer gar nicht auswählen, welchen Multiplex ich nehme?

Olaf Korte: Also aktiv tun Sie das normalerweise nicht, sondern sie wählen ihr Radioprogramm natürlich aus nach ihren Hörpräferenzen. Wenn Sie WDR 2 hören wollen, dann wählen sie den WDR 2 Multiplex ab, wenn sie Radio FFH hören wollen, wählen sie halt den Multiplex an, wo FFH kommt.

RADIOSZENE: Und der Empfänger weiß automatisch, welchen Kanal also welche Warnungen er nehmen muss?

Olaf Korte: Aktuell wäre das eigentlich nur der bundesweite DAB-Multiplex mit Deutschlandradio, weil Deutschlandradio dieses System bereits unterstützt. Zukünftige Radios werden eine Autosuchfunktion haben, wiederum ähnlich wie beim Autoradio, wo sie dem Autoradio auch sagen können, ich will nur Radiosender haben, wo Verkehrsfunk kommt.

RADIOSZENE: Woher weiß das Radio wo ich wohne?

Olaf Korte: Da haben sie mit den aktuellen Warnsystem, so wie es jetzt in den Radios implementiert wird und wie es jetzt im Standard drin steht noch ein gewisses Problem, weil das Radio weiß es eben nicht, sondern weiß eigentlich nur aufgrund des Verbreitungsgebietes, ob es in diesem Verbreitungsgebiet liegt oder nicht. Sprich, wenn es den Sender wiedergeben kann, liegt es im Verbreitungsgebiet, was sich aber nicht zwingend unbedingt damit deckt, was gewarnt werden soll. Insbesondere wenn wir manchmal je auch nach Wetterlage Überreichweiten haben, das kann dann natürlich schon zu so genannten Überwarnung führen, dass wir also Leute warnen, die eigentlich nicht betroffen sind.

RADIOSZENE: Jetzt haben Sie gesagt, ich werde gewarnt von dem bundesweiten Multiplex, der quasi Warnungen aussenden kann nur für ganz Deutschland? Oder hab ich das falsch verstanden?

Olaf Korte: Das haben sie richtig verstand. Es ist der erste Schritt d.h. wir können eigentlich aktuell nur in hoffentlich nie vorkommen Warnfällen warnen, Beispiel Kernkraftwerk in Belgien geht hoch oder die Russen schicken uns noch mal irgendwie bösen Raketen rüber. Das wären so bundesweite Warnfälle. Alles andere ist natürlich regionaler und lokaler und würde dann bedürfen, dass wir in landesweite Multiplexe also z.B. den WDR-Multiplex reingehen oder sogar in lokalere wie hier in Nürnberg z.B. Lokalmultiplex der nur das Stadtgebiet Nürnberg und bisschen drumherum versorgt.

RADIOSZENE: Es ist also nicht möglich über DAB+ bis jetzt gezielt zu sagen, ich möchte nur Postleitzahl 12345 zu alarmieren, dafür muss man tatsächlich wieder die Sirenen benutzen?

Olaf Korte: Sirenen oder sie nutzen noch besser Cell-Broadcast. Also ich würde sagen aktuell das effizienteste Warnmedium – sofern es denn funktioniert – ist tatsächlich Cell-Broadcast, weil sie da extreme flächenspezifisch warnen können.

RADIOSZENE: Da brauche ich doch keine Warnung in DAB+?

Olaf Korte: Naja, es gibt genügend Warnfälle, wo das Mobilfunknetz ausfällt. Also sei’s durch Überflutung, Stromausfälle. Nach dem Stromausfall sind die Basisstation in wenigen Stunden weg oder manchmal werden die Netze auch funktionsunfähig, weil irgendein Authentifizierung Server ausfällt. Man braucht eigentlich immer mehrere Warnmittel, nicht nur eins und DAB+ ist ein ergänzendes, zusätzliches Warnmittel und diese Lokalisierungs-, Regionalisierungsfunktion wird gerade in WorldDAB diskutiert, dass man dort auch noch nachrüsten. In Zukunft wird es wahrscheinlich auch möglich sein, dass der Nutzer ein Radio hat, dass entweder ein GPS-Modul drin hat und dadurch weiß, wo es steht oder aber der Nutzer gibt ein mehrstelligen Code ein – ähnlich wie ein WLAN-Schlüssel, sag ich jetzt mal – beim Internet Radio, was man schon kennt und dann weiß das Radio, wo es steht und kann zukünftig bei einer verbesserten Signalisierung sendeseitig auch ganz gezielt für kleine Regionen – sei’s jetzt mal ein paar Straßenzüge in der Stadt – gezielt gewarnt werden. Das ist angedacht und das streben wir momentan an. Es ist aber noch Arbeit bis das implementiert ist.

