Neue Media Analyse: Warum fast alle Sender Hörer verlieren

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Optisch wird die Media-Analyse 2015 Radio II, die nun erstmals zeitgleich mit der Print-MA am Mittwoch (22. Juli 2015) veröffentlicht wird, für die meisten Radiosender auf den ersten Blick schlecht aussehen. Bei den absoluten Zahlen wird fast überall ein Minus davor stehen.

zensus-2011Aber Achtung: diese Media-Analyse ist nicht einfach mit der letzten MA 2015 Radio I zu vergleichen, wie der agma-Vorstand Radio der agma Dieter K.Müller im Interview mit RADIOSZENE erläutert: „Die Mehrzahl der Sender werden selbst bei unveränderter Hörfunknutzung Hörer verlieren, weil sich die Hochrechnungsbasis für die Radio-Reichweiten geändert hat. Das Statistische Bundesamt hat mit der Volkszählung Zensus 2011 (s.unten!) festgestellt, dass in Deutschland 1,5 Mio. Menschen weniger leben als bisher in der laufenden Bevölkerungsfortschreibung angenommen.“

So sind über diesen großen Datenabgleich viele Dopplungen ermittelt worden: etwa 400.000 Deutsche haben z.B. nach einem Umzug vergessen, sich am alten Wohnort abzumelden (z.B. Studenten) und ca. 1,1 Mio Ausländer haben das Land wieder verlassen, ohne sich ordnungsgemäß abzumelden.

Erst jetzt konnte für die MA mit den neuen Zahlen gearbeitet werden: „Man weiß zwar, dass die Hochrechnungszahlen der letzten Jahre eigentlich überhöht sind, aber erst 2015 hat das Statistische Bundesamt die Zensuszahlen so zur Verfügung gestellt, dass sie auch für Marktforschungszwecke angewandt werden können.“, so Dieter K. Müller.

 

1,3 Mio Personen weniger in der ma-Grundgesamtheit

Die Grundgesamtheit der MA deutschsprachige Bevölkerung ab 10 Jahren ist jetzt 72,2 Mio. (bei der letzten MA noch 73,5 Mio.) Personen. Die Verteilung der 1,3 Mio fehlenden Personen ist auch noch regional ganz unterschiedlich – allgemein gilt, dass Ballungsräume mehr verloren haben als ländliche Gebiete: z.B. -4.8% Berlin (West) im Vergleich zu Schleswig Holstein -1,4%. Vor allem die Zahlen Haushalte mit vier oder mehr Personen und nicht Berufstätige sind zurückgegangen. Und auch in der Altersstruktur sind die Verluste ganz unterschiedlich: bei 40-49 sind es -5,7% und bei 20-29 -2,5%, während bei 50-59 sogar ein kleines Plus von 0,9% verzeichnet wird.

Deutschland ist auch gebildeter und „weiblicher“ als bisher angenommen – während in der aktuellen Statistik eine Million weniger Menschen mit Hauptschulabschluss auftauchen, ist die Zielgruppe mit Fach-/Hochschulreife um 115.000 Menschen größer als bisher angenommen. Der Frauenanteil in der deutschsprachigen Bevölkerung hat die 51-Prozentmarke überschritten.

Dieter K. Müller (Bild: ag.ma)
Dieter K. Müller (Bild: ag.ma)

Ein Rechenbeispiel zeigt, wie sich das grob gerechnet auf die Hörerzahlen auswirkt. Wenn in Berlin ein Sender 10% Reichweite mit 300.000 Hörern hatte, und bei der neuen MA immer noch 10% hat, so hat dieser Sender nur noch (300.000 – 5%) 285.000 Hörer – das aber nur unter Annahme, dass die Hörerstruktur über alle Altersgruppen gleich verteilt wäre. Hat der Sender zufällig gerade bei 40-49jährigen noch die meisten Hörer, verliert es sogar noch mehr als 5%.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie schwer diese neue ma 2015 Radio II mit der vorherigen vergleichbar ist. Dieter K-Müller: „Es sollte also tunlichst vermieden werden, die Reichweitenveränderung als Marktveränderung zu missinterpretieren, weil es schlichtweg ein Methodeneffekt ist.“

Wenn ein Sender also im Vergleich zum Vorjahr keine Verluste verzeichnet, hat er eigentlich schon Hörer gewonnen. Es ist also leichter, die neue Reichweitenerhebung nach oben zu interpretieren, als nach unten.

