Kanzler-DSDS

Bitter Lemmer

Am 13. September wird eine Castingshow mit dem Namen „Kanzlerduell“ auf gleich vier Fernsehkanälen ausgestrahlt. Warum Radiosender die Tonspur übernehmen wollen, ist unerklärlich.

Es wird wieder eine dieser eitlen Inszenierungen sein, die niemand braucht. Stoppuhrgesteuert werden sich die vier Moderatoren im Studio in Berlin-Adlershof so gruppieren, dass jeder mal gut ins Bild kommt – die Fernsehleute und die Kandidaten. „Es wird Absprachen geben“, kündigte der Regisseur der Sendung, Volker Weicker, im Magazin Cicero an. „Beide Kandidaten werden gleich groß im Bild erscheinen, die Zahl der jeweiligen Einstellungen soll gleich verteilt sein.“ Weicker versteht sein Handwerk. Schließlich führt er auch bei DSDS Regie. „Neben der Bildregie beschäftigt mich der technisch einwandfreie Ablauf“, verrät er. „Es sollte keinen technischen Fehler wie Bild- oder Tonausfall geben“.

Am Tag nach dem Duell dürften wie gewohnt Zensuren fällig sein. Demoskopen werden bekanntgeben, wen das Volk zum Duell-Sieger gekürt haben wird. Alle werden so tun, als hänge davon das Voting in der Wahlkabine ab. Kommentatoren im Fernsehen und bei Zeitungen werden Haltungsnoten verteilen. Die Nachrichtensendungen aller Funkgattungen werden O-Töne senden, die nur aufgrund ihrer Anmoderation als neu zu identifizieren sein werden. Die Langeweile der politischen Casting-Show wird zur langweiligen Quälerei verdichtet werden. Kommentierende Schlauberger werden Frisur, Farbe der Jacke, Brillenmodell oder eventuelle sogenannte Skandale wie zu viel oder zu wenig Sendezeit für den einen oder die andere zu wahlentscheidenden Grundfragen hochquasseln – und vermutlich behaupten, dass jedermann sich dasselbe frage.

Das ist natürlich nicht so. Das Kanzlerduell ist in Wahrheit eine Show, die so tut, als sei sie Politik. Da wird nicht diskutiert werden, jedenfalls nicht in dem Sinn, in dem die Jedermanns diskutieren. Die Jedermanns, die ich so kenne, interessieren sich durchaus auch für Politik. Sie diskutieren manchmal – natürlich nicht immer, natürlich nicht alles auf Mal – über Steuern, Wirtschaftskrise, soziale Gerechtigkeit, Pisa-Ergebnisse, brennende Autos im Berliner Kiez oder Nazis in Sachsen. Wenn mal ein Thema mit echter Substanz in die Schlagzeilen gerät, wird auch das diskutiert, derzeit gelegentlich der – wahrhaft bewegende und die Glaubwürdigkeit der Justiz untergrabende – Fall Buback.

Solche Diskussionen kennt vermutlich jeder. Sie dauern mal ein paar Minuten, manchmal auch einen ganzen Abend. Sie können friedlich verlaufen oder in Streit ausarten. Aber sie werden grundsätzlich nicht von Einspielfilmchen, Betroffenensofas, virtuellen Erklärräumen oder von Schiedsrichtern mit Stoppuhr, die sich als Journalisten tarnen, unterbrochen. Wenn einer etwas sagt, was dem anderen nicht passt, widerspricht der eine dem anderen und dann der andere dem einen. Im Fernsehen ist das nicht so. Zuletzt durfte man das im ZDF bewundern, als Moderatorin Bettina Schausten immer dann irgendwoandershin schaltete, wenn sich ein Disput zwischen zweien ihrer Gäste entzündete. Wenn ich dachte, jetzt wird‘s endlich mal spannend, drückte sie die Stopp-Taste. Grauenhaft.

Ich habe schon lange den Eindruck, dass die sogenannte Politikverdrossenheit in Wahrheit eine Abneigung gegen die Präsentation von Politik in den Medien ist. Politiker und Journalisten sind dafür gleichermaßen verantwortlich. Da fragte gestern in der Wahlsendung nach den Landtagswahlen eine Reporterin der ARD in Saarbrücken den CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller, ob er und seine Partei denn nicht auch Fehler gemacht hätten in den letzten Jahren. Sie fragte das in einem Tonfall, als zelebriere sie gerade einen investigativen Coup. Es war eine dieser völlig schwachsinnigen Fragen, mit denen Journalisten Desinteresse oder Zynismus oder beides dokumentieren und wie sie im Minutentakt auf das Zuschauervolk einprasselten. Was, um Himmels willen, soll einer darauf antworten? Ja? Nein? Weiß nicht? Solcher Blödsinn ist scheinbar derart normal geworden, dass er gar nicht mehr auffällt. Peter Müller überhörte die Frage einfach und sagte, was ihm in den Sinn kam. Das wiederum störte die Fragestellerin nicht im Geringsten. Sie versuchte nicht einmal, mit dem Mann ein Gespräch zu führen, wie es die Jedermanns führen würden. Es war das übliche Grundrauschen.

So etwas, liebe Radioleute, wollt ihr senden? Freiwillig? Diskutiert lieber wie die Jedermanns mit Euren Wahlkreiskandidaten. Das würde dann vielleicht wirklich jemand hören wollen. Freiwillig!

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de