RADIOSZENE: Wie wird das heißen?

Olaf Korte: Emergency Warning System – EWS.

RADIOSZENE: Also wie das System bis jetzt, es ist nur einer Erweiterung.

Olaf Korte: Es gibt noch keinen verbindlichen Markennamen dafür. Soweit sind wir noch nicht. Erstmal muss die Technik sehen und dann kümmern wir uns ums Marketing davon. Andersrum wäre blöd.

RADIOSZENE: Warum ist es denn so unterschiedlich das ist sie haben gesagt in Nürnberg würde das ja funktionieren, weil es einen lokalen Multiplex gibt und da würde nur die Leute in Nürnberg und wahrscheinlich im Umland warnen und anderen Bundesländern gibt es das gar nicht? Warum ist das so?

Olaf Korte: Ja, je nach Bedarf und Möglichkeiten. Also ich sag mal, in Bayern leben wir natürlich in einer Art DAB+ Schlaraffenland. Das muss man schon sagen, weil hier frühzeitig die Bayerische Landeszentrale für neue Medien auch immer dafür gesorgt, dass DAB+ gepusht wird. Und trotzdem sind wir heute nur bei Hörerzahl, die immer noch unter 50 % liegt – muss man auch fairerweise dazu sagen – was vieles ist, aber trotzdem haben wir nicht die 100 erreicht. Noch immer spielt UKW noch eine relevante Rolle. In anderen Bundesländern ist es noch weniger der Fall. Und auch in Bayern – muss man sagen – gilt das was ich gerade als Beispiel Nürnberg gesagt habe, ja nur für fünf oder sechs große Städte. Es gibt genügend Bereiche – auch Flächen in Bayern, die man sich raussuchen kann, wo so eine punktuelle Warnung eben nicht geht, weil dort so ein kleiner Multiplex nicht verfügbar ist.

RADIOSZENE: Aber der Vorreiter von dem System, das Sie vorstellen – vom EWS – ist eigentlich Radio Data System in Schweden gewesen – beim Kernkraftwerk – ich überlege gerade wo das war, mal müde so wo man sich schon vor etlichen Jahren überlegt hat, wir müssen die Leute aufwecken, wenn ein Kernkraftwerk explodiert und die bekommen spezielle Radios, die wir aus der Ferne schalten können, wo plötzlich jemand Gespräch und sagt wie sich die Leute zu verhalten haben. Warum hat man das bei der Einführung von DAB+ vergessen?

Olaf Korte: Vergissen hat man‘s nicht. Man hat es nur nicht implementiert. Also dieses Alarm Announcement – diese Funktion gibt es schon sehr lange im DAB+-Standard und auch bei UKW – muss man ja sagen – hat sich nicht flächendeckend durchgesetzt. Es gibt auch Gründe dafür. Ich nehme an sie meinen den PTY 41 vom Radio Daten System.

RADIOSZENE: 31 vielleicht?

Olaf Korte: Kann auch sein. Aber auf jeden Fall da. Ist das dort ein einzelner UKW-Sender diese Alarmierung setzen kann und es ist aus Italien bekannt, dass viele Radiostation das absichtlich gesetzt haben, um Hörer auf ihren Sender zu ziehen. Solcher Missbrauch darf nicht passieren. Insbesondere ist dann UKW dafür natürlich anfällig. Bei DAB+ ist diese Einstiegshürde schon höher, weil ich müsste den gesamten DAB-Multiplex hijecken, um so eine Signalisierung machen zu können und so ein Netzoperator der ist normalerweise eine ganz andere Nummer, als eine einzelne Radiostation. Die Radiostation selber ist eigentlich erst mal gar nicht autorisiert oder technisch in der Lage dieses Alarm-Flag zu setzen, weil das kann nur der Netzprovider, der den Multiplexer betreibt.

RADIOSZENE: Wir haben sehr viele technische Sachen besprochen. Ich als Verbraucher überlege mir immer und prüfe das auch was verbraucht mein Radiogerät. Muss mein Radio den ganzen Tag laufen, um irgendwie alarmiert zu werden?

