Radio kann man inzwischen mit wenigen Ausnahmen auf DAB+ kaum mehr ohne Internet hören, wenn man keinen Lokal-Dudelfunk will, weil sich die guten Sender im Ausland keine Satellitenkanäle mehr leisten können. Doch inzwischen wollen nicht nur die Senderbetreiber ihre Funktürme abreißen, sondern auch die Internet-Provider immer mehr Streaming verkaufen und Radio und Fernsehen vom Satellit und Sendemast ins Netz holen. Das bedeutet mehr Geschäft – wenn das Netz es denn schafft. In diesen Tagen, wo die meisten Büroarbeiter im Home-Office sitzen, legt das Vergnügen der Einen die Arbeit der Anderen lahm und zeigt die technischen Grenzen der „Alles-über-ein-Netz“-Lösungen.
Ich bin bis heute mit Audio-Streaming via Internet nicht wirklich warmgeworden, von Video ganz zu schweigen, auch wenn ich beim Arbeiten gerne meinen Lieblingssender höre und dieser wegen zu hoher Satelliten-Verbreitungskosten und zu großer Entfernung für den terrestischen Empfang für mich tatsächlich nur noch via Internet empfangbar ist. Ein Grund für meine Abneigung ist, dass mir der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Jahr 2000 den Krieg erklärt hat, meine Arbeit und meine Art der Internet-Nutzung als Konkurrenz zu seinem Sendeauftrag sah und mir innerhalb von 51 Stunden meine Domain mitsamt allen E-Mail-Adressen per einstweiliger Verfügung abnehmen wollte.
Kontakt zum Chef, zur Partnerin, zu Freunden, Amazon- und Ebay-Account: plötzlich alles weg, unzugänglich, illegal geworden. Denn das Internet war im Jahr 2000 plötzlich nicht mehr das universelle Telekommunikationsmedium der Zukunft, sondern nur noch die „dritte Programmsäule“ von ARD & ZDF, damit auch wenige Jahre später rundfunkgebührenpflichtig geworden und schließlich zum reinen Konsum degradiert. Die heutige Jugend kennt Computer und Internet auch gar nicht mehr als Arbeits- und Kommunikations-, sondern nur noch als Spielgerät, zum Zocken.
Alles, was unsereins bis dahin online getan hatte – private Freundschaften pflegen, chatten, mailen, recherchieren, Beiträge zu Auftraggebern senden, … – eben nicht konsumieren, sondern produzieren und interaktiv kommunizieren, war ab jetzt nur noch bis auf Widerruf geduldet.
Die schwarze Glotze, das FERN-SEHEN, bedeutet passives berieselt werden, genießen oder sich ärgern, jedenfalls nichts selbst tun.
Die weiße Glotze, der vernetzte Computer, ist aktives FERN-ARBEITEN und KOMMUNIZIEREN, hier bin ich am Zug.
Ich glaube nicht, daß es gelingt, diese beiden Dinge zu vermischen. Genauso wenig, wie man Nacht & Tag vermischen kann.
Claudia Klinger, Web-Designerin
Vom Tisch ist diese spezielle Bedrohung für mich bis heute nicht, und jetzt wäre sie noch effizienter, weil ich meine Auftraggeber, Freunde und Familie nun auch nicht mehr durch persönliche Besuche erreichen könnte, wenn mir wieder jemand die E-Mail-Accounts ausknipst, und Postversand von geschriebenen Texten ebenso sinnlos wäre, wenn die Auftraggeber gar nicht mehr in ihren Büros, sondern zuhause sitzen. Doch nun betrifft es alle, nicht nur die, die sich freiberuflich und selbstständig durchschlagen müssen, sondern auch fast alle angestellten Büroarbeiter die im Atombu…, pardon, Home-Office, sitzen. Als ob Corona für sich nicht schon genügend bedrohend wäre, aber der Rest Normalität, der Versuch, ein Einkommen wenigstens in engen Grenzen noch aufrechtzuerhalten, ist nun komplett darauf angewiesen. Geht ein E-Mail-Account verloren, ob durch Phishing oder auf dem Rechtsweg, sind alle Kontakte und Zugangdaten, ob zu Facebook, Amazon, Ebay oder auch den so geliebten Streaming-Diensten zur Entspannung nach Feierabend oder für die Kinder, ebenso weg.
Andererseits ist Internetradio oder gar Videostreaming auch schlicht kein Vergnügen, wenn man als vorletztes Haus im Ort nur eine langsame „Dorf-DSL“-Verbindung hat. Sobald jemand in der Familie etwas tut, man selbst etwas hoch- oder runterladen will, die Mails abruft oder auch nur Windows ein Update fährt, kommt die Musik ins Stottern oder setzt ganz aus.
