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Neu, überraschend, gefährlich – Spotify, ein neuer Konkurrent auf dem deutschen Radiomarkt?

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Der Musikstreamingdienst Spotify hat sein Angebot aktuell kräftig erweitert: Ab sofort will Spotify auch verstärkt mit Inhalten „On Air gehen“. „Mit einem Klick bekommen Nutzer aktuelle Nachrichten, Comedy oder informative Audio-Shows angeboten“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Erste Radiopartner gibt es auch schon mit dem bayerischen Rundfunk und dem Deutschlandradio. Zudem kündigt Spotify kuratierte Radiosendungen an! „Spotify Specials“ sollen z.B. von Künstlern wie Icona Pop – ein schwedisches Elektronikpop-Duo, Jungle – eine Londoner Band, deren Sound an Daft Punk erinnert oder von Tylor the Creator – einem amerikanischen Rapper und Produzenten – moderiert werden.

Der Soundtrack des Lebens – neue Playlisten

Foto: Marion Mennicken
Foto: Marion Mennicken

Weitere Neuerungen plant Spotify mit seiner neuen Startseite „Heute“. Zu jeder Tageszeit werden dem Nutzer entsprechende Playlisten angeboten. Dabei sollen die Playlisten lernfähig sein und sich über die Zeit immer stärker am Geschmack und an den Stimmungen des Nutzers orientieren. Fast drohend (aus der Radioperspektive) mutet dabei der Satz in der Pressemitteilung an: „Mit dem Wissen von weltweit 25 Mio. Hörstunden hat sich Spotify an den Wünschen und Bedürfnissen seiner Nutzer orientiert, um ein neues mobiles Musikerlebnis zu entwickeln, das passende Musik sowie abwechslungsreiches Entertainment zu bestimmten Tageszeiten in den Fokus rückt.“ (Video zu Neuerungen). Die Neuerungen werden aktuell verbreitet, funktionieren zunächst aber nur auf dem iPhone, eine gute Übersicht gibt es hier.

Was bedeuten diese Neuerungen für Radiosender? Ist Spotify weiterhin eine spannende Plattform, auf der Radiosender vertreten sein sollten, um dort zu sein, wo viele Hörer sind? Oder wird Spotify durch das neue, inhaltlich ausgerichtete Angebot eher zu einem Konkurrenten? Vielleicht sind die Maßnahmen ja auch nur die Verteidigung eines Musikstreaming-Dienstes, der mit seinem bisherigen Geschäftsmodell finanziell (noch) nicht Fuß fassen konnte? Fangen wir mit dem Geschäftsmodell Spotify an.

Finanzkraft – Lasst uns über Zahlen sprechen

Spotify-LogoSpotify hat seine Nutzerzahl 2014 nach eigenen Angaben auf 60 Mio. weltweit gesteigert. 15 Mio. davon haben sich für den kostenpflichtigen Premium-Dienst entschieden. Im Vergleich zu 2013 hat „Europas Vorzeige-Startup“ damit letztes Jahr wieder ein sattes Nutzer-Wachstum um 50% hingelegt. Doch diese Zuwächse kann der Streamingdienst nicht in bare Münze umsetzen. Letztes Jahr soll Spotify fast 200 Mio. Dollar minus eingefahren haben, davor das Jahr waren es auch schon fast 70 Mio. Dollar. Das Geschäftsmodell Spotify scheint so (noch) nicht aufzugehen. Entweder wird zu wenig Geld mit der Werbung im Gratisstream verdient oder Einnahmen durch die Abonnenten sind zu gering, um damit vor allem Lizenzen und Personal zu bezahlen. Deswegen heißt die Devise – weiter wachsen und das auch mit neuen Angeboten. Zudem sollte Spotify ein sattes Finanzpolster haben. 2013 hatte sich der Musikstreamingdienst 250 Mio. Dollar neues Kapital besorgt. Eine neue Finanzierungsrunde über weitere, gewaltige 400 Mio. Dollar wurde im April 2015 angeschoben.

