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“Der letzte Song”: Don’t play Céline Dion for me

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Von Wolf-Dieter Roth

Wer beim Radio arbeitet, hat’s nicht leicht. Muss unter dem deutschen Dudelfunk fast so leiden, wie der Hörer. Reiner Ussat tat dies 25 Jahre lang und hat sich nun in einem „Insider-Roman“ etwas Luft gemacht.

Ein sonniger Freitagmorgen, Tony Paul aus Los Angeles spielt aufopferungsbereit (sein Motto: „I live here – so you don’t have to!“) auf Radio Caroline seine Platten. Und spielt trotzdem aufmunternde Musik, aus der Stadt und auch fast in der Art des leider kürzlich verstorbenen Charlie Tuna, den man einst auf dem AFN hören konnte. Dabei kann ich gut arbeiten.

Reiner Ussat (Bild: ©Stefan-Lehming)
Reiner Ussat (Bild: ©Stefan-Lehming)

Im oder mit dem deutschen Radio ist das wesentlich schwieriger: Da spielt der DJ schon lange nicht mehr, was er oder gar der Hörer möchte. Sondern das, was der Musikredakteur möchte. Und der gibt dem Moderator wiederum vor, was zwar nicht er, aber die Marktforschung und die Chefetage möchte: Songs, die nicht jeder mag, aber garantiert jeder kennt. Wie das Jaulen von Céline Dion zum Untergang der Titanic. Perfekt schauderhaft, wenn von einer leiernden Kassette abgespielt, weshalb eine solche wohl das Buch von Reiner Ussat ziert, auch wenn es darin doch um Radio geht. Oder zumindest das, was Formatuhren und Marktforschung mittlerweile davon noch übrig gelassen haben.

 

Seit die Sender die Marktforschung für sich nutzen und fast alles über die Personen ihrer Zielgruppe wissen (außer vielleicht deren Kinderkrankheiten und Kontostand), hören sich die meisten Programme gleich an. Egal ob man sein Radiogerät in Flensburg oder Rosenheim eingeschaltet hat. Diese Dauerberieselung kann vor allem bei Langzeithörern zu aggressivem Verhalten führen. Aber nicht nur bei ihnen. Auch Musikredakteure sind hochgradig gefährdet. Tag für Tag und Jahr für Jahr das immer gleiche langweilige Musikprogramm am Computer zu programmieren, muss zwangsläufig irreparable Schäden hinterlassen.

(Aus dem Pressetext zu „Der Letzte Song“)

Vielleicht soll die Kassette aber auch nur an die gute, alte Zeit erinnern, als im Radio noch so tolle Musik lief, dass man sie sich begeistert aufnahm, um sie wieder und wieder hören zu können. Heute ist das bekanntlich nicht mehr nötig, weil sich das Repertoire ohnehin nach 20 Minuten wiederholt. Was dem Buchautor wohlbekannt ist, und was er zunächst auch zu verteidigen scheint:

Das Bild des Musikredakteurs hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark verändert. Wir können jetzt durch die zielgruppenorientierte Marktforschung die Entwicklungen von Stamm- und Wechselhörern viel besser verfolgen. Beim privaten Radio sind wir auf viele Hörer angewiesen und müssen einen gewissen Massengeschmack bedienen.
(Reiner Ussat)

Aber natürlich hat auch er das Radioleben nicht ohne Schaden überstanden, ebenso wenig wie sein Loser-Alter-Ego im Buch, der bei einem Münchner Privatradiosender sich abarbeitende Max Lauschke.

Dieser ist mehrfach gehandicapt: Seine Wohnung ist von Tonträgern verstopft, die Nachbarn laut, auf dem Balkon treiben es die Turteltauben in Rosmarin und Lavendel, er scheint mit dem Münchner U-Bahn-System auf Kriegsfuß zu stehen und zu allem Überfluss ist er auch noch schwerhörig, was ihm aber nicht erspart, von Lärm und dem Programm seines Senders (also Lärm) extrem genervt zu sein. Seine einzige Freude ist es, auf mehr oder weniger blöde Leserfragen ebensolche Antworten zu verfassen:

Von: D…S….
An: Musikredaktion
Betr: Singende Hüfte
Hallo Leute,
es ist eine absolute Zumutung, dass ihr ständig diese an chronischer Regenwald-Erkältung leidende Shakira spielt. Wusstet ihr eigentlich, dass diese Knödel-Königin nicht einmal im Schulchor singen durfte, weil ihr Lehrer meinte, sie würde wie eine verhungernde Ziege klingen, die kurz vorm Abschlachten steht?
Bitte befreit uns Hörer von solcher akustischen Quälerei!
Ein (noch) treuer Hörer