Man kommt sich vor wie Reinhard Mey in „Ich bin Klempner von Beruf„: Zwar geht das Radio nicht aus, wenn es an der Tür klingelt oder der Wasserhahn aufgedreht wird – bei einem Anruf (mit Voice over IP) passiert dies jedoch, ebenso, wenn das Android-Handy mal ein paar Apps updaten will. Praktisch, wenn der Anruf für einen selbst bestimmt ist und man sonst sowieso leiser drehen müsste – ärgerlich, wenn der Anruf für jemand anders gedacht ist. Oder umgekehrt der Filius mit seinen Freunden video-chatten will, weil sie sich ja nicht mehr normal treffen können, oder seine Spielekonsole ein Spiel aus dem Netz laden will, und dann die Telefonkonferenz mit dem Chef ins Stottern gerät.
Da bekommt „interaktiv“ eine ganze andere Bedeutung, wenn man alle Naslang den Webstream neu starten muss, weil er schon wieder abgerissen ist. So war es zuletzt in der Gründerzeit des Radios, als man immer wieder auf dem Detektorkristall herumstochern musste, um weiter hören zu können. Selbst Satellitenradio fiel dagegen nur bei Wolkenbruch oder starkem Schneefall aus und nur in letzterem Fall war „Interaktivität“ von Nöten, um die eingeschneite Sat-Schüssel mit einem Besen auszukehren…
Eigentlich hat Internetradio ja riesige Vorzüge: Ein Studio ist leicht eingerichtet und man kann für wenige Hörer ohne teure Infrastruktur auf Sendung gehen. Allerdings sind auch sofort GEMA-Gebühren fällig, während Funkpiraten anonym bleiben und sich eher um die Peilwagen der Bundesnetzagentur Gedanken machen müssen.
Eine Alternative zum langsamen Telekom-DSL hätte es gegeben: Kabel Deutschland bot 100 MBit/s an. Aber dazu hätte ein Kabelanschluss ins Haus gelegt werden müssen, denn der Vermieter hatte darauf die ganzen Jahre – glücklicherweise – verzichtet und die weit kostengünstigere Satellitenschüssel erlaubt. Und natürlich wäre dann das Fernsehen im Vordergrund gestanden – nur Internet ohne Fernsehen gab es zwar auch, doch dann wären zur Strafe die Anschlusskosten in Höhe von über 1000 € in voller Höhe angefallen. Klar, ein Kabelfernsehanbieter sieht Internet nur als Zusatzgeschäft, will aber nunmal in erster Linie Fernsehen verkaufen. Deshalb sind die Internet-Downloadraten hier auch zwar auf den ersten Blick gigantisch, gelten jedoch für einen ganzen Straßenzug – kommen die Bewohner abends heim und beginnen zu surfen und zu streamen, bleibt dem einzelnen Kunden nur noch ein Bruchteil. Sitzen sie gar wie jetzt alle zuhause im Home-Office, geht auch am Tag schon nichts mehr. Online-Arbeiten kann man da vergessen. Dafür ist so eine „letzte Meile“ nie konstruiert gewesen.
Nun sollte doch noch die Erlösung vom Stotter-Radio kommen und Uploads größerer Artikel würden auch nicht mehr den Haussegen schief hängen wegen schleichenden Internets: Jetzt wird Telekom-VDSL ausgebaut. Glasfaser wäre zwar besser, denn VDSL stört auf Kurzwelle, doch habe ich ja ohnehin alle Funkgeräte verkaufen müssen und die Telekom will halt lieber ihre vorhandenen Leitungen weiterverwenden. Zudem ist nur der Router gegen ein VDSL-fähiges aktuelles Modell auszutauschen, es muss nicht der Garten aufgegraben werden. Nur der Aufbau von Telefonverbindungen dauert zukünftig etwas länger und Telefonieren bei Internet- oder Stromausfall geht nicht mehr.
Und, ach ja, natürlich wird damit dann auch das Telefon zu Rundfunk, weil nun IP. Und alles, was über IP läuft, beansprucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk ja als „sein Internet“, sein Eigentum. Aber da wir nun keine Rundfunkgebühr mehr zahlen, sondern eine Rundfunkabgabe, werden für das Telefonieren deshalb zumindest keine zusätzlichen Rundfunkgebühren fällig. Nur mit der Privatsphäre könnte es zukünftig schwierig werden, wenn nach BND und NSA nun auch ARD und ZDF mithören dürfen…
Die Telekom meldete sich auch prompt, ich könne für nur 5 € mehr als bisher einen neuen, schnellen Tarif bekommen. Ganz toll, mit Fernsehen!
Waaaas?
Nein, alles, nur bitte kein Fernsehen im Internet. Das ist ja noch schlimmer als Internet übers Fernsehkabel. Abgesehen davon, dass ich nun mal lieber Radio höre, ist mir eben speziell diese Kombination ein Graus, da für mich das Fernsehen der Feind des Internets ist, weil das Fernsehen durch das Internet seine Felle davonschwimmen sieht und es deshalb bekämpft.
Auch, wenn das angebotene T-Entertain ja nicht wirklich übers Internet läuft und dieses mit seinen Datenströmen belastet, sondern nur die letzte Meile, also die (V)DSL-Leitung, belegt wird. Doch wenn man schon Sat-TV hat und abgesehen von Arte nicht mal das leiden kann, was soll man dann mit IP-TV?
