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Radio-Apps: Die ungenutzte Chance

BUNSMANN-Teaser-bigRadio und das Mobile Web: Wächst da zusammen, was zusammengehört, oder ist das eine der Tod des anderen? Rund 40 Millionen Deutsche (Tendenz steigend) besitzen mittlerweile ein Smartphone und /oder einen Tablet-PC1), 50 % der Internet-User nutzten im Januar 2014 das Internet unterwegs (Januar 2012: 29 %)2), 70 % der täglichen Facebook-Nutzung in Deutschland läuft über mobile Endgeräte3).

Auf den ersten Blick scheint Radio in diesem Umfeld gar nicht so schlecht aufgestellt. 41 % der deutschen Smartphone-Nutzer hören Radio, während sie ihr Smartphone nutzen4). Radio-Apps sind – zumindest was die Download-Zahlen angeht – weit verbreitet, allein der Radio-Aggregator radio.de meldet über 6 Millionen Downloads seiner Mobil-App. Und – je nach herangezogener Studie – zwischen 11 und 14 Millionen Deutsche hören Radio über ihr Smartphone5).

Zahlen, die beeindrucken, und von den Sprechern der Radio-Branche gern benutzt werden, um das Ankommen des Radios in der digitalen Welt und den erfolgreichen Schritt ins Mobile Web zu belegen.

Aber wer die kreative Umdeutung problematischer MA-Ergebnisse in scheinbare Erfolge mittels Jubel-Pressemitteilungen kennt, wird vorsichtigerweise einen genaueren Blick auf solche Erfolgsmeldungen werfen.

In der Tat: 54 % der deutschen Internet-User haben 2013 Audio-Dateien aus dem Web heruntergeladen, das sind knapp 30 Millionen Menschen6). Davon sagten fast 13, 5 Millionen, auch Live-Radio über das Web zu hören7). Aber nur etwa 1,5 Millionen gaben an, das auch täglich zu tun8). Im Vergleich zur MA-Radio-Tagesreichweite von nicht ganz 59 Millionen9) sind das allerdings gerade mal 2,5 %.

Auch ein Blick auf die Nutzung der vielgelobten Radio-Apps ernüchtert: Die Nutzung von Fernseh- und Radio-Apps erreicht in der ARD/ZDF-Online-Studie gerade mal 6 %, der Radio-Anteil daran dürfte in etwa dem an der Webradio-Tagesreichweite entsprechen und bei 2,5 – 3 % liegen. Was im Übrigen dann auch wieder dem Anteil der Webradio-Vermarktung an Netto-Werbeumsatz des Radios entspricht: im Jahr 2013 waren das 2,3 %10).

Aber woran liegt es, dass Radio einerseits bisher den digitalen Medien-Wandel relativ unbeschadet überstanden hat, andererseits aber im zukunftsweisenden Mobile Web so wenig reüssiert?

Das lässt sich an den derzeitigen Radio-Apps recht gut zeigen. Wenn sie mehr sind als etwas bessere Webradio-Player, gehen sie an dem, was Radio im Mobile Web sein könnte, weit vorbei. Entweder es handelt sich um reine Service-Apps mit integriertem Webradio-Player. Aber die lokale Wetterkarte hat schon auf der stationären Website des Senders keinen wirklichen Traffic erzeugt, weil es dafür bessere Angebote gibt. Für die meisten Radio-Sender macht auch ein Programmführer wenig Sinn, weil es die klassischen Einschaltsendungen immer weniger gibt. Zwar nutzen über 4 Millionen die Möglichkeit, Radiosendungen via Internet zeitversetzt zu hören, aber 3,5 Millionen tun das nur gelegentlich, lediglich knapp 300.000 Hörer tun das täglich. Und die meisten Hörer werden auch kaum auf die Idee kommen, Interviews zu führen oder Reportagen aufzuzeichnen – und für Fotos ist der BILD-Leserreporter im Zweifel der attraktivere Ansatz.

Dabei könnte die eigene App für nahezu jeden Sender eine große Chance sein, die intensiveren Hörer zu einer Art Sender-Community zu entwickeln. Und diese 20 % bringen bekanntlich nach Pareto 80 % der auf einen Sender entfallenden Hör-Stunden. Der Weg dahin ist nicht einmal sonderlich kompliziert, man kann an dem anknüpfen, was Social Media-User in anderen Communities bevorzugt tun: 43 % schreiben Beiträge auf Profilen, persönliche Nachrichten oder Chat-Nachrichten. Man kann es auch verallgemeinern: Sie bringen sich als Person ein und stellen sich dar.

Radio ist schon lange ein sehr persönliches Medium, eine starke Radio-Persönlichkeit hat eine virtuelle Eins-zu-Eins-Beziehung zum Hörer. Die Radio-App könnte der Weg sein, diese bisher virtuelle Beziehung ein Stück realer werden zu lassen. Indem die Hörer über Musik-Votings unmittelbar das Programm beeinflussen können, indem sie über das Mikrofon ihres Smartphones und die Sender-App direkt ans Sendestudio kommunizieren können, indem Gewinnspiele tatsächlich interaktiv gestaltet werden können, ohne in Telefonschleifen hängen zu bleiben, indem die Sender-App auf dem abendlichen Heimweg lokal basierte, persönlich zugeschnittene Angebote transportiert, vielleicht den Blitzer auf der gerade befahrenen Straße meldet …

Radio-Apps könnten für das Radio ein ganz wichtiges Instrument in der digitalen Welt werden. Der millionenfache Download der verschiedenen Sender-Apps ist dafür eine gute Voraussetzung. Eigentlich muss man dieses Potential nur durch eine neue, sinnvolle Ansprache aktivieren. In der heutigen Form allerdings werden Radio-Apps auch in Zukunft nur den Friedhof ungenutzter Apps auf den Bildschirmen mobiler Endgeräte bevölkern. Es wäre schade um die ungenutzte Chance.

 

Fussnoten:
1) 2) 4) 6) 7) 8) ARD-ZDF-Onlinestudie 2013
3) eMarketer May 2013: Mobile Trends in France and Germany
4) ARD-ZDF-Onlinestudie 2013 und BLM-Webradiomonitor 2013
9) MA Radio 2014/I
10) VPRT-Marktprognose Radio 2013, BLM-Webradiomonitor 2013

 

 

BUNSMANN 150

Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regelmäßig für RADIOSZENE seine Gedanken zum Radio aus der deutschen Medienhauptstadt Hamburg.

E-Mail: bunsmann@radioszene.de

 

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