Thomas Koschwitz: „Wow, Radio ist das Größte“

Aus der Serie: Die Renaissance der Radio-Personalities (Teil 4)

Thomas_Koschwitz2Thomas Koschwitz gehört zur ersten Garde der Radiomoderatoren, war 1975 mit 19 Jahren der jüngste Nachrichtensprecher, der je beim Hessischen Rundfunk gearbeitet hat. Es folgte eine lange Karriere im Radio und beim Fernsehen. Heute lebt er in Berlin, arbeitet für den Berliner Rundfunk und verfolgt dabei noch weitere Projekte.

RADIOSZENE: Wie schaffen Sie es, nach 32 Jahren im Geschäft noch kreativ zu sein?

Thomas Koschwitz: Ich habe offenbar mit dem Radio absolut meinen Traumberuf erwischt, also die Musik, die Leute, die Gäste, die Idee, mittels Geräuschen Kino im Kopf zu erzeugen; das ist offenbar genau meine Welt und aus diesem Grund schaffe ich es, selber kreativ zu sein und habe auch immer wieder Spaß daran junge Leute zu finden, die ebenfalls sagen: „Wow, Radio ist das Größte, ich bin auch kreativ, ich will da mitmachen“.

RADIOSZENE: Fällt Ihnen denn immer noch genug Neues ein?

Thomas Koschwitz: Ich beobachte mit Interesse, dass viele Dinge, die in den vergangenen Jahren so unter dem Stichwort Formatradio passiert sind – also die strenge Reduktion des Wortanteils pro Stunde, die klare musikalische Ausrichtung – leider auch dazu geführt haben, dass einige Menschen die Kreativität beim Pförtner mit abgegeben haben. Ich merke aber, dass das Publikum eigentlich was anderes will, deswegen ist es mit der Kreativität eine einfache Sache: man muss nur das Leben betrachten und schon fallen einem gute Dinge ein.

Thomas Koschwitz als Nachrichtensprecher beim HR
Thomas Koschwitz als Nachrichtensprecher beim HR

RADIOSZENE: Sie bieten ja eine Syndication-Show namens „Koschwitz zum Wochenende“ an. Was steckt dahinter?

Thomas Koschwitz: Das ist im Grunde genommen der Versuch in Deutschland etwas einzuführen, was es in Amerika lange gibt. Also ein Moderator mit einem gewissen Bekanntheitsgrad in unterschiedlichen Bundesländern, der mit Prominenten aus allen Richtungen reden kann. Und das Schöne ist, das passiert nun schon auf verschiedenen Radiostationen. In meinem Format kommen die spannendsten Gäste der vergangenen Woche vor, so kann jede Radiostation, auch die kleinste, für relativ kleines Geld große Stars im Radio haben, weil die Sendung inhaltlich für alle Stationen gleich ist. Nur die Verpackung, also das Opening und verschiedene Zwischenmoderationen werden für jede Station besonders hergestellt. Wenn ich z.B. den Innenminister Schäuble als Interviewpartner bekomme, dann läuft das auf mehreren Radiostationen, aber für den einzelnen Sender und dessen Hörer ist es exklusiv.

Thomas Koschwitz und Hans-Dietrich Genscher
Thomas Koschwitz und Hans-Dietrich Genscher

RADIOSZENE: Ist die Musik auf allen Sendern gleich?

Thomas Koschwitz: Nein, das läuft so: Ich liefere die Wortmodule und die werden individuell bei jeder Radiostation in das Programm eingearbeitet. Radio Brocken übernimmt allerdings auch die Musik, die ich anbiete, also die komplette Sendung. Bei Hitradio Antenne ist das Format wesentlich jünger, die machen ihre eigene Musik, planen aber innerhalb der Stunde die Worttakes ein. Es gibt also für alle die Version ohne Musik und bei Radio Brocken liefere ich sie mit. Allerdings ist da die Sendung nicht fertig montiert, sondern die entsteht im Funkhaus selber mit den unterschiedlichen Modulen, die angeliefert wurden.

RADIOSZENE: Wo kann man die Show derzeit hören?

Thomas Koschwitz: Bei Hitradio Antenne, Radio Brocken und beim Berliner Rundfunk, also vom Sendegebiet her fast ganz Norddeutschland.

RADIOSZENE: Es könnte aber noch die erste deutschlandweite Syndication-Show werden.

Thomas Koschwitz: Das wäre vor allem die erste deutschlandweite Syndication-Show mit diesem Inhalt; also nicht nur eine Top 40 Show rauf und runter gespielt, sondern eben auch zum Teil politische, zum Teil sehr unterhaltsame Themen im Wochenrückblick.

RADIOSZENE: Warum tut sich Deutschland so schwer mit Syndication?

