Persönlichkeiten,
Profilneurosen, Problemzonen
„Um
als Moderator zu arbeiten, muss man mindestens eine kleine Profilneurose
haben“, sagte vor 20 Jahren ein Kollege zur mir, der heute
zu den wenigen Persönlichkeiten im deutschen Radio zählt
und vor dem ich nach wie vor meinen Hut ziehe.
„Moderator werden kann man nicht lernen, als Moderator wird
man geboren oder nicht“, sage ich gerne, wenn man mich fragt „wie
bitteschön wird man eigentlich Radiomoderator?“. Der „typische
Moderator“ hat in der Regel von Natur aus den Drang, sich mitzuteilen,
zu präsentieren und ist eher der Typ, der gerne im Vordergrund
steht. Wer das nicht zugeben will, belügt sich selbst. Oder hat
kein Interesse daran, ein herausragender Moderator zu sein, eben eine
Persönlichkeit.
Waren Sie mal in einer Runde mit mehr als zwei Radiomoderatoren?
Ich war kürzlich in der Kantine eines Medienunternehmens mit zwei
Morgenshow- Moderatoren, dem dazugehörigen Gagautor und dem
Nachmittagsmoderator des Senders.
Wir haben nicht nur uns, sondern auch die umliegenden Tische bestens
unterhalten …
Was das alles mit Persönlichkeiten zu tun hat? Sehr viel! Wen
würden Sie als Persönlichkeit bezeichnen und was zeichnet
diese Menschen aus? Möglicherweise haben wir alle unterschiedliche
Vorstellungen von „der“ Radiopersonality. Ich verstehe
unter diesem Begriff Moderatoren, die gerne Geschichten erzählen,
gute Unterhalter sind, dabei eine bildhafte Sprache haben und pointiert
formulieren können. Bei einer Analyse deutscher Morningshow- Moderatoren
habe ich außerdem folgende Gemeinsamkeiten gefunden: alle leben
exakt in der Lebenswelt ihrer Hörer (oder betonen die Punkte,
in denen sie die Lebenswelt der Hörer widerspiegeln), sprechen
die Sprache der Menschen am Radio, sagen genau das was diese denken
(auch wenn sie sich damit gelegentlich weit aus den Fenster lehnen)
und lassen den Hörer am eigenen Leben teilhaben. Alle geben sehr
viel von sich preis, alle lassen auch mal stark emotionale Momente
zu und alle reiben sich an und mit ihren Co- Moderatoren. Sie haben
Meinungen und äußern diese, sie polarisieren und haben keine
Angst davor, sie bedienen die klassischen Mann- Frau-Klischees und
stehen dazu. Und sie nehmen sich selbst nicht zu ernst.
Im Wort Persönlichkeit steckt das Wörtchen „persönlich“ drin.
Und das ist sicher eines der wichtigsten Kriterien für eine Radiopersonality:
persönlich sein. Fast alle Breaks, an die ich mich nachhaltig
erinnere, hatten einen persönlichen und/oder emotionalen Moment.
Zum Beispiel die Geschichte der Vormittagsmoderatorin, die erzählte,
dass sie am selben Tag im Bus auf dem Weg in den Sender einen superschnuckeligen
Mann gesehen, der ihr wahnsinnig gut gefallen hat. Leider hat sie sich
nicht getraut, ihn anzusprechen… Oder ein sehr emotionaler Break
eines Morgenshowmoderators, der erzählte, wie er seine Eltern
nach einem Besuch in Berlin verabschiedet hat und als er ihnen nachsah,
ein bisschen traurig wurde. Er sah von hinten, dass sein Vater Schwierigkeiten
beim Gehen hatte und musste feststellen, dass seine Eltern wirklich
alt wurden. Er erzählte das sehr emotional und sehr persönlich
und man konnte mit ihm mitfühlen. In Erinnerung geblieben ist
mir auch die Liebeserklärung eines Morningshowanchors an seine
Frau nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes.
Sicher, es gehört viel Mut dazu, so viel von sich preis zu geben.
Wenn jemand nicht so weit gehen will: kein Problem! Aber das sind die
Dinge – die zumindest für meinen Geschmack – eine
Persönlichkeit ausmachen.
Beim Thema „Radiopersonalities“ wird auch oft auf die
polarisierende Art von Howard Stern hingewiesen. Erinnern Sie sich
aber, wie er angefangen hat und zu einer Persönlichkeit wurde:
mit Geschichten aus seinem Leben. Von seiner Frau, ihrer Schwangerschaft,
ihrer Fehlgeburt – eben mit den ganz „normalen“ Geschichten,
die das Leben schreibt. Ich finde, man muss nicht „politisch
unkorrekt“ sein oder gar Minderheiten beschimpfen, um eine herausragende
Personality zu sein.
„Die beste Ressource für die Vorbereitung einer Show ist
das eigene Leben“. Auch ein Zitat eines Kollegen, das ich nicht
vergessen werde. Es sind die kleinen Ereignisse des täglichen
Lebens, die – radiogerecht umgesetzt – aus Moderatoren
Menschen machen, die dieselben Sorgen, Probleme und Erlebnisse haben,
wie deren Hörer.
Ein nachvollziehbarer Mensch sein, Dinge tun, mit denen
sich der Hörer
identifizieren kann, sind der erste Schritt auf dem Weg zur Persönlichkeit.
Und es sind die einfachsten Dinge, die aus einem Moderator mehr machen
als nur einen Titelansager, Wettervorleser und Gewinnspiel- Rüberbringer.
Mein Berliner Lieblingssender hat einige Moderatoren,
die – für
mein Verständnis – echte Persönlichkeiten sind. Weil
ich gerne zuhöre, wie sie z.B. an den alltäglichen Dingen
des Lebens Geschichten „aufhängen“ – zum Beispiel
den Beitrag über eine „Beziehungs- Beendungs- Agentur“ an
einer Co- Moderation der zwei Moderatoren (zwei Männer), die darüber
geredet haben, wer von beiden ein „Schlussmacher“ und wer
ein „Schluss- Gemacht- Werder“ ist. Die beiden haben ihre
gesamten relevanten Beziehungen offenbart und zugegeben, dass sie meist
zu feige waren, selbst Schluss zu machen… Vermutlich hat die
Mehrheit der männlichen Zuhörer Parallelen zum eigenen Leben
feststellen können….Oder wie die beiden zu Ostern das Thema „Hasen“ aufgezogen
haben: ich habe erfahren habe, dass einer der beiden ein durchtrainierter
Zwei- Meter- Mann ist, von seiner Frau „Hasi“ gerufen wird,
was in einem Kaufhaus sicher zu dem ein oder anderen verwunderten Blick
führt. Bei der Geschichte, die kurz und einfach war, hatte ich
ein Bild vor Augen, musste schmunzeln und habe in einem Break eine
Menge über den Mann, der Zuhause „Hasi“ genannt wird
erfahren. Klasse!
Die Dinge auf die ich selbst (in meiner Zeit als Moderatorin)
am häufigsten
angesprochen wurde, waren einfache persönliche Dinge, die viele
Menschen in ihrem täglichen Leben entweder selbst erleben oder
die ihnen in ihrem direkten persönlichen Umfeld regelmäßig
begegnen. Es ging um das Tragen, Gefallen sowie Nicht- Tragen weil
Nicht- Gefallen von Brillen (und dessen Folgen…), den (typisch
weiblichen) ständigen Kampf mit dem Gewicht, die Kommunikation
mit dem inneren Schweinehund in Sachen Besuch des Fitness- Studios,
eingebildete und echte Problemzonen und den alltäglichen Kampf
der Geschlechter. Absolut unspektakulär, aber für (fast)
jeden Hörer nachvollziehbar und einfach nur menschlich.
Meine Erfahrung: alles, womit sich die Hörer(innen) selbst identifizieren
konnten oder was sie aus ihrem persönlichen Lebensumfeld (zum
Beispiel Breaks zum Thema „Männer und Frauen“…)
kannten, schaffte Aufmerksamkeit oder Feedback, war also für die
Hörer be-MERKENS-wert. Persönliches einzubauen, in dem sich
die Zielgruppe wiederfindet, ist ein einfacher Schritt auf dem Weg
vom Moderator zur Persönlichkeit.
