Von Horst Müller
Am 15. Februar sendet Antenne MV zum letzten Mal aus dem — schon fast legendären — Funkhaus Plate bei Schwerin. Künftig wird das Programm des ersten Privatsenders in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Bahnhofsviertel in Rostock ausgestrahlt. Längst nicht alle sind glücklich über die Entscheidung des Mehrheitsgesellschafters Regiocast — ich auch nicht. [Titelbild: Von Niteshift (talk) — Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, http://bit.ly/1O6jkko]
Robert Weber klingt hörbar verschnupft als er mich am Freitagvormittag anruft. Mein Nach-Nachfolger als Chef von Antenne MV ist stark erkältet und muss trotzdem den anstehenden Umzug seines ganzen Senders nach Rostock organisieren. Nach 8.295 Sendetagen wird das Programm des ersten Privatsenders in Mecklenburg-Vorpommern nur noch bis zum 15. Februar um 15.00 Uhr aus dem Funkhaus Plate ausgestrahlt. Nach einem technisch bedingten Übergang von zwei Wochen, in denen die Antenne “Untermieter” bei den Kollegen von Radio PSR und R.SA im Radiozentrum Leipzig sein wird, soll das Programm dann am 1. März aus dem Bahnhofsviertel in Rostock verbreitet werden.
Ich habe nicht wirklich verstanden, warum Antenne MV nach fast 23 Jahren das — eigene — Funkhaus in Plate verlässt und nach der Ostseewelle als zweiter Privatsender nun ebenfalls seinen Sitz in Rostock nimmt. Mein Nach-Nachfolger versucht’s mir zu erklären: “Wir müssen dahin, wo das Leben ist”. Und das so — der Rostocker — Robert Weber, konzentriere sich in Mecklenburg-Vorpommern immer mehr auf die Ostseemetropole. Zudem werde es zunehmend schwieriger, gute Mitarbeiter für den Standort Plate anzuheuern: “Wir zahlen jetzt schon Aufschläge für den Standortnachteil”. Ohnehin würde sich durch den Umzug nach Rostock nicht allzu viel ändern. Dass im Gegensatz zum Chef längst nicht alle Mitarbeiter diesen Standortwechsel begrüßen, versteht sich von selbst. Rückgängig zu machen ist die Entscheidung ohnehin nicht mehr — also schwelgen wir noch einmal in Erinnerungen an die Anfangszeiten von Antenne MV im Funkhaus Plate.
Blick zurück — aber nicht im Zorn
“Die Antenne auf dem Dorf” lautete die Überschrift zu einem Artikel, den Ralph Schipke am 27. Februar 1993 im Nordkurier, der Regionalzeitung für den ehemaligen Bezirk Neubrandenburg, veröffentlichte. Es war seinerzeit das erste Mal, dass die Öffentlichkeit von dem bevorstehenden Sendestart des ersten Privatsenders in Mecklenburg-Vorpommern erfuhr. Gut drei Monate später, am 31. Mai, dem Pfingstmontag im Jahr 1993 gingen wir dann mittags um 12.00 Uhr auf Sendung. Der damals 22 Jahre junge Peter Kranz, zunächst Wortchef und später Chefredakteur, machte die erste Ansage aus dem vermutlich idyllischst gelegenen Funkhaus der Republik:
Sendestart Antenne MV
Die Idylle in der gut 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde Plate, 15 Kilometer entfernt vom Stadtzentrum in Schwerin am Rande des Naturschutzgebietes Lewitz gelegen, war selbstredend nicht der alleinige Grund dafür, warum wir uns seinerzeit entschlossen, mit dem Sender aufs Dorf zu ziehen. Nachdem die von der Holtzbrinck-Tochter AVE und von Gesellschaftern des damals längst erfolgreichen Privatsenders Radio Schleswig-Holstein geführte Anbietergruppe Anfang Februar 1993 die Lizenz zum Senden in Mecklenburg-Vorpommern erhalten hatte, begaben wir uns sofort auf die Suche nach einem geeigneten Standort — zunächst in Schwerin. In der Landeshauptstadt herrschte damals allerdings noch Goldgräberstimmung, zumindest auf dem gewerblichen Immobilienmarkt: Für völlig abgewrackte Büroräume wurden Mietpreise gefordert, die seinerzeit kaum in der Hamburger Innenstadt zu erzielen waren. Eine Alternative fand unser Marketingchef Uli Gienke dank seiner exzellenten Kontakte in einem damals teilweise leerstehenden Bürogebäude direkt am malerischen Störkanal gelegen in der Gemeinde Plate.
Der Mietzins war hier erträglich — und Plate hatte für das gerade entstehende Privatradio noch einen weiteren Vorteil: Wir waren für die Rostocker kein “Schweriner Sender” und für die Schweriner keine “Fischköpfe” aus Rostock. So konnten wir uns in der Folge auch dank unserer Außenstudios in Rostock, Neubrandenburg und Stralsund als Sender für das ganze Land profilieren und etablieren. Hilfreich dafür war auch der Slogan “Endlich was eigenes!”, der auch ein deutlicher Seitenhieb auf den NDR war und womöglich dazu beigetragen hat, dass wir schon ein Jahr nach unserem Sendestart mit einem Marktanteil von 32 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern zu den erfolgreichsten deutschen Privatradios gehörten.
