5 Jahre egoFM – Die „Radio Dissidenten“ schalten wieder ein.

Logo egoFM„Endlich unter uns“ – das ist der Claim von egoFM. Seit fünf Jahren ist der Münchner Sender inzwischen „unter uns“ und liefert mit einem Programm abseits des Mainstreams eine Alternative zu den gängigen Formatradios. Im Mai 2008 bekam egoFM, damals noch unter dem Projektnamen „Radioblut“, von der BLM die ehemaligen UKW-Stützfrequenzen des Volksmusiksenders Radio Melodie. Vor genau fünf Jahren, am 21. November 2008 ging egoFM auf Sendung. Zum Jubiläum zieht Philipp von Martius, der als Geschäftsführer von Studio Gong auch Geschäftsführer von egoFM ist, im Interview mit RADIOSZENE Bilanz. Die Audiofassung des Interviews kann in Markos Medienpodcast angehört werden (s.u.)

Unsere Hörer hören uns zum Großteil mit Shazam.

Es ist vor allem die Musik, mit der sich egoFM von anderen Sendern unterscheidet. Statt Lady Gaga und Rihanna spiele man „Titel, von denen wir glauben, dass sie spannend sind, neu sind und den Zeitgeist widerspiegeln“, so Philipp von Martius. Ohne Genre-Beschränkungen versucht egoFM, „abwechslungsreiche Musik zu finden“ und „die Nase im Wind zu haben, was sich rund um die Welt tut“.

Nicht ohne Stolz berichtet er: „Unserer Hörer hören uns zum Großteil mit Shazam, weil sie bei uns Titel entdecken, die sie sich dann woanders runterladen oder kaufen.“ Dass Songs, die egoFM entdeckt oder von Hörern empfohlen bekommt, ein halbes oder dreiviertel Jahre später auch bei anderen Sendern laufen und sogar zu Charthits werden, passiere immer wieder und sein netter „Nebeneffekt“ jedoch versuche egoFM, „nicht Erfolg im Sinne von Chartplatzierung zu Gegenstand unserer Musikauswahl zu machen“.

Stolz ist Philipp von Martius auch auf die Musikrotration, die wohl um den „Faktor 10“ größer sei als bei klassichen Formatradios. Ein guter Teil der Neunentdeckungen kommt von Hörern, die egoFM Songs empfehlen. Philipp von Martius ist begeistert, „wie viel tolle Musik unserer Hörer für uns entdecken“. Vor allem, „wie unkompliziert und selbstverständlich das passiert“ und „auf gleicher Augenhöhe“ funktioniert. In der Kommunikation mit den Hörern sei egoFM eigentlich ein „klassisches Online-Medium im Radiobereich“.

egoFM-musikentdecker

Keine Diktatur der Fröhlichkeit.

Auch in der Höreransprache unterscheidet sich egoFM ganz erheblich von anderen Programmen: „Die Diktatur der Fröhlichkeit in den Morgensendungen mit lauter lustigen Witzen und Gewinnspielen – all das gibt es bei uns nicht“, sagt Philipp von Martius. Stattdessen versuche egeoFM, „in normaler Alltagssprache mit unseren Hörern zu reden, so wie die Hörer auch miteinander reden“.

Radio-Dissidenten haben bei egoFM eine neue Heimat gefunden.

Mit diesem Konzept ist es egoFM gelungen, neue Hörer fürs Radio zu begeistern und alte Hörer wiederzugewinnen: „Wir gewinnen viele Jugendliche, die gar nicht mehr mit Radio sozialisiert aufgewachsen sind und dem Medium Radio relativ emotionsfrei gegenüber stehen“, erklärt Philipp von Martius. Auch „Radio-Dissidenten“, also Hörer, die „mit Radio sozialisiert aufgewachsen sind, aber durch die Mainstream-Programme eher enttäuscht sind“ hätten bei egoFM nun wieder „eine Heimat gefunden“.

egoFM-Geschäftsführer Philipp von Martius (Foto: Studio Gong)
egoFM-Geschäftsführer Philipp von Martius (Foto: Studio Gong)

Die meisten Hörer haben kein Festnetz mehr.

In der Funkanalyse Bayern erzielt egoFM steigende Hörerzahlen: In diesem Jahr waren es 27.000 Hörer in der Durchschnittsstunde bei einer Tagesreichweite von 123.000 Hörern.

Jedoch bilden diese Zahlen nur einen Teil der tatsächlichen Hörerschaft ab. Wie alle anderen jungen Programme auch leidet egoFM unter der Tatsache, dass die Befragungen für die FAB und die MA ausschließlich über Festnetztelefone erfolgen. Höreraktionen zeigen jedoch, so Philipp von Martius, dass 70 bis 80 Prozent der Anrufer von Mobilfunknummern anrufen und gar kein Festnetz mehr haben.

Bei den Aktivitäten bei YouTube und Facebook oder Gewinn-Aufrufen zu Konzerten bewege sich egoFM jedoch „in Größenordnungen, die eigentlich großen Sendern zustehen“. Daher ist Philipp von Martius überzeugt, „dass wir deutlich mehr Hörer haben, als in der MA und FAB für uns ausgewiesen werden.“

Überzeugungsarbeit bei der Vermarktung.

Diese Erkenntnis auch den Werbekunden zu vermitteln und daraus Einnahmen zu generieren, erfordere jedoch viel „Überzeugungsarbeit“. Man versuche klarzumachen, „dass wir eine Zielgruppe erreichen, die mit klassischen Medien nicht erreicht werden kann“. Die Hörer hätten einen hohen Bildungsgrad, seien einkommensstark, positiv eingestellt gegenüber Anschaffungen und zudem sehr unternehmensfreudig. Für die Werbewirtschaft sei dies eigentlich „die gesuchte Zielgruppe“, die sie über egoFM „ohne Streuverluste erreichen kann“. Hier kämen in der Argumentation dann auch Facebook-Reichweite und Co ins Spiel.

Trotz der „schwierigen Voraussetzungen“ ist egoFM bestrebt, die in der bevorstehenden Funkanalyse Bayern ausgewiesenen Hörerzahlen weiter zu steigern, um „doch ein gewisses Reichtum generieren zu können“.

Altersstruktur der egoFM-Hörer (Quelel: Funkanalyse Bayern 2013)
Altersstruktur der egoFM-Hörer (Quelle: Funkanalyse Bayern 2013)

Die „deutsche Variante von FM4“ ist von PULS nicht beunruhigt

Dabei ist egoFM auch in Bayern nicht der einzige Sender, der in der Alternativ-Nische fischt. Vor allem in Südbayern hat das ORF-Programm FM4 viele Anhänger, auch Philipp von Martius habe früher viel FM4 gehört, erzählt er. Daher versuche auch egoFM, „ein bisschen von FM4 zu lernen“ und sieht sich „als deutsche Variante von FM4“. Selbstbewusst sagt Philipp von Martius aber auch: „Wir haben weniger Ghettoschranken, um uns zu hören“, will sagen, es sei „leichter, mal einzusteigen, ohne dass wir uns deswegen in der Tiefe der Musik vor FM4 verstecken müssen“.

Die vor allem bei Studenten beliebten Aus- und Fortbildungsradios M94.5 in München und afk max in Nürnberg, an denen Studio Gong als Träger des AFK-Vereins auch beteiligt ist, „machen das auch sehr gut und sehr spannend“, jedoch sei der AFK „eine andere Welt, als wir mit egoFM verfolgen“, insofern sehe man in den beiden Programmen „keinen Mitbewerber im Hörfunkmarkt“.

Was das junge BR-Programm PULS angeht, das der Bayerische Rundfunk vor einem halben Jahr von weitgehend unmoderierten on3radio zum Vollprogramm ausgebaut hat, gibt sich egoFM-Geschäftsführer Philipp von Martius ausgesprochen diplomatisch: „Es ehrt uns, dass die Kollegen vom Bayerischen Rundfunk, nachdem wir das jetzt fünf Jahre machen, ein Programm machen, was sich sehr stark Richtung egoFM entwickelt. Das nehmen wir mal als Lob von anderer Seite.“

Programmlich betrachtet sei PULS „eine Herausforderung, die wir immer annehmen“. Einzig die Tatsache, dass der BR „als sehr, sehr großes Haus sehr schnell einzelne Fragen zu Materialschlachten verbindet“, etwa bei der Präsentation von Veranstaltungen oder Konzerten, betrachtet Philipp von Martius als „schwierig“, doch „ansonsten beunruhigt uns PULS im jetzigen Stadium eigentlich nicht“.

Wohl auch die Tatsache, dass egoFM in Bayern, im Gegensatz zu PULS, fünf UKW-Frequenzen hat, dürfte diese Ruhe bestärken.

Digitalradio kostet mehr, als es Reichweite bringt

Im Nachbarland Baden-Württemberg ist egoFM durch eine Kooperation mit sechs Lokalradios im Digitalradio DAB+ zu empfangen. Ein Test, um Antworten auf die „schwierige Frage“ zu bekommen: „Kann DAB+ tatsächlich eine Alternative sein?“ Aus wirtschaftlicher Sicht lautet die Antwort für Philipp von Martius momentan Nein: „Allein die technische Verbreitung kostet Geld, das sich in MA-Reichweiten gar nicht umsetzen lässt.“ Die Schwierigkeit sei, „dass wir es uns per se nicht so ohne weiteres leisten können. Deshalb können wir da nur in kleinen Schritten vorwärts kommen.“

Eher eine therotische Frage.

Eine Expansion in andere Regionen strebt egoFM momentan nicht an. Philipp von Martius hält es für wichtig, „dass man im Alltag der Hörer eine Rolle spielt“. Bei Veranstaltungen oder Konzerten habe sich gezeigt, dass die Hörer durchaus bereit seien, eine Strecke von 200 oder 250 Kilometern zurückzulegen. In dieser Hinsicht „passen Baden-Württemberg und Bayern gut zusammen“.

Würde egoFM dagegen nach Norddeutschland expandieren, bräuchte man „eine eigene Community“, zumal auch „die Art der Moderation, die Form von Humor“ innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich sind. Zwar bekommt egoFM online und bei Facebook „aus allen großen Städten Deutschlands sehr große Resonanz“, dennoch sei die Expansion in andere Regionen nicht nur wegen fehlender freier Frequenzen momentan „eher eine theoretische Frage“.

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