VUT fordert von ARD Quote für neue Musik und Künstler

vut-logoDer Verband unab­hän­gi­ger Musikunternehmen e. V. (VUT) zeigt Kante. In schar­fer Form kri­ti­sier­te der VUT die öffent­lich-recht­li­chen Sendeanstalten in Deutschland für die Ausrichtung ihrer Musikprogramme. Statt die krea­ti­ve Kulturlandschaft abzu­bil­den und zu för­dern, wer­de alles aus den Hörfunkprogrammen gestri­chen, was „Ecken und Kanten“ habe. Im Interview mit RADIOSZENE for­dert VUT-Geschäftsführer Jörg Heidemann eine „ver­läss­li­che Selbstverpflichtung“ von min­des­tens 20 Prozent ihres Musikprogramms zur Präsentation neu­er Musik und Künstler - und zwar nicht nur für das Repertoire der drei inter­na­tio­na­len Majorkonzerne.

Jörg Heidemann (Bild: ©VUT)
Jörg Heidemann (Bild: ©VUT)

„Mit öffent­li­chen Geldern wird Formatradio betrie­ben und die kul­tu­rel­le und musi­ka­li­sche Vielfalt ein­ge­schränkt“, erklärt Jörg Heidemann. „Wir for­dern von den Rundfunkanstalten und den für sie zustän­di­gen Kontrollgremien, sich wie­der auf den Kultur- und Bildungsauftrag zu besin­nen.“ Geschehe dies nicht, blei­be den Hörerinnen und Hörern eine ein­di­men­sio­na­le Radiolandschaft, wel­che zu einem wei­te­ren Rückgang der Hörerzahlen füh­ren wer­de. „Das System muss gera­de für auf­stre­ben­de Künstlerinnen und Künstler durch­läs­si­ger wer­den“, appel­liert Heidemann an die Verantwortlichen. Ohne Veränderungen gebe es am Ende nur Verlierer: Hörer, Musikfans, Nachwuchs-künstlerInnen und die Sender selbst.

Um noch mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu errei­chen, star­te­te der VUT im Frühsommer eine Social Media-Kampagne und warb unter dem Motto „#mehr­viel­fal­tim­ra­dio - Unterstütze unse­ren Aufruf!“ bei sei­nen Mitgliedern und in der Öffentlichkeit für sei­ne Positionen.

RADIOSZENE sprach mit Jörg Heidemann über die Hintergründe und Ziele sei­ner Anliegen.

RADIOSZENE: Der VUT hat sich in die­sem Jahr vehe­ment für mehr musi­ka­li­sche Vielfalt inner­halb der öffent­lich-recht­li­chen Musikprogramme aus­ge­spro­chen. Skizzieren Sie noch ein­mal die Eckpunkte Ihres Forderungskataloges?

Jörg Heidemann: Der VUT bekennt sich zum bestehen­den Finanzierungssystem, stellt aber hin­sicht­lich der Erfüllung des Bildungs- und Kulturauftrags Defizite fest und erhebt fol­gen­de Anliegen: Wir erken­nen an, dass auch öffent­lich-recht­li­che Anstalten zur Legitimierung ihrer eige­nen Existenz dar­auf ach­ten müs­sen, eine gewis­se Reichweite zu erzie­len. Doch die seit lan­ger Zeit zu beob­ach­ten­de inhalt­lich-for­ma­le Annäherung ver­schie­de­ner öffent­lich-recht­li­cher Sender an rein pri­vat-wirt­schaft­li­che Formate leh­nen wir ab und mah­nen mehr redak­tio­nel­le Musikprogramme an, die die Vielfalt der deut­schen Musiklandschaft abbilden.

Das his­to­risch gewach­se­ne System von aktu­ell neun Landesrundfunkanstalten hat dazu geführt, dass die Qualität des Rundfunkangebots von Region zu Region stark vari­iert. Dem ist abzu­hel­fen, denn musi­ka­li­sche Vielfalt trägt zur kul­tu­rel­len Bildung bei, sie ermög­licht kul­tu­rel­le Teilhabe und trägt so zu unse­rer demo­kra­ti­schen Gesellschaft bei. Darum soll­te allen BürgerInnen unab­hän­gig von ihrem Aufenthaltsort der Zugang zur Vielfalt der Musiklandschaft ermög­licht werden.