Zum fünften Geburtstag — Ende Mai 1998 — hatten wir 38 der damals insgesamt 49 Moderatoren, Redakteure, Korrespondenten, Techniker und Werbezeitenverkäufer zu einem Gruppenfoto vor unserem “Showtruck” vor dem Funkhaus Plate versammelt. Auf diesem Bild fehlt schon Peter Kranz, der zunächst als Wortchef, dann als Chefredakteur einen ganz entscheidenden Anteil am Erfolg des Senders hatte. Antenne MV — und darauf waren wir besonders stolz — war kein Dudelfunk, sondern auch journalistisches Schwergewicht in Mecklenburg-Vorpommern.
Unsere Berichterstattung war von Anfang an so ambitioniert und engagiert, dass schon nach dem zweiten Sendetag die erste Klage bei uns einging. Einer unserer Redakteure hatte die Machenschaften eines betrügerischen Busunternehmers (klar, das war ein “Wessi”) aufgedeckt, der bei angeblichen Kaffeefahrten brave Mecklenburger übers Ohr gehauen hatte. Die Klage lief ins Leere, der dubiose Busreiseveranstalter verschwand aus Schwerin und wir machten unbeeindruckt in Plate weiter. In der Folge deckten unsere Redakteure unter anderem Machenschaften des Verfassungsschutzes auf („Die Buntgescheckten-Affäre“), brachten Minister in Erklärungsnot und forcierten gar deren Rücktritte, wie den des damaligen Innenministers Rudi Geil im Sommer 1996. Fünf Jahre nach dem Mauerfall rekonstruierten wir noch einmal nahezu minutengenau den Abend des 9. November 1989. Dafür gab’s sogar einen Radiopreis – es war längst nicht die einzige Auszeichnung in den Anfangsjahren von Antenne MV.
Die malerische Lage unseres Funkhauses war nicht der alleinige Grund dafür, warum wir schon bald nach dem Sendestart immer wieder Besuch von Kollegen anderer Radiostationen aus ganz Deutschland bekamen. Es hatte sich seinerzeit in der Branche herumgesprochen, dass unsere Technik nicht nur bestens funktionierte, sondern auch noch unglaublich preiswert war. Unser Technikchef Diego Ludwig hatte es verstanden, die damaligen Möglichkeiten der Digitalisierung mit vorhandener analoger Technik so sinnvoll zu kombinieren, dass es nie zu Ausfällen kam. Ich hatte Diego bei seiner Verpflichtung die (gar nicht mal so ernst gemeinte) Vorgabe gemacht, die gesamte Technik des Senders von den Sendestudios bis zum Reportage-Rekorder für weniger als 1 Million D-Mark zu beschaffen. Er brauchte nur 950.000, weil Diego viele Dinge selbst machte, für die andere Sender teure externe Fachleute anheuern mussten.
Sparsamkeit und überraschend hohe Einnahmen aus dem Verkauf unserer Werbezeiten führten dazu, dass die Gesellschafter von Antenne MV — darunter auch die mehrfache Olympiasiegerin Katrin Krabbe — bereits eineinhalb Jahre nach dem Sendestart ordentliche Renditen ausgeschüttet bekamen. Im Jahr 1996 kauften wir das Bürogebäude an der Stör — damit wurde auch das Funkhaus Plate ‘was eigenes.
Das Gründungsteam von Antenne MV — gestern und heute
23 Jahre später.…
Horst Müller: Geschäftsführer und Programmdirektor, anschließend Verlagsleiter Playboy Deutschland bei Bauer Media in München. Heute: Professor für Redaktionspraxis an der Hochschule Mittweida in Sachsen.
Peter Kranz: Wortchef und Chefredakteur, später Redakteur und Leiter des Landesstudios Brandenburg beim ZDF. Heute: Leiter des Landesmarketings “MV tut gut” in der Staatskanzlei in Schwerin.
Diego Ludwig: Technischer Leiter bei Antenne MV. Heute: Videoproduzent und Inhaber der ONADI Stage Company mit Schwerpunkt Berlin Fashion Week.
Die Erinnerung ist häufig schöner, als die Realität jemals war. Klar, es gab auch in den ersten Jahren bei Antenne MV Schwierigkeiten, Reibereien, Eifersüchteleien und auch so manchen Beitrag, der besser nicht gesendet worden wäre. Dennoch gehören die Jahre von 1993 bis 1998 im Funkhaus Plate zu der beruflich schönsten Zeit in meinem Leben. Mit vorwiegend jungen und ambitionierten Mitarbeitern einen solchen Sender aufbauen zu dürfen, ist ein Glücksfall für den ich heute noch dankbar bin. Nachdem ich im September 1998 den Sender verlassen habe, bin ich nie wieder nach Plate zurückgekehrt, in “unser” Funkhaus an der Stör, von dem René Baumann, besser bekannt als DJ BoBo, bei einem Besuch im Sommer 1996 einmal sagte: “Wer hier arbeiten darf, kann einfach nur glücklich sein.”
Horst Müller (blogmedien.de)
Update vom 16.02.2015:
Das folgende Video stammt vom letzter Sendetag aus dem Antenne MV Funkhaus in Plate, in dem sich die Mitarbeiter emotional von ihrem Sendestandort verabschiedeten. Vielen Dank an Wetter Werner!
Update vom 21.02.2015:
Übergangsweise sendet das Team von Antenne MV aus dem Radiozentrum in Leipzig. Bis das neue Studio am 1. März 2016 in Rostock eröffnet wird. Was die Kollegen in Leipzig alles anstellen und wie es hinter den Kulissen aussieht, seht ihr in diesem Video: