24. Lokalrundfunktage: Keine Angst vor der Digitalisierung

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Muss der Rundfunk Angst vor der Digitalisierung haben? Beim StartUp Pitch auf den Lokalrundfunktagen in Nürnberg steht Espen Systad von Capsule.fm auf der Bühne und behauptet, fürs Radio seien keine Menschen mehr nötig. Er hat einen Radio-Bot entwickelt, der genau weiß, wer sein Hörer ist, was für Musik er mag, wo er gerade mit dem Auto entlangfährt und wie das Wetter an seinem Ankunftsort sein wird. Ein persönlicher Radio-Bot – ist das die Zukunft?

Dr. Jens-Uwe Meyer
Dr. Jens-Uwe Meyer

„Nein, Radio ist nicht tot“, sagte Jens-Uwe Meyer zu Beginn seines Vortrags „Innovate: Radio. Keine Angst vor großen Ideen“. Doch zum Schluss hatte der „Innovationsexperte“ Meyer an diesen Satz ein großes „Aber“ angehängt: Radio ist nicht tot, Radio lebt „aber Sie versäumen jeden Tag etwas“. Was die Lokalradios genau versäumen und was um sie herum gerade passiert, damit beschäftigte sich Meyers Vortrag.

Meyer wollte den zahlreichen Anwesenden zeigen, warum Radio digital gedacht werden muss. Denn auch wenn das bisher noch nicht jeder bemerkt habe, seien die „Disruptionsprinzipien“ der Digitalisierung schon lange am Werk: Fußballberichte, die von einer künstlichen Intelligenz geschrieben werden, an den Leser angepasste Nachrichten, semantische Suchmaschinen – die Technik sei längst da, sagte Meyer. Verkehr, Wetter, Musikauswahl – das alles haben schon Apps übernommen, dagegen könne man nichts machen. Klingt bedrohlich nach: Das Radio ist tot. Doch Meyer wollte seine Zuhörer nicht mit so einer deprimierenden Message entlassen und er musste es auch nicht. Es sei ja nicht so, dass die Radiosender nichts in der Hand hätten.

Radios haben schließlich Marktzugang, Reichweite. Davon träumten andere nur. Es gelte nun, dieses Potenzial zu nutzen: „Sie versäumen, mit der Masse an Menschen, die sie haben, mehr zu machen, mehr Geld zu verdienen, neue Märkte zu erschließen.“ Meyers Appell: Seien sie weiter innovativ im Bestehenden und bauen Sie auf der anderen Seite mit vollem Herzen Alternativen zum Radio auf – denn irgendwann werde es untergehen. Das Schlimmste überhaupt sei aber, gar nichts tun, abzuwarten und Angst vor dem Scheitern zu haben: „Sie werden nur Innovatoren, wenn sie echt Spaß daran haben.“

Der Vortrag von Meyer eignete sich ideal als Einstieg in die Lokalrundfunktage, denn die Aufforderung, an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, sich gerade in Zeiten der Digitalisierung etwas zu trauen – und auch Spaß daran zu haben – war immer wieder zu hören.

Lokalrundfunktage 2016 Eingang (Bild: ©RADIOSZENE)
Lokalrundfunktage 2016 Eingang (Bild: ©RADIOSZENE)

Auch in Gesprächen, in denen man es vielleicht nicht vermutet hätte. Im Gespräch mit Marion Schieder erzählte Kabarettist und Songwriter Hannes Ringlstetter unter anderem von seinen Anfängen im Lokalrundfunk und seiner Kindheit als Lehrer- und Wunderkind. Doch zwischen den Pointen und Anekdoten (zum Beispiel, wie Ulrich Wickert sein rollendes R kritisierte), erzählte Ringlstetter auch von der Aufbruchstimmung im Lokalfernsehen, die ihn in den 90ern so fasziniert und die er seitdem in seinem Berufsleben nicht mehr erlebt habe: „Vielleicht gelingt es diesem Medium ja noch mal, eine Generation zu finden, die so Bock hat, dieses Medium auch wieder zu revolutionieren.“

Drei Beispiele, wie das aussehen kann, präsentierte der Talk „Alles neu? Mit neuen Formaten junge Zielgruppen erreichen“. Dort berichteten Stefanie Klee Castellanos (Regio TV Schwaben), Britta Schewe (Joiz Deutschland), Benjamin Jungblut und Adrian Roser (Franken Fernsehen) wie sie junge Zielgruppen ansprechen. Für Schewe ist der Spaß an der Arbeit, an dem was man tut, das Wichtigste: „Wir haben jeden Tag Kindergeburtstag in unserem Sender: Wir laden ein, wen wir einladen wollen, wir lassen spielen, wen wir spielen lassen wollen, wir reden über die Dinge, über die wir reden wollen“, sagte Schewe. Aber genau diese Begeisterung und Freude schaffe eine Authentizität, die das Fernsehen mit allem Geld der Welt nicht nachmachen könne.