Thomas Koschwitz: Ich glaube, das hat einen geschichtlichen Grund. Ursprünglich hat die ARD sehr hochwertige Magazinsendungen hergestellt. Erst jetzt wo es unendlich viele private Radiostationen gibt, meistens mit kleinem Budget, die versuchen, schöne Sendungen zu machen, kommt langsam das Interesse hoch, so etwas auch zu haben. Das ist aber erst der nächste Schritt.

RADIOSZENE: Einige Kritiker bemängeln das Fehlen von echten Persönlichkeiten im Radio. Sehen Sie das auch so und, wenn ja, was empfehlen Sie den Programmdirektoren und Moderatoren?

Thomas Koschwitz: Ja, ich sehe es auch so und beobachte mit Vergnügen, dass ich da offenbar eine Ausnahe bilde. Das hat natürlich auch mit meiner Fernseharbeit zu tun, also weiß man, wer ich bin. Aber ich war das ja auch schon davor, denn beim Hessischen Rundfunk durfte ich zu einer Radio Personality werden und das deshalb, weil die Chefs Geduld hatten. Meine Empfehlung an die Programmdirektoren ist, dass sie sich darauf einlassen und keinen Schrecken kriegen, wenn eine Persönlichkeit all das mitbringt, was auch ein Film- und Fernsehstar hat, nämlich ein etwas divenhaftes Verhalten. So sind Künstler eben: nicht sehr stromlinienförmig, aber eben bunte Köpfe, die viel fürs Programm tun können. Da muss man manchmal auch stark sein. Eine solche Persönlichkeit sendet immer noch beim HR, nämlich Werner Reinke. Der konnte und kann manchmal ziemlich schwierig sein, aber der ist großartig.

Bild: Thomas Koschwitz Autogrammkarte aus dem Jahr 1988
Thomas Koschwitz Autogrammkarte aus dem Jahr 1988

RADIOSZENE: Kommt eine Renaissance der Radio Personalities?

Thomas Koschwitz: Ich glaube ja. Wenn man in Deutschland durch die verschiedenen Sendegebiete fährt und im Autoradio die Sender wechselt, hört man überall fast die gleichen Slogans, die gleichen 3-Satz-Moderationen und fast überall die gleichen Gewinnspiele, bedingt durch die amerikanischen Radioberater. Das ist letztlich auch im Internet zu haben: Wenn ich eine bestimmte Musikfarbe haben will, dann schalte ich mich ins Internet ein, da brauche ich keine Radiostationen mehr. Wenn die überleben wollen, werden sie langfristig Personalities haben müssen, denn nur die sind eigenständig, nur die sind ein Unikat und können nicht kopiert werden.

Koschwitz_trainiertRADIOSZENE: Das Jahr 2002 markierte einen Wendepunkt in Ihrem Leben, als Sie bei Dreharbeiten einen Schlaganfall erlitten. Wie sind Sie damit umgegangen und wie haben Sie es geschafft, wieder fit zu werden für diesen stressigen Job?

Thomas Koschwitz: Ich war sehr ehrlich zu mir selbst. Ich bin einfach in mich gegangen und habe mir die Frage gestellt, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Was ist Dir in Deinem Berufsleben genau passiert, dass du so einen Schlaganfall gekriegt hast? Also ich habe die letzten Jahre für mich und mit mir gearbeitet, also geguckt, was mir wirklich Spaß macht, was mich wirklich nach vorne bringt. Ich habe mir Zeit für Sport genommen und auf eine gute Ernährung geachtet, denn ich war ja deutlich zu schwer. Heute habe ich positiven Stress: da ist viel los, das macht Laune und bringt mich nach vorne, aber Stress im negativen Sinne, mit Reibereien und Zänkereien, lass ich weg.

RADIOSZENE: Sie haben über 30 Jahre deutsche Radiogeschichte miterlebt und mitgestaltet. Was sind Ihrer Meinung nach die gravierenden Unterschiede zwischen damals und heute?

Thomas Koschwitz: Technisch, dass es einfach heute viel mehr Radiostationen gibt als früher. Inhaltlich betrachtet, dass, bedingt durch diese unfassbare Menge von Radiostationen, sehr viel schneller sehr viel mehr Personal gebraucht wurde. Und da ist notwendigerweise an vielen Stellen sehr viel schlechter ausgebildet worden. Es fehlen einige Grundsätze, auch journalistische. Da werden aus Kostengründen viele Leute – häufig Praktikanten und Volontäre – auf Sendungen und Sender los gelassen, auf Menschen, die interviewt werden sollen, dass man schreien möchte. Da geht handwerklich sehr viel schief. Andererseits hat es das Radio, entgegen all den Unkenrufen, doch geschafft, sehr stark am Leben zu bleiben. Es gibt da eine Entwicklung: es werden Hörbücher gekauft. Da hat das Radio eine unheimlich Chance, man sagt sich: Es gibt also noch Menschen, die geben Geld dafür aus, dass sie Inhalt kriegen, also lasst uns wieder Inhalt machen.