Und natürlich war der Tarif auch nicht bloß 5 € teurer. Es kamen die Kosten für TV Entertain und die Miete einer Box, die das Angebot abspielen kann, hinzu. Das geht nicht etwa per kostenloser App.
Nach längeren Diskussionen war die Telekom dann „ausnahmsweise“, wegen meiner speziellen Situation, bereit, mir ihr schnelles Internet auch mal ohne Fernsehen zu verkaufen. Online für Neukunden wird es zwar auch noch wahlweise „ohne“ verkauft, und inzwischen gibt es eine Business-Vartante für noch einmal einige € mehr, die prinzipiell Internet ohne Fernsehen abietet. Doch die Bestandskundenbetreuung ist wohl angehalten, unbedingt das Zweiweg-Telekommunikationsmedium Internet zum Einweg-Berieslungsmedium TV zu degradieren. Dabei heißt das Unternehmen doch Telekom und nicht Televis…?
Doch auch, wer einen fürs Home-Office prinzipiell geeigneten Internet-Anschluss ergattern konnte – und zumindest in Deutschland ist das bislang immer noch nicht die Mehrheit, am Land schaut es oft düster aus – kommt dieser Tage ins Straucheln: Alle, für die es nun gar nichts mehr zu tun gibt, weil sie beispielsweise im Telekom-Shop oder dem eines anderen Providers gearbeitet haben, in einem Elektro-Markt, der nun auch zu ist, weil weder eine Fritzbox fürs Internet noch eine Waschmaschine für die Familie aktuell zu wichtigen Gütern zählen, hängen nun auch an der Streaming-Glotze. In einem Wohngebiet ist nun auch am Tag Vollbetrieb mit den einen, die im Home-Office arbeiten wollen und den anderen, die so die Zeit totschlagen. Darauf sind die Backbones und die „letzten Meilen“ jedoch gar nicht ausgelegt und es tritt wieder der Reinhard-Mey-Effekt ein.
Youtube, Netflix und Facebook haben deshalb nun ihre Bitraten und damit Bildqualität bis auf Weiteres reduziert. Auch Disney+ startet wohl ohne UHD. Von ARD und ZDF gibt es bislang keine derartigen Absichten, allerdings immerhin den Hinweis, auf „normale“ Empfangswege umzusteigen, wenn das Streaming schlappmacht. Allerdings nur, wenn es auf ihrer Seite schlappmacht, also wenn die Server von ARD und ZDF in die Knie gehen. Den Ansatz, das Netz zu entlasten, damit andere vernünftig arbeiten können, wie es die kommerziellen Streaming-Anbieter machen, gibt es hier nicht. Dabei ist auch schon bei reinem Audio.Streaming DAB+, eine große Hilfe, digital Radio hören zu können, ohne das Internet zu belasten, und dabei trotzdem eine große Programmauswahl zu haben.
Dass die Porno-Anbieter statt „heißen Girls in HD“ wieder auf Nackedeis der 80er in VHS-Qualität zurückschalten, ist auch kaum anzunehmen. Wobei man diesen nicht einmal Verdienen an der Notlage vorwerfen kann: Einer der Anbieter hat sein Angebot für die betroffenen Regionen für die Dauer der Krise komplett geöffnet und kostenlos gemacht. Was dann auch den Klopapiermangel erklären dürfte…
Leider machen die Streaming-Anbieter aktuell dennoch massiv Neukunden-Werbung und es gab gerade großen Krach in einer Familie, wo die Mutter per E-Mail von einem der E-Mail-Provider Disney+ angeboten bekam und das für die Kinder haben wollte. Dass der Vater dann einwand, dass der Fernseher gar keinen Internet-Anschluss habe und das Netz das bei ihnen auch gar nicht schaffen würde, führte zur Äußerung, dann sollen die Kinder halt auf seinem Home-Office-PC Disnay+ gucken, das sei jetzt wichtiger als die **** Arbeit. Da kann ich mit meinem 50-MBit-VDSL, „ausnahmsweise ohne Fernsehen“, also echt noch glücklich sein.
Tja, so behalten die Veranstwortlichen von ARD und ZDF nun Recht: Jetzt ist der PC, um einen Lieblingsspruch eines früheren ZDF-Intendanten zu zitieren, auch nur noch ein ganz toller Fernseher, mit dem Papi nur dann noch arbeiten kann und darf, wenn alle Kinder schlafen. Nur haben ARD und ZDF nichts davon, wenn Papi seinen Job verliert und auf Hartz IV kommt, denn dann ist RTL2 für ihn zuständig.
Über den Autor:
Wolf-Dieter Roth, Dipl.Ing. Nachrichtentechnik, ist Radiofan seit der Kindheit und war in den Datennetzen über Festnetz und (Amateur-) sowie Mobilfunk schon aktiv, als 1200 und 9600 Bit/s als „schnell“ galten und man gewohnt war, die eingehenden Daten live mitlesen zu können. Beruflich ist er in Elektronik, Internet- und Funktechnik, Fachjournalismus, PR und Marketing zu Hause.