Festzustellen ist wei­ter­hin, dass die sog. „Independents“ (klei­ne und mit­tel­stän­di­sche kon­zern­un­ab­hän­gi­ge Musikunternehmen) ins­be­son­de­re mit der Entwicklung jun­ger KünstlerInnen und natio­na­lem Repertoire befasst sind, wäh­rend deut­sche Radiostationen ten­den­zi­ell eta­blier­te KünstlerInnen und inter­na­tio­na­les Repertoire bevor­zu­gen. So beträgt der Anteil natio­na­len Repertoires in Deutschland nur etwa zehn Prozent[1], was ein deut­lich gerin­ge­rer Anteil als in ande­ren EU-Staaten ist. Dies trägt eben­falls zum Missverhältnis zwi­schen Kulturauftrag und Status Quo der deut­schen Rundfunklandschaft bei.

Wir for­dern eine ver­läss­li­che Selbstverpflichtung öffent­lich-recht­li­cher Rundfunksender, min­des­tens 20 Prozent ihres Musikprogramms zur Präsentation neu­er Musik und KünstlerInnen zu nut­zen - und zwar nicht nur der drei inter­na­tio­na­len Medienkonzerne.

Die Relevanz der Independents auf dem Musikmarkt muss sich auch im öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk wider­spie­geln: Die von klei­nen und mit­tel­stän­di­schen Musikunternehmen pro­du­zier­te Musik ist im Rundfunk mas­siv unter­re­prä­sen­tiert. Einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent der ver­kauf­ten Musikaufnahmen steht ledig­lich ein Anteil von 5,5 Prozent der gespiel­ten Songs im gesam­ten Radioprogramm gegenüber[2]. Im Jahr 2014 waren ledig­lich drei Prozent der Titel der deut­schen Airplay-Charts unab­hän­gi­gen Musikunternehmen zuzu­schrei­ben. Somit geht das Radioprogramm am Musikgeschmack der KäuferInnen deut­lich vor­bei, ein beacht­li­cher Teil der Bevölkerung wird also nicht erreicht. Teils ist dies der Programmpolitik der Privatsender geschul­det - doch auch die öffent­lich-recht­li­chen Anstalten erfül­len ihren Auftrag zur Darstellung kul­tu­rel­ler Vielfalt aus unse­rer Sicht unzureichend.

RADIOSZENE: Worin lie­gen die Gründe, war­um sich Ihrer Meinung nach die öffent­lich-recht­li­chen Anstalten schwer­tun, neue und eher unbe­kann­te Musik von Indie-Labels zu berücksichtigen?

Jörg Heidemann: Es kann nicht an feh­len­der Qualität lie­gen, die Gründe lie­gen sicher­lich eher im feh­len­den Mut der Radiomacher begrün­det. Es gibt schein­bar so etwas wie eine Quotendruck-Schranke, die nicht wirk­lich durch­läs­sig ist. Wobei es ja z.B. Positiv-Beispiele wie Radioeins hier in Berlin gibt, die außer­or­dent­lich erfolg­reich sind.

RADIOSZENE: Haben die öffent­lich-recht­li­chen Programmverantwortlichen zwi­schen-zeit­lich Gesprächsbereitschaft zu den Forderungen erken­nen las­sen oder sehen Sie nach Ihrem Protest bereits eine Bewegung in der Programmgestaltung?

Jörg Heidemann: Leider nein.

RADIOSZENE: Zur Durchsetzung Ihrer Anliegen haben Sie auch die VUT-Mitglieder sowie die Musikschaffenden gene­rell ein­ge­bun­den. Mit wel­chem Erfolg?

Jörg Heidemann: Wir haben eine grö­ße­re Öffentlichkeit erreicht und bekom­men von RadiohörerInnen nach wie vor viel Zuspruch. Leider war es uns bis zum jet­zi­gen Zeitpunkt nicht mög­lich, genü­gend öffent­li­che Unterstützung von KünstlerInnen zu mobilisieren.

RADIOSZENE: Welche wei­te­ren Möglichkeiten wer­den Sie aus­schöp­fen, um mehr Musik jen­seits des Mainstreams in die Musikprogramme zu hieven?

Jörg Heidemann: Wir blei­ben im Dialog, wir wer­den nicht nach­las­sen, immer wie­der auf die Problematik der feh­len­den kul­tu­rel­len Vielfalt hinzuweisen.

RADIOSZENE: Zuletzt hat der VUT die öffent­lich-recht­li­che Radiojournalistin Christiane Falk mit einem Preis für deren Arbeit aus­ge­zeich­net. Auch ein Signal an die Programmverantwortlichen der ARD?

Jörg Heidemann: Ja natür­lich war das auch ein Signal.

