MA: Leute von heute, Leute von gestern

Bitter Lemmer

Zweierlei kommt zusammen bei der neuen MA. Zum einen zeigen sich möglicherweise zum ersten Mal die Wirkungen neuer Verbreitungswege für die Sender-Reichweiten. Zum zweiten straft diese MA gnadenlos wie selten Sender ab, deren Programme einfach zu harmlos sind. Am besten sind die gefahren, bei denen Plattform und Programm stimmen. Richtig übel erwischt hat es die, die technisch, programmlich und lizenzrechtlich noch in den 90er Jahren festhängen.

Beispiele gefällig? Dauerverlierer MainFM, der mit einer absurden Lizenzauflage geschlagen ist, laut der der Sender Business-Information zu senden hat. Ein Relikt aus der Zeit des schmählich gescheiterten Lizenzvorgängers FAZ-Businessradio. Spreeradio in Berlin, das gerade wieder da angekommen ist, wo es nach dem letzten Besitzerwechsel mal angefangen hat. Nostalgisch nicht nur bei den Inhalten, was zielgruppentechnisch okay sein mag, aber auch in der Machart, was nicht okay ist, weil auch Ältere nicht mehr in den Neunzigern leben. Große Traditions-Private wie RSH und FFH, für die ähnliches gilt. Zu vorsichtig, zu langsam, zu defensiv, zu sehr darauf bedacht, keine Kante zu zeigen. Oder das gouvernantenhafte „Ich finde Wowi toll“-Inforadio Berlin. Für eine Weile mag der eine oder andere das permanente Verlesen politisch korrekt klingender Phrasen ja für seriös halten, aber irgendwann sollte vielleicht doch mal etwas journalistische Substanz her. Hier dokumentiert wegbrechende Quote fehlende Qualität.

Programmlich gesehen haben diejenigen Sender verloren, die austauschbar, bestenfalls harmlos, möglichst farb- und geruchlos, hauptsächlich glatt, gemacht zum Nebenbeihören und damit einfach überflüssig sind. Sender ohne Eigenschaften, bei denen Hörer nicht unbedingt das Gefühl haben, sie verpassten etwas, wenn sie nicht einschalten.

Gewonnen haben Sender wie Radio Bob, weil die nicht nur sagen, dass sie anders seien, sondern tatsächlich andere Musik spielen, sich anders präsentieren und anders klingen als alle anderen im Markt. Oder RTL Sachsen, das auf eine drollige Weise Musikradio mit Call-in- und Beitragsradio verbindet. Oder Radio Hamburg, das zwar nicht gewann, aber auch nicht verlor, also stabil ist, weil es auch im Innern stabil ist – mit dem ewigen John Ment und der Sorte Substanz, von der das Berliner Inforadio noch nicht einmal träumt. Oder Bayerns Rock-Antenne, die den Rockland-Leuten in Rheinland-Pfalz oder dem StarFM in Berlin ziemlich lässig zeigt, was man tun sollte, wenn man sich als Rocksender profilieren will – nämlich einfach Rock spielen und nicht so umständlich ständig irgendwelche verkopften Konzepte vertonen.

Gewonnen haben also die, die sich auch mal was trauen. Die vielleicht schon mal das chinesische Schriftzeichen Ji gesehen haben. Es kann in unterschiedlichem Kontext sowohl Krise als auch Chance bedeuten.

Gänzlich neu an dieser MA dürfte sein, dass erstmals eine relevante Zahl von Hörern nicht oder nicht nur die UKW-Signale eingeschaltet hat, sondern über andere Wege zuhörte. Plattform-Vorteile dürften vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender erzielt haben, die sich eindeutig aggressiver auf den digitalen Wegen tummeln als die meisten Privaten. So war die iPhone-App des WDR, die alle Wellen des staatlichen Kölner Sendermonsters auf das Handy bringt, zeitweise das meistgeladene Programm im deutschen Apple-App-Store. Ähnliche Anwendungen gibt es auch von den meisten anderen Öffentlich-Rechtlichen und von einigen wenigen Privaten wie FFH. Auch Webstreams werden häufiger angeklickt als früher, was offenbar dazu führt, dass vorübergehend gänzlich verschwundene Hörer neuerdings wieder in der MA-Statistik auftauchen – nur eben nicht als UKW-Hörer. Das legen Äußerungen der ag.ma-Verantwortlichen und des VPRT-Radiosprechers Hans-Dieter Hillmoth nahe (siehe hier). Einleuchtend ist daran, dass die MA ja nur fragt, welches Programm jemand hört, nicht aber, über welchen technischen Sendeweg.

Vermutlich funktioniert das Web auch mehr und mehr als Promotionwerkzeug. Hier ist wiederum Radio Bob ein schönes Beispiel. Als der Sender sein Programm startete, war die Webseite noch nicht fertig. Also stellten die Verantwortlichen nur ein Blog ins Netz. Das war einfach und erfolgreich. Schon kurz nach dem Start gab es auf ein Musikwunschposting 152 Kommentare, sagt Senderchef Ronny Winkler. Andere Sender, die riesige Flash-Seiten mit viel Klicki-Bunti und wenig Funktion betreiben, werden so eine Zahl mit Neid vernehmen – vor allem, wenn sie daran denken, wie viel Geld sie in ihr Klicki-Bunti gesteckt haben. Auch die ARD-Sender könnten in dieser MA von konsequenter Web-Promotion profitiert haben. Sie sind ja quasi überall und in jeder Ecke präsent und testen an allem herum, was sie finden. Zu den erfolgreichsten Versuchen dürfte Twitter gehören, wo z.B. n-joy konsequent jedes halbwegs erwähnenswerte on-Air-Ereignis ankündigt. Schlau. Fraglich dürfte nur sein, ob Twitter-Promotion den Public-Value-Test der Öffis besteht.

Da wundert man sich, wie altbacken die ebenfalls GEZ-finanzierten Medienbehörden daherkommen. Die LMK in Rheinland-Pfalz schreibt ja derzeit die RPR1-Senderkette neu aus. Wer die haben will, muss sich an der „marktgestützten Digitalisierung“ beteiligen, heißt es im Ausschreibungstext. Auf Nachfrage versteht LMK-Sprecher Dr. Joachim Kind darunter zunächst DAB und DVB-T. Die Medienbehörde wolle damit durchaus Druck auf die Anbieter ausüben, um politisch die Digitalisierung voranzutreiben. Auf den Vorhalt, DAB sei tot und DVB-T für das Radio überflüssig, meinte Kind, die Formulierung sei so offen, dass auch anderes möglich sei und sicher niemand auf die Idee käme, den künftigen Sender-Betreiber per Gerichtsbeschluss zur Beteiligung an DAB zu zwingen.

Dann steht im Ausschreibungstext auch noch, dass der künftige Sender tagsüber mindestens 100 Minuten Information zu senden hätte. Woher diese Zahl? Einfach aus früheren Auschreibungen übernommen, sagt Sprecher Kind. Dann heißt es noch, dass zwar Klatsch zu Information zähle, nicht aber Wetter und Verkehr. Diese Definition hätte ihn auch zuerst gewundert, sagt Kind, sie sei aber ebenfalls schon immer so gewesen.

Die wirkliche Nachricht dahinter lautet: Hier offenbart eine gebührenfinanzierte Instanz derart gravierende Widersprüche, dass sie nur hoffen kann, niemals zu sehr ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Die Zukunft gestalten jedenfalls andere.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de