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Privatradio vor Werbekunden düpiert

Bitter Lemmer

Wer die Wahrheit über die Internet-Offensive der ARD wissen will, der sollte nicht den Sonntagsreden der Offiziellen lauschen, sondern dabei sein, wenn die ARD-Werbezeitenverkäufer sich ihren wichtigsten Kunden präsentieren. Quasi nebenbei gibt’s da auch eine bittere Lektion über den Stellenwert und die diskursive Schwäche der Privatradios.

Gelegenheit dazu bietet dieser Tage der „AS&S Radio-Club 2009“, eine Veranstaltungstour in Berlin, Frankfurt, München, Düsseldorf und Hamburg – die Städte also, in denen die wichtigsten Werbe- und Buchungsagenturen zu Hause sind. Moderiert werden die Veranstaltungen von Volker Wieprecht (Radio 1) und Jessica Witte-Winter (Spreeradio). Zur Eröffnungsveranstaltung in Berlin standen auf dem Podium der Blogger und SPD-Onlinewahlkampfberater Sascha Lobo, Ex-BR3-PD und BR-Onlinechef Rainer Tief, Comedian Ingolf Lück, Sänger und Fritz-Moderator Stefan Michme, Börsen-Katastrophenprophet Dirk Müller und der etwas farblose Ex-MTV-Moderator Markus Kavka.

Vordergründig ging es – mal wieder – um die Zukunft des Radios. Tatsächlich war es ein Schaulauf der Onlinemacht der ARD. Vor allem BR-Mann Tief präsentierte sich den Werbe-Entscheidern als eloquenter Kämpfer für die Sache des Staatsfunks. Er versprach Sicherheit, wenn er sagte, seine Online-Angebote seien „durchfinanziert“. „Ich glaube, unsere Zukunft sieht rosig aus“, sagte Tief. „Warum? Weil wir die Inhalte haben.“ Und er stellte klar, dass die Staatsfunker daraus wohl machen werden, was immer sie wollen. Der „erste Rauch“ nach Bekanntwerden des Änderungs-Rundfunkstaatsvertrags habe sich ja schon verzogen, so dass er sich frei fühlte, nächste Pläne anzudeuten. Da gehe es nicht mehr allein um die „Live-Ausstrahlung des Linear-Programms“ – also herkömmliches Radio -, sondern um ein multimediales Erlebnis, in dem „90 zu zehn, später vielleicht 70 zu 30“ ein „On-Demand-Service oder ein Herunterladen von bestimmten Inhalten“ hinzukomme.

Damit hat Tief vermutlich nur ausgeplaudert, was die ARD-Offiziellen angesichts der Proteste der Verleger zurzeit lieber nicht so deutlich sagen. Für die fand er ohnehin deutliche Worte: „Die Neurosen, die zum Teil die Verleger haben, das kann ich in keiner Weise nachvollziehen“, sagte er. „Sie sind ja wirklich selber schuld. Mit Inaktivität kann man dieser momentanen Situation mit Sicherheit nicht Herr werden.“ Die inzwischen eingesetzte Aktivität der Verleger mag er freilich noch weniger: „Die Zeitungen gehen her und produzieren Audios und Videos. Ich glaube eher, dass der Spiegel mit seinen Fernsehinhalten jetzt in unser Gebiet reinkommt als andersrum.“ Drauf muss man erstmal kommen: Will Tief damit sagen, dass Audio und Video Privateigentum des Gebührenfunks seien? Verlangt er eine Rundfunkordnung, die Unabhängigen den Gebrauch und die Verbreitung elektronischer Inhalte verbieten? Wie sonst war es zu verstehen, als er seinen Exkurs als „ordnungspolitische Frage“ etikettierte? Sein gönnerhaftes Angebot, Verleger oder sonstige könnten ja auf Inhalte der Öffentlich-Rechtlichen verlinken, rundete seinen Auftritt ab.

Zusätzlich in Schieflage geriet die Diskussion, als es um den Privatfunk ging. Das lag wohl daran, dass die AS&S keinen eloquenten Privatfunker mit aufs Podium gebeten hatte. Da fiel dann die rätselhafte Anmerkung, dem Privatfunk gehe es ja sehr gut, von Einschlägen sei nichts zu spüren. Komödiant Ingolf Lück begründete das so, dass es da halt keinen Journalismus gebe, nur Musik, Trailer und Gewinnspiele. Eine Schieflage war das deshalb, weil die AS&S ja auch einen großen Teil der Privatradiolandschaft vermarktet. Es saßen also auch einige nicht ganz unwichtige Privatradiomanager im Publikum, die ziemlich sauer guckten und vermutlich die Faust in der Tasche ballten. Nur noch einmal zur Erinnerung: Hier präsentierte sich der Vermarkter auch privater Sender vor wichtigen Kunden, und die Privaten wurden vom Podium herunter klein und lächerlich gemacht.

Seit dem gestrigen Abend herrscht nun, wie es scheint, dicke Luft. Die Verantwortlichen der AS&S haben inzwischen wohl bemerkt, dass sie da einen dicken Bock geschossen haben. Jetzt reagieren sie. Wie man hört, soll bereits zur nächsten Veranstaltung morgen in Frankfurt ein Privatradio-Vertreter für das Podium nachnominiert werden. Die „Systemdiskussion“, die Rainer Tief losgetreten habe, wurde, wie zu hören, AS&S-intern als unannehmbar bewertet.

Da fiel ein bisschen hintunter, dass die Diskussion zeitweise durchaus Qualitäten hatte. Vor allem Sascha Lobo ist zu loben, weil er ein paar gerade Wahrheiten aussprach. Wie die, dass Radio Wort und Musik sei, egal, auf welcher Plattform. Oder die, dass den Verlegern gerade „ein Geschäftsmodell zusammenfällt und dass es im Internet noch kein Geschäftsmodell gibt, das das substituieren kann“.

Wobei mir dann wieder Rainer Tief einfällt, der derart tief in seinem Gebührensessel zu stecken scheint, dass ihm solche Sorgen sehr virtuell erscheinen mögen. Möglicherweise holt ihn jemand bis zu seinem nächsten Auftritt – er ist erst wieder am 31. März in München dabei – auf den Boden der Tatsachen zurück.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de

XPLR: MEDIA Radio-Report