Cowboy und Indianer

Bitter Lemmer

Kerry gegen Bush – alles ganz einfach. Gut gegen Böse. Keine Frage, wen wir wollen und unterstützen. Wir hassen Bush aus tiefster Seele. Er steht für alles, was wir an den Amis nicht mögen: Dummheit, Cowboy, Oberflächlichkeit, Gier, Korruption, Betrug, Mord, Krieg, Zynismus. Bashing Bush. Von Kerry wissen wir nichts. Aber das macht nichts. Er ist intelligent, sensibel, sozial, sanft, süß, friedlich, ehrlich, aufrecht, heroisch. Kissing Kerry.

Als Kinder haben wir den amerikanischen Westen nachgespielt – Cowboy gegen Indianer. Zu Anfang war die Indianerrolle eindeutig begehrter, weil der Federschmuck einfach netter aussah als ein Cowboyhut. Dummerweise waren die Indianer immer ziemlich schnell tot, weil die Cowboys einfach nur die Pistole ziehen mußten und ein paarmal pengpeng riefen. Gemäß den Regeln hatte sich der Indianer dann dramatisch, irgendwie heldenhaft, tot auf den Teppich zu legen. Demzufolge war die Indianerrolle bald ziemlich unpopulär. Irgendwann lief das Spiel dann Sheriff gegen Gangster, der eine mit Stern an der Weste, der andere mit Serviette vor dem Mund, beide pengpeng rufend, ziemlich unverletztlich – ohne Indianer.

Amerikanische Geschichte im Kinderzimmer: Erst die Indianer ausrotten, dann Pionier im Wilden Westen spielen.

Dann kamen die Western im Fernsehen – Bonanza, Rauchende Colts, John Wayne, Clint Eastwood. Dann die ersten Partys mit Musik, die aus Amerika kommen mußte. Erste Versuche, sich szenemäßig auf die Beine zu stellen: Bist Du der lässige Harley-Rocker, oder der wilde working-class-hero-Punk (OK, der war englisch – aber bitte keine Feinheiten jetzt)?

Nach ge- oder mißglückter Ausbildung landeten wir dann beim Radio. Ami-Kram war da lange Zeit sehr wichtig. Weil drüben eh alles besser ist: Mehr Sender, echtes Rock-Radio, scharfe Stimmen, geile Promotions, ultimative News-Anchor, reiche Jock-Stars. Klar, daß ein paar Amis in Deutschland fett Karriere machten, denn die waren logischerweise die echteren Amis unter uns Deutsch-Radio-Amis. Mike Haas, Rik de Lisle, Scott Lockwood. Manchmal gings auch total daneben – wie mit Peter Laufer, der das Talk-Radio aus Amerika nach Berlin exportieren wollte, statt dessen aber das gesamte Genre als für Deutschland untauglich desavouierte. Wurscht – kam ein Ami auch nur in unsere Nähe, konnten wir plötzlich englisch reden wie ein Weltmeister (nun ja – die Hoffnung stirbt zuletzt…).

Es folgte die New Economy, die man auch Neue Wirtschaft hätte nennen können, was aber nicht cool (=toll) genug geklungen hätte. Wir tippen unsere Texte in amerikanisches Word, wir gehen in amerikanische Filme, wir futtern amerikanische Burger, wir tragen amerikanische Jeans.

Deutschland ist amerikanisch. Bush oder Kerry – das ist belanglos. Zwei Namen, die nur für zwei Symbole stehen. Gut und Böse à la Américaine. Ein Mythos, keine Realität. Wir leben diesen Mythos mit heißem Herzen und interessieren uns für den Rest der Welt einen Sch… Wahlen in der Ukraine am letzten Oktoberwochenende? Ähhhhhh… dabei ist die Ukraine für unsere Realität womöglich wichtiger als Amerika, denn da wächst das nächste große EU-Mitglied heran, mit Euro-Währung, Freihandel, Ferien am Schwarzen Meer (die Krim soll übrigens ähnlich nett sein wie Mallorca). Aber da fehlt halt die Inszenierung mit dem allmächtigen Guten und dem allmächtigen Bösen, das Drehbuch, das uns Moderationsfutter und News-Stories vor die Füße wirft. Die Fakten hätte es in der Ukraine lässiger gegeben als in Amiland. Aber irgendwas fehlte, um das Thema Top-of-Mind zu machen.

