There is no thing such as “digital”…

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There is no thing such as “digital”, schreibt Wolfgang Blau, früher Chef von Zeit Online, jetzt Director of Digital Strategy beim Londoner „Guardian“, während er an der jährlichen Online News Association-Konferenz in Chicago teilnimmt. Was meint er damit?

Beim Blick auf die Soziodemographie, die Themeninteressen, die regionale Verteilung, die Zugänge zu einem Angebot, die Loyalität der Nutzer u.v.a.m. wird aus seiner Sicht relativ schnell deutlich, dass es – in seinem Fall bezogen auf Nachrichtenangebote von Printmedien, TV und Radio – sehr unterschiedliche Nutzergruppen und Nutzerverhalten gibt, je nachdem ob der Online-Zugang über einen Browser, ein Tablet oder ein Smartphone erfolgt. Darauf könne man nicht mit einer simplen allumfassenden „Digital“-Strategie reagieren, dies erfordere vielmehr sehr unterschiedliche Herangehensweisen für diese divergierenden Zielgruppen.

Lässt sich aus dieser Beobachtung etwas für das Radio in Deutschland lernen? In den letzten Wochen wurden ja einige Untersuchungen zum Thema „Radio – Online und digital“ veröffentlicht:

Zunächst einmal fällt hier auf, dass es auch beim Radio offensichtlich sehr unterschiedliche Zugänge gibt, wenn auch die herkömmliche UKW-Übertragung nach wie vor dominiert: 93,6 % der Haushalte besitzen UKW-Empfänger, 29,8 % verfügen über einen Radiozugang via Internet, 15,1 % über Kabel, 14,1 % über Satellit, schliesslich 7,7 % könnten per Digital-Radio hören (Digitalisierungsbericht 2014).

Nun sagt die Zugangsmöglichkeit noch nichts über das tatsächliche Nutzungsverhalten aus. Hier dominiert laut Digitalisierungsbericht erwartungsgemäß ebenfalls das UKW-Radio mit 75,1 %, gefolgt vom Internet-Radio mit 5,3 %, Radio über Kabel (2,6 %), Radio über Satellit (2,1 %) und dem Schlusslicht Digital-Radio (1,1 %).

Aufschluss über mögliche zukünftige Entwicklungen kann ein Blick auf das Radio-Verhalten der jüngeren Zielgruppen geben: Auch hier dominiert – wenn auch im Verhältnis zur Gesamtnutzung unterdurchschnittlich und mit deutlich abnehmender Tendenz – weiterhin das UKW-Radio.

Auffällig ist aber der signifikante Wert für die Internet-Radio-Nutzung (14-19: 8,7%; 20-29: 14%; 30-39: 8,7%). Ebenso auffällig: Digitalradio spielt auch bei den jüngeren Zielgruppen kaum eine Rolle (Ausnahme: 30-39 mit immerhin 2,5 %).

Diese Zahlen korrespondieren mit ähnlichen Entwicklungen in den USA, die eine relativ stabile absolute Zahl von UKW-Nutzern (allerdings mit sinkender Verweildauer), ein starkes Wachstum für das Online-Radio und eine kaum beachtete Randexistenz für das Digital-Radio-Equivalent HD-Radio zeigen.

Die vergleichsweise guten Zahlen für das Internet-Radio müssen allerdings „mit einer Prise Salz“ genommen werden: zwar hören laut ARD/ZDF-Online-Studie 39 % der 14-29jährigen gelegentlich Internet-Radio, aber nur 16 % tun das wenigstens einmal pro Woche, und gerade mal 3% tun es täglich. Und die 3. Ausgabe der MA IP Audio zeigt hinsichtlich der Webradio-Nutzung bei den Programmen, die in allen bisher drei Ausweisungen vertreten waren, auch nur eine Stagnation auf niedrigem Niveau im unteren einstelligen Bereich (siehe dazu auch meine Berechnung zur 1. MA IP Audio!).

Zeigen die vorliegenden Zahlen – wie die DAB+-Befürworter verkünden – den bevorstehenden Durchbruch von Digital-Radio? Dafür spricht wenig: Zwar ist die Zahl der insgesamt verkauften DAB- und DAB+-Geräte in Deutschland von 2,7 Mio. auf knapp 5 Mio. gestiegen, dem stehen aber 143 Mio. UKW-Radios gegenüber (deren Zahl übrigens auch um mehr als 3 Mio. gestiegen ist). Ob unter diesen Voraussetzungen eine Digital-Strategie für das zukünftige Radio das Richtige ist, scheint mir doch sehr zweifelhaft.

Insofern gilt auch für das Radio: „There is no such thing as ‚digital‘“. Vielmehr müssen wir wohl davon ausgehen, dass es auch für das Radio in Zukunft zunehmend ausdifferenzierte Nutzergruppen geben wird, die ganz unterschiedliche Ansprachen erfordern – vom traditionellen Morning-Show-Freund über den News-Afficionado, den Musik-Nischen-Liebhaber, den Podcast-Hörer, den Sportradio-Fan …

Nicht, dass Radio all das nicht könnte. Was mir Sorgen macht, ist, wie wenig gerade in den großen privaten Funkhäusern jenseits vergleichsweise unaufwendiger zusätzlicher Musikstreams an dieser Ausdifferenzierung gearbeitet wird. Radio hat die Herausforderung durch das neue digitale Zeitalter – verglichen etwa mit Zeitungen und Zeitschriften –  bisher gut bestanden. Aber Arbeitsverdichtung, Personalkürzungen, Zentralisierungen und Gewinnabschöpfung zugunsten darbender Verlagshäuser sind weniger denn je eine Antwort auf zukünftige Aufgaben.

 

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Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regelmäßig für RADIOSZENE seine Gedanken zum Radio aus der deutschen Medienhauptstadt Hamburg.

E-Mail: bunsmann@radioszene.de