Von: Musikredaktion
An: D… S….
Betr: AW: Singende Hüfte!
Vielen Dank für Ihre Mail und die geäußerte Kritik an unserer Musikauswahl, speziell zu Shakira.
Ich muss Ihnen etwas gestehen, was bitte unter uns bleiben sollte – ich kann die Alte auch nicht ausstehen. Allerdings scheinen wir zwei fast die Einzigen zu sein, da zum Beispiel ihr Hit „Hips don’t lie“ bei den wöchentlich durchgeführten Titeltests von der ganz großen Mehrheit der Hörer hervorragende Benotungen bekommt. Mein Tipp an Sie: einfach den Tag über viel trinken, ist eh gesund, und dann die Songs von Shakira als Pinkelpause nutzen.
Herzliche Grüße von Max Lauschke aus der Musikredaktion

Klar, dass diese E-Mails nicht unbedingt der Corporate Identity seines Senders entsprechen. Und trotzdem gibt es einen Hörer, der ihn ganz persönlich für das miese Musikprogramm auf dem Kieker hat, ihn für Céline Dions Titanic-Hit, der auf dem Sender tagaus, tagein durchgenudelt wird, am liebsten und wortwörtlich umbringen möchte. Ihm bereits Prospekte von Bestattern ins Büro schicken lässt.

Zu einem Stalker kommt man als Medienmensch zugegeben schnell. Mal steht ein Leser, der sich über eine abgedruckte Fehlauskunft der Telekom ärgert (Gebührensignalübertragung am Analog-Telefonanschluss sollte kostenlos sein und war es dann doch nicht) abends vor dem Axel-Springer-Haus, um den „schuldigen“ Redakteur zu verprügeln – zieht aber durchgefroren Leine, als der um 2 Uhr nachts immer noch nicht die Redaktion verlassen darf, weil gerade Redaktionsschluss ist. Dann ist eine PR-Frau wiederum genervt davon, dass man ihre nutzlosen Meldungen nicht mehr haben möchte, wo doch Online-Redakteure im Gegensatz zu ihr armem Mädchen (-> „Ich bin jung und brauche das Geld!“) ach so sichere Jobs haben und so dick verdienen (-> 10 € pro selbstgeschriebenen Artikel und 1 € pro redigierten Artikel!). Und schließlich ist ein Leser einfach davon genervt, täglich von gerade diesem Redakteur etwas lesen zu müssen, dessen Schreibstil ihm irgendwie nicht gefallen will, und will ihn deshalb aus dem Job kicken. Vermeintlich berechtigte Gründe gibt es deren viele.

Und so ist Lauschkes Stalker eben davon entnervt, Céline Dion hören zu müssen. Kann man ja durchaus nachvollziehen, doch wäre es irgendwie vernünftiger, das Radio auszumachen, statt dem Musikredakteur aufzulauern. Aber wer kann schon stundenlang Dudelfunk hören und dabei noch vernünftig bleiben?

Immerhin, Moderatorenstalking gab es auch schon in der guten alten Zeit des Radios, damals ging es allerdings noch darum, einen Titel gespielt zu bekommen und nicht das Gegenteil. Und da gab es auch noch keine Musikredaktion.

Also eigentlich schwerer Tobak und großes Drama. Reiner Ussat ist jedoch das Kunststück gelungen, aus all dem eine Komödie zu schreiben, die deutlich lustiger ist als die Morgenshow Ihres lokalen Dudelsenders…

»Ich hatte sie ALLE… (vor meinem Mikrofon), von Tina Turner bis Rex Gildo, von Rod Stewart bis Nena und viele mehr. Als Musikredakteur und Moderator beim Hörfunk habe ich 25 Jahre mein Hobby zum Beruf gemacht und in der Zeit die verrücktesten Typen kennengelernt. Von dieser wunderbaren Zeit inspiriert, habe ich meinen Roman geschrieben, in dem der fiktive Held Max Lauschke einen rabenschwarzen Horror-Montag erlebt. Für euch öffne ich die Tür zu dieser geheimnisvollen Radio-Welt einen Spaltbreit.«
(Reiner Ussat)

DER LETZTE SONG-Cover-3D-2-min

Reiner Ussat:

Der letzte Song – Ein Radio-Roman

Erscheinungsdatum: 15. Juli 2016
208 Seiten, Taschenbuch
9,99 EUR (D)
ISBN 978-3-86265-590-8
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2016
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