Digitale Medien lassen sich jederzeit und überall nutzen, heben klassische Gattungsgrenzen auf und stellen eine große Herausforderung für Reichweitenmessung, Inhalte-Entwicklung und Regulierung, Finanzierung und Vermarktung dar. Mit diesen Aspekten beschäftigten sich am 20. März etwa 250 Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer beim 9. DLM-Symposium in Berlin. Im Mittelpunkt von Vorträgen und Diskussionen zum Thema „Reichweiten – Inhalte – Regulierung: Wie finanziert sich der konvergente Rundfunk?“ standen Zukunftsperspektiven des privatwirtschaftlichen Rundfunks in einer zunehmend von Internet und Konvergenz geprägten Medienwelt.
„Die etablierten Systeme sowohl der Vermarktung wie der Regulierung passen nicht mehr richtig“, machte Dr. Jürgen Brautmeier bei seiner Begrüßung auf die Folgen der digitalen Zeitenwende aufmerksam. Der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) mahnte eine Anpassung des Regulierungsrahmens ebenso an wie Diskussionen über Inhalte und die Messung von medienübergreifenden Reichweiten. Zentrale Herausforderung für die Rundfunk-Branche sei es, Nutzern und Werbekunden auf alle digitalen Plattformen zu folgen. Darüber hinaus wies Brautmeier auf die „zum Teil dramatischen Verschlechterungen bei der Kostendeckung von lokalen TV-Sendern“ hin. Um die lokale und regionale Vielfalt zu erhalten, müssten „neue Wege, auch möglicherweise der finanziellen Unterstützung“ gesucht werden. Andernfalls drohe in puncto Medien- und Meinungsvielfalt eine weitere Verarmung.
Prof. Dr. Susanne Stürmer plädierte dafür, dass sich das Fernsehen angesichts der Konkurrenz aus dem Internet „dringend neu erfinden“ müsse. Die Präsidentin der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) in Potsdam argumentierte, die Digitalisierung und die damit verbundenen Änderungen der Mediennutzung machten das „Einsammeln von TV-Werbegeldern“ immer schwieriger. Die Fernsehnutzungsdauer der 14 – 59-Jährigen sei im zweiten Jahr in Folge gesunken, die Fragmentierung des Marktes nehme zu, die Nutzung von Video-Streaming sei schwer messbar und das Erstellen neuer Inhalte werde auch nicht leichter, skizzierte Stürmer die aktuelle Situation des TV-Marktes. Etwa ein Viertel aller neuen Serien stammten von kleinen Sendern mit geringen Etats und kleiner Episodenzahl. Die Hälfte aller Neustarts erreiche Marktanteile von weniger als zehn Prozent des Senderdurchschnitts. In Deutschland werde zu wenig für den internationalen Markt produziert, kritisierte Stürmer und sprach von einer „negativen Handelsbilanz“. So seien im vergangenen Jahr nur zwei deutsche Formate exportiert worden, während zugleich vor allem die 14- bis 29-Jährigen on Demand fast ausschließlich importierte US-Serien bevorzugten.
Die HFF-Präsidentin, die auch dem Gesamtvorstand der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V. angehört, verwies darauf, dass Online-Video-Plattformen und TV-Programmanbieter um dieselben Zuschauer konkurrieren. Im Internet dominierten US-Inhalte. Von Online-Anbietern wie Netflix, Watchever oder Amazon seien kaum eigene deutsche Produktionen zu erwarten, eher schon vom Pay-TV-Sender Sky. Stürmer sagte voraus, die Bedeutung serieller Inhalte werde zunehmen. Außerdem rechne sie mit einer „großen qualitativen Spreizung“ zwischen Event-Angeboten und preisgünstigen Inhalten.
Die Potsdamer Professorin meinte, dass die deutschen TV-Programmanbieter die Potenziale der Online-Welt nur unzureichend ausschöpfen. Gute Kombinationen von TV-Content und flankierenden Online-Angeboten seien selten. Grundsätzlich mangle es an trans- oder crossmedialen Formaten. Dass deutsche Produktionen international selten Beachtung fänden, liege auch an der starken Stellung der Auftraggeber. Die Sender finanzierten alles und erhielten im Gegenzug die kompletten Rechte. Deutsche TV-Programmanbieter seien als Auftraggeber und Rechteinhaber aber vor allem am nationalen Erfolg interessiert. Wer internationale Erfolge wolle, müsse den Konnex von Sendern und Rechten „entbündeln“, setzte sich Stürmer für eine stärkere Position von Produzenten ein, die außerdem verstärkt unternehmerische Energie beweisen und Zweitverwertungskonzepte entwickeln müssten.
Wie nahe die Video-Welten von TV und WWW beieinander liegen, machte Dirk Martens deutlich. Der Geschäftsführer des Medien- und Marktforschungsunternehmens House of Research referierte, dass inzwischen drei Viertel aller Online-Nutzer zumindest gelegentlich Bewegtbilder im Internet anklicken würden und fast ein Drittel aller Zuschauer ab 14 Jahren die Möglichkeit habe, Videos aus dem Internet auch auf einem TV-Gerät anzusehen. Im internationalen Vergleich würden deutsche Zuschauer sowohl via Smart TV als auch per Tablet PC Streaming-Dienste, Video on Demand und auch Catch-up TV eher selten nutzen.
Um das Medium Bewegtbild über alle Plattformen hinweg besser als Werbeträger vermarkten zu können, fehlt es noch immer an einer einheitlichen Reichweitenmessung. Martin Krapf, Geschäftsführer der Wirkstoff TV Gattungsmarketing GmbH, setzte sich dafür ein, eine gemeinsame Währung zu schaffen, um „Entwicklungen zu beschreiben und vergleichen zu können“. Ohne einheitliche Standards drohe eine „Inflation der Währungen“, warnte der Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (agma) Hans Georg Stolz.
Karin Hollerbach-Zenz, Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), erläuterte, wie in Deutschland seit wenigen Wochen außer dem klassischen TV-Empfang auch die Streaming-Nutzung von Videos der TV-Programmanbieter erfasst wird. Parallel zur herkömmlichen Erhebung in 5.000 repräsentativ ausgewählten Fernsehhaushalten werden auch die Online-Abrufe von TV-Inhalten erfasst sowie die Online-Nutzung von 25.000 Haushalten analysiert. Dieser Ansatz zur Messung von Reichweiten sei „weltweit der komplexeste“, unterstrich Hollerbach-Zenz. Im kommenden Jahr könnten erstmals „konvergente Daten“ für TV und Internet vorgelegt werden, kündigte die AGF-Vorstandsvorsitzende an, die bei SevenOne Media den Bereich Committees Representation verantwortet. Ähnliches werde die agma ab 2015 auch für den Hörfunkbereich bieten, ergänzte deren Vorsitzender Stolz. Monats-Daten über die Web-Abrufe von Radioprogrammen, die bei den Anbietern erhoben werden, würden erstmals am 26. März veröffentlicht (ma IP Audio). Im Mai folgten die Daten für das gesamte erste Quartal.
Während Frank Nolte, Leiter Digitale Medien von Radio Marketing Service (RMS), zu bedenken gab, für den Online-Sektor vermisse er oft noch den „Wirkungsnachweis“, verwies Kirsten Nachtigall, Head of Planing and Implementation der Mediaagentur Carat Deutschland, auf die genauen Kontaktdaten, die etwa Google für Youtube liefern könne. Solche Reichweiten alleine reichen vielen aber nicht aus. Die spannendste Frage sei deren Wirkung, weitete Matthias Dang, Geschäftsführer von IP Deutschland, die Perspektive. Es gehe um die Antwort auf die Frage, wie die Werbewirtschaft welche Kontakte bewerten solle, erläuterte der Chef des Werbezeitenvermarkters der RTL Group. Bereits seit drei Jahren erlebe die TV-Branche Verluste bei der Netto-Reichweite, ergänzte Carat-Managerin Nachtigall. Die Zahl der Zuschauer nehme ab, allerdings schaue das verbliebene (ältere) Publikum etwas länger als zuvor. Angesichts der fragmentierten Medienlandschaft werde der Reichweitenaufbau für die Werbewirtschaft immer komplizierter, erläuterte Nachtigall.
Die Vorteile von Video-on-Demand-Plattformen im Internet zeigte beim DLM-Symposium in Berlin die Geschäftsführerin von Watchever auf. Over-the-Top-Angebote ermöglichten eine zeit- und ortsunabhängige Auswahl von Videos, die außer auf dem TV-Bildschirm auch mit fast allen digitalen Endgeräten abgerufen werden könnten, erklärte Watchever Geschäftsführerin Sabine Anger. Wichtig seien eine einfache Handhabung, günstige Flatrat-Tarife und kurze Kündigungsfristen. Dieses Erfolgsrezept verfolgt auch der Web-TV-Anbieter Magine Deutschland, der in Kürze starten soll. Friederike Behrends, Geschäftsführerin von Magine Deutschland, erläuterte, zum Konzept gehörten sowohl Free- als auch Pay-TV-Angebote. Das System macht es beispielsweise möglich, TV-Programme per WLAN oder Mobilfunk an Smartphone oder Tablet-PC weiterzuleiten und dort zeitversetzt zu nutzen.
IP-basierte Plattformen erlaubten es, dass man „mehr mit Daten spielen“ könne, wies die Magine-Geschäftsführerin auf einen zentralen Vorteil der Online-Dienste hin: Anhand der Nutzerdaten könnten Inhalte gezielt auf einzelne Zuschauer und deren Wünsche abgestimmt werden. „Die Daten zeigen, was wirklich gesehen wird“, betonte Watchever Managerin Anger. Trotz solcher Vorteile des non-linearen Fernsehens, so versicherten die beiden Branchen-Vertreterinnen, werde das non-lineare nicht das lineare Fernsehen ablösen. Davon geht auch Gary Davey aus. Der Executive Vice President Programming von Sky Deutschland betonte, das Medium Fernsehen sei nie stärker gewesen als heutzutage. Lineare und non-lineare Inhalte würden beispielsweise von Sky parallel angeboten. Kooperationen zwischen der linearen Rundfunkwelt und der non-linearen Online-Welt empfahl Kristian Kropp. Der Geschäftsführer der Hörfunkprogramme bigFM und RPR1 berichtete von guten Erfahrungen der Zusammenarbeit mit dem Musik-Streaming-Dienst Spotify. Zusammen haben die Partner eine Streaming-basierte Radiosendung (bigFM Spotify Show) entwickelt, die jeden Samstagnachmittag ausgestrahlt werden soll.
Abschließend stand beim DLM-Symposium das Thema Regulierung auf der Tagesordnung. Dr. Tobias Schmid bemängelte als Vorstandsvorsitzender des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), lineare Dienste würden weitaus strenger reguliert als non-lineare. Dies gelte vor allem für die Werbung, sagte Schmid, der den Bereich Medienpolitik bei der Mediengruppe RTL Deutschland leitet.
Bislang, so berichtete Cornelia Holsten, die als Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt den Fachausschuss Regulierung der Landesmedienanstalten koordiniert, gebe es nur wenige problematische HbbTV-Fälle. Dies liege vermutlich auch an der wenig umfangreichen HbbTV-Nutzung. „Wir sind als LfM in Nordrhein-Westfalen für die Telemedien-Aufsicht noch gar nicht zuständig“, ergänzte der DLM-Vorsitzende Brautmeier. Die Zuständigkeit für Online-Angebote ist bislang in den Ländern uneinheitlich geregelt.
Die Unterscheidung zwischen linearen Angeboten, die als Rundfunk strenger reguliert werden, und non-linearen Diensten, für die weniger strenge Bestimmungen gelten, geht auf die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zurück. Dass dieses System zur Zeit überprüft wird, berichtete Lorena Boix Alonso, die bei der EU-Kommission den Bereich Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien leitet. In einer Keynote berichtete sie von den Konsultationen auf der Basis des im vergangenen Jahr vorgelegten Grünbuchs „über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt“. Bei den Stellungnahmen zu diesem Grünbuch ließen sich keine einheitlichen Trends erkennen, so Boix Alonso. Umstritten seien außer der Unterscheidung zwischen linearen und non-linearen Diensten auch die Fragen, wie mit Akteuren, deren Sitz außerhalb der EU liegt, umgegangen werden solle. Äußerst umstritten sei darüber hinaus, wie Minderheiten geschützt und möglichst alle Angebote zu fairen Bedingungen überall auffindbar gemacht werden könnten.
Die Expertin der Europäischen Kommission sagte, für dieses Jahr dürfe aufgrund der Wahl des neuen Europäischen Parlamentes am 25. Mai nicht mehr mit einer Entscheidung über eine Reform der Mediendienste-Richtlinie gerechnet werden. Die EU-Kommission werde einen entsprechenden Entscheidungsprozess erst 2015 einleiten.
Boix Alonso verwies darauf, die EU habe eine Plattform initiiert, bei der sich Vertreter nationaler Medienaufsichtsbehörden austauschen könnten. Deutschland habe aber noch keinen Vertreter benannt. Zu diesem Thema sagte Jacqueline Kraege, Chefin der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, von der die Rundfunkpolitik der Bundesländer koordiniert wird, inzwischen sei der Bundesregierung Thomas Langheinrich von den Ländern als Vertreter empfohlen worden. Der Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) ist Europabeaufragter der DLM.
Zur Regulierungsfrage in Deutschland signalisierte Kraege eine Reihe von möglichen Deregulierungen. Im quantitativen Bereich, also etwa in Bezug auf Höchstgrenzen für die Ausstrahlung von Werbung, zeichne sich bei den Ländern eine Tendenz ab, „abzurüsten, abzuschichten und da mehr Freiheit zu lassen“. Im Gegenzug gelte es in Bereichen wie Jugend-, Minderheiten- und Datenschutz sowie Meinungsvielfalt qualitative Standards zu schaffen. Während alte Regulierungsmodelle stark auf einem „Schutzgedanken“ basiert hätten, könne inzwischen von souveränen Nutzern ausgegangen werden. Wichtiger als quantitative Beschränkungen von Werbezeiten seien Fragen der Auffindbarkeit von Programmen, betonte Kraege.
Die rheinland-pfälzische Staatssekretärin erläuterte, dass es den Ländern bei ihren Überlegungen zu einem neuen Medienstaatsvertrag um „Grundsatzentscheidungen“ ginge. Es solle ein Rahmen geschaffen werden, „der eine Weile hält“. Außerdem werde eine im Berliner Koalitionsvertrag festgeschriebene Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Indessen mahnte der DLM-Vorsitzende Brautmeier zur Eile. Angesichts der Tatsache, dass die Ungleichgewichte größer würden, empfinde er es als „schwierig, dass es so lange dauert“. Die Anpassung des regulatorischen Rahmens müsse schnell kommen und den Landesmedienanstalten ausreichend Flexibilität erlauben.
Im Bereich der Telemedien, so prognostizierte Brautmeier, komme auf die Landesmedienanstalten mehr Arbeit zu. Dies gelte etwa hinsichtlich der Überprüfung einer klaren Trennung von Werbung und publizistischen Inhalten. Generell gelte es, bestehende Regeln besser durchzusetzen.
Quelle: Pressemitteilung der DLM.