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Motivationspredigt: Gewinnen statt Verpissen

Bitter Lemmer

Kopfkino-Krise. Projektor kaputt. Weiße Leinwand. Kein Film im Hirn. Restbrummen im Schädel. Eine Bekannte rief an und beschwerte sich: Ich dachte, sagte sie, IHR wäret anders. Nicht so marktschreierisch, nicht so angeberisch, mit immer schön bei der Wahrheit bleiben und so. Und dann das: Redet IHR dauernd von so nem Verkehrsflieger. Weiß doch jeder, daß Radiosender in echt keinen Flieger haben. Daß die sich sowas immer nur ausdenken. Als ich ihr sagte, unser Flieger sei echt, war sie platt.

So weit ist es also: Radiosender sagen etwas, und Hörer gehen für den Normalfall erstmal davon aus, daß das sowieso nicht stimmt. Radiosender teilen das Schicksal von Politikern. Und beide – Sender und Politiker – können sich nicht vor der dummen Erkenntnis drücken, daß sie selbst dran schuld sind. Das – vor allem private – Radio hat sich für ernsthafte Dinge selbst disqualifiziert.

Als die ersten Privatsender anfingen, war das noch anders. Radio war selbstverständlich glaubwürdig und seriös. Private Radios konnten sich auf Musik und Unterhaltung konzentrieren. Nachrichten und – so vorhanden – sonstige informative Beiträge waren a priori glaubwürdig, weil das Radio früher, in den guten alten Zeiten, eben grundsätzlich glaubwürdig war.

Das hat sich dann gründlich geändert. Zuerst ging’s um Verpackungskniffe. Die guten Sachen einfach besser verkaufen als die Konkurrenz, bildhafter, grader, besser zurechtgemacht fürs Kopfkino. Es zeigte sich, daß nur wenige kreative Leute im Radio unterwegs waren. Jahrelang gut gehandelt wurde folgender Spruch: Besser gut geklaut als schlecht erfunden. Notprogramm also, immer häufiger, immer ähnlicher. Notprogramm bleibt Notprogramm: Die jahrelange Liners-Vorleserei klang, wie sie war: Künstlich und unecht wie der Body von Tatjana Gsell. Der Hörer bekam ein paar strategische Knochen hingeworfen. An denen knabberte er ein paar Jahre herum. Dann wurd’s ihm fad und wurscht. Reichweitenkönig wurde, wer am wenigsten nervte. Das Reizvolle fehlt im Notprogramm. Nehmen wir also einfach auch das Störende weg. Fertig ist die tote Verpackung. Blutleer wie Tatjana Gsells Möppse.

Jetzt merken die Sender, daß nicht-nerven allein nicht reicht. Allein: Woher die scharfen Sachen nehmen, die die Leute aktiv und unbedingt hören wollen? Den süchtigmachenden Stoff, ohne den was fehlt? Dafür braucht es Kreative und Besessene. Leute, die so ticken wie die Erfinder erfolgreicher Zeitschriften. Die das ganze Programm im Innenohr haben, bevor es on Air gelassen wird. So, wie die Designer das Bild im Kopf haben, daß später die Menschheit vor Augen hat. Dabei geht es in erster Linie um Inhalte, und gleich danach um die Frage, wie die Inhalte optimal präsentiert werden. Optimal heißt: Ohne Kompromisse, ohne Entschuldigungen, ohne Notstrategien. Optimal heißt: Optimal. Egal wie. Egal, mit wie wenig Budget. Wollt ihr kämpfen, oder wollt Ihr Durchschnitt bleiben?