Wie viele hören zu?

So beeindruckend wie das Wachstum der Nutzerzahlen weltweit ist, so beeindruckend sind auch die Hörer-Zahlen für Deutschland nach einer Studie von TNS Infratest (im Auftrag der RMS). Sie hat über 5000 Online-Audio-Nutzer angesprochen und dabei Streaming-Angebote und Radiosender gleichermaßen abgefragt. Auch wenn der Vergleich sicherlich hinkt, geben sie doch eine Tendenz vor. Hierzulande nutzen danach 4,5 Mio. User Spotify pro Monat. Damit ist der Musikstreamingdienst die Nr. 1 bei der Online-Audio-Nutzung in Deutschland. Bekannte Marken wie Antenne Bayern (3,2 Mio. Nutzer), bigFM (2,6 Mio. Nutzer) und Hit Radio FFH (2,2 Mio. Nutzer) landen auf den Plätzen. Insgesamt weist TNS eine kräftige Steigerung (+ 42%)der Online-Audionutzung vor. Besonders kräftig wächst die Zahl der regelmäßigen Nutzer (+83%). Keine beruhigenden Zahlen für Radiosender in Sachen Online-Audio-Nutzung.

Spotify und Radio – „was bisher geschah…“

Die meisten Radiosender (z.B. Radio Energy, Puls, 1LIVE, Das Ding) nutzen Spotify, um ihre normalen Playlisten oder spezielle Musikaktionen zu platzieren. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand – sie sind da, wo viele Hörer sind und erreichen neue Hörergruppen; sie können ihre Musikkompetenz stärken; sie können über die Plattform mit den Hörern zum Thema Musik interagieren. Wenige Sender gehen einen Schritt weiter und nutzten Spotify als zusätzliche Kommunikations-Plattform mit Verlängerung in eigene Sendungen. Bekannte Formate sind beispielsweise: „Die BigFM Spotify Show“ oder die „Die 98.8 Kiss FM Spotify Top 20 – Berlins meistgestreamte Tracks“. Bei beiden sind die von Spotify gelieferten Streaming-Daten Grundlage der Musikauswahl. Kristian Kropp, Geschäftsführer von BigFM und RPR 1 sagte deswegen auch in einem Interview: „Spotify ist kein Feind, Spotify ist der Freund des Radio. (…) Spotify ist der perfekte Multiplikator für unsere Shows, unsere Playlisten. Wir erreichen über Spotify Nicht Hörer von Radio.“

BBC-PlaylisterEinen ganz eigenen Weg präsentiert die BBC mit ihrem Playlister. Dieser ermöglicht es den Hörern, Titel aus dem laufenden Programm zu markieren und zu einer digitalen Playliste zusammenzustellen. Diese Hörer-individuellen Playlisten aus Radiosongs können anschließend u.a. zu Spotify exportiert und dort angehört werden – eine spannende und persönlichere Variante zu der von einem Sender oder von Spotify kuratierten Playliste.

Recast-screenshotKleiner Exkurs: In diesen Zusammenhang passt die App „Recast – tune in to radio`s playlist“. Sie wirbt mit der Möglichkeit, nur die Musik eines Radiosenders zu hören ohne Unterbrechungen. Zudem können Titel vor und zurück gesucht werden. Die „nackten Radiolisten“ können allerdings nur über einen Spotify-Premium-Account abgerufen werden.

Jetzt mal Butter bei die Fische: Zahlen zu Spotify und Radio

Auf Basis der Follower-Zahlen der Playlisten erscheinen die Erfolge aber eher sparsam. Großartige Multiplikatoren Effekte sind nicht nachweisbar. Obwohl BigFM insgesamt über 41.000 Follower auf seinem Spotify-Profil verzeichnet, hat die groß angekündigte „BigFm Spotify Show“ nur rund 500 Follower. Bei KISS FM ist das Verhältnis Senderprofil zu Playliste etwas besser, aber mit 8000 Follower für das Profil und 1000 für die Playliste „98.8 KISS FM Spotify Top 20“ auch nicht weltbewegend. Die BBC ruft da schon ganz andere Zahlen auf. Dem BBC Playlister folgen fast 620.000 und z.B. die Radio 1 Playlist hat über 300.000 Follower.

