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„Trotz WM: Sport frißt Radio“

Bitter Lemmer

Unter Berliner Gastronomen und Hoteliers gilt die Fußball-WM als gefährliche Umsatzbremse. Lange wollte niemand auf die Skeptiker hören, die sich fragten, wie die große Zahl von Fans und Funktionären sich konkret in Buchungen und Tischbestellungen auswirken sollte. “WM” war zum Buzzword geworden, das jeden Zweifel hinwegfegte. Zweifler galten als Nörgler, bis sich zeigte, daß die Vorbuchungen im WM-Jahr schlechter verliefen als in den vergangenen WM-freien Jahren. So ziemlich die einzige Branche, die in der Krisenhauptstadt Berlin normalerweise funktioniert, gerät jetzt unter Druck – wegen der WM.

Viele Radiosender sehen das Fußballereignis als Glücksbringer. WM-Tickets gelten als ultimativer Verlosungspreis. Viele Sender haben extra Geld bezahlt, um sich das WM-Logo auf Website und sonstige Materialien hängen zu dürfen. Manch einer profiliert sich seit längerem als sportaffiner Sender, um rechtzeitig zur WM das nötige Image in die Waagschale zu werfen. Ob sich das am Ende auszahlt, steht allerdings in den Sternen.

Sport und Radio – das paßt nur selten zusammen. Bisher hat so ziemlich jede Mapping-Studie das immer gleiche Resultat gezeigt, egal, wie sehr sich PDs und GFs nach Sportstrecken in ihrem Programm sehnten. Das Volk will einfach keinen Sport im Radio, weil es sich Sport lieber im Fernsehen, in Printmedien und neuerdings wohl auch online holt. Das ist auch verständlich, denn Sport hat immer mit Bildern zu tun – nicht den sprichwörtlichen im Kopf, sondern mit echten gedruckten oder bewegten. Radioimages sind dagegen Musik, Unterhaltung und aktuelle Information – Angelegenheiten, bei denen Worte ausreichen oder Klänge das eigentliche Ereignis sind.

Wer immer versuchte, mit Sport Radioquote zu machen, ist letztlich gescheitert. Ein neues Profil oder eine neue Marke kann man eben nur langfristig und mit viel Aufwand etablieren. vor allem dann, wenn sie gegen die natürlichen Bedürfnisse der Hörer geht. Die ARD hat Jahrzehnte an ihrer Samstags-Bundesligaschalte gearbeitet und viel Gebührengeld dafür ausgegeben. Die Schalte gab es schon zu Zeiten, als die ARD noch ein Hörfunkmonopol hatte und der Hörer gezwungen war, zu hören, was die Anstaltsleiter zu senden beliebten. Niemand hat es seitdem vermocht, diesen Vorsprung aufzuholen. Radio Luxemburg versuchte es jahrelang und hatte sich in den 80ern als Sport-Gallionsfigur den charismatischen und in seinem Metier unübertroffenen Benno Weber von der Bild Zeitung geholt. Jahrelang zahlten die Luxemburger ein Vermögen, um jedes Spiel mit einem professionellen Reporter abdecken zu können, reichten völlig unangemessene Summen an den DFB für die bloße Erlaubnis, aus den Stadien zu senden – und kamen damit trotzdem nie auf einen grünen Zweig. Die Einschaltzahlen waren immer minimal – nicht deshalb, weil die Redaktion einen schlechten Job machte, sondern weil Sport und Radio nicht zusammengehören.

Vielfach heißt es, Sport sei wichtig, um zusätzliche Umsätze zu generieren. Sender, die sich mit Bundesligavereinen verbandeln, argumentieren mit den lukrativen Kontaktmöglichkeiten zu Geschäftsleuten in den VIP-Sektionen der Stadien. Ähnliches hört man von WM-Sendern. Da mag auch was dran sein, aber diese Sichtweise ist gefährlich: Sie droht, den Blick auf den eigentlichen Produktvorteil des Radios zu verstellen – also Musik, Comedy und Aktuelles. Schnelle Werbeerlöse aus dem Sport werden am Ende leicht mit schwachem Senderimage und schmaler Hörerbasis bezahlt. Und unterm strich gilt meistens: wenige Hörer, wenige Mäuse.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

XPLR: MEDIA Radio-Report