RADIOSZENE: Hat Pay-Radio bei uns eine Chance?

Thomas Koschwitz: Ich glaube, der Markt dafür ist durch, das ist genau das Gleiche wie mit dem Pay TV in Deutschland. Es gibt bereits hochwertiges Bezahlfernsehen, nämlich die ARD. Und weil es das, im Gegensatz zu Amerika, schon gibt, glaube ich nicht, dass in Deutschland ein Pay Radio funktionieren würde.

RADIOSZENE: Sirius Satellite in den USA ist ja auch noch nicht in der Gewinnzone.

Thomas Koschwitz: Naja, wenn ich natürlich 500 Mio $ an Howard Stern raushauen muss, dann kann das auch nicht lukrativ werden.

RADIOSZENE: In Spanien gibt es ja auch Versuche mit Satellitenradio.

Thomas Koschwitz: Es ist wohl wie bei der guten alten Zeitung auch: Beim Radio muss es gelernte Muster geben, man muss für Inhalt und damit Attraktion für den Hörer sorgen und damit erzielt man gute Werbeeinnahmen. Ich glaube nicht, dass Pay Radio ohne Werbung funktioniert. Da ist der notwenige technische Aufwand, um Autos mit Satellitenradios auszustatten. Das ist in Amerika machbar, weil das Land einfach sehr viel größer ist und mit einem Schlag auch sehr viel mehr Leute erreicht werden können. In Deutschland sehe ich das nicht.

RADIOSZENE: Wie werden sich neue Medien, wie Internet und iPod sowie die Digitalisierung des Rundfunks auf das Medium auswirken? Müssen wir uns vom klassischen Radio verabschieden?

Thomas Koschwitz: Technisch wird es immer mehr Möglichkeiten geben, sich sein eigenes Formatradio zusammenzustellen, das werden die Technikfreaks auch tun. Schauen wir uns an, was im Fernsehen jetzt alles möglich ist mit Satellitenempfängern, das geht ja im Radiomarkt auch. Wenn man Premiere abonniert, bekommt man ja z.B. Radioprogramme dazu, auch im Internet geht das. Das funktioniert auch alles eine Zeit lang, aber man will aus diesem Dschungel einen Lotsen haben, d.h. im Fernsehen und im Radio wird es in Zukunft noch viel mehr Personalities geben, weil die Verwirrung des Publikums, nicht ab-, sondern zunimmt. Da wird, gerade wegen der technischen Möglichkeiten, Orientierung wieder notwendig.

Thomas Koschwitz und Michel Friedmann beim Berliner Rundfunk 91!4
Thomas Koschwitz und Michel Friedmann beim Berliner Rundfunk 91!4

RADIOSZENE: Wenn Sie bei einem großen Radiosender als Programmdirektor freie Hand hätten, welche Musik würden Sie spielen und was würde inhaltlich sonst noch passieren in Ihrem Programm?

Thomas Koschwitz: Das Schöne ist, dass ich beim Berliner Rundfunk im Grunde genommen diese Freiheiten habe, da ist natürlich die Musikfarbe vorgegeben, weil wir eine bestimmte Gruppe von Menschen erreichen wollen, also Menschen, die über 30 Jahre alt sind. Da sind natürlich die 70er und 80er im Vordergrund. Ich habe aber die Losung ausgegeben: Keiner, der 50 Jahre alt ist, will der Frühvergreisung anheim fallen! Menschen mit 50, 60 oder auch 70, sind ja mit Elvis, den Beatles und den Stones groß geworden und mit allem, was da musikalisch nachgekommen ist. Die sind nicht plötzlich zur Volksmusik abgewandert, sondern die mögen das weiterhin. Deswegen werden die auch weiterhin wachen Geistes, sofern sie das biologisch können, durchs Leben gehen, und diese Menschen mit nur einer Musikrichtung abzuspeisen, kann es nicht sein. Es muss auch Aktuelles vorkommen und das würde ich als PD mit einarbeiten. Aber das tun wir auch beim Berliner Rundfunk.

RADIOSZENE: Ihr Programm würde also klingen, wie das vom Berliner Rundfunk?

Thomas Koschwitz: Ja, denn eine Lehre aus dem Formatradio ist ja richtig: man soll zunächst über die Musik Hörergruppen einladen, damit die sich musikalisch zuhause fühlen. Also wäre es jetzt völlig irre, wenn ich als PD ein buntes Programm von Techno über Hip Hop bis hin zu 60er-Jahre Oldies stattfinden lassen würde, wie früher bei der ARD, als es noch kaum Privatstationen gab. Da findet sich keiner zurecht, da fühlt sich auch keiner mehr wohl. Es muss schon bei einer Ausrichtung bleiben in einem bestimmten Musiksegment; ich glaube aber, dass die Vielfalt innerhalb dieser Jahrzehnte durchaus größer sein kann.

RADIOSZENE: Könnte man auch Titel spielen, die nicht so gut testen, die Rotation auf bis zu 3000 Titel vergrößern, oder ist das zuviel?

Thomas Koschwitz: Ich würde das immer dann tun, wenn eine Radiopersönlichkeit die Verbindung herstellt, so dass man den Sender immer wieder von den anderen Stationen unterscheiden kann. Wenn das allerdings nicht geht, sollte die Rotation sehr klein sein.

Aber das muss man ausprobieren! Bei mir melden sich viele Hörer, die sagen, ihr wiederholt euch viel zu häufig. Dies zeigt erstens, dass es offenbar sehr intensive Hörer sind und zweitens dass sie neugierig auf die Station sind. Aber die Mehrzahl der Hörer ist und bleibt ja nach wie vor nur eine kurze Zeit am Radio und wenn die etwas nicht mehr geboten bekommen, was zu ihrer Station zwingend dazugehört, dann wird das auf die Dauer schief gehen.

RADIOSZENE: Also ein Kompromiss?

Thomas Koschwitz: Na, eben eine Erkennbarkeit. Der Kompromiss muss darin liegen, dass man eine bestimmte Handschrift sofort erkennt und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das darzustellen. Wenn keine Personality da ist, bleibt die Musik wohl die sicherste Variante.

Koschwitz_2004_Autogrammkarte_SAT1RADIOSZENE: Sie haben ja auch schon viel Fernsehen gemacht. Was macht Ihnen denn mehr Spaß: TV oder Radio?

Thomas Koschwitz: Das ist schwer zu sagen. Fernsehen dann, wenn es mit einer kleinen Crew funktioniert, nicht mit nervenden Hierarchiestreitereien. Das ist beim Fernsehen sehr viel ausgeprägter als beim Radio. Radio ist sehr viel spontaner und technisch unkomplizierter. Das sind völlig unterschiedliche Welten – das Hin- und Hergehen, das macht mir Spaß.

Bild: Thomas Koschwitz SAT.1-Autogrammkarte aus dem Jahr 2004

RADIOSZENE: Wenn Sie nicht Moderator geworden wären, welche berufliche Herausforderung hätte Sie gereizt?

Thomas Koschwitz: Irgendwann wollte ich Arzt werden, dann habe ich gedacht, ich müsste Schauspieler werden. Schauspielern durfte ich dann tatsächlich mal, auch wenn ich das nie richtig gelernt habe. Der Beruf des Arztes hat mich deshalb gereizt, weil mir Menschen Spaß machen. Ich wäre in eine ähnliche Richtung gegangen, vielleicht nicht, um damit bekannt zu werden, sondern, um mit Leuten zu reden, das auf alle Fälle immer.

RADIOSZENE: Was empfehlen Sie jungen Menschen, die gerne Moderator werden möchten?

Thomas Koschwitz: Soviel wie möglich lernen zu wollen, nie mit dem Gedanken zu spielen: „So jetzt habe ich alles erreicht, jetzt kann ich es.“ Die Lust daran zu behalten, dass das Leben sich jeden Tag fortbewegt. Natürlich eine ordentliche Ausbildung, im Idealfall ein Studium. Aber das ist nicht das Hauptthema, sondern, dass jemand, der Moderator werden will, sich wirklich in dieser Welt des Redens wohl fühlt, aber vielleicht nicht davon abhängig sein sollte. Man soll nicht denken, „Oh, ich werde jetzt berühmt, darum werde ich Radiomoderator“, sondern die Tätigkeit an sich muss Spaß machen. Wenn dann als Nebenprodukt das Berühmtsein abfällt, dann ist alles schön.

Das als Motor für die eigene Eitelkeit zu sehen, ist der falsche Weg. Da ist ein Psychologe wohl eher angebracht, als eine Radiostation.

RADIOSZENE: Bilden Sie selbst aus?

Thomas Koschwitz: Wir haben eine Reihe von Volontären, die mir verdanken, dass sie da hingekommen sind. Die habe ich nach dem Praktikum jetzt unter meinen Fittichen.

RADIOSZENE: Und die können von Ihrer Erfahrung profitieren.

Die ersten Versuche als Radiomoderator
Die ersten Versuche als Radiomoderator

Thomas Koschwitz: Ich bin ja der Großvater des Radios.

RADIOSZENE: Herr Koschwitz, vielen Dank für das Gespräch!

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Berliner Rundfunk