In der anschließenden Diskussion wurden die jungen Fernsehmacher gefragt, ob sie das Junge Angebot von ARD und ZDF, das bald starten wird, als Konkurrenz betrachten. „Wir müssen uns da auf unsere regionale Kompetenzen konzentrieren. Wir sind nahbar, wir sind in der Region, das muss auch unsere Late Knights auszeichnen“, antwortete Benjamin Jungblut, der zusammen mit Adrian Roser bei Franken Fernsehen eine Late-Night-Show hat. „Was wir können, ist regional“, stimmte ihm Stefanie Klee Castellanos zu und plädierte generell dazu, sich als Lokalsender nicht immer kleiner zu machen als man sei: „Wir können das handwerklich genauso gut. Wir müssen es nur noch so hinkriegen, dass wir in der Redaktion genug Leute haben, sodass wir für solche Formate Zeit haben und auch das tägliche Geschäft vernünftig machen.“ Genau deshalb seien neue Formate auch eine gute Möglichkeit für andere Mitarbeiter zu zeigen, was sie eigentlich alles drauf haben. Oder anders gesagt: Neue Formate sind auch gut für das Betriebsklima.

Broadcast-Future-Promotions-2016Spaß machen auch die Radioaktionen, die die Radiomacher bei „Update Promotion 2016: Die besten Radioaktionen“ präsentierten. Darunter: Ein Schulquiz, bei dem Lehrerinnen und Lehrer Fragen beantworten müssen, um für die Abschlussparty Geld zu gewinnen; ein verkleideter Moderator, der auf der Straße erkannt werden soll und eine Moderatorin, die jede Woche eine andere Wintersportart ausprobiert. (Siehe auch Periscope-Video Teil 1 und Teil 2)

Bei der Präsentation wurde schnell klar: Wer seine Zielgruppe kennt, hat mehr von der Aktion. Das Schulduell verschaffte planet radio beispielsweise Zugang zu seiner Zielgruppe und zu den Schulen. Der Marmeladen-Wettbewerb von Radio F (bei dem jedes Jahr das beste Marmeladenrezept gesucht wird) funktioniert deshalb so gut, weil die Hörer von Radio F 40 Jahre und älter sind und: weil eigentlich jeder gerne Marmelade isst. So wurde aus einer einfachen, relativ unaufwändigen Idee ein riesiger Erfolg. Gemeinsam ist all den vorgestellten Promo-Aktionen auch, dass sie nicht nur on Air, sondern auf ganz verschiedenen Plattformen stattfinden.

snapchat-radioszeneDie Plattform, die auf den Lokalrundfunktagen in dieser Hinsicht sicherlich die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat, ist Snapchat. Auf den ersten Blick war wahrscheinlich vielen Konferenzteilnehmern und -teilnehmerinnen nicht ganz klar, was genau Snapchat im Lokalrundfunk zu suchen hat, doch zwei Workshops bemühten sich, das zu ändern. Jannis Kucharz erklärte bei „Snapchat und Facebook Live für Lokalfernsehen. Hype oder notwendige Ergänzung des Online-Angebots?“, wie man Snapchat als Medienmacher nutzen kann. Allerdings nicht, ohne vorher zu erklären, wie man Snapchat überhaupt bedient.

Bei „New Radio mit Snapchat-Special. Radio auf neuen Plattformen“ erklärte dann der aus Florida per Skype zugeschaltete Mark Kaye wie für ihn als Radiomacher – und damit auch für die Anwesenden im Saal – Snapchat nutzbar sei. Die App sei perfekt für Radio-Begeisterte, weil man pro Snap nur zehn Sekunden Zeit habe, erklärte er.

Mark Kaye via Skype und Daniel Fiene (Bild: BLM)
Mark Kaye via Skype und Daniel Fiene (Bild: BLM)

„Und wir alle verstehen, wie man schnell, unterhaltend und informativ ist, all das dann auch noch verkauft und viel Geld macht.“ Kaye hat nicht nur seine eigene Talkshow auf Snapchat aufgebaut, sondern nutzt die App auch, um Zuschauer in seiner Sendung zu Wort kommen zu lassen. Im Vergleich zu den Telefonanrufen – die sowieso immer seltener würden – seien die Snapchat-Beiträge, kürzer, direkter, besser planbar und außerdem ein gutes Mittel, um Werbung für die eigene Sendung zu machen, erzählte Kaye auch am frühen Morgen sichtlich begeistert.

