RADIOthopia, radio.hack und RIC – Schritte in die Radiozukunft

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Von Inge Seibel

Ich erinnere mich in diesen Tagen oft an einen Satz, den die „Geburtshelfer“ des Privatradios in Deutschland wie Mike Haas und Ad Roland uns Neulingen in den 80er Jahren immer wieder predigten: „Du musst deine Hörer überraschen!“ Mit anderen Worten: Falle (möglichst positiv) auf, damit man dich wahrnimmt. Heute – inmitten des nicht mehr enden wollenden Social Media Buzz – ist das Buhlen um Aufmerksamkeit anstrengender und wichtiger denn je. Doch was ist von der ‚Überraschung’ im Radio geblieben? Viele Radiosender, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, funktionieren wie eine Uhr. Alles ist erwartbar. Jedes Element wiederholt sich Tag für Tag um exakt die gleiche Zeit: Der Talk mit dem Wettermann um 7.10 Uhr, die Comedy um 7.20 Uhr, die Lokalnachrichten um 7.30 Uhr, der Bericht aus Berlin um 7.45 Uhr. Dazwischen noch immer, wenn auch sparsamer, die üblichen Sprüche von der besten Musik aller Zeiten.

Bild: Marion Mennicken)
Bild: Marion Mennicken)

Natürlich gibt es Ausnahmen und hier und da Radiopersönlichkeiten, die aus der bis heute falsch verstandenen Simplizität des so genannten 3-Element-Breaks ausbrechen und ihre Moderationen mit Witz, Soundeffekten und einem eigenen Standpunkt würzen.

„Radio erfindet sich täglich neu“, beantwortete FFH Chef Hans-Dieter Hillmoth meine Frage auf die Zukunftsausrichtung des Radios. Doch wohin soll die Reise gehen? Auch die Radiobranche weiß: Sie muss in Zeiten der mobilen Revolution große Anstrengungen unternehmen, um mit der neuen Konkurrenz in Sachen Social Media, Innovation und Technik mithalten zu können. Wie die Zukunft des Radios aussehen könnte, darüber wurde auch 2015 auf unzähligen Konferenzen wie beispielsweise den Radiodays Europe in Mailand, den Lokalrundfunktagen in Nürnberg, den Tutzinger Radiotagen, dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland in Leipzig oder den Medientagen in München diskutiert.

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Spannend – und durchaus zielführend – scheinen mir eine neue Art von Workshops und Konferenzen zu sein, die dieses Jahr teilweise erstmals an den Start gingen und die hoffentlich auch 2016 den Veranstaltungskalender bereichern werden. Ihnen allen gemeinsam ist das Mitmachprinzip. Zudem scheinen die Teilnehmer überdurchschnittlich motiviert und interessiert, die Radiozukunft mitzugestalten. Wie beispielsweise beim radio.hack, der Anfang des Jahres erstmals von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) in München veranstaltet wurde. Rund 50 Journalisten, Developer, Designer und Radio Enthusiasten trafen sich im Februar, um drei Tage lang gemeinsam kreative Ideen für die Radiowelt zu entwickeln.

Präsentation auf dem radio.Hack 2015 (Bild: Ulrich Köring)
Präsentation auf dem radio.Hack 2015 (Bild: Ulrich Köring)

Kaum mehr als 60 Leute passten im Mai – im Rahmen der mittlerweile auf mehr als 6000 Besucher gewachsenen Bloggerkonferenz re:publica in Berlin – in den Innovationspace des Medieninnovationszentrums Babelsberg (MIZ). Bereits zum zweiten Mal wurden hier auf recht unkonventionelle Weise spannende Konzepte für die Zukunft von Radio und Journalismus ausgetauscht.

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Vordenker wie die Online-Expertin Anita Zielina, der Medien-Allrounder Michael Praetorius oder der Radiojournalist Daniel Fiene präsentierten unter dem Stichwort RADIOthopia ungewöhnliche Experimente, Wendepunkte und Erkenntnisse aus der Arbeit an innovativen (Radio-)Projekten. Statt passiver Berieselung galt aktive Mitgestaltung: „Das gesamte Programm sowie der räumliche Aufbau sind eine persönliche Einladung an das Publikum, alle Programmelemente selbst mitzugestalten“, so die Veranstalter. Unterstützt wurde RADIOthopia u.a. von Antenne Bayern, der BBC, der Deutschen Welle und 98,8 KISS FM.

Hannes Mehring auf dem RIC15 (Bild: CrowdRadio)
Hannes Mehring auf dem RIC15 (Bild: CrowdRadio)

„Austauschen und Mitmachen“, das war auch für Hannes Mehring, Geschäftsführer des erfolgreichen Erfurter Startups CrowdRadio, der Leitgedanke, als er mit seinem Team im Oktober das erste „Radio Innovation Camp“ (RIC) in Thüringens Landeshauptstadt veranstaltete. Die Erfurter App-Entwickler luden zum „Radio-Barcamp“ ein, einem Eventformat, bei dem die Teilnehmenden ihre Vorträge und Workshops selbst vorschlagen und gestalten und die Mehrheit über die Tagesordnung bestimmt. Gefolgt waren dem Aufruf rund 50 Radioenthusiasten aus Deutschland und der Schweiz, vom Programmchef bis zum Radiovolontär, Software-Developer, Kongressveranstalter und Studenten. 11 Sessions kamen über den Tag verteilt zustande.

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Unter anderem referierte Philipp Eins, Journalist aus Berlin, darüber, wie man multimediale digitale Erzählformate radiofon gestalten und sich dadurch von anderen Medien absetzen kann. Moderne Redaktionssysteme, die den Radioalltag erleichtern könnten, stellte der Wissenschaftler und Radiojournalist Aeneas Rooch vor. Julia Bamberg, Gewinnerin des Deutschen Radiopreises als „Beste Newcomerin 2015“ steuerte ihre Erfahrungen über den Einsatz von Social Media Elementen bei radio ffn bei und Moritz Wasserek stellte die Frage in den Mittelpunkt, ob Radiomacher von YouTubern lernen können.

Themenvielfalt auf dem RIC15
Themenvielfalt auf dem RIC15

Jim Sengl, mitverantwortlich für das Programm der Nürnberger Lokalrundfunktage, lobte die lockere Atmosphäre und die vielen Möglichkeiten, sich beim Barcamp aktiv in die Diskussion einbringen zu können. Bei der liebevoll vorbereiteten Veranstaltung, für die eigens eine RIC-App entwickelt wurde, kamen die Teilnehmer noch in den Genuss einer Stadtführung durch den wirklich sehenswerten mittelalterlichen Stadtkern Erfurts.

Umut Dirik, Brian Burgess und "Rick" auf dem #RIC15
Umut Dirik, Brian Burgess und „Rick“ auf dem #RIC15

Mein Fazit: Innovationen im Radio lassen sich nicht von oben verordnen. Doch das zarte Pflänzchen ist seit diesem Jahr kräftig am Wachsen: In den Innovationslaboren öffentlich-rechtlicher Radios und in modernen Veranstaltungsformaten, die motivierte Radiomacher – vom Programmchef bis zum Praktikanten – mit Social Media Experten, Technikern und Softwareentwicklern zusammen bringen und zum Mitgestalten animieren. Wer Zeit hat, sollte sich 2016 das ein oder andere Event in den Kalender schreiben.