Etwas schwieriger ist schon der nächste Schritt, nämlich
an die Grenzen des jeweiligen Formats zu gehen und auszutesten, was
alles möglich ist – im Rahmen der Vorgaben. Die meisten
Formate erlauben deutlich mehr als Musicsells und Gewinnspielteasings.
Ich freue mich immer, wenn ein Moderator einfach mal etwas anders macht.
Zum Beispiel von seinem aktuellen Beziehungsstress erzählt und
dann aus der Sendung raus seine Freundin anruft…. Klasse fand
ich auch den jungen Mann, der live on air (es gab einen aktuellen Aufhänger)
den nachfolgenden Moderator als „Sitzpinkler“ outete und
mit ihm kurz über eine Diskussion über Weicheier, Frauenversteher
und die letzte Männerdomäne begann. Wie immer kann es sein,
dass sie auch diese Beispiele nicht mögen, aber sie stehen ja
nur exemplarisch dafür, dass man nur dann bemerkenswert wird,
wenn man persönlich ist und sich mehr traut, als den nächsten
Song anzusagen und das folgende Gewinnspiel zu teasen. Was riskiert
man dabei? Maximal eine Rüge seines PD. Aber ich sagte ja, ein
bisschen Mut gehört schon dazu….
Ich finde: alles, was eine Sendung besser macht, ist
erlaubt. Ich kann einen Musicsell statisch aufziehen oder mit einer
persönlichen
Geschichte verbinden. Ich kann ein Thema einfach teasen oder ich kann
versuchen, einen persönlichen Zugang zu finden. Hier werden viele
Chancen verschenkt! Kürzlich gehört: ein 40jähriger
männlicher Moderator (definitiv hetero), der ein Mann- Frau- Thema
mit den Worten teaste: “Morgen erfahren Sie, warum Frauen immer
stundenlang mit ihrer besten Freundin quatschen müssen, aber gar
nichts dafür können.“ Warum sagte er nicht etwas in
dieser Richtung: „Ich verstehe die Frauen einfach nicht. Meine
Freundin Nina zum Beispiel. Die geht mit ihrer besten Freundin den
ganzen Samstag shoppen und kaum ist sie eine Stunde zuhause, hängt
sie schon wieder am Telefon - um ihre beste Freundin anzurufen. Was
haben die Mädels eigentlich immer zu besprechen?? Und das stundenlang!!!
Für mich eines der ungelösten großen Rätsel der
Menschheit. Ich bin sicher, die meisten Männer in… kennen
das ebenfalls Wir klären dieses Phänomen….“ Das
ist im Grunde der gleiche Teaser zum selben Thema, nur persönlich
statt standardmäßig aufgezogen und vielleicht auch in einer
Art und Weise, die Hörer dazu bringt, sich mit dem Moderator zu
identifizieren, weil sie die Situationen kennen und das Gefühl
haben „der versteht mich“. Denn darum geht es uns doch
letztendlich: ein Freund der Hörer zu werden. Dazu muss der Hörer
aber etwas über mich als Moderator wissen. Oder haben Sie Freunde,
von denen sie nichts wissen??
Wenn man nichts Persönliches preisgeben will, keine Lust hat,
seine Figurprobleme und Dioptrien vor den Hörern auszubreiten,
sich als Fitness- Muffel oder Handtaschenfreak zu outen oder zuzugeben,
dass man eine Ordnungsmacke hat oder alternativ nichts wegschmeißen
kann. Wenn man sich nicht traut, einen Kollegen als „Sitzpinkler“ zu
outen oder zuzugeben, dass man grade von seinem Freund wegen einer
Jüngeren verlassen wurde: absolut o.k.! Aber ohne Persönliches – glaube
ich zumindest – kann man keine Persönlichkeit werden.
Naja, und ein bisschen Mut gehört natürlich auch dazu. Man
könnte sich ja eine Rüge des PD einfangen. Aber wer nichts
ausprobiert, kann auch nichts Neues entdecken.
Natürlich muss auch der Programmchef stark genug sein, eine Persönlichkeit
auszuhalten. Aber das ist dann sein Problem…
Ihre Yvonne Malak my-radio.biz
(Yvonne
Malak © RADIOSZENE 01-06-07)