Neben Snapchat nutzen lokale Medienmacher auch immer häufiger Facebook und dessen Live-Video-Funktion. Uwe Tschirner (Oberlausitz TV) machte klar: Facebook-Live-Videos sind nicht professionell planbar: „Darauf muss man sich einlassen.“ Allerdings brächten sie viele Zugriffe – bei dem Beispiel, das Tschirner zeigte, sogar mehr als der gestaltete Beitrag. Die Leute liebten das Authentische, Schnelle und das Live-Gefühl, so Tschirner.

Michael Praetorius
Michael Praetorius

Michael Praetorius, der mit seinem Facebook-Live-Video, in dem er seine S-Bahn-Fahrkarte aus Protest verbrannte, einen viralen Hit landete, mahnte: Das alte System mit Rundfunklizenzen, Anträgen und Sendekonzepten passe nicht mehr zu dieser Online-Welt: „Hier prallen zwei Welten aufeinander.“ Aber Facebook Live und andere Live-Plattformen ließen sich überhaupt nicht mehr aufhalten: „Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, auf dieses Pferd zu setzen und nicht erst in zwei Jahren.“

Doch gerade auf Facebook werden auch die negativen Seiten der Digitalisierung schnell spürbar:
Über Gefühle im Journalismus und ob sie angebracht sind, diskutierten Johanna Haberer (Professorin für Christliche Publizistik, Uni Erlangen), Marcus Fahn (Moderator bei Bayern 1) und Joachim Braun (Chefredakteur Frankfurter Neue Presse). Doch nach dem die Diskussionsteilnehmer die Wirkung und Funktion von Gefühlen im Journalismus erörtert hatten wurde schnell klar: Man muss auch über die andere Seite sprechen.

Denn nicht nur die Journalisten und Journalistinnen haben Emotionen, sondern auch die Zuschauer und Hörer. Emotionen, die nicht immer nur positiv und konstruktiv sind, sondern auch zunehmend verletzend, wütend, beleidigend. Muss der Journalismus – als Reaktion auf die Hitze der Diskussionskultur – kühler werden? Nein, findet Braun, eine Haltung nach außen sei extrem wichtig, man müsse sich angreifbar machen: „Es ist doch unsere Aufgabe, die Menschen aufzurütteln. Ich finde es super, wenn ich einen Kommentar bekomme, in dem jemand schreibt: Was Sie da schreiben, Herr Braun, ist totaler Schrott, aus folgenden Gründen.“ Doch mit widerstreitenden Meinungen umzugehen, falle vielen Journalisten und Journalistinnen schwer, „und im Lokaljournalismus ist es noch viel schwerer, weil man in der Bäckerei darauf angesprochen wird.“

René Falkner (Sachsen Fernsehen, Chemnitz, Bild: BLM)
René Falkner (Sachsen Fernsehen, Chemnitz, Bild: BLM)

Doch wie geht man mit einem Shitstorm oder KommentatorInnen, die entweder klar trollen oder einfach nur hetzen wollen, um? Dieser Frage widmete sich auch die Diskussion „Was tun bei Shitstorm und Kommentarflut. Community Managment im Radio und Lokal TV“. Die eingeladenen Gäste gaben den Zuhörern einige Tipps mit auf den Weg. „Überlegen Sie, wann Sie was etwas posten. Am Nachmittag wenn fünf Leute in der Redaktion sind, die reagieren können oder abends um neun, wo keiner reagieren kann?”, riet Christiane Scherm von Radio Mainwelle, „und dann reagieren Sie: Erst diskutieren und dann löschen.” René Falkner (Sachsen Fernsehen) sagte: „Versuchen Sie Facebook ins reale Leben zu holen.“ Er selbst hat schon ein paar Mal seine Handynummer gepostet, um eine Facebook-Diskussion zu entschärfen. Das Ergebnis: Falkner bekam kaum Anrufe und auf Facebook beruhigte sich die ganze Diskussion. Markus Augustiniak (Radio Duisburg) riet schließlich: „Das Grundprinzip ist erst mal Entspannung.“ Bisher sei noch nie ein Sender durch einen falschen Facebookpost oder einen Shitstorm nachhaltig geschädigt worden.

Zum 24. Mal trafen sich am 05. und 06. Juli 2016 lokale Radio- und Fernsehmacher in Nürnberg, um sich mit über 80 nationalen und internationalen Referenten in insgesamt 26 Workshops über die aktuellen Entwicklungen in Programm, Marketing und Technik der lokalen Rundfunkprogramme auszutauschen. Mit mehr als 1.100 Teilnehmern sind die Lokalrundfunktage der größte Fachkongress für den lokalen Rundfunk im deutschsprachigen Raum.

Präsentationen, Audiomitschnitte und Videos finden sich auf www.lokalrundfunktage.de