Wie gesagt, eine Ahnung davon ist in den Sendern angekommen. Aber die alten Zöpfe hängen noch im Weg. Die Visionen fehlen noch. Stattdessen feiert die Verpackungsindustrie wahre Orgien. Verpackungstechnisch ist ein wahrer Bauboom ausgebrochen: Verkehrs- und Nachrichtenzentralen schießen aus dem Boden wie Champignons. Die hauseigenen Wetterzentralen bekommen immer neue Arsenale an Radarmonitoren, Windmessern, Niederschlagsmessern, Satellitenempfangsanlagen, etc. Da neuerdings Erd- und Seebeben recht modern sind, schlage ich das sendereigene seismologische Institut vor, besetzt mit sendereigenem Geophysiker. Statt der aus den diversen Verkehrszentralen bekannten Hall-Effekte (wieso bauen Radiosender ihre Verkehrszentralen eigentlich so gern in leere Turnhallen ein?) schlage ich einen Stotter-Sound im Rhythmus der Erdbebenamplituden vor, einschließlich des charmanten Atmo-Geräuschs von klappernden Kronleuchtern und aus dem Schrank rutschenden Tassen.

Vielleicht hilfts ja, und meine Bekannte glaubt dann endlich das Verkehrsflugzeug. Oder auch nicht.

Der Privatradio-Mainstream steckt ganz schön im Schlamassel. Dauernd passieren große Dinge. Neuerdings stirbt alle Nase lang eine Wichtigkeit. Die Leute regen sich über die Politik auf. Es geht um Themen, für die den Privatradios die Kompetenz fehlt. Das läßt sich messen. Wer Perceptuals kennt, der weiß, daß Hörer die Informationskompetenz bei den Öffis suchen – oder gleich ganz woanders als im Radio. Das könnte – Vorsicht: unangenehme Wahrheit! – an der Kompetenzverteilung der Macher liegen. So ein Öffi-Politik-Redakteur weiß meistens wirklich mehr als sein privater News-Kollege. Und – noch schlimmer: Obwohl er häufig unmotiviert ist und klingt, gelegentlich vor Arroganz kaum laufen und sprechen kann, vorzugsweise nur deshalb sendet, um sich selbst im Licht der letzten Weisheit zu sonnen statt für den Hörer dazusein, kaufen die Leute ihm die Ernsthaftigkeit besser ab als dem Privaten.

Schauen wir, wie Zeitschriften es machen (die guten, modernen, erfolgreichen, stabilen, wachsenden – z.B. Brandeins): Klares Themenkonzept. Exzellente Texte. Der stets eigenständige und spezielle Dreh, das Thema aufzuziehen. Konsequenz. Unbedingter Siegeswille. Mittelmaß Scheiße finden. Passendes und professionelles Layout. Passendes Papier. Nichts im Blatt dulden, was da nicht rein gehört. Hoher Preis. Durststrecken aushalten. Weitermachen. Langsam stärker werden. Endlich unentbehrlich sein. Macht viel Arbeit, kostet viel Engagement. Warum sollte das nicht im Radio funktionieren?

Darum aber geht’s: Wollen private Radiomacher auch im ernsten Fach spielen, müssen sie dafür arbeiten und sich was trauen. Ziel: Wir erobern die Infokompetenz von den Öffis. Erster Schritt: Wir machen uns erstmal selbst kompetent. Zweiter Schritt: Wir zeigen dem Hörer, daß wir das besser können. Wissen über jedes Thema so viel, daß wir den eigenständigen, berührenden Aufhänger finden. Texten so lange, bis der Text gemeißelt sitzt. Airchecken uns selbst jeden Tag auf Neue, kritisch, ehrlich. Verbessern jeden Tag, was wir senden. Stellen uns denen, deren Zeit wir wollen. Machen so lange weiter, bis unser Wunschpublikum keine Zeit mehr für andere hat. Mag eine Weile dauern, aber immer nur neue Schläuche lassen den alten Wein nicht leckerer werden.

Das schafft natürlich nur, wer überhaupt damit anfängt. Wer sich mit Entschuldigungen zufriedengibt à la „im Rahmen unserer Möglichkeiten war das toll“ hat schon verloren. Aufgegeben, bevor der Kampf begann. Ist ja moralisch ganz nett, ein guter Verlierer zu sein. Aber gewinnen ist schöner.


Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

XPLR: MEDIA Radio-Report