Bitter
Lemmer: Vorfahrt für Arbeit
Bitterlemmer
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Vorfahrt
für Arbeit – so sagte es Bundespräsident
Horst Köhler bei seiner Version der „Ruck-Rede“ vor
den deutschen Arbeitgebern. Arbeit und Arbeitslosigkeit sind zur Zeit
das wahlentscheidende Thema. Die Massenarbeitslosigkeit hat die 39jährige
SPD-Herrschaft in Nordrhein-Westfalen beendet und das Politikbeben
in Berlin ausgelöst. Wie sehr Klüngel à la NRW verantwortlich
ist für die Krise im ganzen Land läßt sich geradezu
schulmäßig an der Lizenzpolitik für das Radio nachvollziehen.
Der durchschnittliche
Nordrhein-Westfale bekommt ein Bruttogehalt von 3.317 Euro. Der durchschnittliche
Berliner bringt
es auf 3.190
und der durchschnittliche Brandenburger auf 2.530 Euro (1). Gleichzeitig
beträgt die Arbeitslosenquote in NRW knapp 12 Prozent, in Berlin
und Brandenburg um 20 Prozent. An Rhein und Ruhr wird also mehr Geld
verdient als an Spree und Havel. Warum ist dann der durchschnittliche
Radiohörer in Berlin und Brandenburg der Werbewirtschaft 14,20
Euro wert, der durchschnittliche Nordrhein-Westfale jedoch nur 8,60
Euro (2), wenn doch der Radiohörer im Westen mehr Geld in der
Tasche hat als der im Osten?
Geld verdienen
hat mit Jobs zu tun. Reden wir also über Jobs.
In Nordrhein-Westfalen sind gut 10.000 Kollegen im Radio beschäftigt,
unter ihnen 3.800 Privatfunker. In Berlin und Brandenburg leben 5.100
Kollegen vom Radio, unter ihnen 2.100 vom Privatradio (3).
Im reichen
Westen leistet man sich also einen halben Radiomenschen pro tausend
Einwohner, im armen Osten fast einen ganzen.
Allein auf
den Privatfunk bezogen: In NRW gibt es auf tausend Einwohner ein Fünftel
eines Privatradiomitarbeiters, in Berlin und Brandenburg fast einen
halben.
Der Vergleich
der Privatradios ist deshalb besonders aussagekräftig,
weil er etwas mit den ungeschminkten wirtschaftlichen Grundlagen zu
tun hat. Das Geld der Privatradios ist ehrlich erworbenes Werbegeld,
Geschäft, keine Subvention, kein Gebühreneuro. Der Berliner
und Brandenburger Privatfunk floriert, verglichen mit dem komfortablen
Monopol in NRW, das Wachstum und Optimierung nicht nötig hat und
deshalb scheut. In Berlin und Brandenburg ist es allein die vergleichsweise
liberale Mediengesetzgebung und Lizenzpraxis, die Umsätze und
Beschäftigung bundesweit im Spitzenfeld hält. Nur Hamburg
kommt auf geringfügig bessere Zahlen. In Hamburg ist die wirtschaftliche
Lage freilich deutlich besser als in Berlin, das sich sozial zunehmend
aus dem mitteleuropäischen Wohlstandslevel verabschiedet.
Ob die
CDU die Nordrheinwestfalisierung Deutschlands stoppen kann, wird
sich zeigen. In NRW war Medienpolitik immer ein
Instrument, um
Macht zu verteilen. Wer im Land schon irgendwie vertreten war – als
Verleger oder WDR – durfte im Privatfunk mitmachen. Wer nicht
zum Klüngel gehört, bleibt draußen – bis heute.
Es ist eine Politik für die, die schon immer drin waren, eine
Art moderner Adel, mit zementierten Strukturen, unbeweglich, stur,
egoistisch, aber unbeirrbar von sich selbst und der Mission „für
den kleinen Mann“ überzeugt, immer deutlicher aber nur noch
für die kleinen und großen Männer, die an den Trögen
der Macht sitzen, als Vorständler oder Gewerkschafter.
„Vorfahrt für Arbeit“ ist eine gute Aussage, weil
sie auch besagt, daß alles, was keine Arbeit bringt, zur Nebenstrecke
zu erklären ist.
Aber es
besteht Hoffnung. Die NRW-Wahl hat gezeigt, daß auch
dem Wähler Arbeit neuerdings wichtiger ist als Politik- und Medienklüngel.
Ob die CDU wohl den Mut besitzt, die Erbhöfe der rheinischen und
westfälischen Medienfürsten zu schleifen?
Hinweise:
(1)
Brandenburg: http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_zs22_bb.asp
Berlin: http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_zs22_bl.asp
NRW: http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_zs22_nrw.asp
(2)
Bernt von zur Mühlen: Studie für verschiedene Auftraggeber
zu den Münchner Medientagen, Oktober 2003, nachzuschlagen:
http://www.medientage-muenchen.de/archiv/pdf_2003/vonzurmuehlen_bernt.pdf
(3)
Beschäftigtenzahlen aus: Hans-Bredow-Institut: Beschäftigte
und wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2001/2002, im
Auftrag der DLM. Nachzuschlagen:
http://www.alm.de/aktuelles/presse/DLM/DLM-Studie-Zusammenfassung.pdf
Entsprechende
Zahlen verrechnet mit den Einwohnerzahlen der Bundesländer
lt. Statistischem Bundesamt:
Berlin: 3,15 Mio Einwohner
Brandenburg: 2,6 Mio Einwohner
NRW: 18,0 Mio Einwohner