Die besten Geschichten schreibt das Leben? Blödsinn. Die besten Geschichten schreiben begnadete Dramaturgen, die wir dafür hassen, daß sie uns manipulieren, aber deren Geschichten wir lieben. Weil sie so einfach sind, so vertraut, so menschlich. Weil sie immer nach derselben Dramaturgie funktionieren: Bösling krallt sich irgendwas, irgendwann erwacht der Gutling, die Herausforderung, der Showdown. Funktioniert global. Grad so wie mit Bush und Kerry.

Ob Bush teuflisch oder fromm ist, oder ob Kerry wahrhaftig oder verlogen – who cares? Unser Dasein und unsere Wahrnehmung bestimmen, welches Amerika wir leben. Ja: Wir leben Amerika, wir würden am liebsten als neuer Bundesstaat beitreten – und sei es, um Kerry zu wählen und Bush aus dem Amt zu jagen. Dumm nur, daß das wahre Leben gelegentlich das Happy End aus dem Script streicht.

Amerika ist allmächtig, weil wir es dazu machen. Das, was manche Amerikaner für Anti-Amerikanismus halten, ist in Wahrheit die totale Identifikation mit Amerika. Vielleicht brauchen wir die, weil wir uns mit dem eigenen Land so schwertun.

Natürlich wollen wir das so nicht wahrhaben. Wir kritisieren – und setzen eine alteuropäische Miene auf – den Personenkult der Amis. Da gehe es ja nicht um Programme. Nur die Typen zählen. Wie vulgär!

Oder auch: Wie lächerlich! Wer von uns Radioleuten berichtet denn diskursiv über Programme und Inhalte? Die Geschichte von Bush und Kerry zeigt es doch – zuerst waren die Kandidaten da. Zuerst wußten wir, was wir von ihnen zu halten hatten. Erst dann haben wir nachgeschaut, was die beiden eigentlich vorhaben – und das dann jeweils so zurechtgebogen, wie es unserer gefühlsmäßigen Einstellung zu den Personen entsprach. Und komme mir keiner mit dem Irak-Krieg – denn erstens, hat auch Deutschland Bush-Senior dafür kritisiert, daß er Saddam weitermachen ließ, und zweitens, hat Bush sein bestehendes Image damit lediglich vertieft, keineswegs geschaffen.

Zwei Wochen vor der Wahl gab es in Deutschland eine Umfrage über die Erwartungen, wer der neue Präsident werde. Die große Mehrheit äußerte die Erwartung, Kerry werde deutlich gewinnen. Die Deutschen beginnen, die Mythen, die auch wir ihnen ständig um die Ohren schlagen, für Realität zu halten. Interessanterweise waren die bekanntermaßen mindestens so amerikakritischen Österreicher sehr viel realistischer, wie eine Umfrage dort ergeben hat.

Vielleicht ist es ja ein kurzes Grinsen wert, sich Schröder und Merkel in einer echten Schlacht vorzustellen – so, wie Bush und Kerry sich geschlagen haben. Vielleicht erinnern wir uns an die steifen Quälveranstaltungen, mit denen uns sämtliche Fernsehsender zur letzten deutschen Wahl folterten, als sie uns das TV-Duell nach amerikanischem Vorbild mit den B-Darstellern Schröder und Stoiber zumuteten. Genau diese Steifheit, dieses gekünstelte Getue, dieses Pseudo-Duellieren haben wir ja seinerzeit auch ausgiebig kritisiert.

Warum wohl?
So geht’s halt mit Original und Kopie.

Übrigens vermute ich, daß Michael Moore in Wahrheit Bush gewählt hat.


Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de