Auf Anfrage von RADIOSZENE ant­wor­te­te Nathalie Wappler, Vorsitzende der ARD-Hörfunkkommission und Programmdirektorin des Mitteldeutschen Rundfunks auf die Kritik des Verbandes unab­hän­gi­ger Musikunternehmen:

Nathalie Wappler-Hagen (Bild: ©MDR/Wolf)
Nathalie Wappler-Hagen (Bild: ©MDR/Wolf)

„Die Hörfunkprogramme von ARD und Deutschlandradio errei­chen jeden Tag ein Millionenpublikum. Die Vielfalt und Qualität, die der öffent­lich-recht­li­che Rundfunk zu jeder Tages- und Nachtzeit auf unter­schied­li­chen Verbreitungswegen sei­nen Hörern und Nutzern bie­tet, ist ein­zig­ar­tig. Welchen hohen Stellenwert musi­ka­li­sche Vielfalt und die Förderung von jun­gen KünstlerInnen ins­be­son­de­re mit natio­na­lem Repertoire und jun­ger Musik für den öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk hat, zei­gen täg­lich die jun­gen Wellen des ARD-Hörfunks in ihren Programmen. Sendungen wie „Heimspiel - Musik aus Deutschland“ (DASDING), ‚Local Heroes‘, (UnserDing), ‚Startrampe‘ (Puls), ‚Soundcheck‘ (MDR Sputnik), ‚Eine Stunde Musik‘ (DRadio Wissen) und das Videoformat ‚NEXT Big Thing‘ (Bremen Next)  nen­ne ich nur stell­ver­tre­tend für eine Vielzahl von Initiativen, die alle auf ganz beson­de­re Weise in ihren Regionen ver­wur­zelt sind. Auch die Programmmacher von Deutschlandradio Kultur ach­ten beson­ders dar­auf, immer wie­der Titel und Interpreten aus dem Bereich ‚geho­be­ne Popmusik‘ aus­fin­dig zu machen, die die musi­ka­li­sche Vielfalt im In- und Ausland abbildet.

Das Programm ver­zeich­net einen über­durch­schnitt­li­chen Anteil an nicht-eng­lisch­spra­chi­ger Popmusik sowie Popmusik aus Deutschland. In Rubriken wie ‚Soundscout‘ oder auch den gen­re-spe­zi­fi­schen Musiknächten wer­den Musiker, die noch am Beginn ihrer Karriere ste­hen und bei klei­nen Labels unter Vertrag sind, gezielt geför­dert. Ganz in die­sem Zeichen steht auch der New Music Award - der Nachwuchsförderpreis der jun­gen Radioprogramme in der ARD. Bereits zum neun­ten Mal wird er am 09. Dezember 2016 an Musikertalente aus ganz Deutschland verliehen.

Nicht nur das brei­te Musikspektrum von Pop bis Klassik spie­gelt die Vielfalt unse­res Angebots wider. Auch mit Hörspielen, Reportagen, Features, Konzertübertragungen, wie bei­spiels­wei­se dem inter­na­tio­na­len Musikwettbewerb der ARD, einem der renom­mier­tes­ten und größ­ten Wettbewerbe für klas­si­sche Musik der Welt, aber auch mit Gemeinschaftsprojekten, wie dem ‚ARD Radiofestival‘, dem ‚ARD Radio Tatort‘, dem ‚ARD radio­fea­ture‘, erfül­len wir den Kultur- und Bildungsauftrag und ste­hen für den Erhalt die­ses Programmreichtums. Es ist unse­re Aufgabe, die gesam­te viel­schich­ti­ge Kulturlandschaft Deutschlands abzu­bil­den. Die inter­kul­tu­rel­le Vielfalt der Gesellschaft fin­det ihr Echo gen­re-über­grei­fend auch in der Musik.“

(Michael Schmich)

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[1] Vgl. Legrand, Emmanuel/ EMO & Eurosonic Noordeslag. Music Crossing Borders. Monitoring the cross-bor­der cir­cu­la­ti­on of European music reper­toire within the European Union. Januar 2012, S. 46: http://www.impalamusic.org/docum/04press/2012/EMO%20Report_European%20repertoire_January%202012_Final.pdf
[2] Vgl. Ebd., S. 48.

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Der Verband unab­hän­gi­ger Musikunternehmen e.V. (VUT) ver­tritt die Interessen der klei­nen und mit­tel­stän­di­schen Unternehmen (KMU) der deut­schen Musikwirtschaft. Zu sei­nen Mitgliedern zäh­len rund 1.300 Labels, Verlage, Vertriebe, Produzenten sowie KünstlerInnen, die sich selbst vermarkten. 

(Teaserbild: ©Désirée Reimer)

Weiterführende Informationen
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Verband unab­hän­gi­ger Musikunternehmen e. V.