Also, Spotify und Radio 1 – nur heiße PR-Luft?

Aus der Sicht der doch recht bescheidenen Followerzahlen würde ich diese Frage erst einmal mit „Ja“ beantworten. Dem stehen allerdings die gewaltigen Online-Nutzungszahlen von TNS Infratest gegenüber. Zudem gibt es Optionen, die das Thema Spotify auch so für Radiosender spannend machen bzw. machen werden. Eine solche Möglichkeit ist die Funktion gemeinsam erstellte Playlisten. Diese ermöglicht es, mit den Hörern zusammen Playlisten zu erarbeiten. So könnten z.B. die Stadt XY-WakeUp- oder die StadtXY-Chill-out-Playliste mit den Hörern entwickelt werden. Charmant in einen Stream gepackt wären diese Playlisten Beweis eines funktionierenden Rückkanals. Zudem bin ich mir sicher, dass die Hörer die mit Ihrem Lieblingssender zusammen entwickelten Listen gerne mit Ihren Freunden etc. auf Spotify teilen würden. Ein Versuch wäre es auf jeden Fall wert.

Spotify mit Content

Richtig spannend wird Spotify aber, wenn die Playlisten mit individuellen Sender-Inhalten kombiniert werden könnten. Es ist die Frage, ob das nicht sowieso einer der nächsten Entwicklungsschritte der Macher von Spotify sein wird, wenn sie z.B. mehr Radioinhalte „eingesammelt haben“ als bislang nur die Podcasts des Bayrischen Rundfunks oder vom Deutschlandradio. Das Projekt „SpotiNews“ – Sieger des ersten radio.hacks der Bayrischen Landesanstalt für Medien Anfang des Jahres – hat das Thema aber auch schon auf andere, geniale Weise gelöst. Die Idee – eine App, die Nachrichten in gewünschter Länge und Frequenz in einen Spotify-Musikstream platziert. Ein äußerst spannendes Projekt, das den simplen Musikstream mit einem informellen Zusatznutzen aufladen würde. Aktuell wird wohl an der App gearbeitet.

Und jetzt?

Die inhaltliche Aufladung der Musikstreaming-Plattform Spotify ist per se noch keine Gefahr für Radiosender. Jetzt finden sich eben Musik und Inhalte nur wenige Klicks voneinander entfernt – das ist im iTunes-Store auch schon der Fall. Spannend wird es ja erst – aus der Radioperspektive – , wenn die Playlisten mit Inhalten kombiniert werden können. Insofern sollte aufmerksam auf die Entwicklung von SpotiNews geachtet werden. Der Gedanke, ausgesuchte Inhalte mit meinem individuellen Playlisten bei Spotify zu kombinieren, hat sehr viel Charme. Das ermöglicht im Grunde individualisiertes Radio ohne Moderator. Der Soundtrack meines Lebens ist dann nicht mehr nur auf die Musik begrenzt. Er informiert mich auch noch über Themen, die mir wichtig sind. Die Entwicklung unterstreicht aber auch einen anderen, ganz wichtigen Punkt: Radiosender müssen sich umgehend damit beschäftigen müssen, Ihre Inhalte aus dem linearen Programm zu lösen und als Podcasts im Netz verfügbar zu machen. Nur so können sie ihre guten Inhalte auf unterschiedlichen Plattformen verteilen. Positiver Nebeneffekt: Die Inhalte werden googlebar.

 

Michael-Mennicken-FotoMichael Mennicken ist Gründer und Geschäftsführer der FM Online Factory, dem ersten Online Kaufhaus für Radioinhalte. Zudem lehrt er als Dozent für Medienthemen an verschiedenen Hochschulen. Vorher war er Chefredakteur u.a. von Antenne Düsseldorf.

 

 

 

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