Der Beweis

Bitter Lemmer

Die Maske ist gefallen, das Märchen von der Staatsferne des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks geplatzt. Zum ersten Mal hat sich ein Politiker offen als oberster Programmgestalter in Szene gesetzt.

Als Subjekt der Berichterstattung fühlte er sich schlecht behandelt, worauf er jetzt auf Absetzung der kritisierten Sendung dringt – und bei diesem Begehr ausdrücklich auf seine Rolle als Rundfunkrat einer ARD-Anstalt verweist.

Es handelt sich um den glücklosen Friedbert Pflüger, CDU-Fraktionschef und Oppositionspolitiker in Berlin. Die Sendung, die er schleifen will, ist die von Anne Will. Pflüger stört sich daran, dass Will den rot-roten Berliner Senat als erfolgreich darstellte und die Dramaturgie einer ganzen Sendung auf diese Meinung aufbaute, als handele es sich dabei um eine unumstößliche Tatsache. Darüber regt sich Pflüger auf, wirft Will schwere handwerkliche Fehler, „eine ganz miese Irreführung“ und „bewusste Verzerrung von Sachverhalten“ vor.

Kann man alles so sehen, und auch über rechtliche Schritte mag man nachdenken können, wie jeder Bürger das könnte, der sich von einer Fernsehsendung propagandistisch geplättet fühlt.

Aber Pflüger sitzt eben auch im Rundfunkrat des RBB, und in dieser Eigenschaft will er jetzt die Programmgestaltung ummodeln. Will will er killen, stattdessen Plasbergs hektischen Donnerstags-Gesprächskreis auf den Sonntag setzen. Dass sein Vorstoß nur ein laues Widersprüchlein der ARD hervorrief, dies auch nur nach ausdrücklicher Nachfrage einiger Medienjournalisten, keineswegs aber die jetzt fällige Grundsatzdebatte aufbricht, scheint niemandem aufzufallen.

Zu eingeübt ist das Bewusstsein, Staatsferne und Politikerherrschaft nicht als den Widerspruch zu empfinden, der da tatsächlich im System steckt. Zu ausgehöhlt die pathetischen Phrasen über Medienfreiheit, Unabhängigkeit und aufklärerischen Mut, als dass sie noch jemand ernst nähme. Die Anstalten haben es verstanden, den öffentlichen Diskurs zu verstaatlichen. Die Versuche der Privaten, hier mitzuhalten, haben sie mit vollem Gebühreneinsatz zerstört. Wer immer auf dem Weg war, in einem Privatsender ein gewichtiges Format zu etablieren, wurde weggekauft – von Maischberger über Kerner zu Harald Schmidt. Sogar der Leicht-Plauderer Markus Lanz landete beim ZDF. Nur Jauch blieb standhaft, was enorm für seinen Charakter spricht.

Und jetzt kommt Pflüger und spricht offen aus, was keiner hören will.
ARD und ZDF sind eben doch nicht staatsfern. Sie sind Staatsfunk. Aber brauchen wir das – eine staatliche Bürger-Erziehungsanstalt mit Anne Wills Propagandashow?

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de