Ein Forenschreiber fragte vor einer längeren Weile, ob ich tatsächlich vorhätte, als Radiopensionist in Wien herumzusitzen und altklug vor mich hinzuschreiben (in alter Rechtschreibung, wenn’s beliebt). Ich hätte auf das Posting natürlich antworten können, aber dann hätte ich entweder lügen oder lamentieren müssen. Hätte ich ja gesagt, wär’s gelogen gewesen. Hätte ich nein gesagt, hätte ich das begründen müssen – Motto: Heutiges Radio ist soooo doof, ich dagegen bin soooo schlau. Also hab ich nicht geantwortet.
Die lamentofreie Wahrheit lautet: Ich hätte einen wirklich coolen Job mit Handkuß genommen. Den wollte mir bloß vorübergehend niemand geben, oder es gab ihn nicht. Als ich vor x Jahren Hundert,6 in Berlin mitgründen durfte, da war das megacool. Die alten Rias-Kollegen sagten uns das schnellstmögliche Ende voraus und freuten sich im Voraus auf unsere reuevolle Rückkehr (oder – wahrscheinlicher – auf den demütigenden und vergeblichen Versuch der reuevollen Rückkehr). Kam dann bekanntlich anders.
Nach drei Jahren lud mich ein sehr geschätzter Kollege nach Luxemburg ein, wo es Pläne gab, das legendäre, jedoch nicht mehr zeitgemäße Radio Luxemburg zu verändern. Klang spannend. War vorübergehend etwas anstrengend, vor allem, als Arno Müller dazustieß. Wir verstanden uns kaum, redeten viel aneinander vorbei, stritten manchmal heftig, lernten uns mit der Zeit besser kennen und respektieren und hatten dann etliche Jahre eine gute Zeit. Arno ist ein Gewinnertyp, was unter anderem damit zusammenhängen mag, daß er ein schlechter Verlierer ist und ein gesundes Ego hat. Übrigens begleiteten die „ich-auch-„Kassandras auch den Sendestart von 104.6 RTL. Ginge alles eh nicht, Comedy am Morgen funktioniere nie, die Leute (welche? alle?) wollten schließlich hauptsächlich informiert werden, vor allem am Morgen, das übliche halt. Kam dann aber auch anders.
Nach zehn Jahren RTL fühlte sich der Job dann sehr komfortabel an. Die Kohle war OK, die Arbeit relativ lässig, die Rente konnte kommen. Aber wie das so ist mit der Zufriedenheit – sie ist irgendwie auch langweilig. Der eine kompensiert das mit Egoshootern am PC, der andere will’s im Job noch mal so richtig wissen. Also wurde ich Kurzzeit-PD bei einem Konkurrenten. Das ging bekanntlich schief. Zum einen deshalb, weil ich dort den großen Marktführer durch Kopieren schlagen sollte (gewinnen wollte ich auch, aber nicht durch nachahmen), zum anderen, weil PD womöglich doch nicht meine Berufung ist.
Jedenfalls hatte ich fürs erste genug. Netterweise ergab sich die Chance, als Project Manager bei einer dieser supermodernenhippencoolenreichenschöneneitlen Firmen anzuheuern, von denen keiner so genau weiß, was sie eigentlich machen. Noch netter war, daß diese Firma auf einer sonnigen Felseninsel namens Malta saß und ich jeden Morgen vor der Arbeit ins warme Mittelmeer hopsen konnte. Dann gab’s eine Zeitlang mal hier mal dort eine Beratung, ein Marketingprojekt, etwas Ghostwriting oder einen Verkaufsjob. Bei solchen Dingen lernt man ungeheuer viel, manchmal muß man sich etwas durchschlagen, und man kommt ganz gut herum. So landete ich in Wien, was zum leben nicht das schlechteste ist. Nebenbei trifft man ständig neue Leute, was prinzipiell gut ist, denn je mehr Leute man kennen lernt, desto mehr tolle, interessante und aufregende Leute sind dabei – dafür muß es wohl eine Art statistischen Koeffizienten geben. (Natürlich lernt man auch andere kennen – aber die kann man aus der Kontaktliste streichen, wenn man will.)
So ganz losgelassen hat mich das Radio allerdings nicht. Egal, ob am Strand oder am Steffl – zum Erscheinungstag der MA war ich immer auf der RMS-Webseite, und wenn es sich ergab, habe ich manchmal Glückwunsch-Emails versandt.
Irgendwann kamen dann Anrufe aus Berlin, die vielversprechend klangen. Da war die Rede von einem Radio, das wieder etwas wagen wollte. Keines dieser „Ich auch“-Konzepte. Keine Mittelmäßigkeit. Sondern Atmosphäre und Charakter, ein rundherum sympathisches und motiviertes Team, die gewisse flirrende Stimmung, etwas Pioniergeist, Ehrgeiz, Gewinnerwillen, das Gefühl, mal wieder die Grenzen auszutesten. Die ersten „ich-auchs“ merken übrigens gerade an, daß man ja unmöglich so viel Information bringen könne. Und die Musik – so breit. Und gar eine live-Band im Studio… Schaun wir mal.
Der blöde alte Spruch stimmt: Change it, or leave it. Rückkehr möglich.
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.
E-Mail: christoph@radioszene.de