Kann man die neuen Zahlen also überhaupt nicht mit den vorherigen MA-Ergebnissen vergleichen? „Die absoluten Hörerzahlen sind auf keinen Fall zu vergleichen, da sie ja mit einer anderen Grundgesamtheit auf ein anderes Bevölkerungspotenzial hochgerechnet wurden – die Tagesreichweite in Prozent ist aber durchaus noch miteinander vergleichbar“, so Müller.

Die Verlegung des Veröffentlichungstermins der Radio-MA auf den Termin für Tageszeitungen und Zeitschriften bedeutet für viele Medien-Journalisten einen ziemlichen Mehraufwand. Dieter K. Müller: „Der Termin wurde deswegen verschoben, weil dieses Mal die neuen Zensus-Zahlen für ALLE  Mediengattungen gleichermaßen zum Einsatz kommen sollten. Die Journalisten können dieses Mal ja die Vergleichszahlen weglassen, damit gleicht sich das wieder etwas aus.“ Im nächsten Jahr sollen die Termine von Radio-MA und Print-MA aber wieder auseinanderliegen.

 

8000 zusätzliche Handy-Interviews

Eine weitere Innovation der Media-Analyse 2015 Radio II geht durch die Zensusänderung leider fast unter: erstmals sind in dieser MA auch 8000 Interviews über Handy durchgeführt worden. Viele Radiomacher gerade bei den jungen Formaten freuen sich über diese Ergänzung, erhoffen sie sich doch auch einen Anstieg der Hörerzahlen in ihrer Kernzielgruppe. Aber profitieren sie denn nun wirklich davon, dass nun mehr Hörer über Handy erreicht wurden, weil die junge Generation ja keine Festnetztelefone mehr besitzt?ma2015Radio-Mobil-Studie

Dieter K. Müller: „Von dieser Annahme gehen viele Radiokollegen aus, aber sie ist schlichtweg falsch. Sie würde nur dann stimmen, wenn früher überhaupt keine jungen Hörer befragt worden wären. Statistisch waren die Zahlen in der jungen Zielgruppe aber auch früher schon valide. Durch die zusätzlichen 8000 Handy-Interviews ist die Basis jetzt nur etwas breiter geworden. Das heißt, man erreicht nun etwas mehr Junge als früher, aber daraus kann man nicht schließen, dass Sender für junge Zielgruppen automatisch mehr Reichweite dadurch bekommen. Nur die Schwankungsbreite wird geringer, die Sprünge nach unten – aber auch nach oben – werden geringer, also in der Fachsprache heißt es, die Volatilität sinkt. Dadurch werden die Zahlen nur verlässlicher.“

Berichterstattung-ma2015-RadioII

Übrigens bedeutet „Radio mobil“ nicht, dass bei den Mobil-Interviews nur Hörer erreicht wurden, die kein Festnetz-Telefon besitzen, sie wurden nur am Handy ausgeführt. Im Interview wird dann gefragt, wo sich der Hörer befindet und ob er auch einen Festnetzanschluss hat. „Das Ergebnis war, dass die meisten Befragten, die mobil erreicht wurden, auch über Festnetz hätten erreicht werden können. Sie wurden auch ganz normal zu Hause am Abend angetroffen. Nur ist es heute so, dass junge Leute, die z.B. noch bei den Eltern wohnen, das  Festnetz-Telefonklingen ignorieren („es kann ja nicht für mich sein“),  wenn aber das Handy in der Hosentasche vibriert, gehen sie sofort ran“, so Müller.

Der Nachteil der Handy-Befragungen ist nach wie vor, dass sie nicht regional aussteuerbar sind. Sollte z.B. eine nachträgliche Aufstockung in Berlin gewünscht sein, ist das über Handy nicht möglich. Eine Umfrage „Mobile Only“
wäre unbezahlbar, weil man erst im Interview den Wohnort klären kann. Jeder erreichte Hörer geht ja auch in die Studie ein und wird nicht einfach ignoriert, nur weil der Wohnort nicht gepasst hat.

Insgesamt gibt es bei dieser MA nun über 81.000 Interviews. Neu ist auch eine Aufstockung bei den Altersklassen 20-29 und 30-39, die aber über Festnetz erreicht wurden.

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Tabelle Strukturzählung-Radio

Weiterführende Informationen
agma