Bislang krankt mobiles Internet-Radio-Hörvergnügen in Deutschland an den tarifspezifischen Datenvolumengrnzen: Ist dieses erreicht, so wird das schnelle LTE-Smartphone zur GPRS-Schnecke, mit der E-Mail abrufen schon sehr mühsam ist, alle heute populären Anwendungen wie Messenger, Facebook & Co. jedoch unbenutzbar werden. Und natürlich Internetradio, denn es wird auf Werte gedrosselt, mit denen auch der sparsamste Stream nicht mehr ohne Buffern läuft. Echte mobile Datenflatrates gab es in Deutschland bislang abgesehen vom stolze 200 € monatlich kostenden Tarif MagentaMobil XL Premium der Telekom nicht.
Diese stille Übereinkunft der drei verbliebenen Mobilfunk-Netzbetreiber hat die Telefonica nun für viele Anwendungen durchbrochen: Die neuen O2-Free-Tarife ab 5. Oktober 2016 drosseln nach Verbrauch des gebuchten Datenpakets zwar weiterhin, doch nicht mehr auf Analogmodem- sondern auf Dorf-DSL-Geschwindigkeit von 1 MBit/s. Das ist für alles außer Video immer noch geeignet, auch für Internetradio. Also kommt nun das mobile Online-Paradies und DAB+ wie überhaupt alles Broadcasting gehört auf den Müllhaufen der Geschichte?
Streaming statt Broadcast?
Nein, keineswegs: es würde so zwar möglich sein, nun endlich beispielsweise auch am Arbeitsplatz den ganzen Tag Musik hören zu können. Geht es um den mobilen Empfang, ergeben sich weitere Probleme: Eines ist das der Funklöcher. Sie sind so alt wie die Netze. Auf meiner Bahnstrecke ist etwa die Hälfte schlecht versorgt und natürlich bekommt man immer genau dort Anrufe. Genau so, dass der Anruf noch zustande kommt, es aber nicht mehr für eine Warnung „Achtung, gleich kommt ein Funkloch und die Verbindung ist weg“ reicht.
Ein Netz reiht Loch an Loch
Auf so einer Strecke ist Internetradio auch ein fragwürdiges Vergnügen. Zumal auch ohne Drossel nur GPRS oder maximal EDGE zur Verfügung steht – keine 1 MBit/s und von O2 schon zweimal nicht. Zumal oft direkt von GPRS/EDGE zu LTE (4G) gesprungen wurde – wenn LTE wegen Überschreiten der Tarif-Datengrenze abgeklemmt und auf UMTS (3G) zurückgeschaltet wird, aber gar keine UMTS-Versorgung vorhanden ist, wird die Drossel ebenso bösartig wie in allen anderen deutschen Tarifen.
Natürlich haben Rundfunknetze auch Löcher, das will niemand bestreiten. Dann rauscht es oder setzt bei Digitalradio ganz aus. Das Gerät spielt aber wieder, wenn der Empfang zurückkehrt. Bei Internetradio ist dies keinesfalls selbstverständlich – oft muss der abgerissene Stream neu gestartet werden.
Eine Leitung für jeden Hörer
Das andere Problem ist, dass jeder Internethörer seinen eigenen Stream benötigt. Multicast funktioniert bis heute nicht. Dies bedeutet, dass ein großer Erfolg eines Internet-Rundfunkprogramms zunächst einmal zu Aussetzern beim Empfang führt, weil die Server überlastet werden. Bucht der Anbieter mehr Kapazität, so verliert er wiederum viel Geld, das über ebenso höhere Werbeeinnahmen erst langfristig zurück kommen kann. Pech, wenn bis dahin die Reserven längst aufgebraucht sind.
Doch nicht nur für die Sender ist dies ein Problem, sondern auch für den Hörer: Wenn 30 Leute im Zug Internetradio hören wollen – egal, ob denselben Sender oder verschiedene – so kommt das Funknetz an seine Kapazitätsgrenze. Schließlich sind alle in derselben Funkzelle eingebucht, wenn sie denselben Netzbetreiber nutzen. Momentan wäre dies mit O2 Free ja zwangsweise der Fall, doch auch ein Aufteilen der Last auf alle drei Netzbetreiber bringt nur kurzfristige Erleichterung.
ICE im Bahnhof – Empfang im Eimer
Im Auto passiert dasselbe, wenn es in einen Tunnel geht oder man im Stau endet. Und da kann das notwendige Neustarten des Internetstreams sogar richtig verkehrsgefährdend werden. Und auch, wer nur im Bahnhof sitzt, auf seinen Zug wartet und dabei Musik hören will, wird bei der Einfahrt eines ICE plötzlich feststellen, dass sein Stream ins Stottern kommt. Das Mädel, das gegenüber im Eiscafé sitzt, ebenso. Und auch die Sekretärin, die im Maklerbüro über dem Eiscafé arbeitet, wundert sich, warum etwa alle halbe Stunde der sonst so stabile Internetstream verreckt.
Es bleibt daher dabei: Auch mit besseren Tarifen bleibt mobiles Internet fürs Radiohören eine Nischenlösung. Broadcast kann sie nicht ersetzen, nur ergänzen.
Über den Autor:
Wolf-Dieter Roth, Dipl.Ing. Nachrichtentechnik, ist Radiofan seit der Kindheit und war in den Datennetzen über Festnetz und (Amateur-) sowie Mobilfunk schon aktiv, als 1200 und 9600 Bit/s als „schnell“ galten und man gewohnt war, die eingehenden Daten live mitlesen zu können. Beruflich ist er in Elektronik, Internet- und Funktechnik, Fachjournalismus, PR und Marketing zu Hause.
Diskussion in den radioforen.de
Endlich, endlich: o2 drosselt bald nur noch auf 1000 kbit/s – Durchbruch für Webradio?