Mit einem flapsigen Sager hat Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger eine gewaltige Diskussion losgetreten, die den Machern von Ö3 größte Sorgen bereiten dürfte. Es geht um österreichische Musik im Radio oder besser auf Ö3. Derzeit laufen heimische Popsongs eher selten im öffentlich-rechtlichen Hit-Radio. Heimische Bands und Musikschaffende fühlen sich übergangen. Sie fordern (übrigens seit Jahrzehnten) eine Musikquote. Ö3 soll verpflichtet werden, einen bestimmten Prozentsatz an heimischen Titeln zu spielen. Die Rede ist meist von 30 bis 40%.
Dadurch erhoffen sich heimische Bands, Produzenten und Labels größere Aufmerksamkeit und natürlich vor allem mehr Geld – schon alleine wegen der anfallenden Urheberrechtsgebühren, die Radios zahlen müssen. So einfach ist das aber nicht. Dass Ö3 und der ORF über eine solche Österreicher-Quote alles andere als glücklich sind, ist aus deren Sicht verständlich. Denn Ö3 ist eine Cash-Cow. Der Sender ist Ende der 90er Jahre von der deutschen Radio-Beratungsfirma BCI erfolgreich in ein kommerzielles AC-Formatradio (Adult Contemporary) umgebaut worden. Bis heute ist Ö3 überlegener Marktführer. So etwas schafft man nur mit massentauglichen Inhalten und einer ausgefeilten und guten Programm-, Marketing- und Musikstrategie. Denn die Konkurrenz, allen voran KRONEHIT, schläft nicht.
Mit einem öffentlich-rechtlichem Auftrag hat das natürlich recht wenig zu tun. Die Einführung einer Österreichquote würde das Ende von Ö3 in seiner derzeitigen kommerziellen Form und Ausrichtung bedeuten. Tagesreichweiten und Marktanteile würden einbrechen. Denn es ist nicht so, dass Ö3 heimische Bands mutwillig oder aus Arroganz nicht spielt. Einziger Grund dafür: heimische Popmusik kommt bei den Österreichern nicht so gut an, wie internationale Hits. Das mag vielen Bands nicht schmecken, ist aber empirisch belegbar. Moderne und erfolgreiche Hitsender testen jeden einzelnen Musiktitel, der in ihren Programmen läuft bzw. laufen soll, in der jeweiligen Zielgruppe ab. Und das zumeist im Wochenrhythmus. Musikprogrammierung auf Basis von Marktforschungsdaten, klingt unsexy, ist aber so. Auch die in der heimischen Musikszene gerne verbreitete Verschwörungstheorie, wonach die böse Musikindustrie Radiosender in ihrem Sinne manipuliert, ist absoluter Humbug. Kein Sender kann es sich leisten, einen Titel, der bei seinen Stammhörern schlecht ankommt, mehrmals täglich zu spielen. Denn der Effekt ist nämlich nicht, dass der Titel ein (Verkaufs-)Hit wird, sondern, dass die Hörer den Sender wechseln. Und das wäre eine Art Formatradio-Super-GAU.
Moderne Musikprogrammierung basiert auf den laufenden Ergebnissen von repräsentativen Befragungen. Bei der Musikplanung herrscht im kommerziellen Formatradio die freie und globale Marktwirtschaft: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Übrigens sehr zum Ärger der Radiomacher, die wollen nämlich auch nicht den neuen Shakira-Hit über Wochen täglich bis zu 10 Mal spielen. Aber Hörer sind gnadenlos und wechseln sofort den Sender, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen. Das bei Künstlern und Linken so beliebte Lamentieren über die angebliche Blödheit und Kulturlosigkeit des Durchschnittsösterreichers soll hier nicht weiter kommentiert werden.
Nun kann man, um beim Vergleich mit der Marktwirtschaft zu bleiben, durch Protektionismus natürlich österreichische Musik fördern. Allerdings ist die Vorstellung der heimischen Musikbranche, dass man die Bürger zu einem „besseren“ (?) Musikgeschmack erziehen kann, etwas naiv. Vor allem deshalb, weil Radio in Zeiten von Youtube, Spotify und iTunes schon längst nicht mehr die Kraft besitzt, Hits zu generieren; falls das je funktioniert haben sollte. Außerdem sollte in einem freien Land jeder für sich selbst entscheiden dürfen, was er hören will.
Eine Österreichquote für alle heimischen Radios, also auch für Privatsender, ist deshalb strikt abzulehnen. Das ist nichts anderes als Zensur. Weißrusslands Radiosender haben übrigens eine Quote von 75 Prozent. Auch Frankreich hat eine (durchaus problematische) Quote, allerdings betrifft sie die französische Sprache (und nicht die Herkunft der Titel). Quote ist fast immer ein Euphemismus für Verbote und Diskriminierungen.
Eine Quote nur für Ö3 wäre allerdings eine sinnvolle Maßnahme. Ö3 hätte damit plötzlich eine echte öffentlich-rechtliche Funktion: die Förderung der heimischen Musik. Die Aufgaben im dualen österreichischen Rundfunksystem wären damit wieder richtig verteilt. Kommerz-Sender senden Kommerz, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllt jene Aufgaben, die die privaten Anbieter nicht leisten können oder wollen.
Die Zeiten als reichweitenstarkes Hitradio und als Cash-Cow wären für Ö3 damit allerdings vorbei, private Radiosender würden von diesem Schritt massiv profitieren. Eine durch und durch sinnvolle Maßnahme. Auch die heimische Musikbranche würde davon profitieren, allerdings bei weitem nicht so wie erhofft. Denn der Hörer lässt sich nicht zu „besserer Musik“ – was immer das auch sein mag – erziehen. Er hat genügend Alternativen, um auf andere Sender umzusteigen. Und das wird er auch tun. Eine Quote für alle Radios können die Musikschaffenden nicht ernsthaft wollen, das erinnert irgendwie an „Ausländer-raus“-Parolen. Ganz abgesehen von der Frage, was österreichische Musik überhaupt ist?
Muss der Sänger, Komponist oder Produzent österreichischer Staatsbürger sein, genügt eine gültige Aufenthaltsgenehmigung oder ein laufendes Asylverfahren? Muss der Text gar in deutscher Sprache sein? Wenn es sie selbst betrifft, dann sind auch die Künstler nicht mehr ganz so weltoffen, wie sie sich gerne selbst darstellen.
Der Artikel ist zuerst erschienen beim neuen Internetdienst ORF-Watch.at
Über den Autor:
Werner Reichel (47) studierte Publizistik und Ethnologie an der Universität Wien, ist seit 1995 im Rundfunk tätig, hat mehrerer private Radiostationen in führenden Positionen mit aufgebaut.
Er ist Inhaber einer Audio-Content Agentur und Lektor an der Fachhochschule für Journalismus und Medienmanagement in Wien.
Bücher:
- „Privatradio in Österreich – Eine schwere Geburt“ (München, 2006)
- „Die roten Meinungsmacher – SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ (Baden-Baden, 2012)
- „Die Feinde der Freiheit“ (Charleston, 2014) (Bezahlter Link)