Olaf Korte: Es muss in einem sogenannten Standby-Modus laufen d.h. es läuft in einem sehr Stromsparmodus, in dem es immer noch die Datenkanäle auswertet, die dieses so genannte Alarmflag enthalten. Einziges Problem dabei ist oder Schönheitsfehler ist, ein Radio, dass dieses Flag auswertet, hat bis zu 1 Minute Zeit aufzuwachen. Das heißt, wenn es aufwacht, springt es in die schon laufende Alarmmeldung erst rein. Deswegen muss senderseitig berücksichtigt werden, dass eine Warnmeldung wiederholt wird und zwar so, dass nach 1 Minute Wartezeit die Warnmeldung mindestens einmal vollständig wiedergeben kann. Das sind die kleinen Sachen, die man als Randbedienung haben muss. Aber ansonsten kann das Radio extrem stromsparend auf diesen Warnkanal horchen und deswegen auch im Batteriebetrieb stromsparend warten sozusagen. Ob, das ist Nachtischwecker ist, der idealerweise Pufferakku hat, damit auch ein Black-out Fall wenn der Strom schon ausgefahren Fall ist, weil durch den Großbrand vielleicht der Strom ausgefallen ist auch, dass ich trotzdem die Warnung noch bekommen kann.

RADIOSZENE: Als Verbraucher gehe ich einfach in einen Laden oder bestelle was im Internet. Wie kriege ich mit, ob mein Empfänger diese Warnfunktion schon kann oder nicht?

Olaf Korte: Also aktuell wenn sie das wissen wollen, gibt es nur ein Zeichen, das nennt sich EWF – Emergency Warning Functionality und wird – Werbung will ich jetzt in dem Sinn nicht machen, ich nenne trotzdem den Namen – die Firma TeleStar die baut solche Radios bereits und bietet die auch an. Die Firma Technisat – eigentlich der Marktführer in Deutschland – bietet auch Radios die teilweise dieses Alarm-Announcement schon drin haben. Meines Wissens nach wird es aber noch nicht aktiv beworben zum jetzigen Zeitpunkt.

RADIOSZENE: Wir haben Cell-Broadcasting, wir haben DAB+, wir haben Sirenen und trotzdem kriegen Menschen nicht mit, wenn Alarm ist. Was kommt als Nächstes? Gibt es beim Fraunhofer-Institut irgendetwas, woran noch geforscht wird?

Olaf Korte: Also forschen tun wir natürlich an sehr vielen Dingen. Ich muss auch zugeben, dass das Warn-Thema an unserem Institut ein sehr kleines Rand-Thema, wenn man ehrlich ist. Das Hauptthema bei uns am Institut sind die Audiokodierverfahren, Audiorenderingverfahren dann auch modernere Funktechnologien, weil DAB+ ja eigentlich schon ein sehr altes Verfahren ist, was die Funktechnik anbelangt. Die wichtigsten Warnmittel haben Sie schon genannt. Natürlich gibt es immer noch Nischen-Anwendungen, wo man mehr tun kann. Wo ich ein bisschen die Werbetrommel rühren möchte ist, dass man sich dessen bewusst macht, dass die DAB+ Netze einfach eine gute Möglichkeit sind, weil sie eh vorhanden sind, digitale Daten jeglicher Art zu übertragen d.h. ich könnte mir theoretisch auch vorstellen, dass ich zukünftig auch eine Backup-Versorgung der Sirenenansteuerung über DAB+ implementiere. Die DAB+ Netze sind sehr robust im Vergleich zu anderen Zuführungssystemen und flächendeckend in Deutschland verfügbar,

RADIOSZENE: …sagt Diplom-Ingenieur Olaf Korte formal vom Fraunhofer-Institut ..

Olaf Korte: … und wir machen da nicht nur Audiokodierung, Bevölkerungswarnung oder Kommunikationssysteme, sondern auch der Bereich Chip-Design ist nach wie vor sehr wichtig. Es gibt auch bayrische Initiativen dafür, damit der Standort Deutschland bzw. Europa auch wieder wichtiger wird, was das Thema Chip-Produktion anbelangt, also da sind wir sehr stark involviert.

RADIOSZENE: Sagt ein Westfale, der jetzt mal für Bayern wirbt.

Olaf Korte: Man könnte auch sagen, ein Saupreuss in Bayern und nein wir sind hier nicht in Bayern, wir sind in Franken. Das muss man auch noch dazu wissen.

RADIOSZENE: Vielen Dank fürs Interview.

Olaf Korte: Herzlich gerne.


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