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MA-Nachlese: „Staat im Staate“

Bitter Lemmer

Wie schön, daß alles so einfach ist. Daß Medien, Politiker, ja sogar etliche Radiomacher selber alle genau wissen, daß vom Privatradio wenig bis nichts zu halten sei. Die Häme, mit der die MA-Resultate kommentiert werden, wird nur von der Häme übertroffen, mit der die Inhalte der Programme diskutiert werden. Als “Hütchenspieler” diffamierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich die Gewinnspiele aus Anlaß der MA. Und dann die laute oder klammheimliche Freude darüber daß die Privaten deutlich mehr verloren haben als die Staatlichen, darüber, daß die Hörerschaft im Ganzen um 5 Prozent abnahm. Hammwa mal wieder recht gehabt mit unserem schlauen “was dudeln die auch alle immer dasselbe” und ähnlich intellektuell angemalter Kritik.

In Berlin gilt nunmehr unter den korrekten und angesagten Menschen allein Radio Eins als dasjenige Programm, zu dessen Konsum man sich offen bekennen darf. Wer zugibt, etwas anderes zu hören, ist in den Augen des aufgeklärten Mainstream zumindest leicht meschugge. Glückwunsch an die Kollegen – an Mallorca Joe und Funkmaster Konfetti, an Hendrik M. Broder, an Stern-Berlinchef Hans Ulrich Jörges und all die anderen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben. Glückwunsch an die Radio Eins Musikredaktion, die konsequent gegen den Mainstream programmiert hat und damit den Eindruck einer echten Alternative in den Markt getragen und durchgesetzt hat. Glückwunsch an Helmut Lehnert, der das Programm erdacht und aufgebaut hat und nach anfänglich wenig erfolgreichen Jahren mit Beharrlichkeit am Leben erhalten hat. Glückwunsch an den Staatsfunk RBB dafür, Lehnert auf seinem dornigen Radio-Eins-Weg gefolgt zu sein. Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt, wie sich nach sieben Jahren zeigte.

Sieben Jahre – das ist für Privatradios eine komplette Lizenzperiode. Nach sieben Jahren ist die Grundlage fürs Senden vergangen. Man kann eine neue Lizenz beantragen, aber ob die Medienbehörde die erteilt, wissen erstmal nur die Götter. Sieben Jahre – das ist die Periode, in der die Eigentümer von Privatradios zu denken gezwungen sind. Nach sieben Jahren müssen folgende Dinge erledigt sein: Investieren, in die operative Gewinnzone kommen (break even), Investitionen wieder einspielen (ROI), Gewinnmarge verdienen (Kapitalverzinsung). Auch dann, wenn Lizenzen erneuert werden, gilt die siebenjährige Lizenz-Periodenrechnung. Sie ist die einzige planerische Sicherheit, auf die die Eigentümer bauen können. Ebenso sicher ist, daß die Radiogesellschaft ihre Frequenz niemals wirklich besitzen wird, anders als der staatliche Gebührenfunk.

Da ist es billig, privaten Eigentümern ihre Kurzatmigkeit vorzuhalten, ihr Bestreben, mit möglichst geringen Mitteln möglichst schnellen Ertrag einzuspielen, ihr Kampf um die gesellschaftliche Mitte, die für höchstmögliche Werbeerlöse steht. Es ist billig, privaten Radiosendern ihre partielle Unbeweglichkeit in technischer Hinsicht vorzuhalten, ihren Unwillen, Podcasts und digitale Verbreitungswege an vorderster Front zu entwickeln, ihr Festhalten an den traditionellen Wegen, so lange man eben an ihnen festhalten kann, ohne mit zusätzlichen Investitionen belastet zu werden, die ja – siehe oben – in staatlich verordneter Zeit wieder eingespielt werden müssen.

Ich kenne eigentlich niemanden im Privatfunk, der nicht ab und zu davon träumte, mal ohne Rücksicht auf enge Zeit- und Investitionsbudgets was richtig Tolles zu machen. Ein Newsradio, ein Talkradio, eine Rockstation, oder eben eine informationsorientierte Vollservice-Welle mit kantiger Musik wie Radio Eins. Aber niemand, ausgenommen der staatliche Gebührenfunk, kann sich sieben Jahre Zeit lassen für ein solches Projekt. Dabei ist die Umsetzung von Radio Eins weit weniger bestechend als die Strategie. Die Übergänge zwischen Musik und Wort, die Pseudo-Ramptalks, die einfach nur schlampig klingen – in handwerklicher Hinsicht ist es beileibe keine Offenbarung.

Wie ungleich die Ressourcen verteilt sind, kann jeder sogar ohne großen Hintergrund auf den ersten Blick erkennen: Private Radios senden jeweils ein einzelnes Programm auf einer einzelnen Frequenz oder Frequenzkette. Die Staatssender besitzen ganze Pakete von Programmen für möglichst alle Zielgruppen. Selbst da, wo – wie in Schleswig-Holstein oder Hessen – landesweite Funkhäuser über zwei oder drei Sender verfügen, sind die dennoch Zwerge im Vergleich zu den Staatsanstalten. Andernorts versucht man, auf dem Vermarktungswege zwei oder drei Sender strategisch zu kombinieren. Aber kein Privater kann dabei so effektiv vorgehen das Staatsradio. Da berichtete z.B. im Inforadio des RBB eine Reporterin des Jugendsenders Radio Fritz über die Verleihung der Echos. Sie wurde ausdrücklich im Inforadio als Radio-Fritz-Reporterin präsentiert – was einerseits wohl den Authentizitätsgrad ihres Berichts steigern als auch gleichzeitig eine Promotionmaßnahme für die ansonsten sensationell erfolglose Jugendwelle sein sollte. Wehe, bei den Privaten hätte jemand so etwas gewagt. Die Berliner Privatfunkaufseher, unter ihnen der frühere Staatsfunkintendant Hansjürgen Rosenbauer, wären gewiß fix mit der gelben Karte zur Hand gewesen.

Das Rennen ist eindeutig unfair. Die Staatsfunker leben in einer gigantischen Komfortzone. Das sei jedem von ihnen unter menschlichen Aspekten gegönnt. Aber etwas Fairness bei der politischen Zuweisung von Ressourcen und der publizistischen Beurteilung von Leistung wäre auch nicht schlecht. Und daß die Staatssender mit praktisch unbegrenztem Geld und scheinbar ewig währender totaler Sicherheit jetzt auch die teuren Plätze auf den digitalen Zukunftsbühnen besetzen, läßt nichts Gutes ahnen. Der Staat im Staate scheint außer Kontrolle geraten.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

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