Gebührenhoroskope

Bitter Lemmer

Warum nicht erstmal das Offensichtliche zur Kenntnis nehmen: Zeitgeschichtliche Video- und Audiodokumente (z.B. Dutschke zur Gewaltfrage oder Joseph Goebbels – Total War Speech) sind im Internet längst frei abrufbar. Auch aktuelle Informationen gibt es an jeder Web-Ecke. Warum tut die ARD also so, als gehe die Welt unter, wenn sie ihre gebührenfinanzierte Expansion im Internet nicht nach Gusto vorantreiben darf?

Gefahr sei im Verzug, meint ARD-Chef Fritz Raff. Dem Gebührenzahler werde „die Chance genommen, sich nachhaltig und umfassend zu informieren“ (Quelle: Tagesschau), wenn Beiträge, denen ein geringer „Public Value“ zugeschrieben werde, nach sieben Tagen aus dem Netz genommen werden müssten.

Aufgeflammt ist die aktuelle Kampagne der ARD mit der vor einigen Tagen ins Netz gestellten ARD Mediathek. Darin finden sich gesendete Fernseh- und auffällig viele Radiobeiträge. Zur nachhaltigen und umfassenden Information stehen dem Gebührenzahler etwa die Horoskope von Bayern 3 zur Verfügung. Bahnbrechend ist auch der Payoff von You FM des Hessischen Rundfunks, in dem Rob Green einen Mini vertickt. Oder der Auftritt von Fernseh-Komödiant Kaya Yanar bei N-Joy, bei dem er erzählt, wie er morgens aus dem Bett kommt und dass er Sex mag. Auch wichtige Debatten kommen nicht zu kurz. Zwar nicht in der Mediathek, aber ebenfalls im ARD-Angebot geht es um weltbewegende Kontroversen auf dem Marienhof.

Die Autoren des ARD-Magazins Panorama loben den Webauftritt der Anstalten so: „Seriöse Berichterstattung, attraktiv verpackt“ (Quelle: NDR). Wollen die den Gebührenzahler vergackeiern, meinen die das wirklich ernst? Oder geht es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes?

„Die Zukunft liegt im Internet“, stellen die Panorama-Autoren fest, und damit haben sie natürlich recht. Internet heißt: Jeder darf senden und schreiben, was er will, einfach so, ohne Lizenz. Das ist für die Gebührenfunker eine Alptraum-Perspektive. Mehr noch als die Zeitungsverleger fürchten sie Konkurrenz, die sie bisher ja nicht gewöhnt sind.

Offenbar fürchten ARD und ZDF um ihre Macht im Staate, anders ist die entfesselte Kampagne mit Beiträgen á la „Quoten, Klicks und Kohle“ nicht zu verstehen. Das Gebührensystem ist dabei, seine Privilegien zu verlieren. Web-Publikationen wie Spiegel.de, Welt.de oder faz.net, Blogs und Plattformen wie Youtube gewinnen zunehmend Relevanz, auch publizistisch. Das öffentlich-rechtliche Medienreservat trocknet aus. ARD und ZDF droht dasselbe Schicksal wie der einstigen Superbehörde „Deutsche Bundespost Telekom“. Offenbar geht es nur noch darum, mit möglichst viel Gebührengeld das Netz zu fluten und frei agierende Mitbewerber zu ersäufen.

Das wird nicht klappen, auch, wenn die Medienpolitiker von SPD, Linken, Grünen und CDU bisher mitspielen. Die Widersprüche zwischen Funktionärsrhetorik und Wirklichkeit sind schon lange zu offensichtlich.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de