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Warum Facebooks neue Funktion #LiveAudio eine Chance für Radiomacher ist

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Von Marc Krueger

Radio gehört weiterhin zu den meistgenutzten Medien, die Fangemeinde von Podcasts wächst beständig. Trotzdem geht es fast überall vor allem um Texte, Bilder und Videos. Das könnte sich in diesem Jahr ein kleines bisschen ändern, denn das größte soziale Netzwerk der Welt hat seine Liebe zum gesprochenen Wort entdeckt und die Funktion „Live Audio“ angekündigt. Das wird spannend!

„Wir wissen, dass die Leute oft etwas anhören möchten, während sie eigentlich andere Dinge tun“, schreibt Facebook in seinem Blog. Außerdem hätten viele „Partner“ bei Facebook immer mal wieder durchblicken lassen, dass sie gern neue Live-Formate für ihre Inhalte hätten. Kein Problem, meint Facebook, man sei ja eh ständig dabei, die „live experience“ zu verbessern. Also alles wie beim bereits vor einem Jahr etablierten „Live-Video“, nur ohne die bewegten Bilder. Dann braucht man auch nicht so viel schnelles Internet.

Die neue Facebook-Funktion heißt „Live Audio“ und soll irgendwann Anfang 2017 nach und nach für alle Nutzer freigeschaltet werden. Vorher übt Facebook mit einigen handverlesenen Partnern, die exklusiv testen dürfen. Schon die Auswahl zeigt, für wen „Live Audio“ in erster Linie gedacht ist. Mit dem BBC World Service und dem britischen Talkradio LBC sind zwei klassische Audio-Anbieter dabei, außerdem der Buchverlag HarperCollins mit Hauptsitz in New York und die beiden US-Autoren Adam Grant und Brit Bennet. Bis auf die BBC sind das nicht die ganz großen Namen.

Diese fünf können demnächst also direkt aus der Facebook-App live Sprache und Töne senden: Interviews, Reportagen, Lesungen, Gespräche, Texte, Musik. Das ist eigentlich kein Experiment, weil dieses Prinzip schon lange erprobt ist und sich insgesamt als eine gute Idee herausgestellt hat – unter dem Namen „Radio“.

Was Facebook aber zusätzlich bietet, ist etwas sehr wertvolles: Aufmerksamkeit. Und die vermissen Radiosender, Podcaster, Hörbuch-Produzenten und viele Autoren und Musiker. Alle haben sie nun die Chance auf ein neues Auditorium mit momentan rund 1,8 Milliarden Zuhörern, Tendenz immer noch steigend. Außerdem hat Facebook seine neuen Funktionen bisher meist sehr effektiv beworben: zunächst Bilder, später Videos und momentan Live-Videos werden Nutzern prominent angezeigt, manchmal sogar mit einer Push-Nachricht („Notification“) angekündigt. Sehr wahrscheinlich, dass das künftig wieder so sein wird.

Genau wie bei allen Postings können Facebook-Nutzer auch auf die neuen „Live Audios“ reagieren, mit „Gefällt mir“, einer anderen Reaktion („Whoa!“) oder mit einem Kommentar. Das wiederum können die Live-Sendenden direkt aufgreifen. (Das ginge übrigens im klassischen Live-Radio auch, wird aber immer noch sehr sparsam genutzt.) Bisher ist noch unklar, ob die „Live Audios“ nach dem Senden gelöscht oder weiterhin angehört werden können – sich also in einen Live-on-Tape Podcast verwandeln. Bis zu vier Stunden sollen die Audio-Sendungen auf Facebook dauern können.

Tatsächlich scheint es aber so, dass Facebook mit „Live Audio“ auch ein bisschen was anders machen möchte – weil ja auch die Nutzer etwas anderes machen möchten, während sie hören. In der neuen Android-App soll ein Audio-Livestream bei Facebook auch dann weiterlaufen, wenn die App geschlossen wird. In der iOS-Version für Apple muss die Facebook-App zwar offen bleiben, Nutzer können aber zumindest weiterscrollen. Bei Videos oder Live-Videos geht das bisher nicht. Facebook wird damit zu einer mobilen Audio-Abspielstation.

Die neue Live-Funktion von Facebook ist also eine gute Nachricht für alle Audio-Liebhaber, natürlich für Radiosender, Podcaster, Autoren, Musiker, Verlage. Sie ist außerdem eine große Chance für Audio-Inhalte, die jahrelang und konstant als das nächste große Ding galten – und doch eine hoffnungsvolle Nische geblieben sind. Durch Facebook bekommen sie in den kommenden Monaten ganz sicher neue Aufmerksamkeit, die sie nutzen können und sollten. Eine schlechte Nachricht ist Facebooks neue Audio-Liebe dagegen für Plattformen wie Soundcloud und auch ein bisschen für Podcast-Platzhirsche wie iTunes oder Streaming-Dienste wie Spotify.

Keine Frage: Es ist überhaupt nicht sicher, dass Audios bei Facebook eine ähnliche Erfolgsgeschichte werden wie Fotos und Videos. Es kommt vor allem darauf an, ob Facebook die neuen Hör-Inhalte ernst nimmt, außerdem geduldig ist und so clever wie bei Videos. Diese lassen sich z.B. sehr gut automatisch abspielen und funktionieren im Idealfall ohne Ton – also auch ohne Kopfhörer in der Bahn oder im Büro. Das geht bei Audios nicht. Bei denen fehlt zudem das optische Haltesignal in einem unendlich langen Nachrichtenstrom voller Teaser, Bilder und Videos.

Natürlich entstehen durch „Live Audio“ auch neue Fragen, vor allem rechtlich. Man denke nur an Konzertmitschnitte oder heimliche Aufnahmen von Gesprächen durch ein Smartphone, das unauffällig auf dem Tisch liegt und live ins Internet sendet. Insgesamt ist die neue Facebook-Funktion aber eine Chance für alle, die kein Bild brauchen, um ihre Kunst, Nachricht oder Botschaft zu senden.

Worauf es jetzt vor allem ankommt, sind die Audio-Anbieter! Live wird wieder wichtiger, das ist prinzipiell gut für Radiomacher, Musiker und erfahrene Podcaster. Auch Theaterstücke, Lesungen und sogar Live-Hörspiele haben die Chance auf ein neues Publikum. Die Live-Reportage wäre plötzlich nicht mehr nur beim Fußball gefragt, sondern auch bei Breaking-News-Situationen – bei denen es zudem keine Angst vor problematischen oder ungewollten Live-Bildern geben würde.

Was „Live Audio“ aber ganz sicher nicht zu einem unverzichtbaren Teil von Facebook macht: Wenn es als eine weitere Abspielstation für alle Inhalte genutzt wird, die es ohnehin schon gibt. Es ist naheliegend, das laufende Radioprogramm auch bei Facebook einzuspeisen. Oder die bereits fertigen Podcasts, Konzerte oder Studio-Lesungen drittzuverwerten. Aber wer braucht das? Die neue Facebook-Funktion löst sicherlich nicht sämtliche Probleme. Aber sie wird Aufmerksamkeit erzeugen und ist dadurch eine große Chance, um zu zeigen, was Audio kann.

 

Marc Krüger
Marc Krüger

Marc Krüger ist freier Radiojournalist und twittert unter @kollege. Sein Blog heißt: Rundfunkfritze.

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